Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches die ihm in feindlichen Blättern und indirekt auch in einer auf Schleichwegen wan¬ Wer übrigens durchaus etwas mißverstehen will, findet in jeder Ausführung Während die Rede des Fürsten Bülow in den Parteien so verschiedenartige Nun ist auch endlich nach schweren Mühen im Königreich Sachsen die Wahl¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches die ihm in feindlichen Blättern und indirekt auch in einer auf Schleichwegen wan¬ Wer übrigens durchaus etwas mißverstehen will, findet in jeder Ausführung Während die Rede des Fürsten Bülow in den Parteien so verschiedenartige Nun ist auch endlich nach schweren Mühen im Königreich Sachsen die Wahl¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312630"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1071" prev="#ID_1070"> die ihm in feindlichen Blättern und indirekt auch in einer auf Schleichwegen wan¬<lb/> delnden Agitation gemachten Vorwürfe, daß er in der Novemberkrisis den Kaiser<lb/> nicht genügend gedeckt habe. Es war gewiß gut, daß sich Fürst Bülow einmal<lb/> offen darüber aussprach, freilich konnte er nicht vermeiden, daß feine Ausführungen<lb/> ängstliche Gemüter und übelwollende Gegner zu besondern Deutungen veranlaßten.<lb/> Aber die Kritiker können sich beruhigen; diese Abwehr kam nicht aus einer schwachen<lb/> und gefährdeten Stellung, sondern bedeutete einen entschlossenen Griff in ein Ge¬<lb/> webe von Lügen und Täuschungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1072"> Wer übrigens durchaus etwas mißverstehen will, findet in jeder Ausführung<lb/> etwas, was er für diesen Zweck ausbeuten kann. So sind die Bemerkungen des<lb/> Fürsten Bülow über die Bekämpfung der Sozialdemokratie von einigen Seiten als<lb/> Ankündigung eines neuen Sozialistengesetzes verstanden worden. Die Deutung<lb/> erscheint schon dadurch verdächtig, daß sich andre darüber beklagt haben, daß die<lb/> Regierung nach den Worten des Fürsten Bülow offenbar nicht beabsichtige, Aus¬<lb/> nähmemaßregeln gegen die Sozialdemokratie zu ergreifen. Zu Wirklichkeit hat sich<lb/> Fürst Bülow darüber überhaupt nicht ausgesprochen. Theoretisch hat er allerdings<lb/> die Möglichkeit eines künstigen gesetzgeberischen Vorgehens gegen die Sozialdemo-<lb/> kratie aufgestellt, aber nur, um zu zeigen, daß die Voraussetzungen dazu bei weitem<lb/> nicht erfüllt sind. Und auch diese Feststellung diente ihm nur zu einem Mahnwort<lb/> an die bürgerlichen Parteien, die durch ein Übermaß der Kritik die notwendige<lb/> Autorität im Staate untergraben. Wenn er daran erinnerte, daß auch Kreise, zu<lb/> deren Tradition die Aufrechterhaltung der Autorität gehört, „keinen Anstand ge¬<lb/> nommen haben, Vorurteilen, Leidenschaften, Irrtümern der breiten Massen in er¬<lb/> giebigsten Maße Rechnung zu tragen", so ist für jeden Unbefangnen klar, daß der<lb/> Zweck dieses Hinweises ein ganz andrer war als die Empfehlung von Ausnahme¬<lb/> gesetzen und Gewaltmaßregeln gegen die Schäden der Gesellschaft.</p><lb/> <p xml:id="ID_1073"> Während die Rede des Fürsten Bülow in den Parteien so verschiedenartige<lb/> Wellenkreise zog, hat sich in der Kommission des Abgeordnetenhauses eine Ver¬<lb/> ständigung über die Beschaffung der Mittel zur Erhöhung der Beamtengehältex<lb/> vollzogen. Danach wird der Vorschlag der sogenannten Gesellschaftssteuer, wie<lb/> vorauszusehen war, fallen gelassen; eine allgemeine Erhebung von Zuschlägen zur<lb/> Einkommensteuer und einige neue Stempelsteuern sollen den Ausfall decken. Freilich<lb/> ist dabei der Plan, die neuen Lasten möglichst auf die stärksten Schultern zu legen,<lb/> sehr ins Hintertreffen gekommen; die vereinbarten Zuschlage belasten die mittlern<lb/> Einkommen recht bedeutend. Aber es ist wenigstens eine allgemeine Reform des<lb/> Einkommensteuergesetzes ins Auge gefaßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1074"> Nun ist auch endlich nach schweren Mühen im Königreich Sachsen die Wahl¬<lb/> rechtsreform unter Dach und Fach gebracht worden. Regierung und Parteien haben<lb/> dabei manches Opfer an Lieblingsideen bringen müssen, und zuletzt stellt doch das<lb/> miles einen Versuch dar, von dem noch niemand genau weiß, wie er sich bewähren<lb/> wird. Aber die Einsicht aller positiv mitarbeitenden Teile in die dringende Not¬<lb/> wendigkeit, diese einmal in Fluß gebrachte Sache auch einem baldigen Abschluß<lb/> entgegenzuführen, hat einen heilsamen Druck ausgeübt, und so ist eine Lösung zu¬<lb/> stande gekommen, die als eine der interessantesten auf diesem Gebiete gelten muß.<lb/> Die ersten, freilich sehr verwickelten Vorschläge der Regierung und die Versuche,<lb/> die Verhältniswahl einzuführen, sind dabei in die Brüche gegangen, dafür ist ein<lb/> sorgfältig durchdachtes, wenn auch in Einzelheiten nicht ganz von Bedenken freies<lb/> Pluralstimmensystem angenommen worden, das in eigenartigen Kombinationen den<lb/> durch Alter, Bildung und Besitz voranstehenden Bevölkerungselementen gewisse<lb/> Vorzüge sichert. Wenn dieser Versuch günstig ausläuft, wird das unter Umständen<lb/> auch für Preußen und seine Wahlrechtsreform von der größten Bedeutung werden<lb/></p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
die ihm in feindlichen Blättern und indirekt auch in einer auf Schleichwegen wan¬
delnden Agitation gemachten Vorwürfe, daß er in der Novemberkrisis den Kaiser
nicht genügend gedeckt habe. Es war gewiß gut, daß sich Fürst Bülow einmal
offen darüber aussprach, freilich konnte er nicht vermeiden, daß feine Ausführungen
ängstliche Gemüter und übelwollende Gegner zu besondern Deutungen veranlaßten.
