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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Rarl Schurz

der Mehrzahl der Fürsten mit dem Kaiser von Österreich an der Spitze, der
schließliche Kompromiß in der Frankfurter Nationalversammlung zwischen
Kaiseridee und Demokratie auf die Ablehnung des Königs von Preußen. Das
Endergebnis war die Wiederherstellung des Bundestags und die Bekräftigung
des schon früher gefcillnen Ausspruchs Friedrich Wilhelms des Vierten, daß
die deutsche Kaiserkrone nur auf dem Schlachtfelde erworben werden könne.
Ihm gebrach es keineswegs an politischer Erkenntnis, nur an der Befähigung
zum politischen Handeln. Die politischen Ereignisse bestätigten achtzehn Jahre
danach seine Ansicht.

Das gänzliche Mißlingen der beiden Pläne zur Schaffung eines deutschen
Reichs hatte in den Vertretern der leitenden Grundgedanken merkwürdige
Wandlungen zur Folge. Heinrich v. Gagern, der eigentliche Führer auf dem
Wege zum Erbkaisertum der Hohenzollern, ging im Verlaufe der Jahre ins
österreichische Lager über, Schurz, der mit zwanzig Jahren alle demokratischen
Mißerfolge mitgemacht, aber durch die umsichtige und mutvolle Befreiung seines
Lehrers und Freundes Gottfried Kinkel aus dem Gefängnis zu Spandau in
der Nacht vom 6. zum 7. November 1850 bewiesen hatte, daß er ein tatkräftiger
Mann war, wurde Amerikaner. Er tat diesen Schritt im August 1852 mit
voller Überzeugung: "Es ist eine neue Welt, eine freie Welt, eine Welt großer
Ideen und Zwecke. In dieser Welt gibts wohl für mich eine neue Heimat.
Vdi lidörws, ibi Meria." Er folgte der hauptsächlich durch deu Einfluß Lord
Byrons besonders im Westen Deutschlands angeregten, auch im elterlichen
Hause gepflegten Schwärmerei für Nordamerika und seinen Helden Washington.
Byron hatte sich zu sterben gewünscht jenseit des Meeres in dem letzten Asyle
der Freiheit: vns K-omnM mors, ^msriea, lor tilge! Diese Schwärmerei fiel
in die Zeit, da das deutsche Volk ein ruhiges, stetiges Selbstgefühl kaum besaß
und das Fremde anstaunte und idealisierte, nur weil es fremd war. Seitdem
wir auf festen eignen Füßen stehn, sind wir leicht geneigt, die Ideale jener
Zeit allzu scharf zu verurteilen. Man darf aber nicht vergessen, daß noch ein
halbes Menschenalter nachher, in den letzten Zeiten des unglückseligen Bundes¬
tags, manchem Deutschen die Frage auf der Seele lag, ob wir überhaupt be¬
rechtigt seien, uns eine große Nation zu nennen. Denn nur in den Gedanken
lebte das deutsche Vaterland, unsre Eltern haben es erst erarbeiten, erkämpfen,
erleben müssen. Tausende einfacher Leute, die gar nicht vom republikanischen
Prinzip so durchdrungen sein konnten wie Schurz, haben damals ihr Vaterland
auf der Suche nach einer neuen Freiheit verlassen. Viele von ihnen und ihren
Nachkommen beschleicht, auch unter günstigen äußern Verhältnissen, noch das
Heimweh nach dem alten Vaterlande, um so mehr, seitdem es so ganz anders
geworden ist. Schurz hielt sich fast gänzlich frei davon, nur in der ersten
Zeit, da ihm auch noch seine junge Frau in Newyork erkrankt war, kam ihm
teres Verlassenheitsgefühl, das man nur in der "neuen Welt" so recht kennen
lernen kann. Er überwand es bald, denn er hatte sich vorgenommen, "die


Rarl Schurz

der Mehrzahl der Fürsten mit dem Kaiser von Österreich an der Spitze, der
schließliche Kompromiß in der Frankfurter Nationalversammlung zwischen
Kaiseridee und Demokratie auf die Ablehnung des Königs von Preußen. Das
Endergebnis war die Wiederherstellung des Bundestags und die Bekräftigung
des schon früher gefcillnen Ausspruchs Friedrich Wilhelms des Vierten, daß
die deutsche Kaiserkrone nur auf dem Schlachtfelde erworben werden könne.
Ihm gebrach es keineswegs an politischer Erkenntnis, nur an der Befähigung
zum politischen Handeln. Die politischen Ereignisse bestätigten achtzehn Jahre
danach seine Ansicht.

