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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Gin Lesebuch der Sozialstatistik

Wohnungsausstattung seine soziale Position behaupten helfen. Was dagegen
würden sie beim Verkauf -- nach der "Trödlertaxe" -- gelten? Vielleicht
nahezu nichts. "Der Anschlag nach dem Veräußerungswerte ist gewiß eine
angemessene Berechnung für einen Hausstand, der aufgelöst werden soll; sehr
zu überlegen ist jedoch, inwieweit sie sich auch für den Hausstand, der fort¬
geführt werden soll, gezieme. Sie ist sicher eine angemessene Rechnung für
Auswandrer, auch für den Fall der Pfändung und des Gaules, und zwar
der Pfändung bis auf den letzten Rock und das letzte Hemd. Würde eine
Familie -- per iinxossibile -- so vergantet, so würde sie, da man sie ja
schon vorher so eingeschätzt hat, durch diesen Gaut nicht einmal geschädigt er¬
scheinen, was ein Bedenken mehr gegen die Ansehung nach dem Verüußerungs-
wert liefert."

Ein großes Werk, an dem Schnapper gearbeitet hat: "Geschichte des
Geldverkehrs, der Preise und der Lebenshaltung in der Reichs- und Handels¬
stadt Frankfurt am Main und in Deutschland überhaupt vom Ausgange des
Mittelalters bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts", war ihm nicht
zu vollenden vergönnt. Eine Anzahl seiner Aufsätze und Vorträge hat Leo
Zeitlin samt einer biographischen Skizze (bei H. Laupp in Tübingen) vor
zwei Jahren herausgegeben und jetzt (bei Dr. Werner Klinkhardt in Leipzig)
vierzig Vorlesungen Schnappers über Bevölkerungslehre, Wirtschaftsstatistik
und Moralstatistik als "ein Lesebuch für Gebildete, insbesondre für Studierende"
unter dem Titel Sozial statt seit (mit Tafeln, Tabellen und Namenregister).
Der Herausgeber hat das in den Vortragen enthaltne statistische Material
durch Beifügung der neusten Zahlen in Klammern ergänzt, bemerkt jedoch
ganz richtig, ein Buch, das für die Probleme der Sozialstatistik Verständnis
zu wecken sucht, bedürfe, um seinen Zweck zu erfüllen, weder der Massen-
haftigkeit noch der Aktualität seines Zahlenmaterials. "Gerade ein Werk wie
dieses, das aus Vorlesungen entstanden ist, hat vor allem die Aufgabe, die
Schnapper-Arndt mit seinen Werken als die des akademischen Unterrichts
überhaupt charakterisiert: zur Kritik des Stoffes, den das Leben liefert, und
zur Selbstarbeit Direktiven zu geben." Diesen Zweck erfüllt das Buch. Aber
es muß doch bei dieser Gelegenheit daran erinnert werden -- in der heutigen
Überschwemmung mit neuen Erzeugnissen werden ältere gute Sachen gar zu
rasch vergessen --, daß wir Deutschen schon längst ein Werk besitzen, das von
jedem, der nach tieferer und vollständiger Einsicht in den Gegenstand strebt,
unbedingt zur Ergänzung herangezogen werden muß. Zwar umfaßt Alexander
von Öttingers Moralstatistik nur zwei von den drei im vorliegenden Buche
behandelten Zweigen der Sozialstatistik (die Bevölkerungslehre konnte als Grund¬
lage der Moralstatistik nicht entbehrt werden), aber die Einleitung und das
erste Buch (zusammen über 300 Seiten) enthalten eine Einführung in die
Statistik, eine Methodologie dieser Kunst (nicht eigentlich Wissenschaft, wie
Schnapper richtig zeigt) und eine Anleitung zu ihrer Ausübung von solcher


Gin Lesebuch der Sozialstatistik

Wohnungsausstattung seine soziale Position behaupten helfen. Was dagegen
würden sie beim Verkauf — nach der „Trödlertaxe" — gelten? Vielleicht
nahezu nichts. „Der Anschlag nach dem Veräußerungswerte ist gewiß eine
angemessene Berechnung für einen Hausstand, der aufgelöst werden soll; sehr
zu überlegen ist jedoch, inwieweit sie sich auch für den Hausstand, der fort¬
geführt werden soll, gezieme. Sie ist sicher eine angemessene Rechnung für
Auswandrer, auch für den Fall der Pfändung und des Gaules, und zwar
der Pfändung bis auf den letzten Rock und das letzte Hemd. Würde eine
Familie — per iinxossibile — so vergantet, so würde sie, da man sie ja
schon vorher so eingeschätzt hat, durch diesen Gaut nicht einmal geschädigt er¬
scheinen, was ein Bedenken mehr gegen die Ansehung nach dem Verüußerungs-
wert liefert."

