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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Was können wir von Japan lernen?

Sinne. Er wird ein "Mann ohne ein Ich". Ein hervorragender Krieger des
elften Jahrhunderts hat die Verse hinterlassen:

Ganz von selbst folgert sich aus diesem Gefühl der Ehre das der Tapfer¬
keit, aber auch hier wieder gilt nicht der wilde sich in dem eignen Zorn be¬
täubende Mut für ehrenhaft, das ist der "Mut bäuerlicher Krieger", der Mut
des Edelmanns darf nicht zur Wildheit werden, sondern muß sich jederzeit
vom eignen Willen lenken lassen. Dem Samurai ist keine blinde Wut und
aufbrausender Ungestüm gestattet, er muß sich auch hierbei im Zaum haben und
darf die Selbstbeherrschung niemals verlieren. Der Bushido sagt hiervon: "Auch
im Kampfe muß die moralische Tat rund sein wie eine Kugel." Das heißt,
sie darf keine Auswüchse haben, wie sie der Kampfeszorn durch sein über¬
schäumendes Toben vielleicht erzeugen würde. Hiermit in engem Zusammenhang
steht das Gefühl echter Ritterlichkeit. Es gilt für ehrlos, den Schwachen zu
schlagen, den Geächteten zu beschimpfen, den Verwundeten zu bekämpfen, sondern
es ist ehrenhaft, diese aufzunehmen und durch Arznei und Pflege zu retten.
Der mandschurische Feldzug hat den gefangnen Russen ja diese Bethätigung des
Bushido aufs deutlichste gezeigt.

Aber nicht nur für Männer gilt dieser herbe Ehrenkodex, sondern die
Samuraifrauen wurden in demselben Geiste erzogen. Sie genossen eine fast
ebenso abgehärtete spartanische Erziehung und lernten mit Schwert und Speer
umzugehn, ja selbst im Harakiri wurden sie unterwiesen, damit sie "durch den
Tod der Schande auszuweichen vermochten". Die heroische Gesinnung der
japanischen Mutter trat in ihrer vollen Größe im letzten Feldzuge zutage. Die
herbe Trauer um die zahllosen Opfer der mörderischen Schlachten wurde in
Stille getragen und blieb in den Herzen verschlossen. Dem Fremden wurde
nirgends in Japan bemerklich, daß der Feldzug so zahlreiche und schmerzliche
Lücken in die Familien gerissen hatte, und kam gelegentlich das Gespräch auf
den Tod des Verwandten, so war der Ton zwar schmerzlich aber auch stolz
auf die dadurch der ganzen Familie gewordne Ehre.

"Stirb tapfer und ritterlich!" lautete der Abschiedsgruß der japanischen
Mutter an den Krieger, der in den letzten opfervoller mandschurischen Krieg
zog, und mit stolzer Ergebung ertrug sie die Nachricht von dem Schlachtentode.
Solche Mütter mußten ein Volk von Tapfern erziehen, und die Erfolge des
Krieges dürfen nicht zuletzt mit auf ihre Rechnung zu setzen sein.

Der letzte Ausdruck der Auffassung des Ehrgefühls des Samuraismus
gipfelt in dem Harakiri, nebenbei bemerkt, einem in Japan ungebräuchlichen
Wort; das Bauchaufschlitzen wird dort mit Seppuku oder Kappuku bezeichnet.
So unästhetisch und unmoralisch uns dieser Selbstmord zunächst scheint, so


Was können wir von Japan lernen?

Sinne. Er wird ein „Mann ohne ein Ich". Ein hervorragender Krieger des
elften Jahrhunderts hat die Verse hinterlassen:

Ganz von selbst folgert sich aus diesem Gefühl der Ehre das der Tapfer¬
keit, aber auch hier wieder gilt nicht der wilde sich in dem eignen Zorn be¬
täubende Mut für ehrenhaft, das ist der „Mut bäuerlicher Krieger", der Mut
des Edelmanns darf nicht zur Wildheit werden, sondern muß sich jederzeit
vom eignen Willen lenken lassen. Dem Samurai ist keine blinde Wut und
aufbrausender Ungestüm gestattet, er muß sich auch hierbei im Zaum haben und
darf die Selbstbeherrschung niemals verlieren. Der Bushido sagt hiervon: „Auch
im Kampfe muß die moralische Tat rund sein wie eine Kugel." Das heißt,
sie darf keine Auswüchse haben, wie sie der Kampfeszorn durch sein über¬
schäumendes Toben vielleicht erzeugen würde. Hiermit in engem Zusammenhang
steht das Gefühl echter Ritterlichkeit. Es gilt für ehrlos, den Schwachen zu
schlagen, den Geächteten zu beschimpfen, den Verwundeten zu bekämpfen, sondern
es ist ehrenhaft, diese aufzunehmen und durch Arznei und Pflege zu retten.
Der mandschurische Feldzug hat den gefangnen Russen ja diese Bethätigung des
Bushido aufs deutlichste gezeigt.

