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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Literarische Rundschau

im Laufe der Erzählung der Faden entglitten ist, daß er wo anders hat hinaus
wollen, als wohin er schließlich gelangte, und ich glaube noch immer, daß
Sudermann ein volles Kunstwerk nur noch gelingen wird, wenn er den Anschluß
an die Stimmungen und Stoffe wieder findet, die in der "Frau Sorge" leben,
dem auf seinem Gebiet noch von keinem erreichten Meisterwerk.

Auch Joseph Laufs ringt mit nicht zureichender Kraft um ein schwieriges
Problem. Er will in seinem Roman "Sankt Anne" (Berlin, G. Grote) eine
wirkliche, mit vielen realistischen Motiven ausgestattete Lebensgeschichte zusammen¬
weben mit einem mystischen Traumgeschehn, das den Liebenden in einem Kunst¬
werk und nacheinander in zwei Frauen die verdämmernde Gestalt seiner Sehnsucht
wiederfinden läßt. Laufe kann solche Dinge nicht schaffen; er ist im Roman
nicht der Dichter der Ekstase, die etwa in seinem Epos "Die Geißlerin" be¬
trächtliche Höhen überwindet, sondern der niederrheinische, ja niederländische,
breit malende Humorist. Die holländischen Szenen in dem kleinen Städtchen
an der See sind mit einem saubern, grotesken, ganz echten Humor hingestellt,
und ihnen gegenüber versagt schließlich die gespenstische Tragik, die den eigent¬
lichen Liebesroman durchklingen soll. Es ist ganz ähnlich wie in Lauffs vor¬
letzten Roman "Frau Ulen", wo auch das Leben des Völkchens am Niederrhein
sehr reizvoll gegeben, die Geschichte einer hohen Liebe aber doch zuletzt nicht
glaubhaft erfaßt war.

Mit bescheidnern Mitteln und in einfachern Problemen gelangt F. Hugin
an ihr Ziel. Die Fischer ihres Romans "Durch den Nebel" (Berlin, G. Grote)
sind rund und treu gegeben. Überall deckt sich Vorwurf und Ausführung völlig,
nur daß die gelehrige Schülerin und Landesgenossin Gustav Frenssens nicht
überall eine leichte Neigung zur Redseligkeit überwindet, die denn überhaupt
der Fehler so zahlreicher Bücher der Gegenwart ist, nachdem die nun verrauschten
Jahre des Naturalismus größere Knappheit gebracht hatten. Redseligkeit ent¬
stellt auch einzelne Teile von Hermann Bahrs Roman "Die Rahl" (Berlin,
S. Fischer), und das ist schade, weil dieses Werk im großen und ganzen ein
ernstes, feines und sehr apartes Buch ist. Ich lege dabei freilich weniger Gewicht
auf den kurzen Liebestraum, den ein von hellen Idealen erfüllter, kaum er¬
wachsener Jüngling mit der gefeierten Tragödin Rahl zu träumen glaubt, der
er nichts ist als die Impression einer erregten Stunde; sondern ich sehe den
Wert des Buches in der unaufdringlichen und ganz echten Schilderung be¬
stimmter Theatereindrücke. Alles, was Hermann Bahr da aufbaut, die Gestalt
der Rahl selbst, der wundervolle alte Larinser und was sie vom Intendanten
bis zu den Eleven umgibt, das ist mit sehr feiner Psychologie glaubhaft hin¬
gestellt. Und eine Szene hat geradezu Größe: da spielt die Rahl zu ihrem
Jubiläum die Sappho, und in dem Gefühl, es dem Publikum, dem rasenden,
einmal zeigen zu müssen, tritt der alte Larinser als Rhamnes bis hart an die
Rampe vor, und nun steigt und steigt und steigt seine Stimme "unaufhaltsam
durch alles Brander durch, über alles Brausen hin, über alles Nasen weg,


Literarische Rundschau

im Laufe der Erzählung der Faden entglitten ist, daß er wo anders hat hinaus
wollen, als wohin er schließlich gelangte, und ich glaube noch immer, daß
Sudermann ein volles Kunstwerk nur noch gelingen wird, wenn er den Anschluß
an die Stimmungen und Stoffe wieder findet, die in der „Frau Sorge" leben,
dem auf seinem Gebiet noch von keinem erreichten Meisterwerk.

Auch Joseph Laufs ringt mit nicht zureichender Kraft um ein schwieriges
Problem. Er will in seinem Roman „Sankt Anne" (Berlin, G. Grote) eine
wirkliche, mit vielen realistischen Motiven ausgestattete Lebensgeschichte zusammen¬
weben mit einem mystischen Traumgeschehn, das den Liebenden in einem Kunst¬
werk und nacheinander in zwei Frauen die verdämmernde Gestalt seiner Sehnsucht
wiederfinden läßt. Laufe kann solche Dinge nicht schaffen; er ist im Roman
nicht der Dichter der Ekstase, die etwa in seinem Epos „Die Geißlerin" be¬
trächtliche Höhen überwindet, sondern der niederrheinische, ja niederländische,
breit malende Humorist. Die holländischen Szenen in dem kleinen Städtchen
an der See sind mit einem saubern, grotesken, ganz echten Humor hingestellt,
und ihnen gegenüber versagt schließlich die gespenstische Tragik, die den eigent¬
lichen Liebesroman durchklingen soll. Es ist ganz ähnlich wie in Lauffs vor¬
letzten Roman „Frau Ulen", wo auch das Leben des Völkchens am Niederrhein
sehr reizvoll gegeben, die Geschichte einer hohen Liebe aber doch zuletzt nicht
glaubhaft erfaßt war.

