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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Karl Schurz

Bevor sich Karl Schurz in Watertown in Wisconsin niederließ, wohin
inzwischen auch seine Eltern ausgewandert waren, kehrte er der Gesundheit
seiner Frau wegen noch einmal nach London zurück, wo er die letzten Reste
der republikanischen Flüchtlinge, Kossuth, Herzen u. a., sich in aussichtslosen
Hoffnungen auf neue Revolutionen verzehrend, wiederfand. Mit Zuversicht
wandte er sich "von dieser nebelhaften Verwirrung" ab und der "neuen Welt"
wieder zu, der "bewußten Verkörperung der höchsten Ziele des modernen Zeit¬
alters", die ihm nur einen "einzigen Flecken" zeigte, die Sklaverei. Im Mai 1856
traf er in Watertown ein und sah sich bald in den politischen Kampf um die
Sklavereifrage verwickelt. Die Aufhebung der Sklaverei erschien ihm als "die
Sache der Freiheit, der Menschenrechte, der freien Regierung, an der alle
Menschen ein gemeinsames und gleiches Interesse haben mußten". Im Osten
kannte man solchen Idealismus in der Sklavereifrage freilich nicht, aber die
Deutschen in Amerika teilten ihn fast ausschließlich. Die Gegensätze zwischen
den Nord- und Südstaaten spitzten sich immer mehr zu, bei der Präsidenten¬
wahl im Jahre 1860 gab der Westen den Ausschlag zum Siege Lincolns, und
im Westen wieder waren es die Deutschen, deren Redner und politischer Führer
Schurz war. Bei der Einführung Lincolns in sein Amt war er in Washington
anwesend und wurde ohne sein Bewerber zum Gesandten in Madrid ernannt.
Gerade war der Bürgerkrieg ausgebrochen, an dem er sich gern beteiligt hätte,
aber man hielt seine Anwesenheit in der spanischen Hauptstadt für nötiger.
Nach den ersten militärischen Mißerfolgen der Nordstaaten nahm er Urlaub
und kehrte nach Washington zurück mit der Absicht, in das Heer einzutreten,
beteiligte sich aber vorher noch an der politischen Debatte über die Frage der
Aufhebung der Sklaverei, an die viele Nordstaatler aus verschiednen Gründen
nicht heranwollten. Lincoln ließ sich endlich bewegen, durch eine Botschaft am
6- März 1862 die Aufhebung der Sklaverei gegen Entschädigung anzuregen.

Schurz erhielt eine Stelle als Brigadegeneral und wurde zunächst der
Armee Fremonts zugeteilt. An dieser Ernennung war nichts Auffälliges.
Er hatte schon im Feuer gestanden, ausgedehnte militärische Studien gemacht
und stand darum dem größten Teile der Truppenführer, zu denen die Union
bei der Schaffung der großen Armee greifen mußte, in keinem Falle nach.
Er berichtet sachlich und schmucklos, aber in fesselnder Darstellung über seine
Teilnahme an der zweiten Schlacht am Bull Rum, an den Schlachten bei
Fredericksburg, Chcmcellorsville, Gettysburg und Chatcmooga, von denen die
nöten infolge der Unfähigkeit der obern Führer wieder verloren gingen. Wie
es damals mit dem öffentlichen Urteil über die Vorgänge und die Führer
beschaffen war, sagt Schurz selbst: "Als ich wenig verdiente, erhielt ich viel;
als mir wirklich Anerkennung für geleistete Dienste zukam, wurden mir Tadel
Und Ungunst zuteil, die eigentlich andre verdient hatten, gerade wegen der
Dinge, die ich mich nach Kräften abzuwenden bemüht hatte." Die öffentliche
Meinung richtete sich eigentlich nur gegen die Deutschen, die im elften Armee-


Grenzboten I 1909 38
Karl Schurz

Bevor sich Karl Schurz in Watertown in Wisconsin niederließ, wohin
inzwischen auch seine Eltern ausgewandert waren, kehrte er der Gesundheit
seiner Frau wegen noch einmal nach London zurück, wo er die letzten Reste
der republikanischen Flüchtlinge, Kossuth, Herzen u. a., sich in aussichtslosen
Hoffnungen auf neue Revolutionen verzehrend, wiederfand. Mit Zuversicht
wandte er sich „von dieser nebelhaften Verwirrung" ab und der „neuen Welt"
wieder zu, der „bewußten Verkörperung der höchsten Ziele des modernen Zeit¬
alters", die ihm nur einen „einzigen Flecken" zeigte, die Sklaverei. Im Mai 1856
traf er in Watertown ein und sah sich bald in den politischen Kampf um die
Sklavereifrage verwickelt. Die Aufhebung der Sklaverei erschien ihm als „die
Sache der Freiheit, der Menschenrechte, der freien Regierung, an der alle
Menschen ein gemeinsames und gleiches Interesse haben mußten". Im Osten
kannte man solchen Idealismus in der Sklavereifrage freilich nicht, aber die
Deutschen in Amerika teilten ihn fast ausschließlich. Die Gegensätze zwischen
den Nord- und Südstaaten spitzten sich immer mehr zu, bei der Präsidenten¬
wahl im Jahre 1860 gab der Westen den Ausschlag zum Siege Lincolns, und
im Westen wieder waren es die Deutschen, deren Redner und politischer Führer
Schurz war. Bei der Einführung Lincolns in sein Amt war er in Washington
anwesend und wurde ohne sein Bewerber zum Gesandten in Madrid ernannt.
Gerade war der Bürgerkrieg ausgebrochen, an dem er sich gern beteiligt hätte,
aber man hielt seine Anwesenheit in der spanischen Hauptstadt für nötiger.
Nach den ersten militärischen Mißerfolgen der Nordstaaten nahm er Urlaub
und kehrte nach Washington zurück mit der Absicht, in das Heer einzutreten,
beteiligte sich aber vorher noch an der politischen Debatte über die Frage der
Aufhebung der Sklaverei, an die viele Nordstaatler aus verschiednen Gründen
nicht heranwollten. Lincoln ließ sich endlich bewegen, durch eine Botschaft am
6- März 1862 die Aufhebung der Sklaverei gegen Entschädigung anzuregen.

