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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Sem Kaiser

zu tragen. Er setzte seinen entschlußfrohen Willen, seine außerordentliche
Arbeitskraft hinter diese Aufgaben, belebte den immer neben der alten Kaiser¬
idee im deutschen Volke schlummernden Gedanken der Seegeltung, über¬
wand den Beharrungszustand der Neichstagsparteien und sicherte den Bestand
des wirtschaftlichen Getriebes durch ein Netz von Handelsverträgen und die
Gründung der Hochseeflotte. Freudige Zustimmung in den weitesten Volks¬
kreisen begleitete ihn auf diesen Wegen, und die jubelnden Begrüßungen in
unsern großen Seestädten, wo man dafür das tiefste Verständnis hat, be¬
weisen alljährlich, welchen Wert man dem persönlichen Einfluß des Monarchen
dabei beimißt. Sein Ausspruch: "Unsre Zukunft liegt auf dem Wasser" hat
unserm innerpolitischen Volksleben, das unter dem Parteitreiben zu ver¬
sumpfen drohte, einen neuen idealen Inhalt verliehen, der wieder einen be¬
lebenden Einfluß auf das Parteiwesen ausgeübt hat, sodaß sich daran schon
Hoffnungen auf dessen völlige Gesundung heften.

Macaulay sagt in seinen Reden: "Wir zollen unsern Ahnen eine schick¬
liche, vernünftige, männliche Ehrfurcht nicht durch ein abergläubisches Fest¬
halten an dem, was sie unter andern Umstünden getan haben, sondern dadurch,
daß wir tun, was sie in unsrer Lage getan haben würden." Das klingt, als
wäre es auf unsre unentwegter Lobredner der Zeiten Kaiser Wilhelms des
Ersten und Bismarcks gemünzt. Kaiser Wilhelm der Zweite hat von seinem
Großvater nie anders als mit der tiefsten Ehrfurcht gesprochen -- er selbst
nennt ihn ja Wilhelm den Großen -- und hat zu jeder Zeit dem Andenken
Bismarcks, trotz allem, was zwischen ihnen lag, die größte Verehrung et-
wiesen. Er hat ihm ja auch Jahre hindurch näher gestanden als so viele,
die sich heute für die geistigen Erben des Altreichskanzlers ausgeben Möchten.
Aber als die Trennung erfolgt war, und die Verantwortung allein auf seinen
Schultern ruhte, erkannte er sofort, wo die dauernden Elemente der Staats-
kunst Bismarcks lagen, und wo die Gewalt der Verhältnisse, wo die lebens¬
volle Entwicklung der Volkskraft den Rahmen zu erweitern strebten, den Bis-
marck seiner Politik zog und unter den ihm gegebnen Verhältnissen ziehen
mußte. Dieser Erkenntnis entsprang der Übergang von der Weltteilspolitik
zur Weltpolitik, die nicht etwaiger Herrschereitelkeit ihren Ursprung verdankte,
sondern von der frischquellenden Triebkraft der wirtschaftlichen Entwicklung
dringend gefordert wurde. Die mechanischen Nachbeter des Fürsten Bismarck
werden darum immer zu Fehlschlüssen geführt werden, weil sie diese not¬
wendige Entwicklung der Grundlagen der Bismarckischen Politik für einen
Gegensatz zu ihr ansehen.

Vor solcher einseitigett Nachahmung bewahrten den Kaiser seine vielseitige
Begabung ebensosehr wie die Möglichkeit des Weitblicks, den ihm seine
Stellung vergönnt. Er ist eben ein moderner Mensch, der mit erstaunlicher
Vielseitigkeit und Beweglichkeit der geistigen und gemütlichen Interessen alle


Sem Kaiser

zu tragen. Er setzte seinen entschlußfrohen Willen, seine außerordentliche
Arbeitskraft hinter diese Aufgaben, belebte den immer neben der alten Kaiser¬
idee im deutschen Volke schlummernden Gedanken der Seegeltung, über¬
wand den Beharrungszustand der Neichstagsparteien und sicherte den Bestand
des wirtschaftlichen Getriebes durch ein Netz von Handelsverträgen und die
Gründung der Hochseeflotte. Freudige Zustimmung in den weitesten Volks¬
kreisen begleitete ihn auf diesen Wegen, und die jubelnden Begrüßungen in
unsern großen Seestädten, wo man dafür das tiefste Verständnis hat, be¬
weisen alljährlich, welchen Wert man dem persönlichen Einfluß des Monarchen
dabei beimißt. Sein Ausspruch: „Unsre Zukunft liegt auf dem Wasser" hat
unserm innerpolitischen Volksleben, das unter dem Parteitreiben zu ver¬
sumpfen drohte, einen neuen idealen Inhalt verliehen, der wieder einen be¬
lebenden Einfluß auf das Parteiwesen ausgeübt hat, sodaß sich daran schon
Hoffnungen auf dessen völlige Gesundung heften.

