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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Bertha von Suttnor

Würden England und Deutschland ein recht schlechtes Geschäft machen, wenn
sie einander ihre Schiffladungen von Kleiderstoffen und Ackerbanmaschineu
kapern wollten, denn jedes dieser beiden Länder hat mehr als genug vou
solchen Waren. Und mehr noch: sie bekommen sie auf dem Wege friedlichen
Tausches wohlfeiler als dnrch einen Krieg. Jedes bringt sie dem andern
freiwillig auf deu Markt, freilich nicht und hundert bis tausend Prozent Profit
wie den Pfeffer in der Konquistadorenzeit, sondern nur mit zehn bis zwanzig
Prozent. Der heutige internationale Handel zwischen den Industriestaaten
-- und das sind sämtliche mittel- und westeuropäische Staaten -- besteht im
Austausch von Waren meist derselben Gattung und nur verschiedner Qualität.
Und dieser Austausch zwischen den Kulturnationen macht den größten Teil
des Auslandhandels aus; England und Deutschland sind die besten Kunden
füreinander; es ist sehr unwahrscheinlich, daß die Großhändler und Gro߬
industriellen beider Länder von gegenseitigem Bombardieren, Blockieren und
Kapern eine Besserung ihrer Geschäftslage erwarten werden. Die Zeitungs¬
redaktionen bekunden ja mit dem starken Absatz der Weltkriegromane zusammen
ihre Rauflust und die ihres Publikums. Aber glücklicherweise hängt nicht
von ihnen und dem Lesepublikum die Entscheidung über Krieg und Frieden
ab, sondern von der Großindustrie und der hohen Finanz, die über den
nsrvus roruM gebieten. Gewiß können beide auch im Kriege gute Geschäfte
machen, nach der heutigen Lage der Dinge jedoch machen sie im bewaffneten
Frieden nicht weniger gute mit geringerm Risiko. Also werden die Staaten
wahrscheinlich Frieden halten, nicht weil ihre Bürger Engel geworden sind,
sondern durch ihr wirtschaftliches Interesse dazu gezwungen; was ja immerhin
die Menschen, wenn auch nicht in jeder Beziehung, tugendhaft macht, so doch
mit der strengen innern Ordnung zusammen ihnen die Gewalttätigkeit ab¬
gewöhnt. Das Militär wird immer notwendig bleiben teils zur Aufrecht¬
erhaltung der innern Ordnung teils zur Ausübung der Polizei in den Ländern
der Barbaren und der Halbbarbaren. Dieser bedarf die Kulturwelt, weil ihr
bei zunehmendem Reichtum an Kunsterzeuguissen die Naturprodukte, von denen
zudem manche in ihrem Gebiet gar nicht vorkommen, immer knapper werden.

Mit der Zeit wird die steigende Knappheit den Konzern, wie man das heute
nennt, der Großmächte dazu zwingen, den Anbau und Schutz der Nahrungs¬
mittel, Rohstoffe und industriellen Hilfsstoffe in den weniger zivilisierten
Ländern planmäßig zu organisieren. Diese Organisationstätigkeit, diese Beauf¬
sichtigung, Erziehung und Leitung ungebärdiger Riesenlümmel wird jedes der
Völker, denen sie zufällt, nicht als ein Vermögensobjekt sondern als eine
schwierige Pflicht ansehen lernen und sich nicht mit den Nachbarn darum
raufen, sondern sich dazu schön bitten lassen. Ich weiß natürlich nicht, ob
die Entwicklung wirklich diese Richtung innehalten wird, aber eingeschlagen
ist sie schon, und die Friedensbewegung scheint mir die Funktion zu haben,
Stimmung dafür zu machen, daß das, was wirklich ist, von den bis jetzt mit


Bertha von Suttnor

Würden England und Deutschland ein recht schlechtes Geschäft machen, wenn
sie einander ihre Schiffladungen von Kleiderstoffen und Ackerbanmaschineu
kapern wollten, denn jedes dieser beiden Länder hat mehr als genug vou
solchen Waren. Und mehr noch: sie bekommen sie auf dem Wege friedlichen
Tausches wohlfeiler als dnrch einen Krieg. Jedes bringt sie dem andern
freiwillig auf deu Markt, freilich nicht und hundert bis tausend Prozent Profit
wie den Pfeffer in der Konquistadorenzeit, sondern nur mit zehn bis zwanzig
Prozent. Der heutige internationale Handel zwischen den Industriestaaten
— und das sind sämtliche mittel- und westeuropäische Staaten — besteht im
Austausch von Waren meist derselben Gattung und nur verschiedner Qualität.
Und dieser Austausch zwischen den Kulturnationen macht den größten Teil
des Auslandhandels aus; England und Deutschland sind die besten Kunden
füreinander; es ist sehr unwahrscheinlich, daß die Großhändler und Gro߬
industriellen beider Länder von gegenseitigem Bombardieren, Blockieren und
Kapern eine Besserung ihrer Geschäftslage erwarten werden. Die Zeitungs¬
redaktionen bekunden ja mit dem starken Absatz der Weltkriegromane zusammen
ihre Rauflust und die ihres Publikums. Aber glücklicherweise hängt nicht
von ihnen und dem Lesepublikum die Entscheidung über Krieg und Frieden
ab, sondern von der Großindustrie und der hohen Finanz, die über den
nsrvus roruM gebieten. Gewiß können beide auch im Kriege gute Geschäfte
machen, nach der heutigen Lage der Dinge jedoch machen sie im bewaffneten
Frieden nicht weniger gute mit geringerm Risiko. Also werden die Staaten
wahrscheinlich Frieden halten, nicht weil ihre Bürger Engel geworden sind,
sondern durch ihr wirtschaftliches Interesse dazu gezwungen; was ja immerhin
die Menschen, wenn auch nicht in jeder Beziehung, tugendhaft macht, so doch
mit der strengen innern Ordnung zusammen ihnen die Gewalttätigkeit ab¬
gewöhnt. Das Militär wird immer notwendig bleiben teils zur Aufrecht¬
erhaltung der innern Ordnung teils zur Ausübung der Polizei in den Ländern
der Barbaren und der Halbbarbaren. Dieser bedarf die Kulturwelt, weil ihr
bei zunehmendem Reichtum an Kunsterzeuguissen die Naturprodukte, von denen
zudem manche in ihrem Gebiet gar nicht vorkommen, immer knapper werden.

