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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die Nonumsuta Ka'wkwias In"toriv!^ in den höhern Schulen

kleinste durchgenommen. Es werden Kommentare über Kommentare geschrieben
und mit Karten und Plänen der Schlachten und Schlachtordnungen aus¬
gestattet; die Einrichtungen der Heere und die Verfassungen der Staaten
werden darin auseinandergesetzt, und es geschieht alles, um den Schülern
einen Einblick in das Kulturleben der Griechen und Römer zu geben. Es
ist schon zu oft -- auch in den Grenzboten erst kürzlich -- gesagt worden,
wie klüglich demgegenüber unser deutsches Staats- und Verfassungsleben in
der Schule behandelt wird, als daß darüber noch Worte verloren werden
könnten. Hier soll nur die eine Frage angeregt werden, ob es nicht wenigstens
möglich ist, die Nonuiriönta tZerirmuiae llistories, für die Schule und die
Heimatkunde nutzbar zu macheu. Inhaltlich stehn die deutschen Geschichts¬
quellen jenen griechischen und lateinischen sicherlich nicht nach; die meisten
Schüler -- das kann man ruhig behaupten -- lesen die Schilderungen der
uns so fernstehenden Kriegsereignisse aus der vorchristlichen Zeit, wenn nicht
mit einem Widerwillen, so doch mit gewisser Gleichgiltigkeit. besonders wenn
Schwierigkeiten in den Formen und Satzkonstruktionen damit verbunden sind.
Wie mancher wäre verlassen gewesen beim Übersetzen, wenn er nicht seinen
"Freund" gehabt Hütte, der aus den Nöten helfen mußte? Und wie wenige
haben nach dem Abgange vou der Schule jemals wieder einen dieser alten
Römer und Griechen in die Hand genommen, soweit sie nicht berufsmäßig
dazu verpflichtet waren? Aus reiner Neigung und Liebhaberei wird wohl
selten jemand auf diese Quellen zurückgreifen, die sich ausschließlich mit
griechischer und römischer Geschichte beschäftigen und nicht auch, wie Cäsar
und Taeitus zum Beispiel, deutsche Geschichte behandeln. Wie es freilich mit
der Begeisterungsfähigkeit der Lehrer selbst steht, die jahraus jahrein immer
wieder dieselben Stoffe behandeln müssen, läßt sich nicht beurteilen.

Die Quellenschriften der deutschen Geschichtschreiber könnten für die
Altertums- und Heimatkunde von großem Nutzen sein, wenn sie in den höhern
Schulen gelesen und ebenso gründlich durchgenommen würden wie die römischen
und die griechischen an unsern Gymnasien; die Schüler würden sich für die
heimische Geschichtsforschung mehr erwärmen, als es ihnen jetzt für die fremden
Länder möglich ist, und unsre Altertumsforschung stünde ans einer andern
Höhe, wenn es den vielen Geschlechtern der deutschen akademisch gebildeten
Berufe auf der Schule vergönnt gewesen wäre, sich so eingehend mit den
deutschen Geschichtsquellen beschäftigen zu können, wie es mit jenen noch tag¬
täglich geschieht. Darin liegt doch wohl die Hauptursache, daß unsre ge¬
bildeten höhern Kreise so wenig Sinn und Verständnis für die Heimatkunde
haben und deren Pflege den Volksschullehrern überlassen, die tatsächlich oft
genug die einzigen Träger heimatlicher Bestrebungen sind und manchmal auch
tüchtige Leistungen aufweisen, obgleich sie nicht klassisch vorgebildet sind.

Wie mangelhaft es mit unsrer deutschen Quellenforschung und mit der
Benutzung des vorhandnen Stoffes noch immer bestellt ist, mag ein Beispiel


Grenzboten I 1909 4t!
Die Nonumsuta Ka'wkwias In»toriv!^ in den höhern Schulen

kleinste durchgenommen. Es werden Kommentare über Kommentare geschrieben
und mit Karten und Plänen der Schlachten und Schlachtordnungen aus¬
gestattet; die Einrichtungen der Heere und die Verfassungen der Staaten
werden darin auseinandergesetzt, und es geschieht alles, um den Schülern
einen Einblick in das Kulturleben der Griechen und Römer zu geben. Es
ist schon zu oft — auch in den Grenzboten erst kürzlich — gesagt worden,
wie klüglich demgegenüber unser deutsches Staats- und Verfassungsleben in
der Schule behandelt wird, als daß darüber noch Worte verloren werden
könnten. Hier soll nur die eine Frage angeregt werden, ob es nicht wenigstens
möglich ist, die Nonuiriönta tZerirmuiae llistories, für die Schule und die
Heimatkunde nutzbar zu macheu. Inhaltlich stehn die deutschen Geschichts¬
quellen jenen griechischen und lateinischen sicherlich nicht nach; die meisten
Schüler — das kann man ruhig behaupten — lesen die Schilderungen der
uns so fernstehenden Kriegsereignisse aus der vorchristlichen Zeit, wenn nicht
mit einem Widerwillen, so doch mit gewisser Gleichgiltigkeit. besonders wenn
Schwierigkeiten in den Formen und Satzkonstruktionen damit verbunden sind.
Wie mancher wäre verlassen gewesen beim Übersetzen, wenn er nicht seinen
„Freund" gehabt Hütte, der aus den Nöten helfen mußte? Und wie wenige
haben nach dem Abgange vou der Schule jemals wieder einen dieser alten
Römer und Griechen in die Hand genommen, soweit sie nicht berufsmäßig
dazu verpflichtet waren? Aus reiner Neigung und Liebhaberei wird wohl
selten jemand auf diese Quellen zurückgreifen, die sich ausschließlich mit
griechischer und römischer Geschichte beschäftigen und nicht auch, wie Cäsar
und Taeitus zum Beispiel, deutsche Geschichte behandeln. Wie es freilich mit
der Begeisterungsfähigkeit der Lehrer selbst steht, die jahraus jahrein immer
wieder dieselben Stoffe behandeln müssen, läßt sich nicht beurteilen.

