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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Literarische Rundschau

der Feldzüge wiederbringen, eine Ergänzung zu Liliencrons Kriegsnovellen --
der Schloßherr von Tangbüttel wird nun Dichter, spricht nicht eben mit
professioneller Hochachtung von seiner Lyrik, aber mit tiefer Liebe von der
seiner großen deutschen Vorgänger, unter denen ihm noch ganz am Ausgang
das herbe unb dunkle Talent Brentanos entgegenquillt. Wir wir es von
Liliencron wissen, so entdeckt auch Kai Vorbrüggen in sich den Dichter, da
er in wehmütigen Gedächtnis seiner Kameraden eine alte Photographie
vornimmt und wie gezwungen, wie im Traum auf die Rückseite die Verse
schreibt:

Kai von Vorbrüggen verschwindet endlich, langsam ein ganz Einsamer
geworden, auf unentdeckte Weise, hingezogen von seinem Lebensstern, dem
Aldebaran. Und kurz vor seinem Ende erreicht das Buch, das überall ein
bald sonniger, bald wehmütiger Humor durchzieht, deu Höhepunkt in einem
Gespräch Kais mit seinen nun auch altgewordnen Jugendfreunden, Henning
von Smalstede und Klaus Minder. Kai fordert, unbewußt schon seines nahen
Endes gewiß, die Freunde auf, einmal ganz offen gegenseitig zu bekennen,
was sie vom Leben und vom Tode denken. Und nun gibt jeder mit einer
Knappheit, die jede Phrase ausschließt, sein Bekenntnis. Sie sitzen beim Grog,
dessen Rezept Kai kunstgerecht angibt, und doch schwebt über dieser Szene die
Ahnung letzter Rätsel. Henning, der kommandierende General, gibt sein posi¬
tives evangelisches Bekenntnis, Klaus, der Naturforscher, sein,ruhiges Ignoramus
und Jgnorabimus, und Kai, der unterm Aldebaran gezeugt und geboren ist,
seine faustische Liebeserklärung zur einfachsten Arbeit auf urbar werdenden
Feldern, zugleich seine Ahnung von einem Zusammenhang mit frühern, un¬
bekannten Welten, seine Liebe zu Christus, der ihm nichts ist als der un¬
säglich gütige jüdische Zimmermannssohn, seinen Unglauben an ein Weiterleben
im Jenseits, seine Unfähigkeit, einen Gott über uns zu finden. Nur ein
Dichter ersten Ranges kann das so sagen, was Liliencron hier mit einer
deutschen Schlichtheit niedergeschrieben hat, die ihresgleichen sucht. Und so
schließt dieses ganz und gar von Poesie erfüllte, ob auch technisch nicht einem
Roman gleichende Werk mit dem leisen und doch vollen Ton aus einem in
Sturm und Stille bewährten Herzen, das immer wieder Meisterworte und
Meisterfarben fand. Wir Deutschen dürften glücklich sein, wenn nach hundert
Jahren die Menschlichkeit, die aus diesem Werk spricht, als mit dem Ge¬
dächtnis unsers Geschlechts verbunden empfunden werden würde.

Gustav Falke hat bisher als Romanschriftsteller keine rechte Geltung zu
erringen gewußt. In all seinen Prosabüchern waren einzelne Ausschnitte aus
dem Leben und insbesondre aus dem Hamburger Leben lebendig und wirksam,


Literarische Rundschau

der Feldzüge wiederbringen, eine Ergänzung zu Liliencrons Kriegsnovellen —
der Schloßherr von Tangbüttel wird nun Dichter, spricht nicht eben mit
professioneller Hochachtung von seiner Lyrik, aber mit tiefer Liebe von der
seiner großen deutschen Vorgänger, unter denen ihm noch ganz am Ausgang
das herbe unb dunkle Talent Brentanos entgegenquillt. Wir wir es von
Liliencron wissen, so entdeckt auch Kai Vorbrüggen in sich den Dichter, da
er in wehmütigen Gedächtnis seiner Kameraden eine alte Photographie
vornimmt und wie gezwungen, wie im Traum auf die Rückseite die Verse
schreibt:

