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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Wildenbruchs erster dramatischer Erfolg

befürchte ich, daß Sie sich über die erwarteten Erfolge täuschen. Kurz -- Sie
werden nicht auf die Kosten kommen.

Also das war für den Direktor die schwarze Wolke -- die Geldfrage!
Nun hatten wir unsrerseits wieder blauen Himmel, denn wir kannten unser
Publikum besser und wußten, daß das Haus auf alle Fälle ausverkauft sein
würde. Die ganze Angelegenheit entwickelte sich denn auch sehr schnell, ohne
alle literarischen, technischen und pekuniären Bedenken, als wir ihm bereitwillig
die verlangten Entschädigungen für Überlassung des Theaters und aller Bühnen-
erfordernisfe zugestanden.

Wildenbruch war bei jeder Probe auf der Bühne, und bei jeder geriet
er mit van Hell zusammen. Bald wollte der Dichter seine Verse anders be¬
tont und seine Ideen anders aufgefaßt wissen, bald verlangte van Hell, der
uns alle mit dem Selbstbewußtsein eines pommerschen Schulrath behandelte,
die Streichung dieser oder jener Stelle oder eine völlig anders geordnete
Stellung der Spieler. Kurz, erst herrschte eine Uneinigkeit, die nicht allein
den Dichter nervös machte und reizte, sondern auch die Freudigkeit der
Mimen sehr beeinträchtigte. Als aber van Hell die Schlußverse, in denen
Wodemir mit großartigem Schwunge Germaniens Schicksal und Bestimmung
vorträgt, einfach als Unsinn wegstrich, da war es mit des Dichters Geduld
zu Ende. Es kam zu einer scharfen Auseinandersetzung, und der Regisseur
Fuchs mußte von nun an auch die Inszenierung der Svanhild übernehmen.

Wildenbruchs Debüt war wirklich ein "Rennen mit Hindernissen". Kaum
hatte man das Stück einigermaßen eingeübt, da trat Spurius von seiner Rolle
zurück. Ich suchte den Dichter auf, um ihm diese Trauerkunde mitzuteilen.

Er wohnte damals in der Dessauer Straße, drei bis vier Treppen hoch
in einer ziemlich öden Wohnung. Ich trat in ein niedriges, kleines Zimmer.
Selbst nach studentischen Begriffen sah es darin außerordentlich wüst aus.
Vor einem alten, gebrechlichen Sofa mit vervlichnem Bezug stand ein plumper
Tisch, der mit Büchern, Zeitschriften und Manuskripten über und über be¬
laden war. Rechts lächelten mich das Waschgeschirr und andres Gerät an,
links lagen Kleider, Hüte und Wäsche zerstreut auf den Stühlen oder hingen
an der Wand. Der Dichter selbst lag in Hemdsärmeln auf dem Sofa und
hatte eine Novellensammlung vor sich. Er richtete sich auf und erkannte mich,
nachdem er den Kneifer aufgesetzt hatte.

Donnerwetter, was ist denn schon wieder los?

Ich erzählte ihm das neue Hindernis. Er sprang auf: Ihr guten Götter,
soll mich euer Fluch denn ewig treffen! Das ist ja eine niederträchtige Ge¬
schichte! Und übermorgen soll die Aufführung sein!

Er ging hastig, soweit es der Raum gestattete, hin und her.

Ich sah unsern "Einakter" auf dem Tische liegen und blätterte darin-
Er ergriff meinen Arm: Na, aber Bester, haben Sie denn gar kein Ver¬
ständnis für meine Lage? Sie müssen doch fühlen, in welche entsetzliche Ver¬
legenheit wir alle damit geraten! Es ist wirklich -- nein ! nein! Nun, da


Wildenbruchs erster dramatischer Erfolg

befürchte ich, daß Sie sich über die erwarteten Erfolge täuschen. Kurz — Sie
werden nicht auf die Kosten kommen.

Also das war für den Direktor die schwarze Wolke — die Geldfrage!
Nun hatten wir unsrerseits wieder blauen Himmel, denn wir kannten unser
Publikum besser und wußten, daß das Haus auf alle Fälle ausverkauft sein
würde. Die ganze Angelegenheit entwickelte sich denn auch sehr schnell, ohne
alle literarischen, technischen und pekuniären Bedenken, als wir ihm bereitwillig
die verlangten Entschädigungen für Überlassung des Theaters und aller Bühnen-
erfordernisfe zugestanden.

Wildenbruch war bei jeder Probe auf der Bühne, und bei jeder geriet
er mit van Hell zusammen. Bald wollte der Dichter seine Verse anders be¬
tont und seine Ideen anders aufgefaßt wissen, bald verlangte van Hell, der
uns alle mit dem Selbstbewußtsein eines pommerschen Schulrath behandelte,
die Streichung dieser oder jener Stelle oder eine völlig anders geordnete
Stellung der Spieler. Kurz, erst herrschte eine Uneinigkeit, die nicht allein
den Dichter nervös machte und reizte, sondern auch die Freudigkeit der
Mimen sehr beeinträchtigte. Als aber van Hell die Schlußverse, in denen
Wodemir mit großartigem Schwunge Germaniens Schicksal und Bestimmung
vorträgt, einfach als Unsinn wegstrich, da war es mit des Dichters Geduld
zu Ende. Es kam zu einer scharfen Auseinandersetzung, und der Regisseur
Fuchs mußte von nun an auch die Inszenierung der Svanhild übernehmen.

