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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Der Sparer und die Reichsfinanzrefonn

die zweieinhalbprozentige französische Rente 95,30 Prozent, die dreiprozentige
französische Rente 95,30 Prozent, und die dreiprozentige Deutsche Reichsanleihe
stand kaum auf 83 Prozent.

Unter solchen Verhältnissen wird die gesamte Volkswirtschaft geschädigt
und durch die Erschütterung des nationalen Kredits die politische Stellung
Deutschlands unnötigen Gefahren ausgesetzt; die Finanzen des Reichs er¬
leiden eine schwere Schädigung dadurch, daß der Kapitalerlös für die Reichs¬
kasse bei jeder neuen Ausgabe von Schuldverschreibungen geringer wird.
Schädigungen erfahren sodann die Einzelstaaten und die Kommunen bei der
Aufnahme von Anleihen für ihre Bedürfnisse auf den verschiednen wirtschaft¬
lichen und sozialen Gebieten. Vor allem werden aber auch die deutschen An¬
leiher geschädigt und der Neichsbankdiskont, namentlich in Zeiten, wo Industrie
und Gewerbe blühen und das Geld knapper zu werden beginnt, übermäßig
in die Höhe geschnellt, sodciß Landwirtschaft, Industrie und Handel nachteilig
beeinflußt werden. Dazu tritt die Gefahr, daß einmal die Zeichnung gerade
dann einen Mißerfolg haben könnte, wenn Staat oder Reich das Geld be¬
sonders dringend gebrauchen. Wenn auf Grund der gemachten Erfahrungen
mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden kann, daß man die Anleihe kurze
Zeit nach der Emission unter dem Zeichnungskurse erhält, so wird man sich
einfach nicht mehr an der Subskription beteiligen.

In den Jahren 1895/96 erlangte das Reich für seine dreiprozentige An¬
leihe in Höhe von 33^ Millionen Mark einen durchschnittlichen Begebuugs-
preis von 99,30 Prozent. Seither hat es Anleihen zu 3, 3^ und 4 Prozent
im Gesamtbetrage von 1783 Millionen Mark begeben, für die es einen Erlös
von 1686 Millionen Mark erhalten hat, und deren Zinsendienst jährlich
59,1 Millionen Mark erfordert.

Wäre es dauernd möglich gewesen, so führte der Reichskanzler im An¬
schlusse an diese Zahlen aus, den Anleihebedarf durch Begehung von drei-
prozentigen Obligationen zum Kurse der Jahre 1895/96 zu decken, so würde
zur Erreichung desselben Erlosch ein um 84^ Millionen Mark geringerer
Zinsendienst möglich sein. Ende Oktober 1897 waren an Neichsanleihescheinen
zu drei und dreieinhalb Prozent 2153 Millionen Mark vorhanden, deren
Kurswert sich auf Grund des durchschnittlichen Kurses vom Oktober 1897 auf
2159^ Millionen Mark stellte. Nach dem Kurse vom 31. August v. I. be¬
läuft er sich nur noch auf 1906^ Millionen Mark, sodaß die Gesamtheit
der Besitzer dieser heimischen mündelsichern Anleihen, insonderheit das deutsche
sparende Publikum, infolge der Verschlechterung der Marktlage eine Ver¬
minderung seines Vermögens um 252^ Millionen Mark oder 11,71 Prozent
zu beklagen hat. Diese Verluste treffen aber gerade vielfach den kleinern
Rentner und den sogenannten Mittelstand.

Das Reich hat also die dringende Verpflichtung, hier Abhilfe zu schaffen;
denn im Interesse der volkswirtschaftlichen Produktion hat jeder Staat die


Der Sparer und die Reichsfinanzrefonn

die zweieinhalbprozentige französische Rente 95,30 Prozent, die dreiprozentige
französische Rente 95,30 Prozent, und die dreiprozentige Deutsche Reichsanleihe
stand kaum auf 83 Prozent.

Unter solchen Verhältnissen wird die gesamte Volkswirtschaft geschädigt
und durch die Erschütterung des nationalen Kredits die politische Stellung
Deutschlands unnötigen Gefahren ausgesetzt; die Finanzen des Reichs er¬
leiden eine schwere Schädigung dadurch, daß der Kapitalerlös für die Reichs¬
kasse bei jeder neuen Ausgabe von Schuldverschreibungen geringer wird.
Schädigungen erfahren sodann die Einzelstaaten und die Kommunen bei der
Aufnahme von Anleihen für ihre Bedürfnisse auf den verschiednen wirtschaft¬
lichen und sozialen Gebieten. Vor allem werden aber auch die deutschen An¬
leiher geschädigt und der Neichsbankdiskont, namentlich in Zeiten, wo Industrie
und Gewerbe blühen und das Geld knapper zu werden beginnt, übermäßig
in die Höhe geschnellt, sodciß Landwirtschaft, Industrie und Handel nachteilig
beeinflußt werden. Dazu tritt die Gefahr, daß einmal die Zeichnung gerade
dann einen Mißerfolg haben könnte, wenn Staat oder Reich das Geld be¬
sonders dringend gebrauchen. Wenn auf Grund der gemachten Erfahrungen
mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden kann, daß man die Anleihe kurze
Zeit nach der Emission unter dem Zeichnungskurse erhält, so wird man sich
einfach nicht mehr an der Subskription beteiligen.

