Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bertha von Suttner

Liebknecht schrieb: "Der Abrüstungsvorschlag des zarischen Rußlands ist
Schwindel." Etwas weniger schroff hat Bebel geantwortet, als sie ihn im
nächsten Winter bei einem Aufenthalt in Berlin zu einem Besuche einlud.
Dem Grundgedanken des Manifestes stehe die Sozialdemokratie natürlich
sympathisch gegenüber; sei sie doch die einzige, die ihn im Reichstage vertrete,
und daß der Monarch eines so militaristischen Staates jetzt als Gegner des
Militarismus auftrete, sei in hohem Maße anerkennenswert, könne aber seine
Gesinnungsgenossen nicht abhalten, diesem Vorgehen, solange die entsprechenden
Taten fehlen, mit einem gewissen Mißtrauen zu begegnen. Auch den Oberst¬
leutnant von Egidy, der damals der Mann des Tages war (heute würde er
der Held der "Woche" sein), gewann sie für ihre Agitation. Sehr hübsch
nimmt sich die Antwort aus, die sie von einem Grafen Zc. bekam auf die Ein¬
ladung zu einem Vortrage, den Egidy in Wien halten sollte: "Ich habe nie
eine Zeile von Egidy gelesen. Aber ich vermag Ihre Ansicht über ihn nicht
zu teilen; denn erstens kann ich die Preußen nicht leiden; zweitens, wenn ein
Soldat etwas so Unanständiges getan hat, daß er nicht weiterdienen kann,
so muß ich verwerfen, was er spricht, und wäre er so weise wie Aristoteles."
Stead erzählte ihr, was ihm in einer Unterhaltung über das Friedens¬
manifest der Zar gesagt hatte: "Habe ich einen einzigen Brief erhalten, hat
mir einer Vorstellungen gemacht, daß ich die Gefahr übertreibe? Nicht eiuer;
sie geben alle zu, daß ich wahr gesprochen. Dagegen fragen sie mich, was ich
vorschlagen wolle, das Unheil abzuwenden. Als ob das meine, nur meine
Sache wäre, ein Mittel gegen eine Krankheit zu verschreiben, an der doch alle
Nationen leiden."

Dem (ersten) Haager Kongresse wohnte sie natürlich bei. Durand, der
Schöpfer des Roten Kreuzes, gab ihr Weisungen mit, die, wie sie meinte, er¬
kennen ließen, "daß er von der Konferenz nicht die Förderung seines Werkes
ersehnte, sondern vielmehr die Gründung eines neuen großen Werkes: der
internationalen Justiz; nicht mehr Notes Kreuz war seine Losung, sondern
Weiße Fahne". Er bezeichnet als das Wesentliche, was der Kongreß zu
leisten habe, eine Resolution für eine aus Diplomaten bestehende permanente
Vermittlungskommission, die nicht etwa in dem permanenten internationalen
Friedensbureau zu Bern schon vorhanden sei, denn eine solche freie Vereinigung
zähle nicht in den Augen der Diplomaten. Darauf müßte man alle An¬
strengungen konzentrieren, ohne sich um das übrige (as röste steht da statt
<w röste; dergleichen kleine Druckfehler sind mehrere stehn geblieben) viel zu
kümmern. Über die sieben ersten Artikel des russischen Programms soll sie
die Mitglieder reden lassen, was sie wollen, und sich in gar keine Erörterungen
mit ihnen einlassen; es tun, würde heißen, "die Autorität Ihres Wortes
schwächen"; nur darauf soll sie bestehen, daß die Annahme des Artikels 8
dringend notwendig, opportun und sogar durch die Rücksicht, die man dem
Zaren schulde, geboten sei. Der Artikel lautet: ^eesptatiori su xririoixs 6s


