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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Regungen, die Kopf und Herz der Menschheit in Bewegung setzen, verfolgt
und sie seinem Volke nutzbar zu machen sucht. So sieht man ihn auch im
gesamten Auslande an, wo man ganz einig darüber ist, daß man in ihm eine
der eigenartigsten und tatkräftigsten Persönlichkeiten vor sich hat. Man hat
jahrelang nicht begreifen können, warum eine so energische Natur mit dem
besten Heere hinter sich nicht sofort einen großen Krieg anfangen wollte. Das
Ware aber ein Verstoß gegen die deutsche Hohenzollerntradition gewesen, nach
der die Energie des Fürsten in dem unausgesetzten toujours en vsäetts ihre
Befriedigung sucht und den Krieg, der dann sicher mit Erfolg geführt werden
kann, nur als Unterbrechung dieser steten Bereitschaft ansieht. Im übrigen
ist draußen Kaiser Wilhelm wegen seiner Eigenart eine volkstümliche Persön¬
lichkeit, für die Briten ist er elf Kaiser, und die Franzosen nennen ihn, weniger
in der Presse als unter sich, schlechthin Ouillauius, und zwar ohne den sonst
üblichen Deutschenhaß. Mußte doch im Mai 1898 die Pariser Zeitung
I^s ^cmrual ihre Leser versichern, daß der soeben von der Akademie zum Mit¬
gliede ernannte, sonst aber der Menge ziemlich unbekannte Bildhauer Guillaume
nicht der deutsche Kaiser sei. Wer im Auslande gewesen ist, der weiß,
welche Achtung vor dem Kaiser Wilhelm bei den Angehörigen aller andern
Nationen herrscht, die Deutschen im Auslande hängen mit herzlicher An¬
hänglichkeit und Bewunderung an ihm. Aus der Ferne erscheint eben seine
Persönlichkeit von allem Nebensächlichen befreit und darum seine Umgebung
überragender als in unserm überreich mit Kritikern und Tadlern bedachten
Vaterlande.

Wir brauchen hier nicht zu verschweigen, daß Kaiser Wilhelm reichlich
Anlaß zur Kritik geboten hat. In den Anforderungen, die er an seine eigne
Arbeitskraft als "erster Diener des Staats" stellt, in der gewissenhaftesten
Erfüllung der ihm nach der Familientradition von der Vorsehung über¬
tragnen Regentenpflichten, als Oberhaupt des Kaiserhauses ist er ein ganzer
Mann und von außergewöhnlicher Willenskraft. Darüber ist alle Welt
einig, aber es ist ihm auch eine große Rednergabe verliehen worden, von
der er oft Gebrauch machte und damit von vornherein zu einer übel¬
wollenden Kritik Anlaß gab, die sich von Jahr zu Jahr gesteigert und zu¬
letzt Formen angenommen hat, die jedes anstündige Maß überschritten. Es
war ja schon Gebrauch geworden, überhaupt den Kaiser zu tadeln, gleich¬
viel, was er tat oder nicht tat. Dem Kaiser ist die Erfahrung nicht er¬
spart geblieben, daß aus den wundervollen Fähigkeiten der Tatkraft und
der Beredsamkeit Seelenkümpfe erwachsen, die den am reichsten begabten
am empfindlichsten treffen. Seine Einsicht ist in dem hochherzigen Ent¬
schlüsse zum Ausdruck gekommen, dem obersten politischen Grundsatz nachzu¬
leben: mit den Verhältnissen zu rechnen; und zwar nicht einem parlamen¬
tarischen Theorem zuliebe, sondern aus Regentenpflichtgefühl. Die kleinen


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Regungen, die Kopf und Herz der Menschheit in Bewegung setzen, verfolgt
und sie seinem Volke nutzbar zu machen sucht. So sieht man ihn auch im
gesamten Auslande an, wo man ganz einig darüber ist, daß man in ihm eine
der eigenartigsten und tatkräftigsten Persönlichkeiten vor sich hat. Man hat
jahrelang nicht begreifen können, warum eine so energische Natur mit dem
besten Heere hinter sich nicht sofort einen großen Krieg anfangen wollte. Das
Ware aber ein Verstoß gegen die deutsche Hohenzollerntradition gewesen, nach
der die Energie des Fürsten in dem unausgesetzten toujours en vsäetts ihre
Befriedigung sucht und den Krieg, der dann sicher mit Erfolg geführt werden
kann, nur als Unterbrechung dieser steten Bereitschaft ansieht. Im übrigen
ist draußen Kaiser Wilhelm wegen seiner Eigenart eine volkstümliche Persön¬
lichkeit, für die Briten ist er elf Kaiser, und die Franzosen nennen ihn, weniger
in der Presse als unter sich, schlechthin Ouillauius, und zwar ohne den sonst
üblichen Deutschenhaß. Mußte doch im Mai 1898 die Pariser Zeitung
I^s ^cmrual ihre Leser versichern, daß der soeben von der Akademie zum Mit¬
gliede ernannte, sonst aber der Menge ziemlich unbekannte Bildhauer Guillaume
nicht der deutsche Kaiser sei. Wer im Auslande gewesen ist, der weiß,
welche Achtung vor dem Kaiser Wilhelm bei den Angehörigen aller andern
Nationen herrscht, die Deutschen im Auslande hängen mit herzlicher An¬
hänglichkeit und Bewunderung an ihm. Aus der Ferne erscheint eben seine
Persönlichkeit von allem Nebensächlichen befreit und darum seine Umgebung
überragender als in unserm überreich mit Kritikern und Tadlern bedachten
Vaterlande.

Wir brauchen hier nicht zu verschweigen, daß Kaiser Wilhelm reichlich
Anlaß zur Kritik geboten hat. In den Anforderungen, die er an seine eigne
Arbeitskraft als „erster Diener des Staats" stellt, in der gewissenhaftesten
Erfüllung der ihm nach der Familientradition von der Vorsehung über¬
tragnen Regentenpflichten, als Oberhaupt des Kaiserhauses ist er ein ganzer
Mann und von außergewöhnlicher Willenskraft. Darüber ist alle Welt
einig, aber es ist ihm auch eine große Rednergabe verliehen worden, von
der er oft Gebrauch machte und damit von vornherein zu einer übel¬
wollenden Kritik Anlaß gab, die sich von Jahr zu Jahr gesteigert und zu¬
letzt Formen angenommen hat, die jedes anstündige Maß überschritten. Es
war ja schon Gebrauch geworden, überhaupt den Kaiser zu tadeln, gleich¬
viel, was er tat oder nicht tat. Dem Kaiser ist die Erfahrung nicht er¬
spart geblieben, daß aus den wundervollen Fähigkeiten der Tatkraft und
der Beredsamkeit Seelenkümpfe erwachsen, die den am reichsten begabten
am empfindlichsten treffen. Seine Einsicht ist in dem hochherzigen Ent¬
schlüsse zum Ausdruck gekommen, dem obersten politischen Grundsatz nachzu¬
leben: mit den Verhältnissen zu rechnen; und zwar nicht einem parlamen¬
tarischen Theorem zuliebe, sondern aus Regentenpflichtgefühl. Die kleinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/228>, abgerufen am 12.12.2024.