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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Auswärtige Anleihen in der russischen Bndgetgesetzgebung

führungen, soweit sie rein sachlich sind, bedienen. Schon im Herbst 1896 be¬
schwerte sich das Bankhaus Mendelssohn u. Co. in Berlin beim russischen Finanz-
minister darüber, daß es die ihm überwicsncn russischen Papiere nur mit größter
Schwierigkeit unterbringen könne, und riet von jeder neuen Finanzoperation
ab. Da aber der Finanzminister drängte, bot die Firma 94 Prozent bei vier
Prozent Zinsen mit der Andeutung, daß das Gelingen der Operation selbst
unter diesen Bedingungen nicht sichergestellt sei, vermutlich mit Rücksicht auf
den großen Eigenbedarf Deutschlands. Dabei stand damals die russische vier-
prozentige Staatsrente in piU'i. Das Angebot wurde nicht angenommen, da
aber Geld für Abschwächung der innern Wirtschaftskrisis und für Stciatsbe-
stellungcn an die junge Eisenindustrie nötig war, erhielten Mendelssohn u. Co.
den Auftrag, die Lage in London zu Sortieren. Das Ergebnis dieser Son¬
dierung war. daß sich das Haus Heinrich Schröder u. Co. zu London, unter
recht günstigen Bedingungen für sich, bereit erklärte, 4,6 Millionen vorzu¬
schießen. Die Geringfügigkeit der Summe bei einem Budget vou 1200 Mil¬
lionen Rubel zeigt, wie knapp damals das Geld in Rußland war, und wie die
Finanzleitung aus der Hand in den Mund lebte. Mit welcher Unverfrorenheit
aber eine unkontrollierbare Bureaukratie auftreten kann, geht aus der Tatsache
hervor, daß die kleine Anleihe noch dazu von einem lange nicht in Anspruch
genommenen Markt in einem Jmmediatbericht an den Zaren als Zeichen
des Vertrauens in die russische Finanzlage dargestellt wurde. Später
wurde der amerikanische Markt sondiert. Diese Aufgabe besorgten aber nicht
mehr Mendelssohn u. Co., sondern die Lebensversicherungsgesellschaft "New
Jork". Die Amerikaner stellten als Grundbedingung die Überweisung von
Aufträgen zu Schiffbauten. Der Finanzminister erbat sich infolgedessen einen
Kredit von 90000000 Rubel für Marinezwecke. Die Amerikaner bekamen die
erwünschten Auftrüge, die dann später mit russischen Wertpapieren bezahlt
wurden, und der Finanzminister erhielt von den Amerikanern Gold. Zu An¬
fang des Jahres 1901 verhandelte der Finanzminister mit den Gebrüdern
Rothschild in Paris wegen Übernahme einer konsolidierten Eisenbahnanleihe;
wozu sich die Firma auch bereit erklärte unter der Hauptbedingung, daß sich
die russische Regierung verpflichtete, im Laufe des Jahres 1901 und bis zum
1. Mürz 1902 keine neuen Anleihen auszugeben. Die Annahme dieser für
eine Großmacht beschämenden Bedingung begründet der Finanzminister in seinem
Budgetbericht für 1902 mit dem Umstände, daß Rußland das Geld durchaus
nicht nötig gehabt habe. Danach wurde also die Anleihe ohne dringendes
Bedürfnis aufgenommen, lediglich, weil gerade in Frankreich Geld frei war,
und weil ein Jahr später nicht mit Sicherheit auf freies Geld im Auslande
zu rechnen war. Aber das Budget wurde mit einem Jahr Zinsen nutzlos be¬
lastet. Geradezu lächerlich aber erscheint das Finanzgebaren, wenn man sich
erinnert, daß zu derselben Zeit, wo Rußland überall versuchte, Geld zu be¬
kommen, im September 1899, der Finanzminister der deutschen Reichsbank


