Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Karl Schurz

was nicht allen in Nordamerika eingewanderten Deutschen in gleichem Maße
geglückt ist, weil sie immer noch einen geheimen Zug nach dem alten Vater¬
lande empfinden, das wieder im Glänze des Kaisertums dasteht.

Schurz hatte sich den befremdenden Erscheinungen im Osten entzogen und
sich dem aufstrebenden Westen zugewandt, der unter den einfachen Ver¬
hältnissen seinem republikanischen Ideale mehr entsprach. Plötzlich kam die
schon lange drohende Auseinandersetzung zwischen den Nord- und den Süd¬
staaten, in die der Westen unter dem Einfluß der deutschen idealen Auffassung
der Sklavereifrage entscheidend eingriff und längere Zeit die Führung be¬
hauptete. Das brachte eine vollständige Änderung der Stellung der Deutschen
in der Union hervor, und Schurz wurde sogar unter dem Präsidenten
Nutherford Hayes (1877 bis 1881) Minister des Innern. In dieser Stellung
hat er bewiesen, daß er seine Grundsätze von Recht und Ehrlichkeit bei der
Reform des Zivildienstes, der Verwaltung des Pensions- und Schatzamtes
und der öffentlichen Ländereien, namentlich der Jndianerschutzgebiete und der
Begründung einer vernünftigen Forstverwaltung auch praktisch ins Leben ein¬
zuführen verstand. Viel Dank der eigentlichen Amerikaner hat er damit nicht
erworben, aber bewiesen, daß er im Grunde doch immer ein ehrlicher Deutscher
geblieben war. Das eigentliche Parteiwesen mit seinen zweifelhaften Mitteln
und dem Streben nach der Beute war ihm ein Greuel, er hat auch mehrfach
seine persönliche Stellung zu den Parteien geändert und versuchte selbst im
Jahre 1875 eine Reformpartei zu gründen. Der Ruf nach Reformen wird
aber noch heute bei jeder Wahl erhoben, doch hinterher bleibt immer alles
beim alten, nicht selten wird es noch schlimmer. Es wäre nun vom höchsten
Interesse gewesen, die endgiltige Meinung von Karl Schurz über alle diese Vor¬
gänge und die spätere Entwicklung bis zu seinem Lebensende zu vernehmen.
Er hat freilich für alle bedenklichen Erscheinungen im republikanischen Leben
eine entschuldigende Erklärung bei der Hand und spricht mehrfach in seinen
Erinnerungen die sichere Hoffnung aus, der gesunde Sinn des freien Volkes
werde schon den Weg zur Reform finden. Viel erlebt hat er davon nicht
mehr, es ist eher schlimmer geworden, seitdem die Geschäftspolitik des Ostens
auch den Westen überflutet hat, überhaupt kein Raum mehr vorhanden ist,
wo sich eine republikanische Idylle entwickeln könnte. Der Kampf zwischen
reich und arm ist schon da, und bisher hat selbst eine so populäre Persönlich¬
keit wie Noosevelt den Trusts keinen merklichen Abbruch zu tun vermocht.
Seit das Land nahezu voll ist, beginnt die Staatenbildung drüben nach
europäischer Weise, und die Maschinenzivilisation der Neuzeit zwingt die
Vereinigten Staaten ebenso zur Weltpolitik wie Deutschland, das auch nicht
etwa nur durch eine Laune des Kaisers dazu gekommen ist. Wer da nicht
mitmachen kann, wird sicher im Laufe gar nicht ferner Zeiten der Spielball
der andern. Das hat der republikanische Idealismus Schurzens. der sich von
Anbeginn an gegen jeden amerikanischen Imperialismus gesträubt hat, voll¬
kommen verkannt.


Karl Schurz

was nicht allen in Nordamerika eingewanderten Deutschen in gleichem Maße
geglückt ist, weil sie immer noch einen geheimen Zug nach dem alten Vater¬
lande empfinden, das wieder im Glänze des Kaisertums dasteht.

