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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

äußre Feinde. Eine solche Sache kann nicht von einer Partei gefährdet werden,
die ihrer Natur nach nicht etwa den Grundsatz der Regierungsfreundlichkeit um
jeden Preis, wohl aber eine nicht durch Nebenfragen zu erschütternde Staatsge¬
sinnung hochhalten muß. Die erwähnte Gefährdung kann immer nur so lange
bestehn, als durch berechtigte Interessen und Sorgen oder durch andre Partei¬
prinzipien verhindert wird, daß den Anhängern der Partei zum Bewußtsein kommt,
was auf dem Spiele steht. Wird dieses Hindernis weggeräumt, so muß das Prinzip
siegen, das von jener als der höchste Ruhmestitel der Partei geschätzt worden ist.
Es liegt nichts verletzendes darin, diese Zuversicht zu äußern, denn es bedeutet
nicht die Erwartung, daß die Konservativen ihren Prinzipien untreu werden sollen,
sondern daß sie bei der Abwägung von Prinzipien, die sich gegenseitig im Wege
stehn, dem höhern Prinzip folgen werden.

Daß die Stellung sämtlicher Parteien zu den einzelnen Vorschlägen, die in ihrer
Zusammenfassung die Reichsfinanzreform bilden, so nicht bleiben kann, wie sie jetzt in
dem gänzlich negativen Ergebnis der Kommissionsberatungen zum Ausdruck kommt, ist
klar. Die Beschlüsse der Kommission haben den augenfälligen Beweis schon jetzt geliefert,
daß das ganze Werk überhaupt nicht zustande kommen kann, wenn die Parteien nur
ihre Grundsätze geltend machen und sich gegenseitig bald mit dieser, bald mit jener
Mehrheit niederstimmen. Wenn die Parteien überhaupt den Willen haben, zu dem sie
sich doch bisher bekannt haben, nämlich die Reform durchzuführen, so müssen sie eben
irgendwie nachgeben, und es ist nicht einzusehen, warum ihnen eine Nachgiebigkeit
unter solchen Umständen mehr zur Schande gereichen soll als ein Sinn- und kopf¬
loses Beharren, das den selbstgewollten leitenden Gedanken unausführbar macht.
Und wenn dieser leitende Gedanke darauf beruht, daß die zu lösende Aufgabe
einer nationalen Notwendigkeit entspricht, die unabhängig von besondern Partei¬
wünschen besteht, so ist das eben "Blockpolitik", weil sich Konservative und Liberale
in dem Entschluß begegnen müssen, ein Werk durchzuführen, das die Zurück¬
stellung von Sonderinteressen und Parteitheorien ganz in derselben Weise fordert
wie andre gesetzgeberische Arbeiten, die mit Hilfe einer konservativ-liberalen Mehrheit
durchgeführt worden sind. Deshalb ist die akademische Erörterung, ob die Reichs¬
finanzreform zur Blockpolitik gehört, und ob ihr Scheitern den Block sprengen würde,
praktisch vollkommen wertlos. Höchstens kann sie als ein taktisches Manöver gelten,
um innerhalb der Blockmehrheit den Schwerpunkt etwas zu verschieben. Aber der
Ernst der Lage fordert, daß man alles, was die Betrachtung der einfachen Grund¬
linien der vor uns liegenden Aufgabe hindert, möglichst fernhält. Deshalb soll
man auch nicht mit dem Gedanken spielen, daß es ja gar nicht drauf ankäme,
von welcher Mehrheit die Reichsfinanzreform beschlossen würde. Konservative und
Liberale haben beide Ursache, sich den Anteil an diesem nationalen Werk zu sichern und
die Opfer ins Auge zu fassen, die sie an ihren Parteiprinzipien bringen müssen.

Die Veranlassung zu der hier erwähnten Rede des Abgeordneten Freiherrn
von Richthofen war die Wahlrechtsdebatte, die im Abgeordnetenhause kürzlich auf
der Tagesordnung stand. Verhandelt wurde über die Anträge, die teils von den
Freisinnigen, teils von Zentrum, Polen und Sozialdemokraten gestellt worden waren,
um die Frage der preußischen Wahlrechtsreform in Fluß zu bringen. Bekanntlich
hatte die Thronrede zur Eröffnung des Landtags diese Reform angekündigt, das
heißt, es war grundsätzlich als Wille des Königs bezeichnet worden, die Reform
vorzunehmen, ohne jedoch eine bestimmte Vorlage für die jetzige Tagung in Aussicht
zu stellen. Alle Andeutungen gingen bisher nur dahin, daß die Vorarbeiten im Gange
seien. Nun sollten bestimmte Anträge der reformfreundlichen Parteien die Regierung
zu einer Aussprache veranlassen, wieweit diese Arbeiten gediehen seien, und zugleich
ein Bild von der Stimmung des Abgeordnetenhauses in dieser Frage geben. Der


