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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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ver parnassus in Neusiedel

Auch der Herr Major c>. D. Kuhblcmk war da. Eben hatte er den Herrn
Assessor a. D. Markhof getroffen. -- Diese kleine Mucki. sagte er, wie finden Sie
die. Assessor?

Famoser Käfer, erwiderte der Assessor. Wissen Sie -- albisches Wesen. Wo
wohnt sie denn?

Nichts für Sie. Assessor, sagte der Major. Hat schon ihren Heinrich.

Nanu?

Den Holm, den Dramaturgen.

Holm?

Na ja, den Kerl im Frack, der für den Applaus quittierte. studiert Rollen
mit ihr ein. Verfluchter Kerl! Nicht?

Hier war auch Frau von Seidelbast und ihr Hofstaat. Frau von Seidelbast
hatte den Prolog mit zerstreuter Aufmerksamkeit angehört. Was waren ihr die
Menschen dort auf der Bühne, die wie Menschen redeten. Für sie fing die Kunst
erst da an, wo dürftig bekleidete Urmenschen unter Begleitung eines unsichtbaren
und erregten Orchesters ekstatische Töne ausstießen. Aber die geteilte Gardine
interessierte sie und das versenkte Orchester. Zwar bewegte sich diese Gardine nicht
so feierlich wie in Bayreuth, aber es war immerhin möglich, sich hinter ihr eine
Wagnersche Szene, Wagnersche Helden und Wagnersche Leitmotive vorzustellen.

Man pflegt bei Theatereröffnungen vor der Klassizität einen Knicks zu machen,
und nachdem man sich mit ihr abgefunden hat, zu der modernen und kasfa-
füllenden Kunst überzugehn. So tat man auch hier. Man spielte zur Eröffnung
Minna von Barnhelm. Man suchte sich in die Feinfühligkeiten dieser diffiziler
Menschen zurückzuversetzen, man pries die unvergänglichen Verdienste Lessings und
begab sich dann, um die Katharsis mit Spatenbräu feucht zu erhalten, in das
Theatereafe.

Am andern Tage stand der übliche Bericht unter dem Kopfe: Kunst und
Wissenschaft im Tageblatte. Es war ein Getön begeisterter Worte, durch die alles
und jedes gelobt wurde. Der Theaterreferent, Herr Hesselbach, ein alter pensio¬
nierter und etwas schwerhöriger Rektor, erfreute sich eines guten Leumunds bei
allen Direktionen, die in Neusiedel munter, da er den erfreulichen Grundsatz hatte,
die gute Sache durch gute Rezensionen zu unterstützen. Dieser Herr Hesselbach
bekam jetzt gute Zeit. Denn was der neue Direktor im neuen Theater bot, war
gar nicht schlecht. Es waren nicht gerade Meisterleistungen, es war aber ein ganz
respektables Mittelgut, nicht die Höhepunkte der dramatischen Kunst, nicht die extra¬
vagantesten Neuheiten, aber eine nicht ungeschickte Auswahl des Brauchbaren aus
der Masse dessen, was der Tag brachte. Das Publikum, das abonniere hatte, besuchte
fleißig das Theater, befand sich wohl, bildete eine Art Theatergesellschaft und ließ
sich gelten.

Auch eine Oper gab es. Von Zeit zu Zeit erschien die Operngesellschaft aus
Jxhausen und brachte den Waffenschmied, die Weiße Dame und andre schöne Sachen
zur Aufführung.

(Fortsetzung folgt)




ver parnassus in Neusiedel

Auch der Herr Major c>. D. Kuhblcmk war da. Eben hatte er den Herrn
Assessor a. D. Markhof getroffen. — Diese kleine Mucki. sagte er, wie finden Sie
die. Assessor?

Famoser Käfer, erwiderte der Assessor. Wissen Sie — albisches Wesen. Wo
wohnt sie denn?

Nichts für Sie. Assessor, sagte der Major. Hat schon ihren Heinrich.

Nanu?

Den Holm, den Dramaturgen.

Holm?

Na ja, den Kerl im Frack, der für den Applaus quittierte. studiert Rollen
mit ihr ein. Verfluchter Kerl! Nicht?

Hier war auch Frau von Seidelbast und ihr Hofstaat. Frau von Seidelbast
hatte den Prolog mit zerstreuter Aufmerksamkeit angehört. Was waren ihr die
Menschen dort auf der Bühne, die wie Menschen redeten. Für sie fing die Kunst
erst da an, wo dürftig bekleidete Urmenschen unter Begleitung eines unsichtbaren
und erregten Orchesters ekstatische Töne ausstießen. Aber die geteilte Gardine
interessierte sie und das versenkte Orchester. Zwar bewegte sich diese Gardine nicht
so feierlich wie in Bayreuth, aber es war immerhin möglich, sich hinter ihr eine
Wagnersche Szene, Wagnersche Helden und Wagnersche Leitmotive vorzustellen.

Man pflegt bei Theatereröffnungen vor der Klassizität einen Knicks zu machen,
und nachdem man sich mit ihr abgefunden hat, zu der modernen und kasfa-
füllenden Kunst überzugehn. So tat man auch hier. Man spielte zur Eröffnung
Minna von Barnhelm. Man suchte sich in die Feinfühligkeiten dieser diffiziler
Menschen zurückzuversetzen, man pries die unvergänglichen Verdienste Lessings und
begab sich dann, um die Katharsis mit Spatenbräu feucht zu erhalten, in das
Theatereafe.

Am andern Tage stand der übliche Bericht unter dem Kopfe: Kunst und
Wissenschaft im Tageblatte. Es war ein Getön begeisterter Worte, durch die alles
und jedes gelobt wurde. Der Theaterreferent, Herr Hesselbach, ein alter pensio¬
nierter und etwas schwerhöriger Rektor, erfreute sich eines guten Leumunds bei
allen Direktionen, die in Neusiedel munter, da er den erfreulichen Grundsatz hatte,
die gute Sache durch gute Rezensionen zu unterstützen. Dieser Herr Hesselbach
bekam jetzt gute Zeit. Denn was der neue Direktor im neuen Theater bot, war
gar nicht schlecht. Es waren nicht gerade Meisterleistungen, es war aber ein ganz
respektables Mittelgut, nicht die Höhepunkte der dramatischen Kunst, nicht die extra¬
vagantesten Neuheiten, aber eine nicht ungeschickte Auswahl des Brauchbaren aus
der Masse dessen, was der Tag brachte. Das Publikum, das abonniere hatte, besuchte
fleißig das Theater, befand sich wohl, bildete eine Art Theatergesellschaft und ließ
sich gelten.

Auch eine Oper gab es. Von Zeit zu Zeit erschien die Operngesellschaft aus
Jxhausen und brachte den Waffenschmied, die Weiße Dame und andre schöne Sachen
zur Aufführung.

(Fortsetzung folgt)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/215>, abgerufen am 23.07.2024.