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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Literarische Rundschau

Von den ausgewählten Werken der siebente und achte Band (alles bei C. A. Koch
in Dresden), die elf der schönsten Novellen vereinen. Da sind die düstern
Stücke "VorLeyden" und "Die Flut des Lebens", wohl die besten historischen
Novellen ihres Dichters, da sind heiter ausklingende Stücke wie "Das Weih¬
nachtsoratorium" und "Der Pate des Todes", alle geeignet, Adolf Stern,
der als Dichter lebenslang hart um Gehör kämpfte, neue Liebe zu werben.
Eine kleinere Auswahl von Erzählungen aus den Büchern von Charlotte
Niese wird durch die Freie Lehrervereinignng für Kunstpflege in Berlin
(Leipzig, Fr. Wilh. Grunow) veröffentlicht. Es sind lauter feine, kleine
Stücke, zum Teil aus der Jugend der Dichterin, wie sie sie in den Bänden
"Aus dänischer Zeit" erzählt, mir das liebste darunter die reizende Kinder-
gcschichte "Um die Weihnachtszeit". Das Buch kostet in vortrefflicher Aus¬
stattung und mit hübschen Bildern von Otto Gebhardt nur 1,60 Mark.
Zugleich kommt von Charlotte Rieses Landsmann Timm Kröger ein Novellen-
band "Aus alter Truhe" (Hamburg, Alfred Janssen), der den Dichter auf den
gewohnten heimatlichen Pfaden zeigt, auf die wir ihm nun schon oft mit Ver¬
gnügen an seiner feinen Kunst gefolgt sind.

Endlich liegt heute noch ein Buch vor mir, das auf der Grenze zwischen
Literatur und Historie steht, "Castell, Bilder aus der Vergangenheit eines
deutschen Dunastengeschlechts" von August spert (Stuttgart, Deutsche Ver¬
lagsanstalt). Der vortreffliche Romanschriftsteller, seines bürgerlichen Zeichens
Archivar, hat in der Zeit, wo er dem Archiv der Fürsten zu Castell-Rüden¬
hausen und zu Castell-Castell vorstand, in deren Auftrag diese Bilder aus
der Vergangenheit der Familie geschaffen. Wir sehen sie langsam aus dem
Dummer der Karolingerzeit emportauchen, sich schwer gegen die Bischöfe von
Würzburg behaupten, erleben den Verfall des Hauses im fünfzehnten Jahr¬
hundert, den Bauernkrieg mit dem Brand beider Burgen von Castell und die
furchtbare Rache des Schwäbischen Bundes an den Bauern. Die ehrenfester
Gestalten des Grafen Wolfgang, seiner Frau und seiner Kinder, die das
Haus im sechzehnten Jahrhundert wieder emporarbeiten, treten auf, wir be¬
gleiten die Söhne auf Universitäten und in schwere Kämpfe. Mit der weise
wählenden Hand des Dichters wird da immer wieder Bedeutendes, Eigen¬
artiges hervorgehoben und etwa auch einer Poetin unter den Gräfinnen
Castell, der Gräfin Henriette Charlotte (1729 bis 1797) gedacht; eine Base
dieser Dichterin, Christiane Charlotte (1722 bis 1773) heiratet den Grafen
Christian Günther zu Stolberg-Stolberg, und ihre Söhne sind Goethes
Jugendfreunde, die beiden Dichter Friedrich Leopold und Christian Stolberg;
die Mutter selbst tritt Klopstock freundschaftlich nahe. Und so greift denn das
Geschlecht, das sich insbesondre den Hohenlohes mehrfach verbindet, weit ins
deutsche Leben hinein, bis das Jahr 1806 seiner Souveräuitüt ein Ende
macht. Ein ungewöhnliches, sehr reizvolles Buch mit vielen feinen Details,
eine Quelle des Genusses für jeden Freund historischer Lektüre und voll


Literarische Rundschau

Von den ausgewählten Werken der siebente und achte Band (alles bei C. A. Koch
in Dresden), die elf der schönsten Novellen vereinen. Da sind die düstern
Stücke „VorLeyden" und „Die Flut des Lebens", wohl die besten historischen
Novellen ihres Dichters, da sind heiter ausklingende Stücke wie „Das Weih¬
nachtsoratorium" und „Der Pate des Todes", alle geeignet, Adolf Stern,
der als Dichter lebenslang hart um Gehör kämpfte, neue Liebe zu werben.
Eine kleinere Auswahl von Erzählungen aus den Büchern von Charlotte
Niese wird durch die Freie Lehrervereinignng für Kunstpflege in Berlin
(Leipzig, Fr. Wilh. Grunow) veröffentlicht. Es sind lauter feine, kleine
Stücke, zum Teil aus der Jugend der Dichterin, wie sie sie in den Bänden
„Aus dänischer Zeit" erzählt, mir das liebste darunter die reizende Kinder-
gcschichte „Um die Weihnachtszeit". Das Buch kostet in vortrefflicher Aus¬
stattung und mit hübschen Bildern von Otto Gebhardt nur 1,60 Mark.
Zugleich kommt von Charlotte Rieses Landsmann Timm Kröger ein Novellen-
band „Aus alter Truhe" (Hamburg, Alfred Janssen), der den Dichter auf den
gewohnten heimatlichen Pfaden zeigt, auf die wir ihm nun schon oft mit Ver¬
gnügen an seiner feinen Kunst gefolgt sind.