Mit bescheidnern Mitteln und in einfachern Problemen gelangt F. Hugin
an ihr Ziel. Die Fischer ihres Romans „Durch den Nebel" (Berlin, G. Grote)
sind rund und treu gegeben. Überall deckt sich Vorwurf und Ausführung völlig,
nur daß die gelehrige Schülerin und Landesgenossin Gustav Frenssens nicht
überall eine leichte Neigung zur Redseligkeit überwindet, die denn überhaupt
der Fehler so zahlreicher Bücher der Gegenwart ist, nachdem die nun verrauschten
Jahre des Naturalismus größere Knappheit gebracht hatten. Redseligkeit ent¬
stellt auch einzelne Teile von Hermann Bahrs Roman „Die Rahl" (Berlin,
S. Fischer), und das ist schade, weil dieses Werk im großen und ganzen ein
ernstes, feines und sehr apartes Buch ist. Ich lege dabei freilich weniger Gewicht
auf den kurzen Liebestraum, den ein von hellen Idealen erfüllter, kaum er¬
wachsener Jüngling mit der gefeierten Tragödin Rahl zu träumen glaubt, der
er nichts ist als die Impression einer erregten Stunde; sondern ich sehe den
Wert des Buches in der unaufdringlichen und ganz echten Schilderung be¬
stimmter Theatereindrücke. Alles, was Hermann Bahr da aufbaut, die Gestalt
der Rahl selbst, der wundervolle alte Larinser und was sie vom Intendanten
bis zu den Eleven umgibt, das ist mit sehr feiner Psychologie glaubhaft hin¬
gestellt. Und eine Szene hat geradezu Größe: da spielt die Rahl zu ihrem
Jubiläum die Sappho, und in dem Gefühl, es dem Publikum, dem rasenden,
einmal zeigen zu müssen, tritt der alte Larinser als Rhamnes bis hart an die
Rampe vor, und nun steigt und steigt und steigt seine Stimme „unaufhaltsam
durch alles Brander durch, über alles Brausen hin, über alles Nasen weg,


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[0199] Literarische Rundschau im Laufe der Erzählung der Faden entglitten ist, daß er wo anders hat hinaus wollen, als wohin er schließlich gelangte, und ich glaube noch immer, daß Sudermann ein volles Kunstwerk nur noch gelingen wird, wenn er den Anschluß an die Stimmungen und Stoffe wieder findet, die in der „Frau Sorge" leben, dem auf seinem Gebiet noch von keinem erreichten Meisterwerk. Auch Joseph Laufs ringt mit nicht zureichender Kraft um ein schwieriges Problem. Er will in seinem Roman „Sankt Anne" (Berlin, G. Grote) eine wirkliche, mit vielen realistischen Motiven ausgestattete Lebensgeschichte zusammen¬ weben mit einem mystischen Traumgeschehn, das den Liebenden in einem Kunst¬ werk und nacheinander in zwei Frauen die verdämmernde Gestalt seiner Sehnsucht wiederfinden läßt. Laufe kann solche Dinge nicht schaffen; er ist im Roman nicht der Dichter der Ekstase, die etwa in seinem Epos „Die Geißlerin" be¬ trächtliche Höhen überwindet, sondern der niederrheinische, ja niederländische, breit malende Humorist. Die holländischen Szenen in dem kleinen Städtchen an der See sind mit einem saubern, grotesken, ganz echten Humor hingestellt, und ihnen gegenüber versagt schließlich die gespenstische Tragik, die den eigent¬ lichen Liebesroman durchklingen soll. Es ist ganz ähnlich wie in Lauffs vor¬ letzten Roman „Frau Ulen", wo auch das Leben des Völkchens am Niederrhein sehr reizvoll gegeben, die Geschichte einer hohen Liebe aber doch zuletzt nicht glaubhaft erfaßt war. Mit bescheidnern Mitteln und in einfachern Problemen gelangt F. Hugin an ihr Ziel. Die Fischer ihres Romans „Durch den Nebel" (Berlin, G. Grote) sind rund und treu gegeben. Überall deckt sich Vorwurf und Ausführung völlig, nur daß die gelehrige Schülerin und Landesgenossin Gustav Frenssens nicht überall eine leichte Neigung zur Redseligkeit überwindet, die denn überhaupt der Fehler so zahlreicher Bücher der Gegenwart ist, nachdem die nun verrauschten Jahre des Naturalismus größere Knappheit gebracht hatten. Redseligkeit ent¬ stellt auch einzelne Teile von Hermann Bahrs Roman „Die Rahl" (Berlin, S. Fischer), und das ist schade, weil dieses Werk im großen und ganzen ein ernstes, feines und sehr apartes Buch ist. Ich lege dabei freilich weniger Gewicht auf den kurzen Liebestraum, den ein von hellen Idealen erfüllter, kaum er¬ wachsener Jüngling mit der gefeierten Tragödin Rahl zu träumen glaubt, der er nichts ist als die Impression einer erregten Stunde; sondern ich sehe den Wert des Buches in der unaufdringlichen und ganz echten Schilderung be¬ stimmter Theatereindrücke. Alles, was Hermann Bahr da aufbaut, die Gestalt der Rahl selbst, der wundervolle alte Larinser und was sie vom Intendanten bis zu den Eleven umgibt, das ist mit sehr feiner Psychologie glaubhaft hin¬ gestellt. Und eine Szene hat geradezu Größe: da spielt die Rahl zu ihrem Jubiläum die Sappho, und in dem Gefühl, es dem Publikum, dem rasenden, einmal zeigen zu müssen, tritt der alte Larinser als Rhamnes bis hart an die Rampe vor, und nun steigt und steigt und steigt seine Stimme „unaufhaltsam durch alles Brander durch, über alles Brausen hin, über alles Nasen weg,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/199>, abgerufen am 23.07.2024.