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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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ZVildenbrnchs erster dramatischer Lrfolg

ich Fuchs all.-? überlassen habe, gar nicht mehr anrede, überall das Maul
halte, nun denke ich, würde die Karre gehn. Wissen Sie, lieber will ich
Steine klopfen als Theaterdichter sein, dahin bin ich jetzt schon gekommen!
Ich habe die Schreiberei satt! Sehen Sie, da liegt ein Drama über dem
andern; ich habe sie alle losgelassen wie die Jagdfalken, und alle sind sie
wieder scheu wie die Nachteulen in ihr altes Loch zurückgekommen. Wahr¬
haftig, sie scheuen das Lampen- und Tageslicht! Unsre Bühnenleiter -- es
ist ein Skandal! Und nun mit van Hell! Ich weiß, er agitiert gegen mein
Stück! Alles agitiert gegen mich! Haben Sie denn schon einen Ersatzmann
für Spurius?

Ich hatte mich hingesetzt. Nein, es hat sich niemand für die Rolle ge¬
meldet, und zwingen kann man nach dem preußischen Landrecht keinen.

Er sah mich etwas verdutzt an. Ja, Sie haben Recht! zwingen kann
man keinen; dann mag alles zum Teufel gehn!

Ich unterbrach ihn: Nein, aufgeführt muß das Stück werden, dazu sind
wir Ihnen gegenüber moralisch verpflichtet.

Ja, wenn alle so dächten! Daß sich aber auch niemand zu der dank¬
baren Rolle des Spurius melden will! Traurige Gesellschaft, das!

Es gehört eben Stimme dazu, viel Stimme, und darüber verfügen die
wenigsten! bemerkte ich. Sehen Sie, diese Rolle muß herausgedonnert
werden -- und dabei las ich ein paar Verse herunter.

Weiter, immer weiter! rief er. Ich las die ganze Tirade zu Ende. Er
sprang auf mich zu und nahm mir das Buch aus der Hand. Sie müssen
den Spurius spielen! tun Sie mir den Gefallen! Sie müssen die Rolle
übernehmen!

Ich machte die Einwendung, daß ich als Komiteemitglied nicht mitspielen
dürfte, daß ich auch unmöglich Zeit zum gründlichen Einstudieren der Rolle
finden würde; aber der Dichter hatte sich in seinen Überzieher gehaspelt und
sagte aufgeregt: Machen Sie keine Ausflüchte, mein Bester, ich bitte Sie, es
bleibt dabei; ich eile sofort zum Nationaltheater.

Die Generalprobe, bei der niedrige Preise genommen wurden, war bis
zum letzten Platze besucht. Alles ging vortrefflich.

Nun aber kam der dritte Streich. Wildenbruch stand hinter den Kulissen
und sprach uns, um seine eigne Aufregung zu verbergen, immer von neuem
Mut zu.

Die Römer und die Germanen stürmten über die Bühne, schrien, schlugen
um sich, warfen sich hin und starben zappelnd wie todeswunde Hasen. Das
Publikum wurde unruhig, wir hörten sogar eine lachende Kinderstimme -- ent¬
setzliches Balg! Als aber ein toter Römer, der in der Nähe einer Kulisse
lag, ganz sacht auf allen vieren von der Bühne verschwinden wollte, da traf
uns eine schallende Lachsalve aus dem dunkeln Parkett. Und als nun auch
die Göttereiche nicht brennen wollte und doch immer von den wilden, lodernden


Grenzboten I 1909 39
ZVildenbrnchs erster dramatischer Lrfolg

ich Fuchs all.-? überlassen habe, gar nicht mehr anrede, überall das Maul
halte, nun denke ich, würde die Karre gehn. Wissen Sie, lieber will ich
Steine klopfen als Theaterdichter sein, dahin bin ich jetzt schon gekommen!
Ich habe die Schreiberei satt! Sehen Sie, da liegt ein Drama über dem
andern; ich habe sie alle losgelassen wie die Jagdfalken, und alle sind sie
wieder scheu wie die Nachteulen in ihr altes Loch zurückgekommen. Wahr¬
haftig, sie scheuen das Lampen- und Tageslicht! Unsre Bühnenleiter — es
ist ein Skandal! Und nun mit van Hell! Ich weiß, er agitiert gegen mein
Stück! Alles agitiert gegen mich! Haben Sie denn schon einen Ersatzmann
für Spurius?

Ich hatte mich hingesetzt. Nein, es hat sich niemand für die Rolle ge¬
meldet, und zwingen kann man nach dem preußischen Landrecht keinen.

Er sah mich etwas verdutzt an. Ja, Sie haben Recht! zwingen kann
man keinen; dann mag alles zum Teufel gehn!

Ich unterbrach ihn: Nein, aufgeführt muß das Stück werden, dazu sind
wir Ihnen gegenüber moralisch verpflichtet.

Ja, wenn alle so dächten! Daß sich aber auch niemand zu der dank¬
baren Rolle des Spurius melden will! Traurige Gesellschaft, das!

Es gehört eben Stimme dazu, viel Stimme, und darüber verfügen die
wenigsten! bemerkte ich. Sehen Sie, diese Rolle muß herausgedonnert
werden — und dabei las ich ein paar Verse herunter.