Kai von Vorbrüggen verschwindet endlich, langsam ein ganz Einsamer
geworden, auf unentdeckte Weise, hingezogen von seinem Lebensstern, dem
Aldebaran. Und kurz vor seinem Ende erreicht das Buch, das überall ein
bald sonniger, bald wehmütiger Humor durchzieht, deu Höhepunkt in einem
Gespräch Kais mit seinen nun auch altgewordnen Jugendfreunden, Henning
von Smalstede und Klaus Minder. Kai fordert, unbewußt schon seines nahen
Endes gewiß, die Freunde auf, einmal ganz offen gegenseitig zu bekennen,
was sie vom Leben und vom Tode denken. Und nun gibt jeder mit einer
Knappheit, die jede Phrase ausschließt, sein Bekenntnis. Sie sitzen beim Grog,
dessen Rezept Kai kunstgerecht angibt, und doch schwebt über dieser Szene die
Ahnung letzter Rätsel. Henning, der kommandierende General, gibt sein posi¬
tives evangelisches Bekenntnis, Klaus, der Naturforscher, sein,ruhiges Ignoramus
und Jgnorabimus, und Kai, der unterm Aldebaran gezeugt und geboren ist,
seine faustische Liebeserklärung zur einfachsten Arbeit auf urbar werdenden
Feldern, zugleich seine Ahnung von einem Zusammenhang mit frühern, un¬
bekannten Welten, seine Liebe zu Christus, der ihm nichts ist als der un¬
säglich gütige jüdische Zimmermannssohn, seinen Unglauben an ein Weiterleben
im Jenseits, seine Unfähigkeit, einen Gott über uns zu finden. Nur ein
Dichter ersten Ranges kann das so sagen, was Liliencron hier mit einer
deutschen Schlichtheit niedergeschrieben hat, die ihresgleichen sucht. Und so
schließt dieses ganz und gar von Poesie erfüllte, ob auch technisch nicht einem
Roman gleichende Werk mit dem leisen und doch vollen Ton aus einem in
Sturm und Stille bewährten Herzen, das immer wieder Meisterworte und
Meisterfarben fand. Wir Deutschen dürften glücklich sein, wenn nach hundert
Jahren die Menschlichkeit, die aus diesem Werk spricht, als mit dem Ge¬
dächtnis unsers Geschlechts verbunden empfunden werden würde.

Gustav Falke hat bisher als Romanschriftsteller keine rechte Geltung zu
erringen gewußt. In all seinen Prosabüchern waren einzelne Ausschnitte aus
dem Leben und insbesondre aus dem Hamburger Leben lebendig und wirksam,


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[0196] Literarische Rundschau der Feldzüge wiederbringen, eine Ergänzung zu Liliencrons Kriegsnovellen — der Schloßherr von Tangbüttel wird nun Dichter, spricht nicht eben mit professioneller Hochachtung von seiner Lyrik, aber mit tiefer Liebe von der seiner großen deutschen Vorgänger, unter denen ihm noch ganz am Ausgang das herbe unb dunkle Talent Brentanos entgegenquillt. Wir wir es von Liliencron wissen, so entdeckt auch Kai Vorbrüggen in sich den Dichter, da er in wehmütigen Gedächtnis seiner Kameraden eine alte Photographie vornimmt und wie gezwungen, wie im Traum auf die Rückseite die Verse schreibt: Kai von Vorbrüggen verschwindet endlich, langsam ein ganz Einsamer geworden, auf unentdeckte Weise, hingezogen von seinem Lebensstern, dem Aldebaran. Und kurz vor seinem Ende erreicht das Buch, das überall ein bald sonniger, bald wehmütiger Humor durchzieht, deu Höhepunkt in einem Gespräch Kais mit seinen nun auch altgewordnen Jugendfreunden, Henning von Smalstede und Klaus Minder. Kai fordert, unbewußt schon seines nahen Endes gewiß, die Freunde auf, einmal ganz offen gegenseitig zu bekennen, was sie vom Leben und vom Tode denken. Und nun gibt jeder mit einer Knappheit, die jede Phrase ausschließt, sein Bekenntnis. Sie sitzen beim Grog, dessen Rezept Kai kunstgerecht angibt, und doch schwebt über dieser Szene die Ahnung letzter Rätsel. Henning, der kommandierende General, gibt sein posi¬ tives evangelisches Bekenntnis, Klaus, der Naturforscher, sein,ruhiges Ignoramus und Jgnorabimus, und Kai, der unterm Aldebaran gezeugt und geboren ist, seine faustische Liebeserklärung zur einfachsten Arbeit auf urbar werdenden Feldern, zugleich seine Ahnung von einem Zusammenhang mit frühern, un¬ bekannten Welten, seine Liebe zu Christus, der ihm nichts ist als der un¬ säglich gütige jüdische Zimmermannssohn, seinen Unglauben an ein Weiterleben im Jenseits, seine Unfähigkeit, einen Gott über uns zu finden. Nur ein Dichter ersten Ranges kann das so sagen, was Liliencron hier mit einer deutschen Schlichtheit niedergeschrieben hat, die ihresgleichen sucht. Und so schließt dieses ganz und gar von Poesie erfüllte, ob auch technisch nicht einem Roman gleichende Werk mit dem leisen und doch vollen Ton aus einem in Sturm und Stille bewährten Herzen, das immer wieder Meisterworte und Meisterfarben fand. Wir Deutschen dürften glücklich sein, wenn nach hundert Jahren die Menschlichkeit, die aus diesem Werk spricht, als mit dem Ge¬ dächtnis unsers Geschlechts verbunden empfunden werden würde. Gustav Falke hat bisher als Romanschriftsteller keine rechte Geltung zu erringen gewußt. In all seinen Prosabüchern waren einzelne Ausschnitte aus dem Leben und insbesondre aus dem Hamburger Leben lebendig und wirksam,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/196>, abgerufen am 12.12.2024.