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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Auswärtige Anleihen in der russischen Budgetgesetzgebung

deckenden budgetmäßigen Ausgaben besonders hervorheben will. Denn alle
weitern Phasen der Anleihebegebung liegen in der Finanzkommission des
Finanzministeriums, und es gibt keine "Reichsschuldenkvmmission", der. wie in
Deutschland, Parlamentarier angehören, die dauernd den Weg der Anleihe¬
verhandlungen überwachen könnte. Außerdem sagt noch Artikel 9, daß bei der
Beratung eines Budgetvoranschlags solche Einnahmen und Ausgaben nicht
abgelehnt oder abgeändert werden können, die auf Grund bestehender Gesetze
aufgenommen sind. Da aber die Anleihen auf besondern Gesetzen beruhen,
der Abschluß der Anleihen aber ausschließlich der Kompetenz der Finanz¬
kommission unterliegt, erscheint es nach Meinung der Regierung überflüssig,
über die zum Abschluß der Anleihe führenden Bedingungen mit den Volks¬
vertretern noch nachträglich zu diskutieren. Darum lehnt der Finanzminister
es auch ab, Auskunft zu erteilen. Die Lage ist in Nußland noch dadurch
wesentlich verdunkelt, als die meisten russischen Anleihen im Auslande aufge¬
nommen werden müssen. Der ausländische Bankier hat aber begreiflicherweise
nur das Interesse, bei der Übernahme einer Anleihe zu verdienen. Er braucht
auf die Interessen der auswärtigen Macht nur insofern Rücksicht zu nehmen,
als sie sich mit den eignen decken. Eine Konkurrenz hat er nur zu befürchten,
wenn politische Fragen mit in die Anlcihcverhandlungen hineinspielen. Die
öffentliche Meinung des fremden Volks berührt ihn nicht, und die seiner Heimat
hat er gewöhnlich mit der Hilfe der Presse so eingerichtet, wie er sie braucht.

Welche Bedeutung unter solchen Verhältnissen der Mangel einer Kontrolle
durch die Volksvertreter für die Beurteilung der russischen Finanzen hat, soll
gleich gezeigt werden. Bei einem Budget von 2471684870 Rubel hat Ru߬
land am 1. Januar 1907 eine Staatsschuld von 8594 Millionen, auf die es laut
Budgetentwurf 380724000 Rubel (Zinsen 357,8 Millionen und Amortisation
21,7 Millionen) zu zahlen hat.*) Da nun aber mehr als die Hälfte der
russischen Staatsschuld im Auslande untergebracht ist, ist es wohl gerade für
die ausländischen Sparer von hohem Interesse, einmal unverblümte Ansichten
zu hören, die große ausländische Bankiers über die Kreditfähigkeit Rußlands,
das heißt über die Kreditfähigkeit der unkontrollierten Bureaukratie, haben.
Im Jahre 1907 ist in Petersburg eine sehr interessante Schrift erschienen,**)
die den Zweck hatte, nachzuweisen, an dem Mißtrauen der ausländischen Geld¬
geber Rußland gegenüber sei Graf Witte schuld. Der frühere Handelsminister
Feodorow glaubt in dem geistigen Urheber der Schrift den im letzten Herbst
jn Magdeburg gestorbnen Neichskontrolleur von Schwanebach zu erkennen,
bezeichnet aber die in der Schrift angeführten Tatsachen unter Hinweis auf seine
eigne amtliche Tätigkeit als richtig. Infolgedessen wollen wir uns der Ans-




*) Am 1. Januar I90S beträgt die Schuld etwa 8860 Millionen, wohlbcmerkt ohne die
garantierten Eijcnbahnobligationen. ° -'
**i'S. I. Witte und das Fallen des russischen. Kredits, bei Al.Arabidse, Se. Petersburg.
Auswärtige Anleihen in der russischen Budgetgesetzgebung

deckenden budgetmäßigen Ausgaben besonders hervorheben will. Denn alle
weitern Phasen der Anleihebegebung liegen in der Finanzkommission des
Finanzministeriums, und es gibt keine „Reichsschuldenkvmmission", der. wie in
Deutschland, Parlamentarier angehören, die dauernd den Weg der Anleihe¬
verhandlungen überwachen könnte. Außerdem sagt noch Artikel 9, daß bei der
Beratung eines Budgetvoranschlags solche Einnahmen und Ausgaben nicht
abgelehnt oder abgeändert werden können, die auf Grund bestehender Gesetze
aufgenommen sind. Da aber die Anleihen auf besondern Gesetzen beruhen,
der Abschluß der Anleihen aber ausschließlich der Kompetenz der Finanz¬
kommission unterliegt, erscheint es nach Meinung der Regierung überflüssig,
über die zum Abschluß der Anleihe führenden Bedingungen mit den Volks¬
vertretern noch nachträglich zu diskutieren. Darum lehnt der Finanzminister
es auch ab, Auskunft zu erteilen. Die Lage ist in Nußland noch dadurch
wesentlich verdunkelt, als die meisten russischen Anleihen im Auslande aufge¬
nommen werden müssen. Der ausländische Bankier hat aber begreiflicherweise
nur das Interesse, bei der Übernahme einer Anleihe zu verdienen. Er braucht
auf die Interessen der auswärtigen Macht nur insofern Rücksicht zu nehmen,
als sie sich mit den eignen decken. Eine Konkurrenz hat er nur zu befürchten,
wenn politische Fragen mit in die Anlcihcverhandlungen hineinspielen. Die
öffentliche Meinung des fremden Volks berührt ihn nicht, und die seiner Heimat
hat er gewöhnlich mit der Hilfe der Presse so eingerichtet, wie er sie braucht.