Auswärtige Anleihen in der russischen Bndgetgesetzgebung

führungen, soweit sie rein sachlich sind, bedienen. Schon im Herbst 1896 be¬
schwerte sich das Bankhaus Mendelssohn u. Co. in Berlin beim russischen Finanz-
minister darüber, daß es die ihm überwicsncn russischen Papiere nur mit größter
Schwierigkeit unterbringen könne, und riet von jeder neuen Finanzoperation
ab. Da aber der Finanzminister drängte, bot die Firma 94 Prozent bei vier
Prozent Zinsen mit der Andeutung, daß das Gelingen der Operation selbst
unter diesen Bedingungen nicht sichergestellt sei, vermutlich mit Rücksicht auf
den großen Eigenbedarf Deutschlands. Dabei stand damals die russische vier-
prozentige Staatsrente in piU'i. Das Angebot wurde nicht angenommen, da
aber Geld für Abschwächung der innern Wirtschaftskrisis und für Stciatsbe-
stellungcn an die junge Eisenindustrie nötig war, erhielten Mendelssohn u. Co.
den Auftrag, die Lage in London zu Sortieren. Das Ergebnis dieser Son¬
dierung war. daß sich das Haus Heinrich Schröder u. Co. zu London, unter
recht günstigen Bedingungen für sich, bereit erklärte, 4,6 Millionen vorzu¬
schießen. Die Geringfügigkeit der Summe bei einem Budget vou 1200 Mil¬
lionen Rubel zeigt, wie knapp damals das Geld in Rußland war, und wie die
Finanzleitung aus der Hand in den Mund lebte. Mit welcher Unverfrorenheit
aber eine unkontrollierbare Bureaukratie auftreten kann, geht aus der Tatsache
hervor, daß die kleine Anleihe noch dazu von einem lange nicht in Anspruch
genommenen Markt in einem Jmmediatbericht an den Zaren als Zeichen
des Vertrauens in die russische Finanzlage dargestellt wurde. Später
wurde der amerikanische Markt sondiert. Diese Aufgabe besorgten aber nicht
mehr Mendelssohn u. Co., sondern die Lebensversicherungsgesellschaft „New
Jork". Die Amerikaner stellten als Grundbedingung die Überweisung von
Aufträgen zu Schiffbauten. Der Finanzminister erbat sich infolgedessen einen
Kredit von 90000000 Rubel für Marinezwecke. Die Amerikaner bekamen die
erwünschten Auftrüge, die dann später mit russischen Wertpapieren bezahlt
wurden, und der Finanzminister erhielt von den Amerikanern Gold. Zu An¬
fang des Jahres 1901 verhandelte der Finanzminister mit den Gebrüdern
Rothschild in Paris wegen Übernahme einer konsolidierten Eisenbahnanleihe;
wozu sich die Firma auch bereit erklärte unter der Hauptbedingung, daß sich
die russische Regierung verpflichtete, im Laufe des Jahres 1901 und bis zum
1. Mürz 1902 keine neuen Anleihen auszugeben. Die Annahme dieser für
eine Großmacht beschämenden Bedingung begründet der Finanzminister in seinem
Budgetbericht für 1902 mit dem Umstände, daß Rußland das Geld durchaus
nicht nötig gehabt habe. Danach wurde also die Anleihe ohne dringendes
Bedürfnis aufgenommen, lediglich, weil gerade in Frankreich Geld frei war,
und weil ein Jahr später nicht mit Sicherheit auf freies Geld im Auslande
zu rechnen war. Aber das Budget wurde mit einem Jahr Zinsen nutzlos be¬
lastet. Geradezu lächerlich aber erscheint das Finanzgebaren, wenn man sich
erinnert, daß zu derselben Zeit, wo Rußland überall versuchte, Geld zu be¬
kommen, im September 1899, der Finanzminister der deutschen Reichsbank


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[0241] Auswärtige Anleihen in der russischen Bndgetgesetzgebung führungen, soweit sie rein sachlich sind, bedienen. Schon im Herbst 1896 be¬ schwerte sich das Bankhaus Mendelssohn u. Co. in Berlin beim russischen Finanz- minister darüber, daß es die ihm überwicsncn russischen Papiere nur mit größter Schwierigkeit unterbringen könne, und riet von jeder neuen Finanzoperation ab. Da aber der Finanzminister drängte, bot die Firma 94 Prozent bei vier Prozent Zinsen mit der Andeutung, daß das Gelingen der Operation selbst unter diesen Bedingungen nicht sichergestellt sei, vermutlich mit Rücksicht auf den großen Eigenbedarf Deutschlands. Dabei stand damals die russische vier- prozentige Staatsrente in piU'i. Das Angebot wurde nicht angenommen, da aber Geld für Abschwächung der innern Wirtschaftskrisis und für Stciatsbe- stellungcn an die junge Eisenindustrie nötig war, erhielten Mendelssohn u. Co. den Auftrag, die Lage in London zu Sortieren. Das Ergebnis dieser Son¬ dierung war. daß sich das Haus Heinrich Schröder u. Co. zu London, unter recht günstigen Bedingungen für sich, bereit erklärte, 4,6 Millionen vorzu¬ schießen. Die Geringfügigkeit der Summe bei einem Budget vou 1200 Mil¬ lionen Rubel zeigt, wie knapp damals das Geld in Rußland war, und wie die Finanzleitung aus der Hand in den Mund lebte. Mit welcher Unverfrorenheit aber eine unkontrollierbare Bureaukratie auftreten kann, geht aus der Tatsache hervor, daß die kleine Anleihe noch dazu von einem lange nicht in Anspruch genommenen Markt in einem Jmmediatbericht an den Zaren als Zeichen des Vertrauens in die russische Finanzlage dargestellt wurde. Später wurde der amerikanische Markt sondiert. Diese Aufgabe besorgten aber nicht mehr Mendelssohn u. Co., sondern die Lebensversicherungsgesellschaft „New Jork". Die Amerikaner stellten als Grundbedingung die Überweisung von Aufträgen zu Schiffbauten. Der Finanzminister erbat sich infolgedessen einen Kredit von 90000000 Rubel für Marinezwecke. Die Amerikaner bekamen die erwünschten Auftrüge, die dann später mit russischen Wertpapieren bezahlt wurden, und der Finanzminister erhielt von den Amerikanern Gold. Zu An¬ fang des Jahres 1901 verhandelte der Finanzminister mit den Gebrüdern Rothschild in Paris wegen Übernahme einer konsolidierten Eisenbahnanleihe; wozu sich die Firma auch bereit erklärte unter der Hauptbedingung, daß sich die russische Regierung verpflichtete, im Laufe des Jahres 1901 und bis zum 1. Mürz 1902 keine neuen Anleihen auszugeben. Die Annahme dieser für eine Großmacht beschämenden Bedingung begründet der Finanzminister in seinem Budgetbericht für 1902 mit dem Umstände, daß Rußland das Geld durchaus nicht nötig gehabt habe. Danach wurde also die Anleihe ohne dringendes Bedürfnis aufgenommen, lediglich, weil gerade in Frankreich Geld frei war, und weil ein Jahr später nicht mit Sicherheit auf freies Geld im Auslande zu rechnen war. Aber das Budget wurde mit einem Jahr Zinsen nutzlos be¬ lastet. Geradezu lächerlich aber erscheint das Finanzgebaren, wenn man sich erinnert, daß zu derselben Zeit, wo Rußland überall versuchte, Geld zu be¬ kommen, im September 1899, der Finanzminister der deutschen Reichsbank

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/241>, abgerufen am 23.07.2024.