Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
lvas können wir von Japan lernen?

Joshihide blieb in seiner unbezwinglichen Burg geschützt von einem zahl¬
reichen Kriegsvolk, und die Rachegedanken der Samurais schienen völlig aus¬
sichtslos. Die 47 zerstreuten sich, ergaben sich dem Trunk, dem Spiel und
sanken auf die Stufe der Ronins, sie lebten von Bettel und Diebstahl. Sie
ließen allen Spott und Hohn auf sich sitzen, zumal der Älteste und Anführer
der 47, der eines Tages von einem Samurai wegen dieser unerhörten
Schlaffheit und Schamlosigkeit aufs ärgste beschimpft wurde. Stumpfsinnig
wurde er angehört, obgleich solche Beleidigung nur durch Blut gesühnt
werden konnte. Zwei Jahre lang trieben sie sich so im Lande herum, all¬
mählich glaubte der vorsichtige Joshihide von dem verlumpten Gesindel nichts
mehr befürchten zu dürfen, er vernachlässigte seine anfänglichen Vorsichts¬
maßregeln, seine Leibwache wurde nachlässiger, da trat das Unerwartete
ein. Die 47 Samurais hatten sich auf die Lauer gelegt, überwältigten die
Schloßbesatzung und legten Uoshihides Kopf als Sühne auf das Grab
ihres Herrn.

Dann entleibten sie sich sämtlich, um nicht als Mörder dem Gericht zu
verfallen; diese Grabstätte ist noch heute an ihrem Todestage geschmückt als
Denkstätte des Edelsinns und der Vasallentreue. Es sind aber nicht nur
47 sondern 48 Gräber; jener fremde Samurai, der einst die Ronins wegen
ihrer Schurkenhaftigkeit beschimpft hatte, fühlte sich durch seine falschen
Anschuldigungen gegen Edelleute so entehrt, daß auch er an ihrem frischen
Grabe Selbstmord beging. Was für eine Fülle von Mannesmut, Treue,
Entsagung liegt in dieser historisch verbürgten Begebenheit, zumal wenn man
sich in den hochgespannter Ehrbegriff eines japanischen Edelmanns zu ver¬
setzen sucht.

Mit solchen Geschichten wächst die japanische Jugend auf. Solche Helden
sind ihre Vorbilder. Natürlich können christliche Staaten ihre Jugend nicht
in solchen rachedurstigen Idealen aufziehen; aber kaltes Blut und Schneid
liegt in dieser wie in allen andern japanischen Heldengeschichten. Wie
jämmerlich benehmen sich hiergegen die Helden der griechischen Mythologie,
mit denen unsre deutsche Jugend in ihren dem Idealen zugänglichsten Jahren
abgespeist wird.

Roms Jugend hörte von Horatius Coates, Mucius Scävola, den Horatiern
und Kuriatiern. Als diese Jugend heranwuchs, eroberte sie die ganze bekannte
Welt! Warum vernachlässigt man unsre urkräftige germanische Sagenwelt,
unsre kernige vaterländische Geschichte gerade bei der Bildung unsrer Jugend,
die bestimmt ist, den Führer des Volks zu berufen? Warum greifen sie zum
Jndianerschmöker, zum Detektivroman oder den demoralisierenden GeHirn¬
gespinsten perverser Naturen wie Oskar Wilde. Der Japaner ist viel zu stolz,
solch ausländisches Zeug zu lesen, und wir Deutschen?

So ist Japans Volksgeist erfüllt von hohen Anschauungen von Ehre,
Pflicht, Mut und Vaterlandsliebe; ein unbändiges Nationalbewußtsein, dem


lvas können wir von Japan lernen?

Joshihide blieb in seiner unbezwinglichen Burg geschützt von einem zahl¬
reichen Kriegsvolk, und die Rachegedanken der Samurais schienen völlig aus¬
sichtslos. Die 47 zerstreuten sich, ergaben sich dem Trunk, dem Spiel und
sanken auf die Stufe der Ronins, sie lebten von Bettel und Diebstahl. Sie
ließen allen Spott und Hohn auf sich sitzen, zumal der Älteste und Anführer
der 47, der eines Tages von einem Samurai wegen dieser unerhörten
Schlaffheit und Schamlosigkeit aufs ärgste beschimpft wurde. Stumpfsinnig
wurde er angehört, obgleich solche Beleidigung nur durch Blut gesühnt
werden konnte. Zwei Jahre lang trieben sie sich so im Lande herum, all¬
mählich glaubte der vorsichtige Joshihide von dem verlumpten Gesindel nichts
mehr befürchten zu dürfen, er vernachlässigte seine anfänglichen Vorsichts¬
maßregeln, seine Leibwache wurde nachlässiger, da trat das Unerwartete
ein. Die 47 Samurais hatten sich auf die Lauer gelegt, überwältigten die
Schloßbesatzung und legten Uoshihides Kopf als Sühne auf das Grab
ihres Herrn.

