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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die gegenwärtige militärische Lage Ästerreich-Ungarns gegen Serbien und Montenegro

ziele haben aber nur unterstützenden und fördernden Charakter. Die Eigenart
der Kriegführung der Bergstämme würde ausreichende Vorsorgen für den
Etappenschutz nötig machen; es müßten umfangreiche Straßenverbesserungs¬
arbeiten durchgeführt und Befestigungen an den wichtigen Etappenpunkten
errichtet werden. Wegen des minderwertigen fortifikatorischer Zustandes der
serbischen Befestigungen braucht die österreichische Armeeleitung keinen großen
Belagerungspark mitzunehmen.

Bei der Forcierung der save-Donau ist der Donauflottille eine besondre
Rolle zugewiesen. schätzungsweise dürften im Banat etwa zwei bis drei Korps,
in Syrmien ein Korps, an der untern Drina eine verstärkte Infanteriedivision
und im Gebirgslande östlich des Banats zwei bis drei Gebirgsbrigaden ver¬
wandt werden, sodaß sich das Kraftaufgebot gegenüber Serbien auf vier Korps
und zwei selbständige Infanteriedivisionen belaufen könnte.

Die serbische Hauptkraft wird, wie aus mehreren Anzeichen hervorzugehn
scheint, im Raume Valjevo-Uzice oder Aranjelovac-Sviljainac versammelt mit
Kragujevac als befestigtem Stützpunkt. Das Schwergewicht der serbischen
Operationen ist augenscheinlich aus einen Einfall in Bosnien gerichtet, und zwar
über Visegrad und Umgebung auf Sarajewo, wobei über die Krbljna eine
Verbindung mit der auf Mostar gedachten montenegrinischen Offensive angestrebt
wird. Auf derlei Absichten deuten wenigstens die starken Truppenansammlungen
im Tale der westlichen Morava hin. Ob einer serbischen Invasion nach Bosnien
ein Erfolg blühen kann, soll hier nicht näher untersucht werden. Es ist jedoch
kaum zweckmäßig, die serbische Armee qualitativ gering zu schützen; Serbien
rüstet seit Oktober des verfloßnen Jahres, bildet seine Reservisten in vierwöchigen
Übungen aus, bestellt neue Gewehre, Geschütze und Kriegsmaterial und ist auch
in der Lage, das Bestellte zu bezahlen, woraus geschlossen werden muß, daß
das Land im Kriege nicht aus Mangel an materiellen Mitteln unterliegen
Wird; es hat mächtige Gönner. Inwieweit in Bosnien und der Herzegowina
selbst die Möglichkeit einer Aufstandsbewegung vorliegt, sei dahingestellt; zu
betonen wäre jedoch, daß eine wenn auch noch so geringe Schlappe der öster¬
reichischen Truppen von sehr schweren Folgen begleitet sein würde, da sie, durch
die orientalische Phantasie riesengroß aufgebauscht, das Signal zu einer all¬
gemeinen Erhebung geben könnte.

Auf jeden Fall muß damit gerechnet werden, daß bei einer weitern Ver¬
schlechterung der politischen Lage, also am Vorabend eines Krieges, Österreich-
Ungarn zu neuen Truppensendungen genötigt sein wird. Es scheint zwar sehr
leicht, die Bewegungen der serbischen Streitkräfte, die fast durchwegs auf langen
Straßen und in kultivierten Teilen erfolgen, zu überwachen, dagegen ist aus
der serbischen Presse fast gar nichts über derlei Verschiebungen zu erfahren,
sodaß die Gefahr besteht, bei nicht umfassend organisierten Kundschafterdienst
überrascht zu werden. Ganz im Gegensatze hierzu lassen sich die militärischen
Maßnahmen Österreich-Ungarns aus den ungarischen Blättern bis ins kleinste
Detail verfolgen, ja die Unvorsichtigkeit oder Ungewißheit der Preßübexwachungs-


