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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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ZVie entstand die letzte Wirtschaftskrise in den vereinigten Staaten?

Einheitlichkeit der Grundsätze und Geschäftsführung, starkes Verantwort¬
lichkeitsgefühl, das sind Eigenschaften, die bei Banken ohne einheitliche Or¬
ganisation mehr als anderswo wünschenswert erscheinen, die man aber in dieser
kritischen Zeit bei den amerikanischen Banken bedauerlicherweise vermißt. So¬
weit tragen sie ohne Zweifel unmittelbare Schuld, mehr Verantwortung aber
lädt die Bundesregierung durch ihre mangelhafte gesetzliche Regelung des
Banknotenwesens auf sich. Zu geringe Anpassungsfähigkeit der Notenzahl an
den Bedarf, ungenügende Deckung durch Goldvorräte, das sind die fühlbarsten
Schwächen der Bankgesetzgebung, die sich in der Krise des Jahres 1907 aufs
deutlichste bemerkbar machten. Eine automatische Regelung des Notenumlaufs,
wie unser Reichsbanksystem sie gewährleistet, hätte eine derartige Kredit¬
anspannung, wie sie der Krise vorausging, unmöglich gemacht; hören wir doch,
daß der Notenumlauf der Vereinigten Staaten 1897 bis 1907 von 230,8 auf
604 Millionen Dollar gestiegen ist, wobei man bedenken muß, daß die Deckung
dieser Noten nur in Schuldtiteln des Bundes, deren Vermehrung ebenfalls
keine Grenzen gesteckt sind, besteht. Die verhängnisvolle Tragweite der un¬
gehinderten Vermehrung dieser Kreditpapiere, die ja nicht einmal in Gold
eingelöst zu werden brauchen, bringen erst die komplizierten Reservevorschriften
der Einzelstaaten und des Bundes zum rechten Bewußtsein; ermöglichen sie
doch tatsächlich, daß eine Banknote als Grundlage für den sechs- bis zehnfachen
Betrag an Depositenverpflichtungen dienen kann. Überhaupt läßt die Aufsicht
der einzelstaatlichen Banken, der Trust Comvanies, an Strenge und Sorgfalt
viel zu wünschen übrig; Verpflichtungen, Reserven zu halten, bestehn teils über¬
haupt nicht, teils in ungenügender Höhe, erscheinen aber um so unentbehrlicher,
als sich die Trust Companies auf alle Gebiete des Bankgeschäfts vorgedrängt
haben, dank ihrer größern Schmiegsamkeit den Kunden Vorteile vor den
Bundesbanken bieten können und diese dadurch zwingen, auch ihrerseits sich
ertragreichern, aber daher auch riskantem Geschäften zuzuwenden. So konnte
es kommen, daß die Newyorker Banken in den letzten zwei Jahren siebenmal
ein Defizit unter der vorgeschriebnen 25 Prozent Barreserve ihrer Depositen
zu verzeichnen hatten, daß sich für alle Bundesbanken das prozentuale Ver¬
hältnis zwischen Depositen und Barreserve von 1897 bis 1907 um fünf vom
Hundert verschlechterte.

Nicht unbedenklich waren schließlich, wenn man einmal in der willkür¬
lichen Vermehrung der Banknoten einen wunden Punkt der amerikanischen
Bankgesetzgebung sehen muß, jene Maßnahmen der Regierung, die der Er¬
weiterung des Notenumlaufs bewußt Vorschub leisteten. Der vom Schatzamt
mehrfach ausgeführte Beschluß, den Banken Regierungsgelder als Depositen
zu überweisen, ergab sich aus der an sich begreiflichen Absicht, die Barbestände
zu vermehren, trug aber, da für Regierungsgelder selbst keine Reserve ver¬
langt wird, dazu bei, die übertriebne Kreditgewährung seitens der Banken zu
fördern; um den vierfachen Betrag der ihnen überwiesnen Summen konnten


ZVie entstand die letzte Wirtschaftskrise in den vereinigten Staaten?