Ein großes Werk, an dem Schnapper gearbeitet hat: „Geschichte des
Geldverkehrs, der Preise und der Lebenshaltung in der Reichs- und Handels¬
stadt Frankfurt am Main und in Deutschland überhaupt vom Ausgange des
Mittelalters bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts", war ihm nicht
zu vollenden vergönnt. Eine Anzahl seiner Aufsätze und Vorträge hat Leo
Zeitlin samt einer biographischen Skizze (bei H. Laupp in Tübingen) vor
zwei Jahren herausgegeben und jetzt (bei Dr. Werner Klinkhardt in Leipzig)
vierzig Vorlesungen Schnappers über Bevölkerungslehre, Wirtschaftsstatistik
und Moralstatistik als „ein Lesebuch für Gebildete, insbesondre für Studierende"
unter dem Titel Sozial statt seit (mit Tafeln, Tabellen und Namenregister).
Der Herausgeber hat das in den Vortragen enthaltne statistische Material
durch Beifügung der neusten Zahlen in Klammern ergänzt, bemerkt jedoch
ganz richtig, ein Buch, das für die Probleme der Sozialstatistik Verständnis
zu wecken sucht, bedürfe, um seinen Zweck zu erfüllen, weder der Massen-
haftigkeit noch der Aktualität seines Zahlenmaterials. „Gerade ein Werk wie
dieses, das aus Vorlesungen entstanden ist, hat vor allem die Aufgabe, die
Schnapper-Arndt mit seinen Werken als die des akademischen Unterrichts
überhaupt charakterisiert: zur Kritik des Stoffes, den das Leben liefert, und
zur Selbstarbeit Direktiven zu geben." Diesen Zweck erfüllt das Buch. Aber
es muß doch bei dieser Gelegenheit daran erinnert werden — in der heutigen
Überschwemmung mit neuen Erzeugnissen werden ältere gute Sachen gar zu
rasch vergessen —, daß wir Deutschen schon längst ein Werk besitzen, das von
jedem, der nach tieferer und vollständiger Einsicht in den Gegenstand strebt,
unbedingt zur Ergänzung herangezogen werden muß. Zwar umfaßt Alexander
von Öttingers Moralstatistik nur zwei von den drei im vorliegenden Buche
behandelten Zweigen der Sozialstatistik (die Bevölkerungslehre konnte als Grund¬
lage der Moralstatistik nicht entbehrt werden), aber die Einleitung und das
erste Buch (zusammen über 300 Seiten) enthalten eine Einführung in die
Statistik, eine Methodologie dieser Kunst (nicht eigentlich Wissenschaft, wie
Schnapper richtig zeigt) und eine Anleitung zu ihrer Ausübung von solcher


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[0346] Gin Lesebuch der Sozialstatistik Wohnungsausstattung seine soziale Position behaupten helfen. Was dagegen würden sie beim Verkauf — nach der „Trödlertaxe" — gelten? Vielleicht nahezu nichts. „Der Anschlag nach dem Veräußerungswerte ist gewiß eine angemessene Berechnung für einen Hausstand, der aufgelöst werden soll; sehr zu überlegen ist jedoch, inwieweit sie sich auch für den Hausstand, der fort¬ geführt werden soll, gezieme. Sie ist sicher eine angemessene Rechnung für Auswandrer, auch für den Fall der Pfändung und des Gaules, und zwar der Pfändung bis auf den letzten Rock und das letzte Hemd. Würde eine Familie — per iinxossibile — so vergantet, so würde sie, da man sie ja schon vorher so eingeschätzt hat, durch diesen Gaut nicht einmal geschädigt er¬ scheinen, was ein Bedenken mehr gegen die Ansehung nach dem Verüußerungs- wert liefert." Ein großes Werk, an dem Schnapper gearbeitet hat: „Geschichte des Geldverkehrs, der Preise und der Lebenshaltung in der Reichs- und Handels¬ stadt Frankfurt am Main und in Deutschland überhaupt vom Ausgange des Mittelalters bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts", war ihm nicht zu vollenden vergönnt. Eine Anzahl seiner Aufsätze und Vorträge hat Leo Zeitlin samt einer biographischen Skizze (bei H. Laupp in Tübingen) vor zwei Jahren herausgegeben und jetzt (bei Dr. Werner Klinkhardt in Leipzig) vierzig Vorlesungen Schnappers über Bevölkerungslehre, Wirtschaftsstatistik und Moralstatistik als „ein Lesebuch für Gebildete, insbesondre für Studierende" unter dem Titel Sozial statt seit (mit Tafeln, Tabellen und Namenregister). Der Herausgeber hat das in den Vortragen enthaltne statistische Material durch Beifügung der neusten Zahlen in Klammern ergänzt, bemerkt jedoch ganz richtig, ein Buch, das für die Probleme der Sozialstatistik Verständnis zu wecken sucht, bedürfe, um seinen Zweck zu erfüllen, weder der Massen- haftigkeit noch der Aktualität seines Zahlenmaterials. „Gerade ein Werk wie dieses, das aus Vorlesungen entstanden ist, hat vor allem die Aufgabe, die Schnapper-Arndt mit seinen Werken als die des akademischen Unterrichts überhaupt charakterisiert: zur Kritik des Stoffes, den das Leben liefert, und zur Selbstarbeit Direktiven zu geben." Diesen Zweck erfüllt das Buch. Aber es muß doch bei dieser Gelegenheit daran erinnert werden — in der heutigen Überschwemmung mit neuen Erzeugnissen werden ältere gute Sachen gar zu rasch vergessen —, daß wir Deutschen schon längst ein Werk besitzen, das von jedem, der nach tieferer und vollständiger Einsicht in den Gegenstand strebt, unbedingt zur Ergänzung herangezogen werden muß. Zwar umfaßt Alexander von Öttingers Moralstatistik nur zwei von den drei im vorliegenden Buche behandelten Zweigen der Sozialstatistik (die Bevölkerungslehre konnte als Grund¬ lage der Moralstatistik nicht entbehrt werden), aber die Einleitung und das erste Buch (zusammen über 300 Seiten) enthalten eine Einführung in die Statistik, eine Methodologie dieser Kunst (nicht eigentlich Wissenschaft, wie Schnapper richtig zeigt) und eine Anleitung zu ihrer Ausübung von solcher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/346>, abgerufen am 12.12.2024.