Endlich liegt heute noch ein Buch vor mir, das auf der Grenze zwischen
Literatur und Historie steht, „Castell, Bilder aus der Vergangenheit eines
deutschen Dunastengeschlechts" von August spert (Stuttgart, Deutsche Ver¬
lagsanstalt). Der vortreffliche Romanschriftsteller, seines bürgerlichen Zeichens
Archivar, hat in der Zeit, wo er dem Archiv der Fürsten zu Castell-Rüden¬
hausen und zu Castell-Castell vorstand, in deren Auftrag diese Bilder aus
der Vergangenheit der Familie geschaffen. Wir sehen sie langsam aus dem
Dummer der Karolingerzeit emportauchen, sich schwer gegen die Bischöfe von
Würzburg behaupten, erleben den Verfall des Hauses im fünfzehnten Jahr¬
hundert, den Bauernkrieg mit dem Brand beider Burgen von Castell und die
furchtbare Rache des Schwäbischen Bundes an den Bauern. Die ehrenfester
Gestalten des Grafen Wolfgang, seiner Frau und seiner Kinder, die das
Haus im sechzehnten Jahrhundert wieder emporarbeiten, treten auf, wir be¬
gleiten die Söhne auf Universitäten und in schwere Kämpfe. Mit der weise
wählenden Hand des Dichters wird da immer wieder Bedeutendes, Eigen¬
artiges hervorgehoben und etwa auch einer Poetin unter den Gräfinnen
Castell, der Gräfin Henriette Charlotte (1729 bis 1797) gedacht; eine Base
dieser Dichterin, Christiane Charlotte (1722 bis 1773) heiratet den Grafen
Christian Günther zu Stolberg-Stolberg, und ihre Söhne sind Goethes
Jugendfreunde, die beiden Dichter Friedrich Leopold und Christian Stolberg;
die Mutter selbst tritt Klopstock freundschaftlich nahe. Und so greift denn das
Geschlecht, das sich insbesondre den Hohenlohes mehrfach verbindet, weit ins
deutsche Leben hinein, bis das Jahr 1806 seiner Souveräuitüt ein Ende
macht. Ein ungewöhnliches, sehr reizvolles Buch mit vielen feinen Details,
eine Quelle des Genusses für jeden Freund historischer Lektüre und voll


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[0202] Literarische Rundschau Von den ausgewählten Werken der siebente und achte Band (alles bei C. A. Koch in Dresden), die elf der schönsten Novellen vereinen. Da sind die düstern Stücke „VorLeyden" und „Die Flut des Lebens", wohl die besten historischen Novellen ihres Dichters, da sind heiter ausklingende Stücke wie „Das Weih¬ nachtsoratorium" und „Der Pate des Todes", alle geeignet, Adolf Stern, der als Dichter lebenslang hart um Gehör kämpfte, neue Liebe zu werben. Eine kleinere Auswahl von Erzählungen aus den Büchern von Charlotte Niese wird durch die Freie Lehrervereinignng für Kunstpflege in Berlin (Leipzig, Fr. Wilh. Grunow) veröffentlicht. Es sind lauter feine, kleine Stücke, zum Teil aus der Jugend der Dichterin, wie sie sie in den Bänden „Aus dänischer Zeit" erzählt, mir das liebste darunter die reizende Kinder- gcschichte „Um die Weihnachtszeit". Das Buch kostet in vortrefflicher Aus¬ stattung und mit hübschen Bildern von Otto Gebhardt nur 1,60 Mark. Zugleich kommt von Charlotte Rieses Landsmann Timm Kröger ein Novellen- band „Aus alter Truhe" (Hamburg, Alfred Janssen), der den Dichter auf den gewohnten heimatlichen Pfaden zeigt, auf die wir ihm nun schon oft mit Ver¬ gnügen an seiner feinen Kunst gefolgt sind. Endlich liegt heute noch ein Buch vor mir, das auf der Grenze zwischen Literatur und Historie steht, „Castell, Bilder aus der Vergangenheit eines deutschen Dunastengeschlechts" von August spert (Stuttgart, Deutsche Ver¬ lagsanstalt). Der vortreffliche Romanschriftsteller, seines bürgerlichen Zeichens Archivar, hat in der Zeit, wo er dem Archiv der Fürsten zu Castell-Rüden¬ hausen und zu Castell-Castell vorstand, in deren Auftrag diese Bilder aus der Vergangenheit der Familie geschaffen. Wir sehen sie langsam aus dem Dummer der Karolingerzeit emportauchen, sich schwer gegen die Bischöfe von Würzburg behaupten, erleben den Verfall des Hauses im fünfzehnten Jahr¬ hundert, den Bauernkrieg mit dem Brand beider Burgen von Castell und die furchtbare Rache des Schwäbischen Bundes an den Bauern. Die ehrenfester Gestalten des Grafen Wolfgang, seiner Frau und seiner Kinder, die das Haus im sechzehnten Jahrhundert wieder emporarbeiten, treten auf, wir be¬ gleiten die Söhne auf Universitäten und in schwere Kämpfe. Mit der weise wählenden Hand des Dichters wird da immer wieder Bedeutendes, Eigen¬ artiges hervorgehoben und etwa auch einer Poetin unter den Gräfinnen Castell, der Gräfin Henriette Charlotte (1729 bis 1797) gedacht; eine Base dieser Dichterin, Christiane Charlotte (1722 bis 1773) heiratet den Grafen Christian Günther zu Stolberg-Stolberg, und ihre Söhne sind Goethes Jugendfreunde, die beiden Dichter Friedrich Leopold und Christian Stolberg; die Mutter selbst tritt Klopstock freundschaftlich nahe. Und so greift denn das Geschlecht, das sich insbesondre den Hohenlohes mehrfach verbindet, weit ins deutsche Leben hinein, bis das Jahr 1806 seiner Souveräuitüt ein Ende macht. Ein ungewöhnliches, sehr reizvolles Buch mit vielen feinen Details, eine Quelle des Genusses für jeden Freund historischer Lektüre und voll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/202>, abgerufen am 12.12.2024.