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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Literarische Rundschau

aber es fiel doch, auch in "Landen und Stranden", das der Dichter noch
einmal umarbeiten will, alles in Einzelheiten auseinander. In dem neuen
Buch "Die Kinder aus Ohlsens Gang" (Hamburg, Alfred Janssen) sind die
frühern Mängel überwunden, und nun in Hamburg fest eingelebt, hat Falke
auch seinen Stil für die Schilderung Hamburger Lebens gefunden. Hamburger
Lebens, nicht des Hamburger Lebens. Gerade weil in ältern Büchern die
Bemühung, verschiedne auseinanderliegende Kreise zu meistern, eine Unruhe
mitbrachte, die den Werken nicht bekam, hat sich Falke hier auf einen Kreis
beschränkt und das Hamburger Kleinbürgertum, das am Hafen lebt, mit dem
Hafen zusammenhängt, sehr glücklich widergespiegelt. Was auch einfache
Schicksale in diesen Kreisen an der Wasserkante so häufig aus dem gemeinen
Lauf der Dinge heraushebt: daß sie nämlich immer verbunden erscheinen mit
Wasser und Meer, mit dem Strom und der überseeischen Schiffahrt, das prägt
sich in Falles Erzählung fein und unaufdringlich aus. Wie mit einem
Silberstift, der nichts verniedlicht und nichts verzerrt, aber doch den Dingen
einen zartern Glanz verleiht, ist alles gezeichnet. So werden uns die kleinen
Schicksale dieser kleinen Leute, die ihnen doch große Schicksale sind, etwas,
und die Leute selbst werden uns vertraut, wie sie in völliger Echtheit dastehn,
dem Boden ihrer Schritte durchaus verwandt, in ihrer Sprechweise den Rest
von Seemannshumor, den der Hamburger Kleinbürger niemals verleugnet.
Auch der Versuchung, sich durch das Hineinziehn der vortrefflichen Be¬
strebungen des Volksheims die Handlung entgleiten zu lassen und sie zu
einem sozialen Programmroman auszurecken, hat Falke widerstanden. Das
Volksheim, hübsch und warm geschildert, bleibt der Hintergrund für die
Menschen aus Ohlsens Gang, die nicht dazu angelegt sind, ihre Schicksale
aufzudonnern, aber freilich auch nicht mit dem Leben spielen, sondern es still
und mit Selbstbescheidung erfüllen und überwinden. Ein feines, liebenswertes,
dauerhaftes Buch.

Auch Hermann Hesses "Nachbarn" (Berlin, S. Fischer) sind kleine Leute,
die, freilich fern vom Weltverkehr, in engen Verhältnissen Geschicke auskosten,
die oft gerade durch ihre Enge tragisch sind. Aber es ist, als ob sich Hesse
einstweilen etwas ausgeschrieben hätte; der Stoff strömt ihm nicht recht, es ist
nicht alles ungequält, und man wird mit seinen Menschen nicht so recht warm
wie im "Peter Camenzind". Es geht diesen Erzählertalenten aus der Süd¬
westecke überhaupt so, auch Jakob Schaffners neuer Roman bedeutet ein leichtes
Abflauen, und man käme fast auf den Gedanken, daß die neue Umwelt dieser
Schwaben und Schweizer uns für ihre ersten Gaben zu sehr eingenommen
hätte, uns, die wir seit zwanzig Jahren fast alle neuen Talente aus dem
Norden erhalten hatten. Daß dem doch nicht so ist, lehrt das Beispiel von
Ernst Zahn, der natürlich auch nicht immer ganz gleichmäßig schreibt, aber
unter dessen Werken der letzten Jahre nicht eins ausfällt. Er erzählt ruhig
und bringt dabei doch immer wieder eine starke Spannung und eine starke


Grenzboten I 1909 25
Literarische Rundschau

aber es fiel doch, auch in „Landen und Stranden", das der Dichter noch
einmal umarbeiten will, alles in Einzelheiten auseinander. In dem neuen
Buch „Die Kinder aus Ohlsens Gang" (Hamburg, Alfred Janssen) sind die
frühern Mängel überwunden, und nun in Hamburg fest eingelebt, hat Falke
auch seinen Stil für die Schilderung Hamburger Lebens gefunden. Hamburger
Lebens, nicht des Hamburger Lebens. Gerade weil in ältern Büchern die
Bemühung, verschiedne auseinanderliegende Kreise zu meistern, eine Unruhe
mitbrachte, die den Werken nicht bekam, hat sich Falke hier auf einen Kreis
beschränkt und das Hamburger Kleinbürgertum, das am Hafen lebt, mit dem
Hafen zusammenhängt, sehr glücklich widergespiegelt. Was auch einfache
Schicksale in diesen Kreisen an der Wasserkante so häufig aus dem gemeinen
Lauf der Dinge heraushebt: daß sie nämlich immer verbunden erscheinen mit
Wasser und Meer, mit dem Strom und der überseeischen Schiffahrt, das prägt
sich in Falles Erzählung fein und unaufdringlich aus. Wie mit einem
Silberstift, der nichts verniedlicht und nichts verzerrt, aber doch den Dingen
einen zartern Glanz verleiht, ist alles gezeichnet. So werden uns die kleinen
Schicksale dieser kleinen Leute, die ihnen doch große Schicksale sind, etwas,
und die Leute selbst werden uns vertraut, wie sie in völliger Echtheit dastehn,
dem Boden ihrer Schritte durchaus verwandt, in ihrer Sprechweise den Rest
von Seemannshumor, den der Hamburger Kleinbürger niemals verleugnet.
Auch der Versuchung, sich durch das Hineinziehn der vortrefflichen Be¬
strebungen des Volksheims die Handlung entgleiten zu lassen und sie zu
einem sozialen Programmroman auszurecken, hat Falke widerstanden. Das
Volksheim, hübsch und warm geschildert, bleibt der Hintergrund für die
Menschen aus Ohlsens Gang, die nicht dazu angelegt sind, ihre Schicksale
aufzudonnern, aber freilich auch nicht mit dem Leben spielen, sondern es still
und mit Selbstbescheidung erfüllen und überwinden. Ein feines, liebenswertes,
dauerhaftes Buch.

