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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Arbeiterbevölkerung, Sparkassen und Staatsschuld

in der Familie oder Verwandtschaft eine zuverlässige Person, die gewillt wäre,
die zeitraubenden Gänge zur Sparkasse zu übernehmen. Wenn man zu Anfang
wirklich die ernstliche Absicht hat. ein paar Mark, die im Augenblick entbehrlich
sind, auf die Sparkasse zu bringen, so hat man niemand zum Schicken und
verschiebt die Besorgung von einem Tage zum andern, bis dann in vielen Fällen
das Geld für mehr oder weniger überflüssige Sachen ausgegeben wird.

Man soll hier nicht einwenden, daß der Arbeiter kein Geld zum Sparen
habe. Das wird bei kinderreichen Familien oder da, wo der Hausvater einen
verhältnismäßig niedrigen Verdienst hat, zutreffen. Die Regel wird es nicht
sein. Wenn das Einkommen irgendeiner Berufsklasse in den letzten Jahr¬
zehnten zugenommen hat. so ist es das der Arbeiterschaft. Die Löhne haben
sich seit dem französischen Kriege verdoppelt, vielfach mehr als verdoppelt,
während die Ausgaben für die Lebensbedürfnisse im Durchschnitt bei weitem
nicht in diesem Maße gestiegen. Jndustrieerzeugnisse sogar hier und da billiger
geworden sind. Der Arbeiter unsrer Tage wohnt besser, nährt und kleidet sich
besser als der Arbeiter zur Zeit unsrer Väter und Großväter, und dazu ist er
durch unsre sozialpolitische Gesetzgebung gegen die äußerste Not der Erwerbs¬
unfähigkeit und des Alters geschützt, also nicht in dem Maße wie früher auf
die Unterstützung seiner Kinder und Großkinder angewiesen. Allein für die
sozialdemokratischen Gewerkschaften haben die deutschen Arbeiter, zumeist zu
Streikzwecken, im Jahre 1904 8 Millionen, im Jahre 1906 41 Millionen, im
Jahre 1907 gar 53 Millionen Mark aufgebracht. Wenn das auf den Kopf
des organisierten Arbeiters 27,55 Mark im Jahre ausmacht, so hat der orga¬
nisierte Arbeiter daneben immer ein paar Groschen übrig, wenn es gilt, einen
Aufstand im In- oder Auslande zu unterstützen, einen Fonds für ein Gewerk¬
schaftshaus, eine Zeitung oder einen Konsumverein zusammenzubringen. Als
die Waldenburger Bergleute im Jahre 1900 in Stadt und Umgegend keine
Säle zur Abhaltung von Versammlungen und Vergnügungen erhalten konnten,
gingen sie an die Gründung einer Genossenschaft, deren Zweck der Erwerb einer
eignen Gastwirtschaft sein sollte. Binnen Jahresfrist zählte die Genossenschaft
mehrere hundert Mitglieder und verfügte über einen Vermögensbestand von
mehr als 8000 Mark, der. abgesehen von wenigen größern Posten, zumeist
mark- und pfennigweise zusammengebracht worden war.

Wie der deutsche Arbeiter aber Geld für gemeinsame Veranstaltungen übrig
hat, so wird er zumeist auch zu bewegen sein, von seinem Lohne kleine Er¬
sparnisse für sich und seine Familie zurückzulegen, wenn ihm das Sparen etwas
erleichtert wird.