Aber die Kritiker können sich beruhigen; diese Abwehr kam nicht aus einer schwachen
und gefährdeten Stellung, sondern bedeutete einen entschlossenen Griff in ein Ge¬
webe von Lügen und Täuschungen.
Wer übrigens durchaus etwas mißverstehen will, findet in jeder Ausführung
etwas, was er für diesen Zweck ausbeuten kann. So sind die Bemerkungen des
Fürsten Bülow über die Bekämpfung der Sozialdemokratie von einigen Seiten als
Ankündigung eines neuen Sozialistengesetzes verstanden worden. Die Deutung
erscheint schon dadurch verdächtig, daß sich andre darüber beklagt haben, daß die
Regierung nach den Worten des Fürsten Bülow offenbar nicht beabsichtige, Aus¬
nähmemaßregeln gegen die Sozialdemokratie zu ergreifen. Zu Wirklichkeit hat sich
Fürst Bülow darüber überhaupt nicht ausgesprochen. Theoretisch hat er allerdings
die Möglichkeit eines künstigen gesetzgeberischen Vorgehens gegen die Sozialdemo-
kratie aufgestellt, aber nur, um zu zeigen, daß die Voraussetzungen dazu bei weitem
nicht erfüllt sind. Und auch diese Feststellung diente ihm nur zu einem Mahnwort
an die bürgerlichen Parteien, die durch ein Übermaß der Kritik die notwendige
Autorität im Staate untergraben. Wenn er daran erinnerte, daß auch Kreise, zu
deren Tradition die Aufrechterhaltung der Autorität gehört, „keinen Anstand ge¬
nommen haben, Vorurteilen, Leidenschaften, Irrtümern der breiten Massen in er¬
giebigsten Maße Rechnung zu tragen", so ist für jeden Unbefangnen klar, daß der
Zweck dieses Hinweises ein ganz andrer war als die Empfehlung von Ausnahme¬
gesetzen und Gewaltmaßregeln gegen die Schäden der Gesellschaft.
Während die Rede des Fürsten Bülow in den Parteien so verschiedenartige
Wellenkreise zog, hat sich in der Kommission des Abgeordnetenhauses eine Ver¬
ständigung über die Beschaffung der Mittel zur Erhöhung der Beamtengehältex
vollzogen. Danach wird der Vorschlag der sogenannten Gesellschaftssteuer, wie
vorauszusehen war, fallen gelassen; eine allgemeine Erhebung von Zuschlägen zur
Einkommensteuer und einige neue Stempelsteuern sollen den Ausfall decken. Freilich
ist dabei der Plan, die neuen Lasten möglichst auf die stärksten Schultern zu legen,
sehr ins Hintertreffen gekommen; die vereinbarten Zuschlage belasten die mittlern
Einkommen recht bedeutend. Aber es ist wenigstens eine allgemeine Reform des
Einkommensteuergesetzes ins Auge gefaßt.
Nun ist auch endlich nach schweren Mühen im Königreich Sachsen die Wahl¬
rechtsreform unter Dach und Fach gebracht worden. Regierung und Parteien haben
dabei manches Opfer an Lieblingsideen bringen müssen, und zuletzt stellt doch das
miles einen Versuch dar, von dem noch niemand genau weiß, wie er sich bewähren
wird. Aber die Einsicht aller positiv mitarbeitenden Teile in die dringende Not¬
wendigkeit, diese einmal in Fluß gebrachte Sache auch einem baldigen Abschluß
entgegenzuführen, hat einen heilsamen Druck ausgeübt, und so ist eine Lösung zu¬
stande gekommen, die als eine der interessantesten auf diesem Gebiete gelten muß.
Die ersten, freilich sehr verwickelten Vorschläge der Regierung und die Versuche,
die Verhältniswahl einzuführen, sind dabei in die Brüche gegangen, dafür ist ein
sorgfältig durchdachtes, wenn auch in Einzelheiten nicht ganz von Bedenken freies
Pluralstimmensystem angenommen worden, das in eigenartigen Kombinationen den
durch Alter, Bildung und Besitz voranstehenden Bevölkerungselementen gewisse
Vorzüge sichert. Wenn dieser Versuch günstig ausläuft, wird das unter Umständen
auch für Preußen und seine Wahlrechtsreform von der größten Bedeutung werden
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