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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die mittelalterliche Kirchenbaukunst in der Terra ti Bari

stilisierten Klee weichen. Zum Teil wird das Phantastische jetzt durch religiöse
oder, wie in dem berühmten Huldigungsrelief an der Rücklehne der Kanzel zu
Bitonto, durch profane Darstellungen ersetzt, falls die Annahme Schubrings richtig
ist, der in den früher als Salomo und die Königin von Saba gedeuteten
Figuren den thronenden Kaiser Friedrich den Zweiten und seine Familie sieht.
Wie rasch es die Kunst auf diesem ihr eben erschlossenen Gebiete zur Meister¬
schaft gebracht hat, beweisen außer jenem Relief auch die Patriarchen am linken
Türpfosten des Doms zu Trani und die Darstellungen aus dem Leben Christi
am Tympanon des Bitonter Doms, Schöpfungen von einem so frisch pulsierenden
Leben, wie sie das übrige Italien erst seit den Tagen eines Giovanni Pisano
kennt. Um so mehr muß daher die geringe Zahl rnndplastischer, menschlicher
Figuren überraschen. Es ist dies wohl auch als eine Nachwirkung des byzan¬
tinischen Bilderverbots zu betrachten, wodurch die Künstler die Fähigkeit ver¬
loren, menschliche Gestalten nachzuformen. Vor Kaiser Friedrich dem Zweiten
hat sich die apulische Plastik überhaupt nur ein einzigesmal darin versucht.
Es find dies drei Sklaven, die mit emporgehobnen Händen den heute in der
Sakristei des Doms zu Bari aufbewahrten Bischofstuhl halten. Die Last des
Tragens ist in der halb gebückten Stellung prachtvoll zum Ausdruck gekommen,
wenn ihnen auch andrerseits die allzulanger Arme und der stumpfsinnige
Gesichtsausdruck etwas Affenähnlichcs verleiht. Im übrigen entspricht dieser
Bischvfstuhl genan dem berühmter" im Dom zu Canosa, nur daß hier der
schwere Steinsessel mit der hohen, reich ornamentierten Lehne auf zwei Ele¬
fanten ruht. Überhaupt hat sich die apulische Kunst öfter und länger als
irgendeine andre in der rundplastischen Darstellung von Tieren gefallen. Am
eindringlichsten vielleicht spricht sich diese Vorliebe in den auf Löwen, Stiere,
Widder oder Elefanten gestellten Säulenportalen aus, die ja auch an ober¬
italienischen, deutschen und französischen Kirchen wiederkehren, in der Terra ti
Bari aber geradezu typisch geworden sind, sodaß sie an keiner größern Kathe¬
drale fehlen. Allerdings haben diese Portale eine bemerkenswerte Umbildung
erfahren, indem sie nicht vorhallenartig vor die Fassade treten und deshalb
auch nicht durch ein weit vorspringendes Dach mit dieser erst wieder verbunden
werden müssen. Vielmehr lehnen sich die auf den Tierkörpern ruhenden
Säulen samt ihren Kapitellen meist direkt an die Kirchenwand an, sodaß sie
ohne weiteres den das Portal krönenden Spitzgiebel oder den Rundbogen mit
der reich ornamentierten Archivolte aufnehmen können. Feinsinnig ist dabei
der Charakter des Tragender durch eine zweite Tierfigur auf den Kämpfern
zum Ausdruck gekommen. Aber auch überall da, wo sonst an diesen Bauten
Plastischer Schmuck wiederkehrt, an dem großen Bogenfenster der Apsis, das
sich, eine Eigentümlichkeit normannischer Kirchenbauten Englands, überraschender¬
weise wohl in Apulien, aber nicht in Frankreich findet, an den Radfenstern
der Fassaden, den Gesimsen, Kragsteinen, Kapitellen fehen wir bald freistehende
Affen, bald Kamele, bald Bären. Löwen, Giraffen, Pfauen oder Widder mit
solcher Natürlichkeit angebracht, wie sie eben nur eingehendes Studium und
liebevoller Verkehr mit der Tierwelt schaffen kann. Für den, der des Jtalieners
Verständnislosigkeit, ja Roheit im Umgang mit der Kreatur kennt, bedarf es
darum wohl kaun: eines Hinweises, daß solche Werke nicht seinem Gedanken¬
kreis entsprossen sind. Schwerer dürfte es jedoch sein, zu entscheiden, welcher
Anregung von außen her diese ganze eigenartige Kunstrichtung entstammt.