Das wäre aber namentlich in Jndustriegegenden mit überwiegenden Gro߬
betrieben ohne allzuviel Mühe zu bewerkstelligen. Sparkassen und Arbeitgeber
müßten sich zur Lösung der Aufgabe zusammentun. Jede Fabrik, jedes Berg¬
werk müßte eine Agentur der Sparkasse, eine Sammelstelle für Spareinlagen
werden. Vor der jedesmaligen Lohnzahlung hätten die Arbeiter der Werk-


Grenzboten I 1909 3
Arbeiterbevölkerung, Sparkassen und Staatsschuld

in der Familie oder Verwandtschaft eine zuverlässige Person, die gewillt wäre,
die zeitraubenden Gänge zur Sparkasse zu übernehmen. Wenn man zu Anfang
wirklich die ernstliche Absicht hat. ein paar Mark, die im Augenblick entbehrlich
sind, auf die Sparkasse zu bringen, so hat man niemand zum Schicken und
verschiebt die Besorgung von einem Tage zum andern, bis dann in vielen Fällen
das Geld für mehr oder weniger überflüssige Sachen ausgegeben wird.

Man soll hier nicht einwenden, daß der Arbeiter kein Geld zum Sparen
habe. Das wird bei kinderreichen Familien oder da, wo der Hausvater einen
verhältnismäßig niedrigen Verdienst hat, zutreffen. Die Regel wird es nicht
sein. Wenn das Einkommen irgendeiner Berufsklasse in den letzten Jahr¬
zehnten zugenommen hat. so ist es das der Arbeiterschaft. Die Löhne haben
sich seit dem französischen Kriege verdoppelt, vielfach mehr als verdoppelt,
während die Ausgaben für die Lebensbedürfnisse im Durchschnitt bei weitem
nicht in diesem Maße gestiegen. Jndustrieerzeugnisse sogar hier und da billiger
geworden sind. Der Arbeiter unsrer Tage wohnt besser, nährt und kleidet sich
besser als der Arbeiter zur Zeit unsrer Väter und Großväter, und dazu ist er
durch unsre sozialpolitische Gesetzgebung gegen die äußerste Not der Erwerbs¬
unfähigkeit und des Alters geschützt, also nicht in dem Maße wie früher auf
die Unterstützung seiner Kinder und Großkinder angewiesen. Allein für die
sozialdemokratischen Gewerkschaften haben die deutschen Arbeiter, zumeist zu
Streikzwecken, im Jahre 1904 8 Millionen, im Jahre 1906 41 Millionen, im
Jahre 1907 gar 53 Millionen Mark aufgebracht. Wenn das auf den Kopf
des organisierten Arbeiters 27,55 Mark im Jahre ausmacht, so hat der orga¬
nisierte Arbeiter daneben immer ein paar Groschen übrig, wenn es gilt, einen
Aufstand im In- oder Auslande zu unterstützen, einen Fonds für ein Gewerk¬
schaftshaus, eine Zeitung oder einen Konsumverein zusammenzubringen. Als
die Waldenburger Bergleute im Jahre 1900 in Stadt und Umgegend keine
Säle zur Abhaltung von Versammlungen und Vergnügungen erhalten konnten,
gingen sie an die Gründung einer Genossenschaft, deren Zweck der Erwerb einer
eignen Gastwirtschaft sein sollte. Binnen Jahresfrist zählte die Genossenschaft
mehrere hundert Mitglieder und verfügte über einen Vermögensbestand von
mehr als 8000 Mark, der. abgesehen von wenigen größern Posten, zumeist
mark- und pfennigweise zusammengebracht worden war.

Wie der deutsche Arbeiter aber Geld für gemeinsame Veranstaltungen übrig
hat, so wird er zumeist auch zu bewegen sein, von seinem Lohne kleine Er¬
sparnisse für sich und seine Familie zurückzulegen, wenn ihm das Sparen etwas
erleichtert wird.