Einheitlichkeit der Grundsätze und Geschäftsführung, starkes Verantwort¬
lichkeitsgefühl, das sind Eigenschaften, die bei Banken ohne einheitliche Or¬
ganisation mehr als anderswo wünschenswert erscheinen, die man aber in dieser
kritischen Zeit bei den amerikanischen Banken bedauerlicherweise vermißt. So¬
weit tragen sie ohne Zweifel unmittelbare Schuld, mehr Verantwortung aber
lädt die Bundesregierung durch ihre mangelhafte gesetzliche Regelung des
Banknotenwesens auf sich. Zu geringe Anpassungsfähigkeit der Notenzahl an
den Bedarf, ungenügende Deckung durch Goldvorräte, das sind die fühlbarsten
Schwächen der Bankgesetzgebung, die sich in der Krise des Jahres 1907 aufs
deutlichste bemerkbar machten. Eine automatische Regelung des Notenumlaufs,
wie unser Reichsbanksystem sie gewährleistet, hätte eine derartige Kredit¬
anspannung, wie sie der Krise vorausging, unmöglich gemacht; hören wir doch,
daß der Notenumlauf der Vereinigten Staaten 1897 bis 1907 von 230,8 auf
604 Millionen Dollar gestiegen ist, wobei man bedenken muß, daß die Deckung
dieser Noten nur in Schuldtiteln des Bundes, deren Vermehrung ebenfalls
keine Grenzen gesteckt sind, besteht. Die verhängnisvolle Tragweite der un¬
gehinderten Vermehrung dieser Kreditpapiere, die ja nicht einmal in Gold
eingelöst zu werden brauchen, bringen erst die komplizierten Reservevorschriften
der Einzelstaaten und des Bundes zum rechten Bewußtsein; ermöglichen sie
doch tatsächlich, daß eine Banknote als Grundlage für den sechs- bis zehnfachen
Betrag an Depositenverpflichtungen dienen kann. Überhaupt läßt die Aufsicht
der einzelstaatlichen Banken, der Trust Comvanies, an Strenge und Sorgfalt
viel zu wünschen übrig; Verpflichtungen, Reserven zu halten, bestehn teils über¬
haupt nicht, teils in ungenügender Höhe, erscheinen aber um so unentbehrlicher,
als sich die Trust Companies auf alle Gebiete des Bankgeschäfts vorgedrängt
haben, dank ihrer größern Schmiegsamkeit den Kunden Vorteile vor den
Bundesbanken bieten können und diese dadurch zwingen, auch ihrerseits sich
ertragreichern, aber daher auch riskantem Geschäften zuzuwenden. So konnte
es kommen, daß die Newyorker Banken in den letzten zwei Jahren siebenmal
ein Defizit unter der vorgeschriebnen 25 Prozent Barreserve ihrer Depositen
zu verzeichnen hatten, daß sich für alle Bundesbanken das prozentuale Ver¬
hältnis zwischen Depositen und Barreserve von 1897 bis 1907 um fünf vom
Hundert verschlechterte.