Schurz hatte sich den befremdenden Erscheinungen im Osten entzogen und
sich dem aufstrebenden Westen zugewandt, der unter den einfachen Ver¬
hältnissen seinem republikanischen Ideale mehr entsprach. Plötzlich kam die
schon lange drohende Auseinandersetzung zwischen den Nord- und den Süd¬
staaten, in die der Westen unter dem Einfluß der deutschen idealen Auffassung
der Sklavereifrage entscheidend eingriff und längere Zeit die Führung be¬
hauptete. Das brachte eine vollständige Änderung der Stellung der Deutschen
in der Union hervor, und Schurz wurde sogar unter dem Präsidenten
Nutherford Hayes (1877 bis 1881) Minister des Innern. In dieser Stellung
hat er bewiesen, daß er seine Grundsätze von Recht und Ehrlichkeit bei der
Reform des Zivildienstes, der Verwaltung des Pensions- und Schatzamtes
und der öffentlichen Ländereien, namentlich der Jndianerschutzgebiete und der
Begründung einer vernünftigen Forstverwaltung auch praktisch ins Leben ein¬
zuführen verstand. Viel Dank der eigentlichen Amerikaner hat er damit nicht
erworben, aber bewiesen, daß er im Grunde doch immer ein ehrlicher Deutscher
geblieben war. Das eigentliche Parteiwesen mit seinen zweifelhaften Mitteln
und dem Streben nach der Beute war ihm ein Greuel, er hat auch mehrfach
seine persönliche Stellung zu den Parteien geändert und versuchte selbst im
Jahre 1875 eine Reformpartei zu gründen. Der Ruf nach Reformen wird
aber noch heute bei jeder Wahl erhoben, doch hinterher bleibt immer alles
beim alten, nicht selten wird es noch schlimmer. Es wäre nun vom höchsten
Interesse gewesen, die endgiltige Meinung von Karl Schurz über alle diese Vor¬
gänge und die spätere Entwicklung bis zu seinem Lebensende zu vernehmen.
Er hat freilich für alle bedenklichen Erscheinungen im republikanischen Leben
eine entschuldigende Erklärung bei der Hand und spricht mehrfach in seinen
Erinnerungen die sichere Hoffnung aus, der gesunde Sinn des freien Volkes
werde schon den Weg zur Reform finden. Viel erlebt hat er davon nicht
mehr, es ist eher schlimmer geworden, seitdem die Geschäftspolitik des Ostens
auch den Westen überflutet hat, überhaupt kein Raum mehr vorhanden ist,
wo sich eine republikanische Idylle entwickeln könnte. Der Kampf zwischen
reich und arm ist schon da, und bisher hat selbst eine so populäre Persönlich¬
keit wie Noosevelt den Trusts keinen merklichen Abbruch zu tun vermocht.
Seit das Land nahezu voll ist, beginnt die Staatenbildung drüben nach
europäischer Weise, und die Maschinenzivilisation der Neuzeit zwingt die
Vereinigten Staaten ebenso zur Weltpolitik wie Deutschland, das auch nicht
etwa nur durch eine Laune des Kaisers dazu gekommen ist. Wer da nicht
mitmachen kann, wird sicher im Laufe gar nicht ferner Zeiten der Spielball
der andern. Das hat der republikanische Idealismus Schurzens. der sich von
Anbeginn an gegen jeden amerikanischen Imperialismus gesträubt hat, voll¬
kommen verkannt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312651"/>
          <fw type="header" place="top"> Karl Schurz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1129" prev="#ID_1128"> was nicht allen in Nordamerika eingewanderten Deutschen in gleichem Maße<lb/>
geglückt ist, weil sie immer noch einen geheimen Zug nach dem alten Vater¬<lb/>
lande empfinden, das wieder im Glänze des Kaisertums dasteht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1130"> Schurz hatte sich den befremdenden Erscheinungen im Osten entzogen und<lb/>
sich dem aufstrebenden Westen zugewandt, der unter den einfachen Ver¬<lb/>
hältnissen seinem republikanischen Ideale mehr entsprach. Plötzlich kam die<lb/>
schon lange drohende Auseinandersetzung zwischen den Nord- und den Süd¬<lb/>
staaten, in die der Westen unter dem Einfluß der deutschen idealen Auffassung<lb/>
der Sklavereifrage entscheidend eingriff und längere Zeit die Führung be¬<lb/>
hauptete. Das brachte eine vollständige Änderung der Stellung der Deutschen<lb/>
in der Union hervor, und Schurz wurde sogar unter dem Präsidenten<lb/>
Nutherford Hayes (1877 bis 1881) Minister des Innern. In dieser Stellung<lb/>
hat er bewiesen, daß er seine Grundsätze von Recht und Ehrlichkeit bei der<lb/>
Reform des Zivildienstes, der Verwaltung des Pensions- und Schatzamtes<lb/>
und der öffentlichen Ländereien, namentlich der Jndianerschutzgebiete und der<lb/>
Begründung einer vernünftigen Forstverwaltung auch praktisch ins Leben ein¬<lb/>
zuführen verstand. Viel Dank der eigentlichen Amerikaner hat er damit nicht<lb/>
erworben, aber bewiesen, daß er im Grunde doch immer ein ehrlicher Deutscher<lb/>
geblieben war. Das eigentliche Parteiwesen mit seinen zweifelhaften Mitteln<lb/>
und dem Streben nach der Beute war ihm ein Greuel, er hat auch mehrfach<lb/>
seine persönliche Stellung zu den Parteien geändert und versuchte selbst im<lb/>
Jahre 1875 eine Reformpartei zu gründen. Der Ruf nach Reformen wird<lb/>
