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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Merarische Rundschait

Stimmung in seine Dichtungen, mögen es nun längere Romane oder kurze
Novellen sein. Sein neues Buch "Die da kommen und gehen" (Stuttgart,
Deutsche Verlagsanstalt) enthält einen Kranz von Erzählungen, die sich nicht
unwürdig der letzten Sammlung "Firnwind" anschließen. Wieder zum Teil
ganz einfache Stoffe, und was bei Zahn so oft wiederkehrt, feste Herzen, die
sich durch schweren Lebensdruck ins Rechte kämpfen. Wie jedes Buch von Ernst
Zahn legt man auch dieses reicher geworden aus der Hand, und wo er scheinbar
hart wird, wie in der "Gerechtigkeit der Marianne Denier", empfinden wir
am Ende, daß er uns richtig geführt hat.

Gabriele Reuter, von der wir schon lange kein wirklich in Tiefen greifendes
Werk bekommen haben, hat einen Roman geschrieben: "Das Trünenhcms"
(Berlin, S. Fischer). Es ist ein Buch, das nur sehr ernste und ganz reife
Menschen in die Hand nehmen sollen, das diesen aber, wie ich meine, viel
geben wird. Eine platte, gemeine, ja widerliche Umwelt aus einem weiblichen
Herzen heraus so zu schildern, daß nichts verkleinert und nichts verfälscht,
sondern alles gesagt und doch alles nur zu einem höhern Sinne gesagt wird -- das
ist die Kunst dieses Buches. Ich sage zu einem höhern Sinne, nicht in einem
höhern Sinne: die Erzählung umgeht nichts, aber sie ist ausgerichtet auf den
Menschen, der durch Druck und Drang und Schmutz hindurch seine unsterbliche
Seele in Reinheit und ins Licht retten will, und weil er will, auch retten
kann. Das Buch wäre eine vollkommne Schilderung des Schicksals der unehe¬
lichen Mutter, die für sich und für ihr Kind das Leben noch einmal erkämpft,
wenn nicht, freilich nur vorüberhuschend, der greuliche Typus des pflichtlosen
Mannes, den wir erst jüngst bei Schnitzler wieder einmal feststellen mußten,
auch hier hineinspielte, und zwar nicht als ein Thpus für den Pranger, sondern
(unbegreiflich vor Gabriele Reuters klaren Augen) doch noch mit einer Art be¬
scheidner Gloriole.

Eine ganze Kette solch pflichtfremder Männer führt uns Hermann Suder¬
manns Roman "Das Hohe Lied" (Stuttgart, Cottci) vor, freilich nicht, um sie
zu glorifizieren, sondern um zu erweisen, wie ihr rohes Zutappen und Zu¬
greifen eine im Grunde edle und zarte Frauenseele bis in Tiefen hinabzieht,
aus denen sie dann der erste nicht mehr retten mag. der ihr -- vulgär
gesagt -- anständig naht. Sudermann hat damit ein Problem aufgegriffen, an
das er schon früher gelegentlich gerührt hat, und das der Durchkomposition
wohl wert ist. Wenn sie ihm nicht gelungen ist, und wenn der Roman trotz
vielen interessanten Seiten und feinen Beobachtungen doch kalt läßt, so liegt
das erstens an seiner ungeheuern Breite und dann daran, daß die Heldin, eben
diese in allem Schmutz unbefriedigt und in gewissem Sinne rein gebliebne Frau,
uns doch langweilt. Sie hat zu wenig positiv feine Züge, ist durchweg zu
Passiv und erregt deshalb im Grunde schon, da ihre Jugend in einer von
Greisengier geschloßnen Ehe mißbraucht wird, nicht mehr unser Mitleid, genau
so wenig, wie sie uns später recht erwärmt. Ich stelle mir vor, daß Sudermann


Merarische Rundschait

Stimmung in seine Dichtungen, mögen es nun längere Romane oder kurze
Novellen sein. Sein neues Buch „Die da kommen und gehen" (Stuttgart,
Deutsche Verlagsanstalt) enthält einen Kranz von Erzählungen, die sich nicht
unwürdig der letzten Sammlung „Firnwind" anschließen. Wieder zum Teil
ganz einfache Stoffe, und was bei Zahn so oft wiederkehrt, feste Herzen, die
sich durch schweren Lebensdruck ins Rechte kämpfen. Wie jedes Buch von Ernst
Zahn legt man auch dieses reicher geworden aus der Hand, und wo er scheinbar
hart wird, wie in der „Gerechtigkeit der Marianne Denier", empfinden wir
am Ende, daß er uns richtig geführt hat.

Gabriele Reuter, von der wir schon lange kein wirklich in Tiefen greifendes
Werk bekommen haben, hat einen Roman geschrieben: „Das Trünenhcms"
(Berlin, S. Fischer). Es ist ein Buch, das nur sehr ernste und ganz reife
Menschen in die Hand nehmen sollen, das diesen aber, wie ich meine, viel
geben wird. Eine platte, gemeine, ja widerliche Umwelt aus einem weiblichen
Herzen heraus so zu schildern, daß nichts verkleinert und nichts verfälscht,
sondern alles gesagt und doch alles nur zu einem höhern Sinne gesagt wird — das
ist die Kunst dieses Buches. Ich sage zu einem höhern Sinne, nicht in einem
höhern Sinne: die Erzählung umgeht nichts, aber sie ist ausgerichtet auf den
Menschen, der durch Druck und Drang und Schmutz hindurch seine unsterbliche
Seele in Reinheit und ins Licht retten will, und weil er will, auch retten
kann. Das Buch wäre eine vollkommne Schilderung des Schicksals der unehe¬
lichen Mutter, die für sich und für ihr Kind das Leben noch einmal erkämpft,
wenn nicht, freilich nur vorüberhuschend, der greuliche Typus des pflichtlosen
Mannes, den wir erst jüngst bei Schnitzler wieder einmal feststellen mußten,
auch hier hineinspielte, und zwar nicht als ein Thpus für den Pranger, sondern
(unbegreiflich vor Gabriele Reuters klaren Augen) doch noch mit einer Art be¬
scheidner Gloriole.