Dann entleibten sie sich sämtlich, um nicht als Mörder dem Gericht zu
verfallen; diese Grabstätte ist noch heute an ihrem Todestage geschmückt als
Denkstätte des Edelsinns und der Vasallentreue. Es sind aber nicht nur
47 sondern 48 Gräber; jener fremde Samurai, der einst die Ronins wegen
ihrer Schurkenhaftigkeit beschimpft hatte, fühlte sich durch seine falschen
Anschuldigungen gegen Edelleute so entehrt, daß auch er an ihrem frischen
Grabe Selbstmord beging. Was für eine Fülle von Mannesmut, Treue,
Entsagung liegt in dieser historisch verbürgten Begebenheit, zumal wenn man
sich in den hochgespannter Ehrbegriff eines japanischen Edelmanns zu ver¬
setzen sucht.

Mit solchen Geschichten wächst die japanische Jugend auf. Solche Helden
sind ihre Vorbilder. Natürlich können christliche Staaten ihre Jugend nicht
in solchen rachedurstigen Idealen aufziehen; aber kaltes Blut und Schneid
liegt in dieser wie in allen andern japanischen Heldengeschichten. Wie
jämmerlich benehmen sich hiergegen die Helden der griechischen Mythologie,
mit denen unsre deutsche Jugend in ihren dem Idealen zugänglichsten Jahren
abgespeist wird.

Roms Jugend hörte von Horatius Coates, Mucius Scävola, den Horatiern
und Kuriatiern. Als diese Jugend heranwuchs, eroberte sie die ganze bekannte
Welt! Warum vernachlässigt man unsre urkräftige germanische Sagenwelt,
unsre kernige vaterländische Geschichte gerade bei der Bildung unsrer Jugend,
die bestimmt ist, den Führer des Volks zu berufen? Warum greifen sie zum
Jndianerschmöker, zum Detektivroman oder den demoralisierenden GeHirn¬
gespinsten perverser Naturen wie Oskar Wilde. Der Japaner ist viel zu stolz,
solch ausländisches Zeug zu lesen, und wir Deutschen?