Das gänzliche Mißlingen der beiden Pläne zur Schaffung eines deutschen
Reichs hatte in den Vertretern der leitenden Grundgedanken merkwürdige
Wandlungen zur Folge. Heinrich v. Gagern, der eigentliche Führer auf dem
Wege zum Erbkaisertum der Hohenzollern, ging im Verlaufe der Jahre ins
österreichische Lager über, Schurz, der mit zwanzig Jahren alle demokratischen
Mißerfolge mitgemacht, aber durch die umsichtige und mutvolle Befreiung seines
Lehrers und Freundes Gottfried Kinkel aus dem Gefängnis zu Spandau in
der Nacht vom 6. zum 7. November 1850 bewiesen hatte, daß er ein tatkräftiger
Mann war, wurde Amerikaner. Er tat diesen Schritt im August 1852 mit
voller Überzeugung: „Es ist eine neue Welt, eine freie Welt, eine Welt großer
Ideen und Zwecke. In dieser Welt gibts wohl für mich eine neue Heimat.
Vdi lidörws, ibi Meria." Er folgte der hauptsächlich durch deu Einfluß Lord
Byrons besonders im Westen Deutschlands angeregten, auch im elterlichen
Hause gepflegten Schwärmerei für Nordamerika und seinen Helden Washington.
Byron hatte sich zu sterben gewünscht jenseit des Meeres in dem letzten Asyle
der Freiheit: vns K-omnM mors, ^msriea, lor tilge! Diese Schwärmerei fiel
in die Zeit, da das deutsche Volk ein ruhiges, stetiges Selbstgefühl kaum besaß
und das Fremde anstaunte und idealisierte, nur weil es fremd war. Seitdem
wir auf festen eignen Füßen stehn, sind wir leicht geneigt, die Ideale jener
Zeit allzu scharf zu verurteilen. Man darf aber nicht vergessen, daß noch ein
halbes Menschenalter nachher, in den letzten Zeiten des unglückseligen Bundes¬
tags, manchem Deutschen die Frage auf der Seele lag, ob wir überhaupt be¬
rechtigt seien, uns eine große Nation zu nennen. Denn nur in den Gedanken
lebte das deutsche Vaterland, unsre Eltern haben es erst erarbeiten, erkämpfen,
erleben müssen. Tausende einfacher Leute, die gar nicht vom republikanischen
Prinzip so durchdrungen sein konnten wie Schurz, haben damals ihr Vaterland
auf der Suche nach einer neuen Freiheit verlassen. Viele von ihnen und ihren
Nachkommen beschleicht, auch unter günstigen äußern Verhältnissen, noch das
Heimweh nach dem alten Vaterlande, um so mehr, seitdem es so ganz anders
geworden ist. Schurz hielt sich fast gänzlich frei davon, nur in der ersten
Zeit, da ihm auch noch seine junge Frau in Newyork erkrankt war, kam ihm
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lernen kann. Er überwand es bald, denn er hatte sich vorgenommen, „die


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[0295] Rarl Schurz der Mehrzahl der Fürsten mit dem Kaiser von Österreich an der Spitze, der schließliche Kompromiß in der Frankfurter Nationalversammlung zwischen Kaiseridee und Demokratie auf die Ablehnung des Königs von Preußen. Das Endergebnis war die Wiederherstellung des Bundestags und die Bekräftigung des schon früher gefcillnen Ausspruchs Friedrich Wilhelms des Vierten, daß die deutsche Kaiserkrone nur auf dem Schlachtfelde erworben werden könne. Ihm gebrach es keineswegs an politischer Erkenntnis, nur an der Befähigung zum politischen Handeln. Die politischen Ereignisse bestätigten achtzehn Jahre danach seine Ansicht. Das gänzliche Mißlingen der beiden Pläne zur Schaffung eines deutschen Reichs hatte in den Vertretern der leitenden Grundgedanken merkwürdige Wandlungen zur Folge. Heinrich v. Gagern, der eigentliche Führer auf dem Wege zum Erbkaisertum der Hohenzollern, ging im Verlaufe der Jahre ins österreichische Lager über, Schurz, der mit zwanzig Jahren alle demokratischen Mißerfolge mitgemacht, aber durch die umsichtige und mutvolle Befreiung seines Lehrers und Freundes Gottfried Kinkel aus dem Gefängnis zu Spandau in der Nacht vom 6. zum 7. November 1850 bewiesen hatte, daß er ein tatkräftiger Mann war, wurde Amerikaner. Er tat diesen Schritt im August 1852 mit voller Überzeugung: „Es ist eine neue Welt, eine freie Welt, eine Welt großer Ideen und Zwecke. In dieser Welt gibts wohl für mich eine neue Heimat. Vdi lidörws, ibi Meria." Er folgte der hauptsächlich durch deu Einfluß Lord Byrons besonders im Westen Deutschlands angeregten, auch im elterlichen Hause gepflegten Schwärmerei für Nordamerika und seinen Helden Washington. Byron hatte sich zu sterben gewünscht jenseit des Meeres in dem letzten Asyle der Freiheit: vns K-omnM mors, ^msriea, lor tilge! Diese Schwärmerei fiel in die Zeit, da das deutsche Volk ein ruhiges, stetiges Selbstgefühl kaum besaß und das Fremde anstaunte und idealisierte, nur weil es fremd war. Seitdem wir auf festen eignen Füßen stehn, sind wir leicht geneigt, die Ideale jener Zeit allzu scharf zu verurteilen. Man darf aber nicht vergessen, daß noch ein halbes Menschenalter nachher, in den letzten Zeiten des unglückseligen Bundes¬ tags, manchem Deutschen die Frage auf der Seele lag, ob wir überhaupt be¬ rechtigt seien, uns eine große Nation zu nennen. Denn nur in den Gedanken lebte das deutsche Vaterland, unsre Eltern haben es erst erarbeiten, erkämpfen, erleben müssen. Tausende einfacher Leute, die gar nicht vom republikanischen Prinzip so durchdrungen sein konnten wie Schurz, haben damals ihr Vaterland auf der Suche nach einer neuen Freiheit verlassen. Viele von ihnen und ihren Nachkommen beschleicht, auch unter günstigen äußern Verhältnissen, noch das Heimweh nach dem alten Vaterlande, um so mehr, seitdem es so ganz anders geworden ist. Schurz hielt sich fast gänzlich frei davon, nur in der ersten Zeit, da ihm auch noch seine junge Frau in Newyork erkrankt war, kam ihm teres Verlassenheitsgefühl, das man nur in der „neuen Welt" so recht kennen lernen kann. Er überwand es bald, denn er hatte sich vorgenommen, „die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/295>, abgerufen am 23.07.2024.