Das wäre aber namentlich in Jndustriegegenden mit überwiegenden Gro߬
betrieben ohne allzuviel Mühe zu bewerkstelligen. Sparkassen und Arbeitgeber
müßten sich zur Lösung der Aufgabe zusammentun. Jede Fabrik, jedes Berg¬
werk müßte eine Agentur der Sparkasse, eine Sammelstelle für Spareinlagen
werden. Vor der jedesmaligen Lohnzahlung hätten die Arbeiter der Werk-


Grenzboten I 1909 3
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[0025] Arbeiterbevölkerung, Sparkassen und Staatsschuld in der Familie oder Verwandtschaft eine zuverlässige Person, die gewillt wäre, die zeitraubenden Gänge zur Sparkasse zu übernehmen. Wenn man zu Anfang wirklich die ernstliche Absicht hat. ein paar Mark, die im Augenblick entbehrlich sind, auf die Sparkasse zu bringen, so hat man niemand zum Schicken und verschiebt die Besorgung von einem Tage zum andern, bis dann in vielen Fällen das Geld für mehr oder weniger überflüssige Sachen ausgegeben wird. Man soll hier nicht einwenden, daß der Arbeiter kein Geld zum Sparen habe. Das wird bei kinderreichen Familien oder da, wo der Hausvater einen verhältnismäßig niedrigen Verdienst hat, zutreffen. Die Regel wird es nicht sein. Wenn das Einkommen irgendeiner Berufsklasse in den letzten Jahr¬ zehnten zugenommen hat. so ist es das der Arbeiterschaft. Die Löhne haben sich seit dem französischen Kriege verdoppelt, vielfach mehr als verdoppelt, während die Ausgaben für die Lebensbedürfnisse im Durchschnitt bei weitem nicht in diesem Maße gestiegen. Jndustrieerzeugnisse sogar hier und da billiger geworden sind. Der Arbeiter unsrer Tage wohnt besser, nährt und kleidet sich besser als der Arbeiter zur Zeit unsrer Väter und Großväter, und dazu ist er durch unsre sozialpolitische Gesetzgebung gegen die äußerste Not der Erwerbs¬ unfähigkeit und des Alters geschützt, also nicht in dem Maße wie früher auf die Unterstützung seiner Kinder und Großkinder angewiesen. Allein für die sozialdemokratischen Gewerkschaften haben die deutschen Arbeiter, zumeist zu Streikzwecken, im Jahre 1904 8 Millionen, im Jahre 1906 41 Millionen, im Jahre 1907 gar 53 Millionen Mark aufgebracht. Wenn das auf den Kopf des organisierten Arbeiters 27,55 Mark im Jahre ausmacht, so hat der orga¬ nisierte Arbeiter daneben immer ein paar Groschen übrig, wenn es gilt, einen Aufstand im In- oder Auslande zu unterstützen, einen Fonds für ein Gewerk¬ schaftshaus, eine Zeitung oder einen Konsumverein zusammenzubringen. Als die Waldenburger Bergleute im Jahre 1900 in Stadt und Umgegend keine Säle zur Abhaltung von Versammlungen und Vergnügungen erhalten konnten, gingen sie an die Gründung einer Genossenschaft, deren Zweck der Erwerb einer eignen Gastwirtschaft sein sollte. Binnen Jahresfrist zählte die Genossenschaft mehrere hundert Mitglieder und verfügte über einen Vermögensbestand von mehr als 8000 Mark, der. abgesehen von wenigen größern Posten, zumeist mark- und pfennigweise zusammengebracht worden war. Wie der deutsche Arbeiter aber Geld für gemeinsame Veranstaltungen übrig hat, so wird er zumeist auch zu bewegen sein, von seinem Lohne kleine Er¬ sparnisse für sich und seine Familie zurückzulegen, wenn ihm das Sparen etwas erleichtert wird. Das wäre aber namentlich in Jndustriegegenden mit überwiegenden Gro߬ betrieben ohne allzuviel Mühe zu bewerkstelligen. Sparkassen und Arbeitgeber müßten sich zur Lösung der Aufgabe zusammentun. Jede Fabrik, jedes Berg¬ werk müßte eine Agentur der Sparkasse, eine Sammelstelle für Spareinlagen werden. Vor der jedesmaligen Lohnzahlung hätten die Arbeiter der Werk- Grenzboten I 1909 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/25>, abgerufen am 12.12.2024.