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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Karl Schurz

obgleich man es weder entbehren kann noch mag. Die in den dreißiger und
vierziger Jahren an den höhern Schulen und Universitäten vorherrschende
Richtung hatte sich, da ihr der deutschnationale Patriotismus von Bundestags
wegen verwehrt wurde, dem Traume einer allmächtigen demokratischen Staats¬
gewalt nach der Weise der Alten zugewandt; man hielt die Republik eigentlich
für vernünftiger als die Monarchie, die höchstens als Übergang zu jener an¬
zusehen und darum noch zu dulden sei. Dazu kamen namentlich in den Rhein¬
landen lebhafte Erinnerungen an die französische Revolution, der französische
Liberalismus hatte deu Deutschen eine revolutionäre Brille aufgesetzt, durch
die sie ihre Lage nicht klar zu erkennen vermochten. Schurz hatte für sich
selbst daraus das Fazit gezogen: "Der Idealismus, der in dem republikanischen
Staatsbürger die höchste Verkörperung der Menschenwürde sah, war in uns
durch das Studium des klassischen Altertums genährt worden, und über alle
Zweifel, ob und wie die Republik in Deutschland eingeführt und inmitten des
europäischen Staatensystems behauptet werden könne, half uns die Geschichte
der französischen Revolution hinweg" (Band I, Seite 141).

An patriotischer Empfindung hat es auch vor Bismarck im deutschen Volke
nicht gefehlt. Man schwärmte und sang vom deutschen Vaterlande, man sehnte
sich nach der äußern Form für die innerlich so reich vorhandne Fülle der Liebe
zu allem, was man in Wort und Gesinnung, in Dichtung und Kunst, in
Sitten und Gebräuchen als deutsch empfand. Ein deutsches Reich war die
Sehnsucht aller Gebildeten, begeisterte die Dichter für "das deutsche Vater¬
land", das nach den Worten des alten Arndt immer "größer" sein sollte.
Aber wie es zu machen sei, war die schwere Frage, und der politische Kampf
um diese oder jene Staatseinrichtung, wie sie eine Lehrmeinung oder ein
Klasseninteresse fordert, hat nicht geruht, bis ihm die historische Entscheidung
von 1866 ein Ende machte. Zu der einfachen Klarheit, daß man nicht Fragen
der innern Politik entscheiden kann, bevor man nicht Herr im eignen Hause
ist, jeden fremden Angriff und jede fremde Intrige zurückzuweisen vermag,
vermochten sich nur wenige emporzuringen. Und doch galt es überhaupt erst
einen Staat zu schaffen, der Nation das Unterpfand jedes Erfolgs, das stolze
Selbstgefühl zu retten. Aber dies lag unter den Schlagbäumen der Klein¬
staaterei wie in einem Spinnengewebe ohnmächtig und gelähmt. Die Kaiseridee,
die in Geschichte und Sage besonders mit den beiden großen Kaisern Karl und
Friedrich Barbarossa innig verknüpft war, lebte weiter, obgleich Franz der
Zweite die Kaiserwürde aufgegeben hatte, und wurde der Gegenstand des
politischen Hoffens und Sehnens, sowohl zur Zeit der napoleonischen Willkür¬
herrschaft wie unmittelbar nach den Befreiungskriegen und wieder in der Zeit
der politischen Wallungen der Jahre 1848 und 1849. Aber sie traf mit der
demokratischen Idee zusammen, die nach dem Muster der französischen Revolution
das deutsche Vaterland als Republik begründen wollte. Dieser Gedanke stieß
jedoch auf den Widerstand sämtlicher Fürsten, die Kaiseridee auf die Abneigung


Karl Schurz

obgleich man es weder entbehren kann noch mag. Die in den dreißiger und
vierziger Jahren an den höhern Schulen und Universitäten vorherrschende
Richtung hatte sich, da ihr der deutschnationale Patriotismus von Bundestags
wegen verwehrt wurde, dem Traume einer allmächtigen demokratischen Staats¬
gewalt nach der Weise der Alten zugewandt; man hielt die Republik eigentlich
für vernünftiger als die Monarchie, die höchstens als Übergang zu jener an¬
zusehen und darum noch zu dulden sei. Dazu kamen namentlich in den Rhein¬
landen lebhafte Erinnerungen an die französische Revolution, der französische
Liberalismus hatte deu Deutschen eine revolutionäre Brille aufgesetzt, durch
die sie ihre Lage nicht klar zu erkennen vermochten. Schurz hatte für sich
selbst daraus das Fazit gezogen: „Der Idealismus, der in dem republikanischen
Staatsbürger die höchste Verkörperung der Menschenwürde sah, war in uns
durch das Studium des klassischen Altertums genährt worden, und über alle
Zweifel, ob und wie die Republik in Deutschland eingeführt und inmitten des
europäischen Staatensystems behauptet werden könne, half uns die Geschichte
der französischen Revolution hinweg" (Band I, Seite 141).