Zunächst wird mau dabei an die den germanischen Völkern eigentümliche Vor¬
liebe für Darstellungen aus der Tierfabel denken, die überall da, wohin deutscher


Die mittelalterliche Kirchenbaukunst in der Terra ti Bari

stilisierten Klee weichen. Zum Teil wird das Phantastische jetzt durch religiöse
oder, wie in dem berühmten Huldigungsrelief an der Rücklehne der Kanzel zu
Bitonto, durch profane Darstellungen ersetzt, falls die Annahme Schubrings richtig
ist, der in den früher als Salomo und die Königin von Saba gedeuteten
Figuren den thronenden Kaiser Friedrich den Zweiten und seine Familie sieht.
Wie rasch es die Kunst auf diesem ihr eben erschlossenen Gebiete zur Meister¬
schaft gebracht hat, beweisen außer jenem Relief auch die Patriarchen am linken
Türpfosten des Doms zu Trani und die Darstellungen aus dem Leben Christi
am Tympanon des Bitonter Doms, Schöpfungen von einem so frisch pulsierenden
Leben, wie sie das übrige Italien erst seit den Tagen eines Giovanni Pisano
kennt. Um so mehr muß daher die geringe Zahl rnndplastischer, menschlicher
Figuren überraschen. Es ist dies wohl auch als eine Nachwirkung des byzan¬
tinischen Bilderverbots zu betrachten, wodurch die Künstler die Fähigkeit ver¬
loren, menschliche Gestalten nachzuformen. Vor Kaiser Friedrich dem Zweiten
hat sich die apulische Plastik überhaupt nur ein einzigesmal darin versucht.
Es find dies drei Sklaven, die mit emporgehobnen Händen den heute in der
Sakristei des Doms zu Bari aufbewahrten Bischofstuhl halten. Die Last des
Tragens ist in der halb gebückten Stellung prachtvoll zum Ausdruck gekommen,
wenn ihnen auch andrerseits die allzulanger Arme und der stumpfsinnige
Gesichtsausdruck etwas Affenähnlichcs verleiht. Im übrigen entspricht dieser
Bischvfstuhl genan dem berühmter» im Dom zu Canosa, nur daß hier der
schwere Steinsessel mit der hohen, reich ornamentierten Lehne auf zwei Ele¬
fanten ruht. Überhaupt hat sich die apulische Kunst öfter und länger als
irgendeine andre in der rundplastischen Darstellung von Tieren gefallen. Am
eindringlichsten vielleicht spricht sich diese Vorliebe in den auf Löwen, Stiere,
Widder oder Elefanten gestellten Säulenportalen aus, die ja auch an ober¬
italienischen, deutschen und französischen Kirchen wiederkehren, in der Terra ti
Bari aber geradezu typisch geworden sind, sodaß sie an keiner größern Kathe¬
drale fehlen. Allerdings haben diese Portale eine bemerkenswerte Umbildung
erfahren, indem sie nicht vorhallenartig vor die Fassade treten und deshalb
auch nicht durch ein weit vorspringendes Dach mit dieser erst wieder verbunden
werden müssen. Vielmehr lehnen sich die auf den Tierkörpern ruhenden
Säulen samt ihren Kapitellen meist direkt an die Kirchenwand an, sodaß sie
ohne weiteres den das Portal krönenden Spitzgiebel oder den Rundbogen mit
der reich ornamentierten Archivolte aufnehmen können. Feinsinnig ist dabei
der Charakter des Tragender durch eine zweite Tierfigur auf den Kämpfern
zum Ausdruck gekommen. Aber auch überall da, wo sonst an diesen Bauten
Plastischer Schmuck wiederkehrt, an dem großen Bogenfenster der Apsis, das
sich, eine Eigentümlichkeit normannischer Kirchenbauten Englands, überraschender¬
weise wohl in Apulien, aber nicht in Frankreich findet, an den Radfenstern
der Fassaden, den Gesimsen, Kragsteinen, Kapitellen fehen wir bald freistehende
Affen, bald Kamele, bald Bären. Löwen, Giraffen, Pfauen oder Widder mit
solcher Natürlichkeit angebracht, wie sie eben nur eingehendes Studium und
liebevoller Verkehr mit der Tierwelt schaffen kann. Für den, der des Jtalieners
Verständnislosigkeit, ja Roheit im Umgang mit der Kreatur kennt, bedarf es
darum wohl kaun: eines Hinweises, daß solche Werke nicht seinem Gedanken¬
kreis entsprossen sind. Schwerer dürfte es jedoch sein, zu entscheiden, welcher
Anregung von außen her diese ganze eigenartige Kunstrichtung entstammt.