Mit der Zeit wird die steigende Knappheit den Konzern, wie man das heute
nennt, der Großmächte dazu zwingen, den Anbau und Schutz der Nahrungs¬
mittel, Rohstoffe und industriellen Hilfsstoffe in den weniger zivilisierten
Ländern planmäßig zu organisieren. Diese Organisationstätigkeit, diese Beauf¬
sichtigung, Erziehung und Leitung ungebärdiger Riesenlümmel wird jedes der
Völker, denen sie zufällt, nicht als ein Vermögensobjekt sondern als eine
schwierige Pflicht ansehen lernen und sich nicht mit den Nachbarn darum
raufen, sondern sich dazu schön bitten lassen. Ich weiß natürlich nicht, ob
die Entwicklung wirklich diese Richtung innehalten wird, aber eingeschlagen
ist sie schon, und die Friedensbewegung scheint mir die Funktion zu haben,
Stimmung dafür zu machen, daß das, was wirklich ist, von den bis jetzt mit


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[0157] Bertha von Suttnor Würden England und Deutschland ein recht schlechtes Geschäft machen, wenn sie einander ihre Schiffladungen von Kleiderstoffen und Ackerbanmaschineu kapern wollten, denn jedes dieser beiden Länder hat mehr als genug vou solchen Waren. Und mehr noch: sie bekommen sie auf dem Wege friedlichen Tausches wohlfeiler als dnrch einen Krieg. Jedes bringt sie dem andern freiwillig auf deu Markt, freilich nicht und hundert bis tausend Prozent Profit wie den Pfeffer in der Konquistadorenzeit, sondern nur mit zehn bis zwanzig Prozent. Der heutige internationale Handel zwischen den Industriestaaten — und das sind sämtliche mittel- und westeuropäische Staaten — besteht im Austausch von Waren meist derselben Gattung und nur verschiedner Qualität. Und dieser Austausch zwischen den Kulturnationen macht den größten Teil des Auslandhandels aus; England und Deutschland sind die besten Kunden füreinander; es ist sehr unwahrscheinlich, daß die Großhändler und Gro߬ industriellen beider Länder von gegenseitigem Bombardieren, Blockieren und Kapern eine Besserung ihrer Geschäftslage erwarten werden. Die Zeitungs¬ redaktionen bekunden ja mit dem starken Absatz der Weltkriegromane zusammen ihre Rauflust und die ihres Publikums. Aber glücklicherweise hängt nicht von ihnen und dem Lesepublikum die Entscheidung über Krieg und Frieden ab, sondern von der Großindustrie und der hohen Finanz, die über den nsrvus roruM gebieten. Gewiß können beide auch im Kriege gute Geschäfte machen, nach der heutigen Lage der Dinge jedoch machen sie im bewaffneten Frieden nicht weniger gute mit geringerm Risiko. Also werden die Staaten wahrscheinlich Frieden halten, nicht weil ihre Bürger Engel geworden sind, sondern durch ihr wirtschaftliches Interesse dazu gezwungen; was ja immerhin die Menschen, wenn auch nicht in jeder Beziehung, tugendhaft macht, so doch mit der strengen innern Ordnung zusammen ihnen die Gewalttätigkeit ab¬ gewöhnt. Das Militär wird immer notwendig bleiben teils zur Aufrecht¬ erhaltung der innern Ordnung teils zur Ausübung der Polizei in den Ländern der Barbaren und der Halbbarbaren. Dieser bedarf die Kulturwelt, weil ihr bei zunehmendem Reichtum an Kunsterzeuguissen die Naturprodukte, von denen zudem manche in ihrem Gebiet gar nicht vorkommen, immer knapper werden. Mit der Zeit wird die steigende Knappheit den Konzern, wie man das heute nennt, der Großmächte dazu zwingen, den Anbau und Schutz der Nahrungs¬ mittel, Rohstoffe und industriellen Hilfsstoffe in den weniger zivilisierten Ländern planmäßig zu organisieren. Diese Organisationstätigkeit, diese Beauf¬ sichtigung, Erziehung und Leitung ungebärdiger Riesenlümmel wird jedes der Völker, denen sie zufällt, nicht als ein Vermögensobjekt sondern als eine schwierige Pflicht ansehen lernen und sich nicht mit den Nachbarn darum raufen, sondern sich dazu schön bitten lassen. Ich weiß natürlich nicht, ob die Entwicklung wirklich diese Richtung innehalten wird, aber eingeschlagen ist sie schon, und die Friedensbewegung scheint mir die Funktion zu haben, Stimmung dafür zu machen, daß das, was wirklich ist, von den bis jetzt mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/157>, abgerufen am 12.12.2024.