Macaulay sagt in seinen Reden: „Wir zollen unsern Ahnen eine schick¬
liche, vernünftige, männliche Ehrfurcht nicht durch ein abergläubisches Fest¬
halten an dem, was sie unter andern Umstünden getan haben, sondern dadurch,
daß wir tun, was sie in unsrer Lage getan haben würden." Das klingt, als
wäre es auf unsre unentwegter Lobredner der Zeiten Kaiser Wilhelms des
Ersten und Bismarcks gemünzt. Kaiser Wilhelm der Zweite hat von seinem
Großvater nie anders als mit der tiefsten Ehrfurcht gesprochen — er selbst
nennt ihn ja Wilhelm den Großen — und hat zu jeder Zeit dem Andenken
Bismarcks, trotz allem, was zwischen ihnen lag, die größte Verehrung et-
wiesen. Er hat ihm ja auch Jahre hindurch näher gestanden als so viele,
die sich heute für die geistigen Erben des Altreichskanzlers ausgeben Möchten.
Aber als die Trennung erfolgt war, und die Verantwortung allein auf seinen
Schultern ruhte, erkannte er sofort, wo die dauernden Elemente der Staats-
kunst Bismarcks lagen, und wo die Gewalt der Verhältnisse, wo die lebens¬
volle Entwicklung der Volkskraft den Rahmen zu erweitern strebten, den Bis-
marck seiner Politik zog und unter den ihm gegebnen Verhältnissen ziehen
mußte. Dieser Erkenntnis entsprang der Übergang von der Weltteilspolitik
zur Weltpolitik, die nicht etwaiger Herrschereitelkeit ihren Ursprung verdankte,
sondern von der frischquellenden Triebkraft der wirtschaftlichen Entwicklung
dringend gefordert wurde. Die mechanischen Nachbeter des Fürsten Bismarck
werden darum immer zu Fehlschlüssen geführt werden, weil sie diese not¬
wendige Entwicklung der Grundlagen der Bismarckischen Politik für einen
Gegensatz zu ihr ansehen.

Vor solcher einseitigett Nachahmung bewahrten den Kaiser seine vielseitige
Begabung ebensosehr wie die Möglichkeit des Weitblicks, den ihm seine
Stellung vergönnt. Er ist eben ein moderner Mensch, der mit erstaunlicher
Vielseitigkeit und Beweglichkeit der geistigen und gemütlichen Interessen alle


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[0227] Sem Kaiser zu tragen. Er setzte seinen entschlußfrohen Willen, seine außerordentliche Arbeitskraft hinter diese Aufgaben, belebte den immer neben der alten Kaiser¬ idee im deutschen Volke schlummernden Gedanken der Seegeltung, über¬ wand den Beharrungszustand der Neichstagsparteien und sicherte den Bestand des wirtschaftlichen Getriebes durch ein Netz von Handelsverträgen und die Gründung der Hochseeflotte. Freudige Zustimmung in den weitesten Volks¬ kreisen begleitete ihn auf diesen Wegen, und die jubelnden Begrüßungen in unsern großen Seestädten, wo man dafür das tiefste Verständnis hat, be¬ weisen alljährlich, welchen Wert man dem persönlichen Einfluß des Monarchen dabei beimißt. Sein Ausspruch: „Unsre Zukunft liegt auf dem Wasser" hat unserm innerpolitischen Volksleben, das unter dem Parteitreiben zu ver¬ sumpfen drohte, einen neuen idealen Inhalt verliehen, der wieder einen be¬ lebenden Einfluß auf das Parteiwesen ausgeübt hat, sodaß sich daran schon Hoffnungen auf dessen völlige Gesundung heften. Macaulay sagt in seinen Reden: „Wir zollen unsern Ahnen eine schick¬ liche, vernünftige, männliche Ehrfurcht nicht durch ein abergläubisches Fest¬ halten an dem, was sie unter andern Umstünden getan haben, sondern dadurch, daß wir tun, was sie in unsrer Lage getan haben würden." Das klingt, als wäre es auf unsre unentwegter Lobredner der Zeiten Kaiser Wilhelms des Ersten und Bismarcks gemünzt. Kaiser Wilhelm der Zweite hat von seinem Großvater nie anders als mit der tiefsten Ehrfurcht gesprochen — er selbst nennt ihn ja Wilhelm den Großen — und hat zu jeder Zeit dem Andenken Bismarcks, trotz allem, was zwischen ihnen lag, die größte Verehrung et- wiesen. Er hat ihm ja auch Jahre hindurch näher gestanden als so viele, die sich heute für die geistigen Erben des Altreichskanzlers ausgeben Möchten. Aber als die Trennung erfolgt war, und die Verantwortung allein auf seinen Schultern ruhte, erkannte er sofort, wo die dauernden Elemente der Staats- kunst Bismarcks lagen, und wo die Gewalt der Verhältnisse, wo die lebens¬ volle Entwicklung der Volkskraft den Rahmen zu erweitern strebten, den Bis- marck seiner Politik zog und unter den ihm gegebnen Verhältnissen ziehen mußte. Dieser Erkenntnis entsprang der Übergang von der Weltteilspolitik zur Weltpolitik, die nicht etwaiger Herrschereitelkeit ihren Ursprung verdankte, sondern von der frischquellenden Triebkraft der wirtschaftlichen Entwicklung dringend gefordert wurde. Die mechanischen Nachbeter des Fürsten Bismarck werden darum immer zu Fehlschlüssen geführt werden, weil sie diese not¬ wendige Entwicklung der Grundlagen der Bismarckischen Politik für einen Gegensatz zu ihr ansehen. Vor solcher einseitigett Nachahmung bewahrten den Kaiser seine vielseitige Begabung ebensosehr wie die Möglichkeit des Weitblicks, den ihm seine Stellung vergönnt. Er ist eben ein moderner Mensch, der mit erstaunlicher Vielseitigkeit und Beweglichkeit der geistigen und gemütlichen Interessen alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/227>, abgerufen am 03.07.2024.