Auch Hermann Hesses „Nachbarn" (Berlin, S. Fischer) sind kleine Leute,
die, freilich fern vom Weltverkehr, in engen Verhältnissen Geschicke auskosten,
die oft gerade durch ihre Enge tragisch sind. Aber es ist, als ob sich Hesse
einstweilen etwas ausgeschrieben hätte; der Stoff strömt ihm nicht recht, es ist
nicht alles ungequält, und man wird mit seinen Menschen nicht so recht warm
wie im „Peter Camenzind". Es geht diesen Erzählertalenten aus der Süd¬
westecke überhaupt so, auch Jakob Schaffners neuer Roman bedeutet ein leichtes
Abflauen, und man käme fast auf den Gedanken, daß die neue Umwelt dieser
Schwaben und Schweizer uns für ihre ersten Gaben zu sehr eingenommen
hätte, uns, die wir seit zwanzig Jahren fast alle neuen Talente aus dem
Norden erhalten hatten. Daß dem doch nicht so ist, lehrt das Beispiel von
Ernst Zahn, der natürlich auch nicht immer ganz gleichmäßig schreibt, aber
unter dessen Werken der letzten Jahre nicht eins ausfällt. Er erzählt ruhig
und bringt dabei doch immer wieder eine starke Spannung und eine starke


Grenzboten I 1909 25
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[0197] Literarische Rundschau aber es fiel doch, auch in „Landen und Stranden", das der Dichter noch einmal umarbeiten will, alles in Einzelheiten auseinander. In dem neuen Buch „Die Kinder aus Ohlsens Gang" (Hamburg, Alfred Janssen) sind die frühern Mängel überwunden, und nun in Hamburg fest eingelebt, hat Falke auch seinen Stil für die Schilderung Hamburger Lebens gefunden. Hamburger Lebens, nicht des Hamburger Lebens. Gerade weil in ältern Büchern die Bemühung, verschiedne auseinanderliegende Kreise zu meistern, eine Unruhe mitbrachte, die den Werken nicht bekam, hat sich Falke hier auf einen Kreis beschränkt und das Hamburger Kleinbürgertum, das am Hafen lebt, mit dem Hafen zusammenhängt, sehr glücklich widergespiegelt. Was auch einfache Schicksale in diesen Kreisen an der Wasserkante so häufig aus dem gemeinen Lauf der Dinge heraushebt: daß sie nämlich immer verbunden erscheinen mit Wasser und Meer, mit dem Strom und der überseeischen Schiffahrt, das prägt sich in Falles Erzählung fein und unaufdringlich aus. Wie mit einem Silberstift, der nichts verniedlicht und nichts verzerrt, aber doch den Dingen einen zartern Glanz verleiht, ist alles gezeichnet. So werden uns die kleinen Schicksale dieser kleinen Leute, die ihnen doch große Schicksale sind, etwas, und die Leute selbst werden uns vertraut, wie sie in völliger Echtheit dastehn, dem Boden ihrer Schritte durchaus verwandt, in ihrer Sprechweise den Rest von Seemannshumor, den der Hamburger Kleinbürger niemals verleugnet. Auch der Versuchung, sich durch das Hineinziehn der vortrefflichen Be¬ strebungen des Volksheims die Handlung entgleiten zu lassen und sie zu einem sozialen Programmroman auszurecken, hat Falke widerstanden. Das Volksheim, hübsch und warm geschildert, bleibt der Hintergrund für die Menschen aus Ohlsens Gang, die nicht dazu angelegt sind, ihre Schicksale aufzudonnern, aber freilich auch nicht mit dem Leben spielen, sondern es still und mit Selbstbescheidung erfüllen und überwinden. Ein feines, liebenswertes, dauerhaftes Buch. Auch Hermann Hesses „Nachbarn" (Berlin, S. Fischer) sind kleine Leute, die, freilich fern vom Weltverkehr, in engen Verhältnissen Geschicke auskosten, die oft gerade durch ihre Enge tragisch sind. Aber es ist, als ob sich Hesse einstweilen etwas ausgeschrieben hätte; der Stoff strömt ihm nicht recht, es ist nicht alles ungequält, und man wird mit seinen Menschen nicht so recht warm wie im „Peter Camenzind". Es geht diesen Erzählertalenten aus der Süd¬ westecke überhaupt so, auch Jakob Schaffners neuer Roman bedeutet ein leichtes Abflauen, und man käme fast auf den Gedanken, daß die neue Umwelt dieser Schwaben und Schweizer uns für ihre ersten Gaben zu sehr eingenommen hätte, uns, die wir seit zwanzig Jahren fast alle neuen Talente aus dem Norden erhalten hatten. Daß dem doch nicht so ist, lehrt das Beispiel von Ernst Zahn, der natürlich auch nicht immer ganz gleichmäßig schreibt, aber unter dessen Werken der letzten Jahre nicht eins ausfällt. Er erzählt ruhig und bringt dabei doch immer wieder eine starke Spannung und eine starke Grenzboten I 1909 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/197>, abgerufen am 23.07.2024.