Die gegenwärtige militärische Lage Ästerreich-Ungarns gegen Serbien und Montenegro

ziele haben aber nur unterstützenden und fördernden Charakter. Die Eigenart
der Kriegführung der Bergstämme würde ausreichende Vorsorgen für den
Etappenschutz nötig machen; es müßten umfangreiche Straßenverbesserungs¬
arbeiten durchgeführt und Befestigungen an den wichtigen Etappenpunkten
errichtet werden. Wegen des minderwertigen fortifikatorischer Zustandes der
serbischen Befestigungen braucht die österreichische Armeeleitung keinen großen
Belagerungspark mitzunehmen.

Bei der Forcierung der save-Donau ist der Donauflottille eine besondre
Rolle zugewiesen. schätzungsweise dürften im Banat etwa zwei bis drei Korps,
in Syrmien ein Korps, an der untern Drina eine verstärkte Infanteriedivision
und im Gebirgslande östlich des Banats zwei bis drei Gebirgsbrigaden ver¬
wandt werden, sodaß sich das Kraftaufgebot gegenüber Serbien auf vier Korps
und zwei selbständige Infanteriedivisionen belaufen könnte.

Die serbische Hauptkraft wird, wie aus mehreren Anzeichen hervorzugehn
scheint, im Raume Valjevo-Uzice oder Aranjelovac-Sviljainac versammelt mit
Kragujevac als befestigtem Stützpunkt. Das Schwergewicht der serbischen
Operationen ist augenscheinlich aus einen Einfall in Bosnien gerichtet, und zwar
über Visegrad und Umgebung auf Sarajewo, wobei über die Krbljna eine
Verbindung mit der auf Mostar gedachten montenegrinischen Offensive angestrebt
wird. Auf derlei Absichten deuten wenigstens die starken Truppenansammlungen
im Tale der westlichen Morava hin. Ob einer serbischen Invasion nach Bosnien
ein Erfolg blühen kann, soll hier nicht näher untersucht werden. Es ist jedoch
kaum zweckmäßig, die serbische Armee qualitativ gering zu schützen; Serbien
rüstet seit Oktober des verfloßnen Jahres, bildet seine Reservisten in vierwöchigen
Übungen aus, bestellt neue Gewehre, Geschütze und Kriegsmaterial und ist auch
in der Lage, das Bestellte zu bezahlen, woraus geschlossen werden muß, daß
das Land im Kriege nicht aus Mangel an materiellen Mitteln unterliegen
Wird; es hat mächtige Gönner. Inwieweit in Bosnien und der Herzegowina
selbst die Möglichkeit einer Aufstandsbewegung vorliegt, sei dahingestellt; zu
betonen wäre jedoch, daß eine wenn auch noch so geringe Schlappe der öster¬
reichischen Truppen von sehr schweren Folgen begleitet sein würde, da sie, durch
die orientalische Phantasie riesengroß aufgebauscht, das Signal zu einer all¬
gemeinen Erhebung geben könnte.

Auf jeden Fall muß damit gerechnet werden, daß bei einer weitern Ver¬
schlechterung der politischen Lage, also am Vorabend eines Krieges, Österreich-
Ungarn zu neuen Truppensendungen genötigt sein wird. Es scheint zwar sehr
leicht, die Bewegungen der serbischen Streitkräfte, die fast durchwegs auf langen
Straßen und in kultivierten Teilen erfolgen, zu überwachen, dagegen ist aus
der serbischen Presse fast gar nichts über derlei Verschiebungen zu erfahren,
sodaß die Gefahr besteht, bei nicht umfassend organisierten Kundschafterdienst
überrascht zu werden. Ganz im Gegensatze hierzu lassen sich die militärischen
Maßnahmen Österreich-Ungarns aus den ungarischen Blättern bis ins kleinste
Detail verfolgen, ja die Unvorsichtigkeit oder Ungewißheit der Preßübexwachungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/285>, abgerufen am 23.07.2024.