aber noch heute bei jeder Wahl erhoben, doch hinterher bleibt immer alles<lb/>
beim alten, nicht selten wird es noch schlimmer. Es wäre nun vom höchsten<lb/>
Interesse gewesen, die endgiltige Meinung von Karl Schurz über alle diese Vor¬<lb/>
gänge und die spätere Entwicklung bis zu seinem Lebensende zu vernehmen.<lb/>
Er hat freilich für alle bedenklichen Erscheinungen im republikanischen Leben<lb/>
eine entschuldigende Erklärung bei der Hand und spricht mehrfach in seinen<lb/>
Erinnerungen die sichere Hoffnung aus, der gesunde Sinn des freien Volkes<lb/>
werde schon den Weg zur Reform finden. Viel erlebt hat er davon nicht<lb/>
mehr, es ist eher schlimmer geworden, seitdem die Geschäftspolitik des Ostens<lb/>
auch den Westen überflutet hat, überhaupt kein Raum mehr vorhanden ist,<lb/>
wo sich eine republikanische Idylle entwickeln könnte. Der Kampf zwischen<lb/>
reich und arm ist schon da, und bisher hat selbst eine so populäre Persönlich¬<lb/>
keit wie Noosevelt den Trusts keinen merklichen Abbruch zu tun vermocht.<lb/>
Seit das Land nahezu voll ist, beginnt die Staatenbildung drüben nach<lb/>
europäischer Weise, und die Maschinenzivilisation der Neuzeit zwingt die<lb/>
Vereinigten Staaten ebenso zur Weltpolitik wie Deutschland, das auch nicht<lb/>
etwa nur durch eine Laune des Kaisers dazu gekommen ist. Wer da nicht<lb/>
mitmachen kann, wird sicher im Laufe gar nicht ferner Zeiten der Spielball<lb/>
der andern. Das hat der republikanische Idealismus Schurzens. der sich von<lb/>
Anbeginn an gegen jeden amerikanischen Imperialismus gesträubt hat, voll¬<lb/>
kommen verkannt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0300] Karl Schurz was nicht allen in Nordamerika eingewanderten Deutschen in gleichem Maße geglückt ist, weil sie immer noch einen geheimen Zug nach dem alten Vater¬ lande empfinden, das wieder im Glänze des Kaisertums dasteht. Schurz hatte sich den befremdenden Erscheinungen im Osten entzogen und sich dem aufstrebenden Westen zugewandt, der unter den einfachen Ver¬ hältnissen seinem republikanischen Ideale mehr entsprach. Plötzlich kam die schon lange drohende Auseinandersetzung zwischen den Nord- und den Süd¬ staaten, in die der Westen unter dem Einfluß der deutschen idealen Auffassung der Sklavereifrage entscheidend eingriff und längere Zeit die Führung be¬ hauptete. Das brachte eine vollständige Änderung der Stellung der Deutschen in der Union hervor, und Schurz wurde sogar unter dem Präsidenten Nutherford Hayes (1877 bis 1881) Minister des Innern. In dieser Stellung hat er bewiesen, daß er seine Grundsätze von Recht und Ehrlichkeit bei der Reform des Zivildienstes, der Verwaltung des Pensions- und Schatzamtes und der öffentlichen Ländereien, namentlich der Jndianerschutzgebiete und der Begründung einer vernünftigen Forstverwaltung auch praktisch ins Leben ein¬ zuführen verstand. Viel Dank der eigentlichen Amerikaner hat er damit nicht erworben, aber bewiesen, daß er im Grunde doch immer ein ehrlicher Deutscher geblieben war. Das eigentliche Parteiwesen mit seinen zweifelhaften Mitteln und dem Streben nach der Beute war ihm ein Greuel, er hat auch mehrfach seine persönliche Stellung zu den Parteien geändert und versuchte selbst im Jahre 1875 eine Reformpartei zu gründen. Der Ruf nach Reformen wird aber noch heute bei jeder Wahl erhoben, doch hinterher bleibt immer alles beim alten, nicht selten wird es noch schlimmer. Es wäre nun vom höchsten Interesse gewesen, die endgiltige Meinung von Karl Schurz über alle diese Vor¬ gänge und die spätere Entwicklung bis zu seinem Lebensende zu vernehmen. Er hat freilich für alle bedenklichen Erscheinungen im republikanischen Leben eine entschuldigende Erklärung bei der Hand und spricht mehrfach in seinen Erinnerungen die sichere Hoffnung aus, der gesunde Sinn des freien Volkes werde schon den Weg zur Reform finden. Viel erlebt hat er davon nicht mehr, es ist eher schlimmer geworden, seitdem die Geschäftspolitik des Ostens auch den Westen überflutet hat, überhaupt kein Raum mehr vorhanden ist, wo sich eine republikanische Idylle entwickeln könnte. Der Kampf zwischen reich und arm ist schon da, und bisher hat selbst eine so populäre Persönlich¬ keit wie Noosevelt den Trusts keinen merklichen Abbruch zu tun vermocht. Seit das Land nahezu voll ist, beginnt die Staatenbildung drüben nach europäischer Weise, und die Maschinenzivilisation der Neuzeit zwingt die Vereinigten Staaten ebenso zur Weltpolitik wie Deutschland, das auch nicht etwa nur durch eine Laune des Kaisers dazu gekommen ist. Wer da nicht mitmachen kann, wird sicher im Laufe gar nicht ferner Zeiten der Spielball der andern. Das hat der republikanische Idealismus Schurzens. der sich von Anbeginn an gegen jeden amerikanischen Imperialismus gesträubt hat, voll¬ kommen verkannt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/300
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/300>, abgerufen am 12.12.2024.