Maßgebliches und Unmaßgebliches

äußre Feinde. Eine solche Sache kann nicht von einer Partei gefährdet werden,
die ihrer Natur nach nicht etwa den Grundsatz der Regierungsfreundlichkeit um
jeden Preis, wohl aber eine nicht durch Nebenfragen zu erschütternde Staatsge¬
sinnung hochhalten muß. Die erwähnte Gefährdung kann immer nur so lange
bestehn, als durch berechtigte Interessen und Sorgen oder durch andre Partei¬
prinzipien verhindert wird, daß den Anhängern der Partei zum Bewußtsein kommt,
was auf dem Spiele steht. Wird dieses Hindernis weggeräumt, so muß das Prinzip
siegen, das von jener als der höchste Ruhmestitel der Partei geschätzt worden ist.
Es liegt nichts verletzendes darin, diese Zuversicht zu äußern, denn es bedeutet
nicht die Erwartung, daß die Konservativen ihren Prinzipien untreu werden sollen,
sondern daß sie bei der Abwägung von Prinzipien, die sich gegenseitig im Wege
stehn, dem höhern Prinzip folgen werden.

Daß die Stellung sämtlicher Parteien zu den einzelnen Vorschlägen, die in ihrer
Zusammenfassung die Reichsfinanzreform bilden, so nicht bleiben kann, wie sie jetzt in
dem gänzlich negativen Ergebnis der Kommissionsberatungen zum Ausdruck kommt, ist
klar. Die Beschlüsse der Kommission haben den augenfälligen Beweis schon jetzt geliefert,
daß das ganze Werk überhaupt nicht zustande kommen kann, wenn die Parteien nur
ihre Grundsätze geltend machen und sich gegenseitig bald mit dieser, bald mit jener
Mehrheit niederstimmen. Wenn die Parteien überhaupt den Willen haben, zu dem sie
sich doch bisher bekannt haben, nämlich die Reform durchzuführen, so müssen sie eben
irgendwie nachgeben, und es ist nicht einzusehen, warum ihnen eine Nachgiebigkeit
unter solchen Umständen mehr zur Schande gereichen soll als ein Sinn- und kopf¬
loses Beharren, das den selbstgewollten leitenden Gedanken unausführbar macht.
Und wenn dieser leitende Gedanke darauf beruht, daß die zu lösende Aufgabe
einer nationalen Notwendigkeit entspricht, die unabhängig von besondern Partei¬
wünschen besteht, so ist das eben „Blockpolitik", weil sich Konservative und Liberale
in dem Entschluß begegnen müssen, ein Werk durchzuführen, das die Zurück¬
stellung von Sonderinteressen und Parteitheorien ganz in derselben Weise fordert
wie andre gesetzgeberische Arbeiten, die mit Hilfe einer konservativ-liberalen Mehrheit
durchgeführt worden sind. Deshalb ist die akademische Erörterung, ob die Reichs¬
finanzreform zur Blockpolitik gehört, und ob ihr Scheitern den Block sprengen würde,
praktisch vollkommen wertlos. Höchstens kann sie als ein taktisches Manöver gelten,
um innerhalb der Blockmehrheit den Schwerpunkt etwas zu verschieben. Aber der
Ernst der Lage fordert, daß man alles, was die Betrachtung der einfachen Grund¬
linien der vor uns liegenden Aufgabe hindert, möglichst fernhält. Deshalb soll
man auch nicht mit dem Gedanken spielen, daß es ja gar nicht drauf ankäme,
von welcher Mehrheit die Reichsfinanzreform beschlossen würde. Konservative und
Liberale haben beide Ursache, sich den Anteil an diesem nationalen Werk zu sichern und
die Opfer ins Auge zu fassen, die sie an ihren Parteiprinzipien bringen müssen.

Die Veranlassung zu der hier erwähnten Rede des Abgeordneten Freiherrn
von Richthofen war die Wahlrechtsdebatte, die im Abgeordnetenhause kürzlich auf
der Tagesordnung stand. Verhandelt wurde über die Anträge, die teils von den
Freisinnigen, teils von Zentrum, Polen und Sozialdemokraten gestellt worden waren,
um die Frage der preußischen Wahlrechtsreform in Fluß zu bringen. Bekanntlich
hatte die Thronrede zur Eröffnung des Landtags diese Reform angekündigt, das
heißt, es war grundsätzlich als Wille des Königs bezeichnet worden, die Reform
vorzunehmen, ohne jedoch eine bestimmte Vorlage für die jetzige Tagung in Aussicht
zu stellen. Alle Andeutungen gingen bisher nur dahin, daß die Vorarbeiten im Gange
seien. Nun sollten bestimmte Anträge der reformfreundlichen Parteien die Regierung
zu einer Aussprache veranlassen, wieweit diese Arbeiten gediehen seien, und zugleich
ein Bild von der Stimmung des Abgeordnetenhauses in dieser Frage geben. Der