Zunächst wird mau dabei an die den germanischen Völkern eigentümliche Vor¬
liebe für Darstellungen aus der Tierfabel denken, die überall da, wohin deutscher


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[0363] Die mittelalterliche Kirchenbaukunst in der Terra ti Bari stilisierten Klee weichen. Zum Teil wird das Phantastische jetzt durch religiöse oder, wie in dem berühmten Huldigungsrelief an der Rücklehne der Kanzel zu Bitonto, durch profane Darstellungen ersetzt, falls die Annahme Schubrings richtig ist, der in den früher als Salomo und die Königin von Saba gedeuteten Figuren den thronenden Kaiser Friedrich den Zweiten und seine Familie sieht. Wie rasch es die Kunst auf diesem ihr eben erschlossenen Gebiete zur Meister¬ schaft gebracht hat, beweisen außer jenem Relief auch die Patriarchen am linken Türpfosten des Doms zu Trani und die Darstellungen aus dem Leben Christi am Tympanon des Bitonter Doms, Schöpfungen von einem so frisch pulsierenden Leben, wie sie das übrige Italien erst seit den Tagen eines Giovanni Pisano kennt. Um so mehr muß daher die geringe Zahl rnndplastischer, menschlicher Figuren überraschen. Es ist dies wohl auch als eine Nachwirkung des byzan¬ tinischen Bilderverbots zu betrachten, wodurch die Künstler die Fähigkeit ver¬ loren, menschliche Gestalten nachzuformen. Vor Kaiser Friedrich dem Zweiten hat sich die apulische Plastik überhaupt nur ein einzigesmal darin versucht. Es find dies drei Sklaven, die mit emporgehobnen Händen den heute in der Sakristei des Doms zu Bari aufbewahrten Bischofstuhl halten. Die Last des Tragens ist in der halb gebückten Stellung prachtvoll zum Ausdruck gekommen, wenn ihnen auch andrerseits die allzulanger Arme und der stumpfsinnige Gesichtsausdruck etwas Affenähnlichcs verleiht. Im übrigen entspricht dieser Bischvfstuhl genan dem berühmter» im Dom zu Canosa, nur daß hier der schwere Steinsessel mit der hohen, reich ornamentierten Lehne auf zwei Ele¬ fanten ruht. Überhaupt hat sich die apulische Kunst öfter und länger als irgendeine andre in der rundplastischen Darstellung von Tieren gefallen. Am eindringlichsten vielleicht spricht sich diese Vorliebe in den auf Löwen, Stiere, Widder oder Elefanten gestellten Säulenportalen aus, die ja auch an ober¬ italienischen, deutschen und französischen Kirchen wiederkehren, in der Terra ti Bari aber geradezu typisch geworden sind, sodaß sie an keiner größern Kathe¬ drale fehlen. Allerdings haben diese Portale eine bemerkenswerte Umbildung erfahren, indem sie nicht vorhallenartig vor die Fassade treten und deshalb auch nicht durch ein weit vorspringendes Dach mit dieser erst wieder verbunden werden müssen. Vielmehr lehnen sich die auf den Tierkörpern ruhenden Säulen samt ihren Kapitellen meist direkt an die Kirchenwand an, sodaß sie ohne weiteres den das Portal krönenden Spitzgiebel oder den Rundbogen mit der reich ornamentierten Archivolte aufnehmen können. Feinsinnig ist dabei der Charakter des Tragender durch eine zweite Tierfigur auf den Kämpfern zum Ausdruck gekommen. Aber auch überall da, wo sonst an diesen Bauten Plastischer Schmuck wiederkehrt, an dem großen Bogenfenster der Apsis, das sich, eine Eigentümlichkeit normannischer Kirchenbauten Englands, überraschender¬ weise wohl in Apulien, aber nicht in Frankreich findet, an den Radfenstern der Fassaden, den Gesimsen, Kragsteinen, Kapitellen fehen wir bald freistehende Affen, bald Kamele, bald Bären. Löwen, Giraffen, Pfauen oder Widder mit solcher Natürlichkeit angebracht, wie sie eben nur eingehendes Studium und liebevoller Verkehr mit der Tierwelt schaffen kann. Für den, der des Jtalieners Verständnislosigkeit, ja Roheit im Umgang mit der Kreatur kennt, bedarf es darum wohl kaun: eines Hinweises, daß solche Werke nicht seinem Gedanken¬ kreis entsprossen sind. Schwerer dürfte es jedoch sein, zu entscheiden, welcher Anregung von außen her diese ganze eigenartige Kunstrichtung entstammt. Zunächst wird mau dabei an die den germanischen Völkern eigentümliche Vor¬ liebe für Darstellungen aus der Tierfabel denken, die überall da, wohin deutscher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/363>, abgerufen am 12.12.2024.