An patriotischer Empfindung hat es auch vor Bismarck im deutschen Volke
nicht gefehlt. Man schwärmte und sang vom deutschen Vaterlande, man sehnte
sich nach der äußern Form für die innerlich so reich vorhandne Fülle der Liebe
zu allem, was man in Wort und Gesinnung, in Dichtung und Kunst, in
Sitten und Gebräuchen als deutsch empfand. Ein deutsches Reich war die
Sehnsucht aller Gebildeten, begeisterte die Dichter für „das deutsche Vater¬
land", das nach den Worten des alten Arndt immer „größer" sein sollte.
Aber wie es zu machen sei, war die schwere Frage, und der politische Kampf
um diese oder jene Staatseinrichtung, wie sie eine Lehrmeinung oder ein
Klasseninteresse fordert, hat nicht geruht, bis ihm die historische Entscheidung
von 1866 ein Ende machte. Zu der einfachen Klarheit, daß man nicht Fragen
der innern Politik entscheiden kann, bevor man nicht Herr im eignen Hause
ist, jeden fremden Angriff und jede fremde Intrige zurückzuweisen vermag,
vermochten sich nur wenige emporzuringen. Und doch galt es überhaupt erst
einen Staat zu schaffen, der Nation das Unterpfand jedes Erfolgs, das stolze
Selbstgefühl zu retten. Aber dies lag unter den Schlagbäumen der Klein¬
staaterei wie in einem Spinnengewebe ohnmächtig und gelähmt. Die Kaiseridee,
die in Geschichte und Sage besonders mit den beiden großen Kaisern Karl und
Friedrich Barbarossa innig verknüpft war, lebte weiter, obgleich Franz der
Zweite die Kaiserwürde aufgegeben hatte, und wurde der Gegenstand des
politischen Hoffens und Sehnens, sowohl zur Zeit der napoleonischen Willkür¬
herrschaft wie unmittelbar nach den Befreiungskriegen und wieder in der Zeit
der politischen Wallungen der Jahre 1848 und 1849. Aber sie traf mit der
demokratischen Idee zusammen, die nach dem Muster der französischen Revolution
das deutsche Vaterland als Republik begründen wollte. Dieser Gedanke stieß
jedoch auf den Widerstand sämtlicher Fürsten, die Kaiseridee auf die Abneigung


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[0294] Karl Schurz obgleich man es weder entbehren kann noch mag. Die in den dreißiger und vierziger Jahren an den höhern Schulen und Universitäten vorherrschende Richtung hatte sich, da ihr der deutschnationale Patriotismus von Bundestags wegen verwehrt wurde, dem Traume einer allmächtigen demokratischen Staats¬ gewalt nach der Weise der Alten zugewandt; man hielt die Republik eigentlich für vernünftiger als die Monarchie, die höchstens als Übergang zu jener an¬ zusehen und darum noch zu dulden sei. Dazu kamen namentlich in den Rhein¬ landen lebhafte Erinnerungen an die französische Revolution, der französische Liberalismus hatte deu Deutschen eine revolutionäre Brille aufgesetzt, durch die sie ihre Lage nicht klar zu erkennen vermochten. Schurz hatte für sich selbst daraus das Fazit gezogen: „Der Idealismus, der in dem republikanischen Staatsbürger die höchste Verkörperung der Menschenwürde sah, war in uns durch das Studium des klassischen Altertums genährt worden, und über alle Zweifel, ob und wie die Republik in Deutschland eingeführt und inmitten des europäischen Staatensystems behauptet werden könne, half uns die Geschichte der französischen Revolution hinweg" (Band I, Seite 141). An patriotischer Empfindung hat es auch vor Bismarck im deutschen Volke nicht gefehlt. Man schwärmte und sang vom deutschen Vaterlande, man sehnte sich nach der äußern Form für die innerlich so reich vorhandne Fülle der Liebe zu allem, was man in Wort und Gesinnung, in Dichtung und Kunst, in Sitten und Gebräuchen als deutsch empfand. Ein deutsches Reich war die Sehnsucht aller Gebildeten, begeisterte die Dichter für „das deutsche Vater¬ land", das nach den Worten des alten Arndt immer „größer" sein sollte. Aber wie es zu machen sei, war die schwere Frage, und der politische Kampf um diese oder jene Staatseinrichtung, wie sie eine Lehrmeinung oder ein Klasseninteresse fordert, hat nicht geruht, bis ihm die historische Entscheidung von 1866 ein Ende machte. Zu der einfachen Klarheit, daß man nicht Fragen der innern Politik entscheiden kann, bevor man nicht Herr im eignen Hause ist, jeden fremden Angriff und jede fremde Intrige zurückzuweisen vermag, vermochten sich nur wenige emporzuringen. Und doch galt es überhaupt erst einen Staat zu schaffen, der Nation das Unterpfand jedes Erfolgs, das stolze Selbstgefühl zu retten. Aber dies lag unter den Schlagbäumen der Klein¬ staaterei wie in einem Spinnengewebe ohnmächtig und gelähmt. Die Kaiseridee, die in Geschichte und Sage besonders mit den beiden großen Kaisern Karl und Friedrich Barbarossa innig verknüpft war, lebte weiter, obgleich Franz der Zweite die Kaiserwürde aufgegeben hatte, und wurde der Gegenstand des politischen Hoffens und Sehnens, sowohl zur Zeit der napoleonischen Willkür¬ herrschaft wie unmittelbar nach den Befreiungskriegen und wieder in der Zeit der politischen Wallungen der Jahre 1848 und 1849. Aber sie traf mit der demokratischen Idee zusammen, die nach dem Muster der französischen Revolution das deutsche Vaterland als Republik begründen wollte. Dieser Gedanke stieß jedoch auf den Widerstand sämtlicher Fürsten, die Kaiseridee auf die Abneigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/294>, abgerufen am 23.07.2024.