Nicht unbedenklich waren schließlich, wenn man einmal in der willkür¬
lichen Vermehrung der Banknoten einen wunden Punkt der amerikanischen
Bankgesetzgebung sehen muß, jene Maßnahmen der Regierung, die der Er¬
weiterung des Notenumlaufs bewußt Vorschub leisteten. Der vom Schatzamt
mehrfach ausgeführte Beschluß, den Banken Regierungsgelder als Depositen
zu überweisen, ergab sich aus der an sich begreiflichen Absicht, die Barbestände
zu vermehren, trug aber, da für Regierungsgelder selbst keine Reserve ver¬
langt wird, dazu bei, die übertriebne Kreditgewährung seitens der Banken zu
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[0291] ZVie entstand die letzte Wirtschaftskrise in den vereinigten Staaten? Einheitlichkeit der Grundsätze und Geschäftsführung, starkes Verantwort¬ lichkeitsgefühl, das sind Eigenschaften, die bei Banken ohne einheitliche Or¬ ganisation mehr als anderswo wünschenswert erscheinen, die man aber in dieser kritischen Zeit bei den amerikanischen Banken bedauerlicherweise vermißt. So¬ weit tragen sie ohne Zweifel unmittelbare Schuld, mehr Verantwortung aber lädt die Bundesregierung durch ihre mangelhafte gesetzliche Regelung des Banknotenwesens auf sich. Zu geringe Anpassungsfähigkeit der Notenzahl an den Bedarf, ungenügende Deckung durch Goldvorräte, das sind die fühlbarsten Schwächen der Bankgesetzgebung, die sich in der Krise des Jahres 1907 aufs deutlichste bemerkbar machten. Eine automatische Regelung des Notenumlaufs, wie unser Reichsbanksystem sie gewährleistet, hätte eine derartige Kredit¬ anspannung, wie sie der Krise vorausging, unmöglich gemacht; hören wir doch, daß der Notenumlauf der Vereinigten Staaten 1897 bis 1907 von 230,8 auf 604 Millionen Dollar gestiegen ist, wobei man bedenken muß, daß die Deckung dieser Noten nur in Schuldtiteln des Bundes, deren Vermehrung ebenfalls keine Grenzen gesteckt sind, besteht. Die verhängnisvolle Tragweite der un¬ gehinderten Vermehrung dieser Kreditpapiere, die ja nicht einmal in Gold eingelöst zu werden brauchen, bringen erst die komplizierten Reservevorschriften der Einzelstaaten und des Bundes zum rechten Bewußtsein; ermöglichen sie doch tatsächlich, daß eine Banknote als Grundlage für den sechs- bis zehnfachen Betrag an Depositenverpflichtungen dienen kann. Überhaupt läßt die Aufsicht der einzelstaatlichen Banken, der Trust Comvanies, an Strenge und Sorgfalt viel zu wünschen übrig; Verpflichtungen, Reserven zu halten, bestehn teils über¬ haupt nicht, teils in ungenügender Höhe, erscheinen aber um so unentbehrlicher, als sich die Trust Companies auf alle Gebiete des Bankgeschäfts vorgedrängt haben, dank ihrer größern Schmiegsamkeit den Kunden Vorteile vor den Bundesbanken bieten können und diese dadurch zwingen, auch ihrerseits sich ertragreichern, aber daher auch riskantem Geschäften zuzuwenden. So konnte es kommen, daß die Newyorker Banken in den letzten zwei Jahren siebenmal ein Defizit unter der vorgeschriebnen 25 Prozent Barreserve ihrer Depositen zu verzeichnen hatten, daß sich für alle Bundesbanken das prozentuale Ver¬ hältnis zwischen Depositen und Barreserve von 1897 bis 1907 um fünf vom Hundert verschlechterte. Nicht unbedenklich waren schließlich, wenn man einmal in der willkür¬ lichen Vermehrung der Banknoten einen wunden Punkt der amerikanischen Bankgesetzgebung sehen muß, jene Maßnahmen der Regierung, die der Er¬ weiterung des Notenumlaufs bewußt Vorschub leisteten. Der vom Schatzamt mehrfach ausgeführte Beschluß, den Banken Regierungsgelder als Depositen zu überweisen, ergab sich aus der an sich begreiflichen Absicht, die Barbestände zu vermehren, trug aber, da für Regierungsgelder selbst keine Reserve ver¬ langt wird, dazu bei, die übertriebne Kreditgewährung seitens der Banken zu fördern; um den vierfachen Betrag der ihnen überwiesnen Summen konnten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/291>, abgerufen am 25.08.2024.