Aber nicht nur für Männer gilt dieser herbe Ehrenkodex, sondern die
Samuraifrauen wurden in demselben Geiste erzogen. Sie genossen eine fast
ebenso abgehärtete spartanische Erziehung und lernten mit Schwert und Speer
umzugehn, ja selbst im Harakiri wurden sie unterwiesen, damit sie „durch den
Tod der Schande auszuweichen vermochten". Die heroische Gesinnung der
japanischen Mutter trat in ihrer vollen Größe im letzten Feldzuge zutage. Die
herbe Trauer um die zahllosen Opfer der mörderischen Schlachten wurde in
Stille getragen und blieb in den Herzen verschlossen. Dem Fremden wurde
nirgends in Japan bemerklich, daß der Feldzug so zahlreiche und schmerzliche
Lücken in die Familien gerissen hatte, und kam gelegentlich das Gespräch auf
den Tod des Verwandten, so war der Ton zwar schmerzlich aber auch stolz
auf die dadurch der ganzen Familie gewordne Ehre.

„Stirb tapfer und ritterlich!" lautete der Abschiedsgruß der japanischen
Mutter an den Krieger, der in den letzten opfervoller mandschurischen Krieg
zog, und mit stolzer Ergebung ertrug sie die Nachricht von dem Schlachtentode.
Solche Mütter mußten ein Volk von Tapfern erziehen, und die Erfolge des
Krieges dürfen nicht zuletzt mit auf ihre Rechnung zu setzen sein.

Der letzte Ausdruck der Auffassung des Ehrgefühls des Samuraismus
gipfelt in dem Harakiri, nebenbei bemerkt, einem in Japan ungebräuchlichen
Wort; das Bauchaufschlitzen wird dort mit Seppuku oder Kappuku bezeichnet.
So unästhetisch und unmoralisch uns dieser Selbstmord zunächst scheint, so


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[0032] Was können wir von Japan lernen? Sinne. Er wird ein „Mann ohne ein Ich". Ein hervorragender Krieger des elften Jahrhunderts hat die Verse hinterlassen: Ganz von selbst folgert sich aus diesem Gefühl der Ehre das der Tapfer¬ keit, aber auch hier wieder gilt nicht der wilde sich in dem eignen Zorn be¬ täubende Mut für ehrenhaft, das ist der „Mut bäuerlicher Krieger", der Mut des Edelmanns darf nicht zur Wildheit werden, sondern muß sich jederzeit vom eignen Willen lenken lassen. Dem Samurai ist keine blinde Wut und aufbrausender Ungestüm gestattet, er muß sich auch hierbei im Zaum haben und darf die Selbstbeherrschung niemals verlieren. Der Bushido sagt hiervon: „Auch im Kampfe muß die moralische Tat rund sein wie eine Kugel." Das heißt, sie darf keine Auswüchse haben, wie sie der Kampfeszorn durch sein über¬ schäumendes Toben vielleicht erzeugen würde. Hiermit in engem Zusammenhang steht das Gefühl echter Ritterlichkeit. Es gilt für ehrlos, den Schwachen zu schlagen, den Geächteten zu beschimpfen, den Verwundeten zu bekämpfen, sondern es ist ehrenhaft, diese aufzunehmen und durch Arznei und Pflege zu retten. Der mandschurische Feldzug hat den gefangnen Russen ja diese Bethätigung des Bushido aufs deutlichste gezeigt. Aber nicht nur für Männer gilt dieser herbe Ehrenkodex, sondern die Samuraifrauen wurden in demselben Geiste erzogen. Sie genossen eine fast ebenso abgehärtete spartanische Erziehung und lernten mit Schwert und Speer umzugehn, ja selbst im Harakiri wurden sie unterwiesen, damit sie „durch den Tod der Schande auszuweichen vermochten". Die heroische Gesinnung der japanischen Mutter trat in ihrer vollen Größe im letzten Feldzuge zutage. Die herbe Trauer um die zahllosen Opfer der mörderischen Schlachten wurde in Stille getragen und blieb in den Herzen verschlossen. Dem Fremden wurde nirgends in Japan bemerklich, daß der Feldzug so zahlreiche und schmerzliche Lücken in die Familien gerissen hatte, und kam gelegentlich das Gespräch auf den Tod des Verwandten, so war der Ton zwar schmerzlich aber auch stolz auf die dadurch der ganzen Familie gewordne Ehre. „Stirb tapfer und ritterlich!" lautete der Abschiedsgruß der japanischen Mutter an den Krieger, der in den letzten opfervoller mandschurischen Krieg zog, und mit stolzer Ergebung ertrug sie die Nachricht von dem Schlachtentode. Solche Mütter mußten ein Volk von Tapfern erziehen, und die Erfolge des Krieges dürfen nicht zuletzt mit auf ihre Rechnung zu setzen sein. Der letzte Ausdruck der Auffassung des Ehrgefühls des Samuraismus gipfelt in dem Harakiri, nebenbei bemerkt, einem in Japan ungebräuchlichen Wort; das Bauchaufschlitzen wird dort mit Seppuku oder Kappuku bezeichnet. So unästhetisch und unmoralisch uns dieser Selbstmord zunächst scheint, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/32>, abgerufen am 12.12.2024.