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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Ser Sparer und die Reichsfinanzreform

andre Länder, die weit größere wirtschaftliche Kräfte in sich bergen, von
schweren Erschütterungen berührt wurden und unter der Last der höchsten
Zinssätze litten.

Was heißt sparen? Es bedeutet: durch Konsumbeschrünknng einen Ver¬
mögenszuwachs schaffen. Jede durch Konsumbeschrünknng entstandne Ver¬
mögensbildung nennen wir Ersparnis. Zur Bestimmung des Sparbegriffs
ist also immer zweierlei notwendig: Vermögensbildung und Konsumbeschränkung.
Hiernach beantwortet sich auch die Frage, ob oder inwieweit der einzelne
sparen kann; es muß für ihn die Möglichkeit bestehen, seinen Konsum ein¬
zuschränken. Der der untersten wirtschaftlichen Stufe angehörende, der Hand¬
arbeiter, ist also nur in der Lage, Ersparnisse zu machen, wenn sein Lohn so
hoch ist, daß er nicht genötigt ist, ihn voll zur Bestreitung seines Konsums
zu verwenden. Man sieht deshalb, daß in den Ländern, wo die Löhne höher
sind, wie in Amerika und England, auch mehr von den Arbeitern gespart wird;
dies trifft auch auf die industriellen Gegenden Deutschlands zu. Soweit ist
das Sparen der ürmern Stände ein Zeichen sozialer Kraft und gesunder Volks¬
wirtschaft. Auf der andern Seite müssen in ausreichendem Maße Einrichtungen
getroffen werden, die dem Arbeiter und Minderbemittelten jede Gelegenheit
zum Sparen geben und dieses erleichtern, namentlich gilt dies auch von den
jüngern Leuten, die noch keine Familie zu ernähren haben, andrerseits aber
oft schon einen verhältnismäßig hohen Lohn beziehen. Schul-, namentlich
Fortbildungsschulsparkassen, Mietzins-, Fabrik- und andre Betriebssparkassen
müssen hier das ihrige tun. Zweifellos kann auf diesem Gebiete in Deutsch¬
land noch viel geleistet und unsern Volksangehörigen noch jährlich viele
Millionen Spargelder entlockt werden, wenn es gelingt, wie es der im
Jahre 1907 gegründete Volkssparverband für Deutschland anstrebt, durch ent¬
sprechende Einrichtungen die Spargelegenheiten zu vermehren und zu verbessern.
Neben der Begründung der vorgenannten das Kleinsparwesen befördernden Spar¬
kassen bieten hierzu vorzügliche Mittel die Einführung geeigneter Prämien-
und Alterssparsysteme und die Anwendung des Heim- oder Hanssparbüchsen¬
wesens, das in Amerika und später in Österreich so große Erfolge errungen
hat. Diese Heimsparkasse ist eine sinnreiche Ausgestaltung der alten Spar¬
büchse, und eben weil sie sich an eine alte und bekannte Einrichtung aufs
innigste anlehnt, weil sie nicht Gewöhnung an etwas neues und fremdartiges
verlangt, wird sie vom Publikum ohne Schwierigkeit angenommen. Die Aus¬
gestaltung besteht darin, daß die Büchse versperrt ist, und daß sich der Schlüssel
nicht beim Sparer, sondern bei der Sparkasse befindet und daher jedes kleine
Geldstück, das als Spargeld in die Büchse gelegt wird, auch tatsächlich beim
Sparinstitut als Spareinlage abgeliefert werden muß. Der erfindungsreiche
Amerikaner hat kürzlich diese Einrichtung dahin ergänzt, daß auch solche
Büchsen angefertigt werden, die vom Sparer in der Tasche getragen werden
können, sodaß er also jederzeit Gelegenheit hat, Spargroschen in die Büchse


Ser Sparer und die Reichsfinanzreform

andre Länder, die weit größere wirtschaftliche Kräfte in sich bergen, von
schweren Erschütterungen berührt wurden und unter der Last der höchsten
Zinssätze litten.