So ist Japans Volksgeist erfüllt von hohen Anschauungen von Ehre,
Pflicht, Mut und Vaterlandsliebe; ein unbändiges Nationalbewußtsein, dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0034" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312385"/>
          <fw type="header" place="top"> lvas können wir von Japan lernen?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_104"> Joshihide blieb in seiner unbezwinglichen Burg geschützt von einem zahl¬<lb/>
reichen Kriegsvolk, und die Rachegedanken der Samurais schienen völlig aus¬<lb/>
sichtslos. Die 47 zerstreuten sich, ergaben sich dem Trunk, dem Spiel und<lb/>
sanken auf die Stufe der Ronins, sie lebten von Bettel und Diebstahl. Sie<lb/>
ließen allen Spott und Hohn auf sich sitzen, zumal der Älteste und Anführer<lb/>
der 47, der eines Tages von einem Samurai wegen dieser unerhörten<lb/>
Schlaffheit und Schamlosigkeit aufs ärgste beschimpft wurde. Stumpfsinnig<lb/>
wurde er angehört, obgleich solche Beleidigung nur durch Blut gesühnt<lb/>
werden konnte. Zwei Jahre lang trieben sie sich so im Lande herum, all¬<lb/>
mählich glaubte der vorsichtige Joshihide von dem verlumpten Gesindel nichts<lb/>
mehr befürchten zu dürfen, er vernachlässigte seine anfänglichen Vorsichts¬<lb/>
maßregeln, seine Leibwache wurde nachlässiger, da trat das Unerwartete<lb/>
ein. Die 47 Samurais hatten sich auf die Lauer gelegt, überwältigten die<lb/>
Schloßbesatzung und legten Uoshihides Kopf als Sühne auf das Grab<lb/>
ihres Herrn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_105"> Dann entleibten sie sich sämtlich, um nicht als Mörder dem Gericht zu<lb/>
verfallen; diese Grabstätte ist noch heute an ihrem Todestage geschmückt als<lb/>
Denkstätte des Edelsinns und der Vasallentreue. Es sind aber nicht nur<lb/>
47 sondern 48 Gräber; jener fremde Samurai, der einst die Ronins wegen<lb/>
ihrer Schurkenhaftigkeit beschimpft hatte, fühlte sich durch seine falschen<lb/>
Anschuldigungen gegen Edelleute so entehrt, daß auch er an ihrem frischen<lb/>
Grabe Selbstmord beging. Was für eine Fülle von Mannesmut, Treue,<lb/>
Entsagung liegt in dieser historisch verbürgten Begebenheit, zumal wenn man<lb/>
sich in den hochgespannter Ehrbegriff eines japanischen Edelmanns zu ver¬<lb/>
setzen sucht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_106"> Mit solchen Geschichten wächst die japanische Jugend auf. Solche Helden<lb/>
sind ihre Vorbilder. Natürlich können christliche Staaten ihre Jugend nicht<lb/>
in solchen rachedurstigen Idealen aufziehen; aber kaltes Blut und Schneid<lb/>
liegt in dieser wie in allen andern japanischen Heldengeschichten. Wie<lb/>
jämmerlich benehmen sich hiergegen die Helden der griechischen Mythologie,<lb/>
mit denen unsre deutsche Jugend in ihren dem Idealen zugänglichsten Jahren<lb/>
abgespeist wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_107"> Roms Jugend hörte von Horatius Coates, Mucius Scävola, den Horatiern<lb/>
und Kuriatiern. Als diese Jugend heranwuchs, eroberte sie die ganze bekannte<lb/>
Welt! Warum vernachlässigt man unsre urkräftige germanische Sagenwelt,<lb/>
unsre kernige vaterländische Geschichte gerade bei der Bildung unsrer Jugend,<lb/>
die bestimmt ist, den Führer des Volks zu berufen? Warum greifen sie zum<lb/>
Jndianerschmöker, zum Detektivroman oder den demoralisierenden GeHirn¬<lb/>
gespinsten perverser Naturen wie Oskar Wilde. Der Japaner ist viel zu stolz,<lb/>
solch ausländisches Zeug zu lesen, und wir Deutschen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_108" next="#ID_109"> So ist Japans Volksgeist erfüllt von hohen Anschauungen von Ehre,<lb/>
Pflicht, Mut und Vaterlandsliebe; ein unbändiges Nationalbewußtsein, dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0034] lvas können wir von Japan lernen? Joshihide blieb in seiner unbezwinglichen Burg geschützt von einem zahl¬ reichen Kriegsvolk, und die Rachegedanken der Samurais schienen völlig aus¬ sichtslos. Die 47 zerstreuten sich, ergaben sich dem Trunk, dem Spiel und sanken auf die Stufe der Ronins, sie lebten von Bettel und Diebstahl. Sie ließen allen Spott und Hohn auf sich sitzen, zumal der Älteste und Anführer der 47, der eines Tages von einem Samurai wegen dieser unerhörten Schlaffheit und Schamlosigkeit aufs ärgste beschimpft wurde. Stumpfsinnig wurde er angehört, obgleich solche Beleidigung nur durch Blut gesühnt werden konnte. Zwei Jahre lang trieben sie sich so im Lande herum, all¬ mählich glaubte der vorsichtige Joshihide von dem verlumpten Gesindel nichts mehr befürchten zu dürfen, er vernachlässigte seine anfänglichen Vorsichts¬ maßregeln, seine Leibwache wurde nachlässiger, da trat das Unerwartete ein. Die 47 Samurais hatten sich auf die Lauer gelegt, überwältigten die Schloßbesatzung und legten Uoshihides Kopf als Sühne auf das Grab ihres Herrn. Dann entleibten sie sich sämtlich, um nicht als Mörder dem Gericht zu verfallen; diese Grabstätte ist noch heute an ihrem Todestage geschmückt als Denkstätte des Edelsinns und der Vasallentreue. Es sind aber nicht nur 47 sondern 48 Gräber; jener fremde Samurai, der einst die Ronins wegen ihrer Schurkenhaftigkeit beschimpft hatte, fühlte sich durch seine falschen Anschuldigungen gegen Edelleute so entehrt, daß auch er an ihrem frischen Grabe Selbstmord beging. Was für eine Fülle von Mannesmut, Treue, Entsagung liegt in dieser historisch verbürgten Begebenheit, zumal wenn man sich in den hochgespannter Ehrbegriff eines japanischen Edelmanns zu ver¬ setzen sucht. Mit solchen Geschichten wächst die japanische Jugend auf. Solche Helden sind ihre Vorbilder. Natürlich können christliche Staaten ihre Jugend nicht in solchen rachedurstigen Idealen aufziehen; aber kaltes Blut und Schneid liegt in dieser wie in allen andern japanischen Heldengeschichten. Wie jämmerlich benehmen sich hiergegen die Helden der griechischen Mythologie, mit denen unsre deutsche Jugend in ihren dem Idealen zugänglichsten Jahren abgespeist wird. Roms Jugend hörte von Horatius Coates, Mucius Scävola, den Horatiern und Kuriatiern. Als diese Jugend heranwuchs, eroberte sie die ganze bekannte Welt! Warum vernachlässigt man unsre urkräftige germanische Sagenwelt, unsre kernige vaterländische Geschichte gerade bei der Bildung unsrer Jugend, die bestimmt ist, den Führer des Volks zu berufen? Warum greifen sie zum Jndianerschmöker, zum Detektivroman oder den demoralisierenden GeHirn¬ gespinsten perverser Naturen wie Oskar Wilde. Der Japaner ist viel zu stolz, solch ausländisches Zeug zu lesen, und wir Deutschen? So ist Japans Volksgeist erfüllt von hohen Anschauungen von Ehre, Pflicht, Mut und Vaterlandsliebe; ein unbändiges Nationalbewußtsein, dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/34
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/34>, abgerufen am 12.12.2024.