Wildenbruchs Debüt war wirklich ein „Rennen mit Hindernissen". Kaum
hatte man das Stück einigermaßen eingeübt, da trat Spurius von seiner Rolle
zurück. Ich suchte den Dichter auf, um ihm diese Trauerkunde mitzuteilen.

Er wohnte damals in der Dessauer Straße, drei bis vier Treppen hoch
in einer ziemlich öden Wohnung. Ich trat in ein niedriges, kleines Zimmer.
Selbst nach studentischen Begriffen sah es darin außerordentlich wüst aus.
Vor einem alten, gebrechlichen Sofa mit vervlichnem Bezug stand ein plumper
Tisch, der mit Büchern, Zeitschriften und Manuskripten über und über be¬
laden war. Rechts lächelten mich das Waschgeschirr und andres Gerät an,
links lagen Kleider, Hüte und Wäsche zerstreut auf den Stühlen oder hingen
an der Wand. Der Dichter selbst lag in Hemdsärmeln auf dem Sofa und
hatte eine Novellensammlung vor sich. Er richtete sich auf und erkannte mich,
nachdem er den Kneifer aufgesetzt hatte.

Donnerwetter, was ist denn schon wieder los?

Ich erzählte ihm das neue Hindernis. Er sprang auf: Ihr guten Götter,
soll mich euer Fluch denn ewig treffen! Das ist ja eine niederträchtige Ge¬
schichte! Und übermorgen soll die Aufführung sein!

Er ging hastig, soweit es der Raum gestattete, hin und her.

Ich sah unsern „Einakter" auf dem Tische liegen und blätterte darin-
Er ergriff meinen Arm: Na, aber Bester, haben Sie denn gar kein Ver¬
ständnis für meine Lage? Sie müssen doch fühlen, in welche entsetzliche Ver¬
legenheit wir alle damit geraten! Es ist wirklich — nein ! nein! Nun, da


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[0304] Wildenbruchs erster dramatischer Erfolg befürchte ich, daß Sie sich über die erwarteten Erfolge täuschen. Kurz — Sie werden nicht auf die Kosten kommen. Also das war für den Direktor die schwarze Wolke — die Geldfrage! Nun hatten wir unsrerseits wieder blauen Himmel, denn wir kannten unser Publikum besser und wußten, daß das Haus auf alle Fälle ausverkauft sein würde. Die ganze Angelegenheit entwickelte sich denn auch sehr schnell, ohne alle literarischen, technischen und pekuniären Bedenken, als wir ihm bereitwillig die verlangten Entschädigungen für Überlassung des Theaters und aller Bühnen- erfordernisfe zugestanden. Wildenbruch war bei jeder Probe auf der Bühne, und bei jeder geriet er mit van Hell zusammen. Bald wollte der Dichter seine Verse anders be¬ tont und seine Ideen anders aufgefaßt wissen, bald verlangte van Hell, der uns alle mit dem Selbstbewußtsein eines pommerschen Schulrath behandelte, die Streichung dieser oder jener Stelle oder eine völlig anders geordnete Stellung der Spieler. Kurz, erst herrschte eine Uneinigkeit, die nicht allein den Dichter nervös machte und reizte, sondern auch die Freudigkeit der Mimen sehr beeinträchtigte. Als aber van Hell die Schlußverse, in denen Wodemir mit großartigem Schwunge Germaniens Schicksal und Bestimmung vorträgt, einfach als Unsinn wegstrich, da war es mit des Dichters Geduld zu Ende. Es kam zu einer scharfen Auseinandersetzung, und der Regisseur Fuchs mußte von nun an auch die Inszenierung der Svanhild übernehmen. Wildenbruchs Debüt war wirklich ein „Rennen mit Hindernissen". Kaum hatte man das Stück einigermaßen eingeübt, da trat Spurius von seiner Rolle zurück. Ich suchte den Dichter auf, um ihm diese Trauerkunde mitzuteilen. Er wohnte damals in der Dessauer Straße, drei bis vier Treppen hoch in einer ziemlich öden Wohnung. Ich trat in ein niedriges, kleines Zimmer. Selbst nach studentischen Begriffen sah es darin außerordentlich wüst aus. Vor einem alten, gebrechlichen Sofa mit vervlichnem Bezug stand ein plumper Tisch, der mit Büchern, Zeitschriften und Manuskripten über und über be¬ laden war. Rechts lächelten mich das Waschgeschirr und andres Gerät an, links lagen Kleider, Hüte und Wäsche zerstreut auf den Stühlen oder hingen an der Wand. Der Dichter selbst lag in Hemdsärmeln auf dem Sofa und hatte eine Novellensammlung vor sich. Er richtete sich auf und erkannte mich, nachdem er den Kneifer aufgesetzt hatte. Donnerwetter, was ist denn schon wieder los? Ich erzählte ihm das neue Hindernis. Er sprang auf: Ihr guten Götter, soll mich euer Fluch denn ewig treffen! Das ist ja eine niederträchtige Ge¬ schichte! Und übermorgen soll die Aufführung sein! Er ging hastig, soweit es der Raum gestattete, hin und her. Ich sah unsern „Einakter" auf dem Tische liegen und blätterte darin- Er ergriff meinen Arm: Na, aber Bester, haben Sie denn gar kein Ver¬ ständnis für meine Lage? Sie müssen doch fühlen, in welche entsetzliche Ver¬ legenheit wir alle damit geraten! Es ist wirklich — nein ! nein! Nun, da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/304>, abgerufen am 12.12.2024.