Weiter, immer weiter! rief er. Ich las die ganze Tirade zu Ende. Er
sprang auf mich zu und nahm mir das Buch aus der Hand. Sie müssen
den Spurius spielen! tun Sie mir den Gefallen! Sie müssen die Rolle
übernehmen!

Ich machte die Einwendung, daß ich als Komiteemitglied nicht mitspielen
dürfte, daß ich auch unmöglich Zeit zum gründlichen Einstudieren der Rolle
finden würde; aber der Dichter hatte sich in seinen Überzieher gehaspelt und
sagte aufgeregt: Machen Sie keine Ausflüchte, mein Bester, ich bitte Sie, es
bleibt dabei; ich eile sofort zum Nationaltheater.

Die Generalprobe, bei der niedrige Preise genommen wurden, war bis
zum letzten Platze besucht. Alles ging vortrefflich.

Nun aber kam der dritte Streich. Wildenbruch stand hinter den Kulissen
und sprach uns, um seine eigne Aufregung zu verbergen, immer von neuem
Mut zu.

Die Römer und die Germanen stürmten über die Bühne, schrien, schlugen
um sich, warfen sich hin und starben zappelnd wie todeswunde Hasen. Das
Publikum wurde unruhig, wir hörten sogar eine lachende Kinderstimme — ent¬
setzliches Balg! Als aber ein toter Römer, der in der Nähe einer Kulisse
lag, ganz sacht auf allen vieren von der Bühne verschwinden wollte, da traf
uns eine schallende Lachsalve aus dem dunkeln Parkett. Und als nun auch
die Göttereiche nicht brennen wollte und doch immer von den wilden, lodernden


Grenzboten I 1909 39
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[0305] ZVildenbrnchs erster dramatischer Lrfolg ich Fuchs all.-? überlassen habe, gar nicht mehr anrede, überall das Maul halte, nun denke ich, würde die Karre gehn. Wissen Sie, lieber will ich Steine klopfen als Theaterdichter sein, dahin bin ich jetzt schon gekommen! Ich habe die Schreiberei satt! Sehen Sie, da liegt ein Drama über dem andern; ich habe sie alle losgelassen wie die Jagdfalken, und alle sind sie wieder scheu wie die Nachteulen in ihr altes Loch zurückgekommen. Wahr¬ haftig, sie scheuen das Lampen- und Tageslicht! Unsre Bühnenleiter — es ist ein Skandal! Und nun mit van Hell! Ich weiß, er agitiert gegen mein Stück! Alles agitiert gegen mich! Haben Sie denn schon einen Ersatzmann für Spurius? Ich hatte mich hingesetzt. Nein, es hat sich niemand für die Rolle ge¬ meldet, und zwingen kann man nach dem preußischen Landrecht keinen. Er sah mich etwas verdutzt an. Ja, Sie haben Recht! zwingen kann man keinen; dann mag alles zum Teufel gehn! Ich unterbrach ihn: Nein, aufgeführt muß das Stück werden, dazu sind wir Ihnen gegenüber moralisch verpflichtet. Ja, wenn alle so dächten! Daß sich aber auch niemand zu der dank¬ baren Rolle des Spurius melden will! Traurige Gesellschaft, das! Es gehört eben Stimme dazu, viel Stimme, und darüber verfügen die wenigsten! bemerkte ich. Sehen Sie, diese Rolle muß herausgedonnert werden — und dabei las ich ein paar Verse herunter. Weiter, immer weiter! rief er. Ich las die ganze Tirade zu Ende. Er sprang auf mich zu und nahm mir das Buch aus der Hand. Sie müssen den Spurius spielen! tun Sie mir den Gefallen! Sie müssen die Rolle übernehmen! Ich machte die Einwendung, daß ich als Komiteemitglied nicht mitspielen dürfte, daß ich auch unmöglich Zeit zum gründlichen Einstudieren der Rolle finden würde; aber der Dichter hatte sich in seinen Überzieher gehaspelt und sagte aufgeregt: Machen Sie keine Ausflüchte, mein Bester, ich bitte Sie, es bleibt dabei; ich eile sofort zum Nationaltheater. Die Generalprobe, bei der niedrige Preise genommen wurden, war bis zum letzten Platze besucht. Alles ging vortrefflich. Nun aber kam der dritte Streich. Wildenbruch stand hinter den Kulissen und sprach uns, um seine eigne Aufregung zu verbergen, immer von neuem Mut zu. Die Römer und die Germanen stürmten über die Bühne, schrien, schlugen um sich, warfen sich hin und starben zappelnd wie todeswunde Hasen. Das Publikum wurde unruhig, wir hörten sogar eine lachende Kinderstimme — ent¬ setzliches Balg! Als aber ein toter Römer, der in der Nähe einer Kulisse lag, ganz sacht auf allen vieren von der Bühne verschwinden wollte, da traf uns eine schallende Lachsalve aus dem dunkeln Parkett. Und als nun auch die Göttereiche nicht brennen wollte und doch immer von den wilden, lodernden Grenzboten I 1909 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/305>, abgerufen am 03.07.2024.