Was heißt sparen? Es bedeutet: durch Konsumbeschrünknng einen Ver¬
mögenszuwachs schaffen. Jede durch Konsumbeschrünknng entstandne Ver¬
mögensbildung nennen wir Ersparnis. Zur Bestimmung des Sparbegriffs
ist also immer zweierlei notwendig: Vermögensbildung und Konsumbeschränkung.
Hiernach beantwortet sich auch die Frage, ob oder inwieweit der einzelne
sparen kann; es muß für ihn die Möglichkeit bestehen, seinen Konsum ein¬
zuschränken. Der der untersten wirtschaftlichen Stufe angehörende, der Hand¬
arbeiter, ist also nur in der Lage, Ersparnisse zu machen, wenn sein Lohn so
hoch ist, daß er nicht genötigt ist, ihn voll zur Bestreitung seines Konsums
zu verwenden. Man sieht deshalb, daß in den Ländern, wo die Löhne höher
sind, wie in Amerika und England, auch mehr von den Arbeitern gespart wird;
dies trifft auch auf die industriellen Gegenden Deutschlands zu. Soweit ist
das Sparen der ürmern Stände ein Zeichen sozialer Kraft und gesunder Volks¬
wirtschaft. Auf der andern Seite müssen in ausreichendem Maße Einrichtungen
getroffen werden, die dem Arbeiter und Minderbemittelten jede Gelegenheit
zum Sparen geben und dieses erleichtern, namentlich gilt dies auch von den
jüngern Leuten, die noch keine Familie zu ernähren haben, andrerseits aber
oft schon einen verhältnismäßig hohen Lohn beziehen. Schul-, namentlich
Fortbildungsschulsparkassen, Mietzins-, Fabrik- und andre Betriebssparkassen
müssen hier das ihrige tun. Zweifellos kann auf diesem Gebiete in Deutsch¬
land noch viel geleistet und unsern Volksangehörigen noch jährlich viele
Millionen Spargelder entlockt werden, wenn es gelingt, wie es der im
Jahre 1907 gegründete Volkssparverband für Deutschland anstrebt, durch ent¬
sprechende Einrichtungen die Spargelegenheiten zu vermehren und zu verbessern.
Neben der Begründung der vorgenannten das Kleinsparwesen befördernden Spar¬
kassen bieten hierzu vorzügliche Mittel die Einführung geeigneter Prämien-
und Alterssparsysteme und die Anwendung des Heim- oder Hanssparbüchsen¬
wesens, das in Amerika und später in Österreich so große Erfolge errungen
hat. Diese Heimsparkasse ist eine sinnreiche Ausgestaltung der alten Spar¬
büchse, und eben weil sie sich an eine alte und bekannte Einrichtung aufs
innigste anlehnt, weil sie nicht Gewöhnung an etwas neues und fremdartiges
verlangt, wird sie vom Publikum ohne Schwierigkeit angenommen. Die Aus¬
gestaltung besteht darin, daß die Büchse versperrt ist, und daß sich der Schlüssel
nicht beim Sparer, sondern bei der Sparkasse befindet und daher jedes kleine
Geldstück, das als Spargeld in die Büchse gelegt wird, auch tatsächlich beim
Sparinstitut als Spareinlage abgeliefert werden muß. Der erfindungsreiche
Amerikaner hat kürzlich diese Einrichtung dahin ergänzt, daß auch solche
Büchsen angefertigt werden, die vom Sparer in der Tasche getragen werden
können, sodaß er also jederzeit Gelegenheit hat, Spargroschen in die Büchse


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[0187] Ser Sparer und die Reichsfinanzreform andre Länder, die weit größere wirtschaftliche Kräfte in sich bergen, von schweren Erschütterungen berührt wurden und unter der Last der höchsten Zinssätze litten. Was heißt sparen? Es bedeutet: durch Konsumbeschrünknng einen Ver¬ mögenszuwachs schaffen. Jede durch Konsumbeschrünknng entstandne Ver¬ mögensbildung nennen wir Ersparnis. Zur Bestimmung des Sparbegriffs ist also immer zweierlei notwendig: Vermögensbildung und Konsumbeschränkung. Hiernach beantwortet sich auch die Frage, ob oder inwieweit der einzelne sparen kann; es muß für ihn die Möglichkeit bestehen, seinen Konsum ein¬ zuschränken. Der der untersten wirtschaftlichen Stufe angehörende, der Hand¬ arbeiter, ist also nur in der Lage, Ersparnisse zu machen, wenn sein Lohn so hoch ist, daß er nicht genötigt ist, ihn voll zur Bestreitung seines Konsums zu verwenden. Man sieht deshalb, daß in den Ländern, wo die Löhne höher sind, wie in Amerika und England, auch mehr von den Arbeitern gespart wird; dies trifft auch auf die industriellen Gegenden Deutschlands zu. Soweit ist das Sparen der ürmern Stände ein Zeichen sozialer Kraft und gesunder Volks¬ wirtschaft. Auf der andern Seite müssen in ausreichendem Maße Einrichtungen getroffen werden, die dem Arbeiter und Minderbemittelten jede Gelegenheit zum Sparen geben und dieses erleichtern, namentlich gilt dies auch von den jüngern Leuten, die noch keine Familie zu ernähren haben, andrerseits aber oft schon einen verhältnismäßig hohen Lohn beziehen. Schul-, namentlich Fortbildungsschulsparkassen, Mietzins-, Fabrik- und andre Betriebssparkassen müssen hier das ihrige tun. Zweifellos kann auf diesem Gebiete in Deutsch¬ land noch viel geleistet und unsern Volksangehörigen noch jährlich viele Millionen Spargelder entlockt werden, wenn es gelingt, wie es der im Jahre 1907 gegründete Volkssparverband für Deutschland anstrebt, durch ent¬ sprechende Einrichtungen die Spargelegenheiten zu vermehren und zu verbessern. Neben der Begründung der vorgenannten das Kleinsparwesen befördernden Spar¬ kassen bieten hierzu vorzügliche Mittel die Einführung geeigneter Prämien- und Alterssparsysteme und die Anwendung des Heim- oder Hanssparbüchsen¬ wesens, das in Amerika und später in Österreich so große Erfolge errungen hat. Diese Heimsparkasse ist eine sinnreiche Ausgestaltung der alten Spar¬ büchse, und eben weil sie sich an eine alte und bekannte Einrichtung aufs innigste anlehnt, weil sie nicht Gewöhnung an etwas neues und fremdartiges verlangt, wird sie vom Publikum ohne Schwierigkeit angenommen. Die Aus¬ gestaltung besteht darin, daß die Büchse versperrt ist, und daß sich der Schlüssel nicht beim Sparer, sondern bei der Sparkasse befindet und daher jedes kleine Geldstück, das als Spargeld in die Büchse gelegt wird, auch tatsächlich beim Sparinstitut als Spareinlage abgeliefert werden muß. Der erfindungsreiche Amerikaner hat kürzlich diese Einrichtung dahin ergänzt, daß auch solche Büchsen angefertigt werden, die vom Sparer in der Tasche getragen werden können, sodaß er also jederzeit Gelegenheit hat, Spargroschen in die Büchse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/187>, abgerufen am 12.12.2024.