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[0320] Maßgebliches und Unmaßgebliches äußre Feinde. Eine solche Sache kann nicht von einer Partei gefährdet werden, die ihrer Natur nach nicht etwa den Grundsatz der Regierungsfreundlichkeit um jeden Preis, wohl aber eine nicht durch Nebenfragen zu erschütternde Staatsge¬ sinnung hochhalten muß. Die erwähnte Gefährdung kann immer nur so lange bestehn, als durch berechtigte Interessen und Sorgen oder durch andre Partei¬ prinzipien verhindert wird, daß den Anhängern der Partei zum Bewußtsein kommt, was auf dem Spiele steht. Wird dieses Hindernis weggeräumt, so muß das Prinzip siegen, das von jener als der höchste Ruhmestitel der Partei geschätzt worden ist. Es liegt nichts verletzendes darin, diese Zuversicht zu äußern, denn es bedeutet nicht die Erwartung, daß die Konservativen ihren Prinzipien untreu werden sollen, sondern daß sie bei der Abwägung von Prinzipien, die sich gegenseitig im Wege stehn, dem höhern Prinzip folgen werden. Daß die Stellung sämtlicher Parteien zu den einzelnen Vorschlägen, die in ihrer Zusammenfassung die Reichsfinanzreform bilden, so nicht bleiben kann, wie sie jetzt in dem gänzlich negativen Ergebnis der Kommissionsberatungen zum Ausdruck kommt, ist klar. Die Beschlüsse der Kommission haben den augenfälligen Beweis schon jetzt geliefert, daß das ganze Werk überhaupt nicht zustande kommen kann, wenn die Parteien nur ihre Grundsätze geltend machen und sich gegenseitig bald mit dieser, bald mit jener Mehrheit niederstimmen. Wenn die Parteien überhaupt den Willen haben, zu dem sie sich doch bisher bekannt haben, nämlich die Reform durchzuführen, so müssen sie eben irgendwie nachgeben, und es ist nicht einzusehen, warum ihnen eine Nachgiebigkeit unter solchen Umständen mehr zur Schande gereichen soll als ein Sinn- und kopf¬ loses Beharren, das den selbstgewollten leitenden Gedanken unausführbar macht. Und wenn dieser leitende Gedanke darauf beruht, daß die zu lösende Aufgabe einer nationalen Notwendigkeit entspricht, die unabhängig von besondern Partei¬ wünschen besteht, so ist das eben „Blockpolitik", weil sich Konservative und Liberale in dem Entschluß begegnen müssen, ein Werk durchzuführen, das die Zurück¬ stellung von Sonderinteressen und Parteitheorien ganz in derselben Weise fordert wie andre gesetzgeberische Arbeiten, die mit Hilfe einer konservativ-liberalen Mehrheit durchgeführt worden sind. Deshalb ist die akademische Erörterung, ob die Reichs¬ finanzreform zur Blockpolitik gehört, und ob ihr Scheitern den Block sprengen würde, praktisch vollkommen wertlos. Höchstens kann sie als ein taktisches Manöver gelten, um innerhalb der Blockmehrheit den Schwerpunkt etwas zu verschieben. Aber der Ernst der Lage fordert, daß man alles, was die Betrachtung der einfachen Grund¬ linien der vor uns liegenden Aufgabe hindert, möglichst fernhält. Deshalb soll man auch nicht mit dem Gedanken spielen, daß es ja gar nicht drauf ankäme, von welcher Mehrheit die Reichsfinanzreform beschlossen würde. Konservative und Liberale haben beide Ursache, sich den Anteil an diesem nationalen Werk zu sichern und die Opfer ins Auge zu fassen, die sie an ihren Parteiprinzipien bringen müssen. Die Veranlassung zu der hier erwähnten Rede des Abgeordneten Freiherrn von Richthofen war die Wahlrechtsdebatte, die im Abgeordnetenhause kürzlich auf der Tagesordnung stand. Verhandelt wurde über die Anträge, die teils von den Freisinnigen, teils von Zentrum, Polen und Sozialdemokraten gestellt worden waren, um die Frage der preußischen Wahlrechtsreform in Fluß zu bringen. Bekanntlich hatte die Thronrede zur Eröffnung des Landtags diese Reform angekündigt, das heißt, es war grundsätzlich als Wille des Königs bezeichnet worden, die Reform vorzunehmen, ohne jedoch eine bestimmte Vorlage für die jetzige Tagung in Aussicht zu stellen. Alle Andeutungen gingen bisher nur dahin, daß die Vorarbeiten im Gange seien. Nun sollten bestimmte Anträge der reformfreundlichen Parteien die Regierung zu einer Aussprache veranlassen, wieweit diese Arbeiten gediehen seien, und zugleich ein Bild von der Stimmung des Abgeordnetenhauses in dieser Frage geben. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/320>, abgerufen am 12.12.2024.