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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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und Schriftstellern mit der deutschen Sprache im allgemeinen erbärmlich genug
aussieht, ist oft beklagt worden und bedarf keiner Wiederholung. Die Mi߬
handlung unsrer Muttersprache -- ganz abgesehen von den vermeidlichen
Fremdwörtern -- in amtlichen und nichtamtlichen schriftlichen Kundgebungen
aller Art von den höchsten Behörden an läßt nicht erkennen, daß die fremden
alten Sprachen einen veredelnden Einfluß auf die deutsche Ausdrucksweise
haben; man fühlt vielmehr oft sehr deutlich heraus, daß die deutschen Schachtel¬
sätze eine Erinnerung an die Schulbank geblieben sind, wo sie geradezu ge¬
züchtet worden sind.

In gleicher Weise wird wohl auch die Schulung für folgerichtiges Denken
durch die Lektüre der alten Klassiker überschützt. Es wäre doch schlecht in der
Welt bestellt, wenn man für ewig zur Erlernung logischen Denkens an die
paar wenigen Schriftsteller gebunden wäre und nirgends anders das Heil
gefunden werden könnte. Wie erginge es den vielen Menschen, deren Ohr
nie einen altklassischer Klang gehört und deren Auge keinen griechischen Buch¬
staben je gesehen hat! Es ist endlich auch nicht die Rede davon, nun auf
einmal alle griechischen und römischen Klassiker über Bord zu werfen und nur
noch die Nonuinöntg, zu lesen; diese Forderung wird niemand stellen, solange
die alten Sprachen gelehrt werden. Es genügt schon, wenn der Abwechslung
halber und mit Auswahl hin und wieder eine oder die andre mittelalterliche
Quellenschrift auf der Schule behandelt wird, womöglich eine, die gerade mit
der Gegend der betreffenden Schule in Beziehung steht, sodaß die Heimat¬
kunde davon unmittelbar betroffen wird. Ebensowenig soll einer weitern Über¬
bürdung der Schüler das Wort geredet werdeu, da jede Mehrbelastung anstatt
der erhofften Freudigkeit nur Verdruß hervorrufen würde.

Mehr Heimatkunde in den höhern Schulen verlangt mit vollem Recht
Archivar Dr. Brüning aus Aachen, indem er in den "Blättern für deutsche
Erziehung" schreibt: "Ich bin in Danzig auf dem Gymnasium gewesen, aber
niemals habe ich im Unterricht etwas von der bedeutenden mittelalterlichen
Geschichte und von den Kunstwerken der Stadt gehört; ich bin in Altenstein
auf das Gymnasium gegangen, aber niemals wurden wir Schüler auf die
dortige prächtige Stadtkirche und die bischöfliche Burg aus dem vierzehnten Jahr¬
hundert hingewiesen; ich bin in Hohenstein auf dem Gymnasium gewesen, aber
kein Lehrer machte uns darauf aufmerksam, daß es sich in den Mauern der
alten Ordensburg befand, und daß wir Altpreußen dem Deutschen Ritterorden
so unendlich viel zu verdanken haben, daß dessen Geschichte so ruhmvoll und
herrlich sei wie nnr irgendwie. Das galt alles nichts. Aber der geringfügigste
griechische oder römische Quark wurde uns jeden Vormittag aufs Frühstücks¬
brot geschmiert. Ja es ist mir bei einer Fahrt an Marienburg vorbei passiert,
daß einer der Mitreisenden den Kopf durchs Feuster steckte und beim Anblick
der Vnrg fragte: "Was ist denn das füm oller Kasten?" Ich fuhr nicht vierter,
sondern zweiter Klasse, und der Fragesteller war ein Gutsbesitzer aus Litauen,


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und Schriftstellern mit der deutschen Sprache im allgemeinen erbärmlich genug
aussieht, ist oft beklagt worden und bedarf keiner Wiederholung. Die Mi߬
handlung unsrer Muttersprache — ganz abgesehen von den vermeidlichen
Fremdwörtern — in amtlichen und nichtamtlichen schriftlichen Kundgebungen
aller Art von den höchsten Behörden an läßt nicht erkennen, daß die fremden
alten Sprachen einen veredelnden Einfluß auf die deutsche Ausdrucksweise
haben; man fühlt vielmehr oft sehr deutlich heraus, daß die deutschen Schachtel¬
sätze eine Erinnerung an die Schulbank geblieben sind, wo sie geradezu ge¬
züchtet worden sind.

In gleicher Weise wird wohl auch die Schulung für folgerichtiges Denken
durch die Lektüre der alten Klassiker überschützt. Es wäre doch schlecht in der
Welt bestellt, wenn man für ewig zur Erlernung logischen Denkens an die
paar wenigen Schriftsteller gebunden wäre und nirgends anders das Heil
gefunden werden könnte. Wie erginge es den vielen Menschen, deren Ohr
nie einen altklassischer Klang gehört und deren Auge keinen griechischen Buch¬
staben je gesehen hat! Es ist endlich auch nicht die Rede davon, nun auf
einmal alle griechischen und römischen Klassiker über Bord zu werfen und nur
noch die Nonuinöntg, zu lesen; diese Forderung wird niemand stellen, solange
die alten Sprachen gelehrt werden. Es genügt schon, wenn der Abwechslung
halber und mit Auswahl hin und wieder eine oder die andre mittelalterliche
Quellenschrift auf der Schule behandelt wird, womöglich eine, die gerade mit
der Gegend der betreffenden Schule in Beziehung steht, sodaß die Heimat¬
kunde davon unmittelbar betroffen wird. Ebensowenig soll einer weitern Über¬
bürdung der Schüler das Wort geredet werdeu, da jede Mehrbelastung anstatt
der erhofften Freudigkeit nur Verdruß hervorrufen würde.

Mehr Heimatkunde in den höhern Schulen verlangt mit vollem Recht
Archivar Dr. Brüning aus Aachen, indem er in den „Blättern für deutsche
Erziehung" schreibt: „Ich bin in Danzig auf dem Gymnasium gewesen, aber
niemals habe ich im Unterricht etwas von der bedeutenden mittelalterlichen
Geschichte und von den Kunstwerken der Stadt gehört; ich bin in Altenstein
auf das Gymnasium gegangen, aber niemals wurden wir Schüler auf die
dortige prächtige Stadtkirche und die bischöfliche Burg aus dem vierzehnten Jahr¬
hundert hingewiesen; ich bin in Hohenstein auf dem Gymnasium gewesen, aber
kein Lehrer machte uns darauf aufmerksam, daß es sich in den Mauern der
alten Ordensburg befand, und daß wir Altpreußen dem Deutschen Ritterorden
so unendlich viel zu verdanken haben, daß dessen Geschichte so ruhmvoll und
herrlich sei wie nnr irgendwie. Das galt alles nichts. Aber der geringfügigste
griechische oder römische Quark wurde uns jeden Vormittag aufs Frühstücks¬
brot geschmiert. Ja es ist mir bei einer Fahrt an Marienburg vorbei passiert,
daß einer der Mitreisenden den Kopf durchs Feuster steckte und beim Anblick
der Vnrg fragte: »Was ist denn das füm oller Kasten?« Ich fuhr nicht vierter,
sondern zweiter Klasse, und der Fragesteller war ein Gutsbesitzer aus Litauen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/360>, abgerufen am 23.07.2024.