Schurz erhielt eine Stelle als Brigadegeneral und wurde zunächst der
Armee Fremonts zugeteilt. An dieser Ernennung war nichts Auffälliges.
Er hatte schon im Feuer gestanden, ausgedehnte militärische Studien gemacht
und stand darum dem größten Teile der Truppenführer, zu denen die Union
bei der Schaffung der großen Armee greifen mußte, in keinem Falle nach.
Er berichtet sachlich und schmucklos, aber in fesselnder Darstellung über seine
Teilnahme an der zweiten Schlacht am Bull Rum, an den Schlachten bei
Fredericksburg, Chcmcellorsville, Gettysburg und Chatcmooga, von denen die
nöten infolge der Unfähigkeit der obern Führer wieder verloren gingen. Wie
es damals mit dem öffentlichen Urteil über die Vorgänge und die Führer
beschaffen war, sagt Schurz selbst: „Als ich wenig verdiente, erhielt ich viel;
als mir wirklich Anerkennung für geleistete Dienste zukam, wurden mir Tadel
Und Ungunst zuteil, die eigentlich andre verdient hatten, gerade wegen der
Dinge, die ich mich nach Kräften abzuwenden bemüht hatte." Die öffentliche
Meinung richtete sich eigentlich nur gegen die Deutschen, die im elften Armee-


Grenzboten I 1909 38
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[0297] Karl Schurz Bevor sich Karl Schurz in Watertown in Wisconsin niederließ, wohin inzwischen auch seine Eltern ausgewandert waren, kehrte er der Gesundheit seiner Frau wegen noch einmal nach London zurück, wo er die letzten Reste der republikanischen Flüchtlinge, Kossuth, Herzen u. a., sich in aussichtslosen Hoffnungen auf neue Revolutionen verzehrend, wiederfand. Mit Zuversicht wandte er sich „von dieser nebelhaften Verwirrung" ab und der „neuen Welt" wieder zu, der „bewußten Verkörperung der höchsten Ziele des modernen Zeit¬ alters", die ihm nur einen „einzigen Flecken" zeigte, die Sklaverei. Im Mai 1856 traf er in Watertown ein und sah sich bald in den politischen Kampf um die Sklavereifrage verwickelt. Die Aufhebung der Sklaverei erschien ihm als „die Sache der Freiheit, der Menschenrechte, der freien Regierung, an der alle Menschen ein gemeinsames und gleiches Interesse haben mußten". Im Osten kannte man solchen Idealismus in der Sklavereifrage freilich nicht, aber die Deutschen in Amerika teilten ihn fast ausschließlich. Die Gegensätze zwischen den Nord- und Südstaaten spitzten sich immer mehr zu, bei der Präsidenten¬ wahl im Jahre 1860 gab der Westen den Ausschlag zum Siege Lincolns, und im Westen wieder waren es die Deutschen, deren Redner und politischer Führer Schurz war. Bei der Einführung Lincolns in sein Amt war er in Washington anwesend und wurde ohne sein Bewerber zum Gesandten in Madrid ernannt. Gerade war der Bürgerkrieg ausgebrochen, an dem er sich gern beteiligt hätte, aber man hielt seine Anwesenheit in der spanischen Hauptstadt für nötiger. Nach den ersten militärischen Mißerfolgen der Nordstaaten nahm er Urlaub und kehrte nach Washington zurück mit der Absicht, in das Heer einzutreten, beteiligte sich aber vorher noch an der politischen Debatte über die Frage der Aufhebung der Sklaverei, an die viele Nordstaatler aus verschiednen Gründen nicht heranwollten. Lincoln ließ sich endlich bewegen, durch eine Botschaft am 6- März 1862 die Aufhebung der Sklaverei gegen Entschädigung anzuregen. Schurz erhielt eine Stelle als Brigadegeneral und wurde zunächst der Armee Fremonts zugeteilt. An dieser Ernennung war nichts Auffälliges. Er hatte schon im Feuer gestanden, ausgedehnte militärische Studien gemacht und stand darum dem größten Teile der Truppenführer, zu denen die Union bei der Schaffung der großen Armee greifen mußte, in keinem Falle nach. Er berichtet sachlich und schmucklos, aber in fesselnder Darstellung über seine Teilnahme an der zweiten Schlacht am Bull Rum, an den Schlachten bei Fredericksburg, Chcmcellorsville, Gettysburg und Chatcmooga, von denen die nöten infolge der Unfähigkeit der obern Führer wieder verloren gingen. Wie es damals mit dem öffentlichen Urteil über die Vorgänge und die Führer beschaffen war, sagt Schurz selbst: „Als ich wenig verdiente, erhielt ich viel; als mir wirklich Anerkennung für geleistete Dienste zukam, wurden mir Tadel Und Ungunst zuteil, die eigentlich andre verdient hatten, gerade wegen der Dinge, die ich mich nach Kräften abzuwenden bemüht hatte." Die öffentliche Meinung richtete sich eigentlich nur gegen die Deutschen, die im elften Armee- Grenzboten I 1909 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/297>, abgerufen am 12.12.2024.