Welche Bedeutung unter solchen Verhältnissen der Mangel einer Kontrolle
durch die Volksvertreter für die Beurteilung der russischen Finanzen hat, soll
gleich gezeigt werden. Bei einem Budget von 2471684870 Rubel hat Ru߬
land am 1. Januar 1907 eine Staatsschuld von 8594 Millionen, auf die es laut
Budgetentwurf 380724000 Rubel (Zinsen 357,8 Millionen und Amortisation
21,7 Millionen) zu zahlen hat.*) Da nun aber mehr als die Hälfte der
russischen Staatsschuld im Auslande untergebracht ist, ist es wohl gerade für
die ausländischen Sparer von hohem Interesse, einmal unverblümte Ansichten
zu hören, die große ausländische Bankiers über die Kreditfähigkeit Rußlands,
das heißt über die Kreditfähigkeit der unkontrollierten Bureaukratie, haben.
Im Jahre 1907 ist in Petersburg eine sehr interessante Schrift erschienen,**)
die den Zweck hatte, nachzuweisen, an dem Mißtrauen der ausländischen Geld¬
geber Rußland gegenüber sei Graf Witte schuld. Der frühere Handelsminister
Feodorow glaubt in dem geistigen Urheber der Schrift den im letzten Herbst
jn Magdeburg gestorbnen Neichskontrolleur von Schwanebach zu erkennen,
bezeichnet aber die in der Schrift angeführten Tatsachen unter Hinweis auf seine
eigne amtliche Tätigkeit als richtig. Infolgedessen wollen wir uns der Ans-




*) Am 1. Januar I90S beträgt die Schuld etwa 8860 Millionen, wohlbcmerkt ohne die
garantierten Eijcnbahnobligationen. ° -'
**i'S. I. Witte und das Fallen des russischen. Kredits, bei Al.Arabidse, Se. Petersburg.
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[0240] Auswärtige Anleihen in der russischen Budgetgesetzgebung deckenden budgetmäßigen Ausgaben besonders hervorheben will. Denn alle weitern Phasen der Anleihebegebung liegen in der Finanzkommission des Finanzministeriums, und es gibt keine „Reichsschuldenkvmmission", der. wie in Deutschland, Parlamentarier angehören, die dauernd den Weg der Anleihe¬ verhandlungen überwachen könnte. Außerdem sagt noch Artikel 9, daß bei der Beratung eines Budgetvoranschlags solche Einnahmen und Ausgaben nicht abgelehnt oder abgeändert werden können, die auf Grund bestehender Gesetze aufgenommen sind. Da aber die Anleihen auf besondern Gesetzen beruhen, der Abschluß der Anleihen aber ausschließlich der Kompetenz der Finanz¬ kommission unterliegt, erscheint es nach Meinung der Regierung überflüssig, über die zum Abschluß der Anleihe führenden Bedingungen mit den Volks¬ vertretern noch nachträglich zu diskutieren. Darum lehnt der Finanzminister es auch ab, Auskunft zu erteilen. Die Lage ist in Nußland noch dadurch wesentlich verdunkelt, als die meisten russischen Anleihen im Auslande aufge¬ nommen werden müssen. Der ausländische Bankier hat aber begreiflicherweise nur das Interesse, bei der Übernahme einer Anleihe zu verdienen. Er braucht auf die Interessen der auswärtigen Macht nur insofern Rücksicht zu nehmen, als sie sich mit den eignen decken. Eine Konkurrenz hat er nur zu befürchten, wenn politische Fragen mit in die Anlcihcverhandlungen hineinspielen. Die öffentliche Meinung des fremden Volks berührt ihn nicht, und die seiner Heimat hat er gewöhnlich mit der Hilfe der Presse so eingerichtet, wie er sie braucht. Welche Bedeutung unter solchen Verhältnissen der Mangel einer Kontrolle durch die Volksvertreter für die Beurteilung der russischen Finanzen hat, soll gleich gezeigt werden. Bei einem Budget von 2471684870 Rubel hat Ru߬ land am 1. Januar 1907 eine Staatsschuld von 8594 Millionen, auf die es laut Budgetentwurf 380724000 Rubel (Zinsen 357,8 Millionen und Amortisation 21,7 Millionen) zu zahlen hat.*) Da nun aber mehr als die Hälfte der russischen Staatsschuld im Auslande untergebracht ist, ist es wohl gerade für die ausländischen Sparer von hohem Interesse, einmal unverblümte Ansichten zu hören, die große ausländische Bankiers über die Kreditfähigkeit Rußlands, das heißt über die Kreditfähigkeit der unkontrollierten Bureaukratie, haben. Im Jahre 1907 ist in Petersburg eine sehr interessante Schrift erschienen,**) die den Zweck hatte, nachzuweisen, an dem Mißtrauen der ausländischen Geld¬ geber Rußland gegenüber sei Graf Witte schuld. Der frühere Handelsminister Feodorow glaubt in dem geistigen Urheber der Schrift den im letzten Herbst jn Magdeburg gestorbnen Neichskontrolleur von Schwanebach zu erkennen, bezeichnet aber die in der Schrift angeführten Tatsachen unter Hinweis auf seine eigne amtliche Tätigkeit als richtig. Infolgedessen wollen wir uns der Ans- *) Am 1. Januar I90S beträgt die Schuld etwa 8860 Millionen, wohlbcmerkt ohne die garantierten Eijcnbahnobligationen. ° -' **i'S. I. Witte und das Fallen des russischen. Kredits, bei Al.Arabidse, Se. Petersburg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/240>, abgerufen am 23.07.2024.