Eine ganze Kette solch pflichtfremder Männer führt uns Hermann Suder¬
manns Roman „Das Hohe Lied" (Stuttgart, Cottci) vor, freilich nicht, um sie
zu glorifizieren, sondern um zu erweisen, wie ihr rohes Zutappen und Zu¬
greifen eine im Grunde edle und zarte Frauenseele bis in Tiefen hinabzieht,
aus denen sie dann der erste nicht mehr retten mag. der ihr — vulgär
gesagt — anständig naht. Sudermann hat damit ein Problem aufgegriffen, an
das er schon früher gelegentlich gerührt hat, und das der Durchkomposition
wohl wert ist. Wenn sie ihm nicht gelungen ist, und wenn der Roman trotz
vielen interessanten Seiten und feinen Beobachtungen doch kalt läßt, so liegt
das erstens an seiner ungeheuern Breite und dann daran, daß die Heldin, eben
diese in allem Schmutz unbefriedigt und in gewissem Sinne rein gebliebne Frau,
uns doch langweilt. Sie hat zu wenig positiv feine Züge, ist durchweg zu
Passiv und erregt deshalb im Grunde schon, da ihre Jugend in einer von
Greisengier geschloßnen Ehe mißbraucht wird, nicht mehr unser Mitleid, genau
so wenig, wie sie uns später recht erwärmt. Ich stelle mir vor, daß Sudermann


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[0198] Merarische Rundschait Stimmung in seine Dichtungen, mögen es nun längere Romane oder kurze Novellen sein. Sein neues Buch „Die da kommen und gehen" (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt) enthält einen Kranz von Erzählungen, die sich nicht unwürdig der letzten Sammlung „Firnwind" anschließen. Wieder zum Teil ganz einfache Stoffe, und was bei Zahn so oft wiederkehrt, feste Herzen, die sich durch schweren Lebensdruck ins Rechte kämpfen. Wie jedes Buch von Ernst Zahn legt man auch dieses reicher geworden aus der Hand, und wo er scheinbar hart wird, wie in der „Gerechtigkeit der Marianne Denier", empfinden wir am Ende, daß er uns richtig geführt hat. Gabriele Reuter, von der wir schon lange kein wirklich in Tiefen greifendes Werk bekommen haben, hat einen Roman geschrieben: „Das Trünenhcms" (Berlin, S. Fischer). Es ist ein Buch, das nur sehr ernste und ganz reife Menschen in die Hand nehmen sollen, das diesen aber, wie ich meine, viel geben wird. Eine platte, gemeine, ja widerliche Umwelt aus einem weiblichen Herzen heraus so zu schildern, daß nichts verkleinert und nichts verfälscht, sondern alles gesagt und doch alles nur zu einem höhern Sinne gesagt wird — das ist die Kunst dieses Buches. Ich sage zu einem höhern Sinne, nicht in einem höhern Sinne: die Erzählung umgeht nichts, aber sie ist ausgerichtet auf den Menschen, der durch Druck und Drang und Schmutz hindurch seine unsterbliche Seele in Reinheit und ins Licht retten will, und weil er will, auch retten kann. Das Buch wäre eine vollkommne Schilderung des Schicksals der unehe¬ lichen Mutter, die für sich und für ihr Kind das Leben noch einmal erkämpft, wenn nicht, freilich nur vorüberhuschend, der greuliche Typus des pflichtlosen Mannes, den wir erst jüngst bei Schnitzler wieder einmal feststellen mußten, auch hier hineinspielte, und zwar nicht als ein Thpus für den Pranger, sondern (unbegreiflich vor Gabriele Reuters klaren Augen) doch noch mit einer Art be¬ scheidner Gloriole. Eine ganze Kette solch pflichtfremder Männer führt uns Hermann Suder¬ manns Roman „Das Hohe Lied" (Stuttgart, Cottci) vor, freilich nicht, um sie zu glorifizieren, sondern um zu erweisen, wie ihr rohes Zutappen und Zu¬ greifen eine im Grunde edle und zarte Frauenseele bis in Tiefen hinabzieht, aus denen sie dann der erste nicht mehr retten mag. der ihr — vulgär gesagt — anständig naht. Sudermann hat damit ein Problem aufgegriffen, an das er schon früher gelegentlich gerührt hat, und das der Durchkomposition wohl wert ist. Wenn sie ihm nicht gelungen ist, und wenn der Roman trotz vielen interessanten Seiten und feinen Beobachtungen doch kalt läßt, so liegt das erstens an seiner ungeheuern Breite und dann daran, daß die Heldin, eben diese in allem Schmutz unbefriedigt und in gewissem Sinne rein gebliebne Frau, uns doch langweilt. Sie hat zu wenig positiv feine Züge, ist durchweg zu Passiv und erregt deshalb im Grunde schon, da ihre Jugend in einer von Greisengier geschloßnen Ehe mißbraucht wird, nicht mehr unser Mitleid, genau so wenig, wie sie uns später recht erwärmt. Ich stelle mir vor, daß Sudermann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/198>, abgerufen am 12.12.2024.