Die Quellenschriften der deutschen Geschichtschreiber könnten für die
Altertums- und Heimatkunde von großem Nutzen sein, wenn sie in den höhern
Schulen gelesen und ebenso gründlich durchgenommen würden wie die römischen
und die griechischen an unsern Gymnasien; die Schüler würden sich für die
heimische Geschichtsforschung mehr erwärmen, als es ihnen jetzt für die fremden
Länder möglich ist, und unsre Altertumsforschung stünde ans einer andern
Höhe, wenn es den vielen Geschlechtern der deutschen akademisch gebildeten
Berufe auf der Schule vergönnt gewesen wäre, sich so eingehend mit den
deutschen Geschichtsquellen beschäftigen zu können, wie es mit jenen noch tag¬
täglich geschieht. Darin liegt doch wohl die Hauptursache, daß unsre ge¬
bildeten höhern Kreise so wenig Sinn und Verständnis für die Heimatkunde
haben und deren Pflege den Volksschullehrern überlassen, die tatsächlich oft
genug die einzigen Träger heimatlicher Bestrebungen sind und manchmal auch
tüchtige Leistungen aufweisen, obgleich sie nicht klassisch vorgebildet sind.

Wie mangelhaft es mit unsrer deutschen Quellenforschung und mit der
Benutzung des vorhandnen Stoffes noch immer bestellt ist, mag ein Beispiel


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[0357] Die Nonumsuta Ka'wkwias In»toriv!^ in den höhern Schulen kleinste durchgenommen. Es werden Kommentare über Kommentare geschrieben und mit Karten und Plänen der Schlachten und Schlachtordnungen aus¬ gestattet; die Einrichtungen der Heere und die Verfassungen der Staaten werden darin auseinandergesetzt, und es geschieht alles, um den Schülern einen Einblick in das Kulturleben der Griechen und Römer zu geben. Es ist schon zu oft — auch in den Grenzboten erst kürzlich — gesagt worden, wie klüglich demgegenüber unser deutsches Staats- und Verfassungsleben in der Schule behandelt wird, als daß darüber noch Worte verloren werden könnten. Hier soll nur die eine Frage angeregt werden, ob es nicht wenigstens möglich ist, die Nonuiriönta tZerirmuiae llistories, für die Schule und die Heimatkunde nutzbar zu macheu. Inhaltlich stehn die deutschen Geschichts¬ quellen jenen griechischen und lateinischen sicherlich nicht nach; die meisten Schüler — das kann man ruhig behaupten — lesen die Schilderungen der uns so fernstehenden Kriegsereignisse aus der vorchristlichen Zeit, wenn nicht mit einem Widerwillen, so doch mit gewisser Gleichgiltigkeit. besonders wenn Schwierigkeiten in den Formen und Satzkonstruktionen damit verbunden sind. Wie mancher wäre verlassen gewesen beim Übersetzen, wenn er nicht seinen „Freund" gehabt Hütte, der aus den Nöten helfen mußte? Und wie wenige haben nach dem Abgange vou der Schule jemals wieder einen dieser alten Römer und Griechen in die Hand genommen, soweit sie nicht berufsmäßig dazu verpflichtet waren? Aus reiner Neigung und Liebhaberei wird wohl selten jemand auf diese Quellen zurückgreifen, die sich ausschließlich mit griechischer und römischer Geschichte beschäftigen und nicht auch, wie Cäsar und Taeitus zum Beispiel, deutsche Geschichte behandeln. Wie es freilich mit der Begeisterungsfähigkeit der Lehrer selbst steht, die jahraus jahrein immer wieder dieselben Stoffe behandeln müssen, läßt sich nicht beurteilen. Die Quellenschriften der deutschen Geschichtschreiber könnten für die Altertums- und Heimatkunde von großem Nutzen sein, wenn sie in den höhern Schulen gelesen und ebenso gründlich durchgenommen würden wie die römischen und die griechischen an unsern Gymnasien; die Schüler würden sich für die heimische Geschichtsforschung mehr erwärmen, als es ihnen jetzt für die fremden Länder möglich ist, und unsre Altertumsforschung stünde ans einer andern Höhe, wenn es den vielen Geschlechtern der deutschen akademisch gebildeten Berufe auf der Schule vergönnt gewesen wäre, sich so eingehend mit den deutschen Geschichtsquellen beschäftigen zu können, wie es mit jenen noch tag¬ täglich geschieht. Darin liegt doch wohl die Hauptursache, daß unsre ge¬ bildeten höhern Kreise so wenig Sinn und Verständnis für die Heimatkunde haben und deren Pflege den Volksschullehrern überlassen, die tatsächlich oft genug die einzigen Träger heimatlicher Bestrebungen sind und manchmal auch tüchtige Leistungen aufweisen, obgleich sie nicht klassisch vorgebildet sind. Wie mangelhaft es mit unsrer deutschen Quellenforschung und mit der Benutzung des vorhandnen Stoffes noch immer bestellt ist, mag ein Beispiel Grenzboten I 1909 4t!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/357>, abgerufen am 12.12.2024.