In den Jahren 1895/96 erlangte das Reich für seine dreiprozentige An¬
leihe in Höhe von 33^ Millionen Mark einen durchschnittlichen Begebuugs-
preis von 99,30 Prozent. Seither hat es Anleihen zu 3, 3^ und 4 Prozent
im Gesamtbetrage von 1783 Millionen Mark begeben, für die es einen Erlös
von 1686 Millionen Mark erhalten hat, und deren Zinsendienst jährlich
59,1 Millionen Mark erfordert.

Wäre es dauernd möglich gewesen, so führte der Reichskanzler im An¬
schlusse an diese Zahlen aus, den Anleihebedarf durch Begehung von drei-
prozentigen Obligationen zum Kurse der Jahre 1895/96 zu decken, so würde
zur Erreichung desselben Erlosch ein um 84^ Millionen Mark geringerer
Zinsendienst möglich sein. Ende Oktober 1897 waren an Neichsanleihescheinen
zu drei und dreieinhalb Prozent 2153 Millionen Mark vorhanden, deren
Kurswert sich auf Grund des durchschnittlichen Kurses vom Oktober 1897 auf
2159^ Millionen Mark stellte. Nach dem Kurse vom 31. August v. I. be¬
läuft er sich nur noch auf 1906^ Millionen Mark, sodaß die Gesamtheit
der Besitzer dieser heimischen mündelsichern Anleihen, insonderheit das deutsche
sparende Publikum, infolge der Verschlechterung der Marktlage eine Ver¬
minderung seines Vermögens um 252^ Millionen Mark oder 11,71 Prozent
zu beklagen hat. Diese Verluste treffen aber gerade vielfach den kleinern
Rentner und den sogenannten Mittelstand.

Das Reich hat also die dringende Verpflichtung, hier Abhilfe zu schaffen;
denn im Interesse der volkswirtschaftlichen Produktion hat jeder Staat die


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[0182] Der Sparer und die Reichsfinanzrefonn die zweieinhalbprozentige französische Rente 95,30 Prozent, die dreiprozentige französische Rente 95,30 Prozent, und die dreiprozentige Deutsche Reichsanleihe stand kaum auf 83 Prozent. Unter solchen Verhältnissen wird die gesamte Volkswirtschaft geschädigt und durch die Erschütterung des nationalen Kredits die politische Stellung Deutschlands unnötigen Gefahren ausgesetzt; die Finanzen des Reichs er¬ leiden eine schwere Schädigung dadurch, daß der Kapitalerlös für die Reichs¬ kasse bei jeder neuen Ausgabe von Schuldverschreibungen geringer wird. Schädigungen erfahren sodann die Einzelstaaten und die Kommunen bei der Aufnahme von Anleihen für ihre Bedürfnisse auf den verschiednen wirtschaft¬ lichen und sozialen Gebieten. Vor allem werden aber auch die deutschen An¬ leiher geschädigt und der Neichsbankdiskont, namentlich in Zeiten, wo Industrie und Gewerbe blühen und das Geld knapper zu werden beginnt, übermäßig in die Höhe geschnellt, sodciß Landwirtschaft, Industrie und Handel nachteilig beeinflußt werden. Dazu tritt die Gefahr, daß einmal die Zeichnung gerade dann einen Mißerfolg haben könnte, wenn Staat oder Reich das Geld be¬ sonders dringend gebrauchen. Wenn auf Grund der gemachten Erfahrungen mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden kann, daß man die Anleihe kurze Zeit nach der Emission unter dem Zeichnungskurse erhält, so wird man sich einfach nicht mehr an der Subskription beteiligen. In den Jahren 1895/96 erlangte das Reich für seine dreiprozentige An¬ leihe in Höhe von 33^ Millionen Mark einen durchschnittlichen Begebuugs- preis von 99,30 Prozent. Seither hat es Anleihen zu 3, 3^ und 4 Prozent im Gesamtbetrage von 1783 Millionen Mark begeben, für die es einen Erlös von 1686 Millionen Mark erhalten hat, und deren Zinsendienst jährlich 59,1 Millionen Mark erfordert. Wäre es dauernd möglich gewesen, so führte der Reichskanzler im An¬ schlusse an diese Zahlen aus, den Anleihebedarf durch Begehung von drei- prozentigen Obligationen zum Kurse der Jahre 1895/96 zu decken, so würde zur Erreichung desselben Erlosch ein um 84^ Millionen Mark geringerer Zinsendienst möglich sein. Ende Oktober 1897 waren an Neichsanleihescheinen zu drei und dreieinhalb Prozent 2153 Millionen Mark vorhanden, deren Kurswert sich auf Grund des durchschnittlichen Kurses vom Oktober 1897 auf 2159^ Millionen Mark stellte. Nach dem Kurse vom 31. August v. I. be¬ läuft er sich nur noch auf 1906^ Millionen Mark, sodaß die Gesamtheit der Besitzer dieser heimischen mündelsichern Anleihen, insonderheit das deutsche sparende Publikum, infolge der Verschlechterung der Marktlage eine Ver¬ minderung seines Vermögens um 252^ Millionen Mark oder 11,71 Prozent zu beklagen hat. Diese Verluste treffen aber gerade vielfach den kleinern Rentner und den sogenannten Mittelstand. Das Reich hat also die dringende Verpflichtung, hier Abhilfe zu schaffen; denn im Interesse der volkswirtschaftlichen Produktion hat jeder Staat die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/182>, abgerufen am 23.07.2024.