Bertha von Suttner

Liebknecht schrieb: „Der Abrüstungsvorschlag des zarischen Rußlands ist
Schwindel." Etwas weniger schroff hat Bebel geantwortet, als sie ihn im
nächsten Winter bei einem Aufenthalt in Berlin zu einem Besuche einlud.
Dem Grundgedanken des Manifestes stehe die Sozialdemokratie natürlich
sympathisch gegenüber; sei sie doch die einzige, die ihn im Reichstage vertrete,
und daß der Monarch eines so militaristischen Staates jetzt als Gegner des
Militarismus auftrete, sei in hohem Maße anerkennenswert, könne aber seine
Gesinnungsgenossen nicht abhalten, diesem Vorgehen, solange die entsprechenden
Taten fehlen, mit einem gewissen Mißtrauen zu begegnen. Auch den Oberst¬
leutnant von Egidy, der damals der Mann des Tages war (heute würde er
der Held der „Woche" sein), gewann sie für ihre Agitation. Sehr hübsch
nimmt sich die Antwort aus, die sie von einem Grafen Zc. bekam auf die Ein¬
ladung zu einem Vortrage, den Egidy in Wien halten sollte: „Ich habe nie
eine Zeile von Egidy gelesen. Aber ich vermag Ihre Ansicht über ihn nicht
zu teilen; denn erstens kann ich die Preußen nicht leiden; zweitens, wenn ein
Soldat etwas so Unanständiges getan hat, daß er nicht weiterdienen kann,
so muß ich verwerfen, was er spricht, und wäre er so weise wie Aristoteles."
Stead erzählte ihr, was ihm in einer Unterhaltung über das Friedens¬
manifest der Zar gesagt hatte: „Habe ich einen einzigen Brief erhalten, hat
mir einer Vorstellungen gemacht, daß ich die Gefahr übertreibe? Nicht eiuer;
sie geben alle zu, daß ich wahr gesprochen. Dagegen fragen sie mich, was ich
vorschlagen wolle, das Unheil abzuwenden. Als ob das meine, nur meine
Sache wäre, ein Mittel gegen eine Krankheit zu verschreiben, an der doch alle
Nationen leiden."

Dem (ersten) Haager Kongresse wohnte sie natürlich bei. Durand, der
Schöpfer des Roten Kreuzes, gab ihr Weisungen mit, die, wie sie meinte, er¬
kennen ließen, „daß er von der Konferenz nicht die Förderung seines Werkes
ersehnte, sondern vielmehr die Gründung eines neuen großen Werkes: der
internationalen Justiz; nicht mehr Notes Kreuz war seine Losung, sondern
Weiße Fahne". Er bezeichnet als das Wesentliche, was der Kongreß zu
leisten habe, eine Resolution für eine aus Diplomaten bestehende permanente
Vermittlungskommission, die nicht etwa in dem permanenten internationalen
Friedensbureau zu Bern schon vorhanden sei, denn eine solche freie Vereinigung
zähle nicht in den Augen der Diplomaten. Darauf müßte man alle An¬
strengungen konzentrieren, ohne sich um das übrige (as röste steht da statt
<w röste; dergleichen kleine Druckfehler sind mehrere stehn geblieben) viel zu
kümmern. Über die sieben ersten Artikel des russischen Programms soll sie
die Mitglieder reden lassen, was sie wollen, und sich in gar keine Erörterungen
mit ihnen einlassen; es tun, würde heißen, „die Autorität Ihres Wortes
schwächen"; nur darauf soll sie bestehen, daß die Annahme des Artikels 8
dringend notwendig, opportun und sogar durch die Rücksicht, die man dem
Zaren schulde, geboten sei. Der Artikel lautet: ^eesptatiori su xririoixs 6s


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312503"/>
          <fw type="header" place="top"> Bertha von Suttner</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_569" prev="#ID_568"> Liebknecht schrieb: &#x201E;Der Abrüstungsvorschlag des zarischen Rußlands ist<lb/>
Schwindel." Etwas weniger schroff hat Bebel geantwortet, als sie ihn im<lb/>
nächsten Winter bei einem Aufenthalt in Berlin zu einem Besuche einlud.<lb/>
Dem Grundgedanken des Manifestes stehe die Sozialdemokratie natürlich<lb/>
sympathisch gegenüber; sei sie doch die einzige, die ihn im Reichstage vertrete,<lb/>
und daß der Monarch eines so militaristischen Staates jetzt als Gegner des<lb/>
Militarismus auftrete, sei in hohem Maße anerkennenswert, könne aber seine<lb/>
Gesinnungsgenossen nicht abhalten, diesem Vorgehen, solange die entsprechenden<lb/>
Taten fehlen, mit einem gewissen Mißtrauen zu begegnen. Auch den Oberst¬<lb/>
leutnant von Egidy, der damals der Mann des Tages war (heute würde er<lb/>
der Held der &#x201E;Woche" sein), gewann sie für ihre Agitation. Sehr hübsch<lb/>
nimmt sich die Antwort aus, die sie von einem Grafen Zc. bekam auf die Ein¬<lb/>
ladung zu einem Vortrage, den Egidy in Wien halten sollte: &#x201E;Ich habe nie<lb/>
eine Zeile von Egidy gelesen. Aber ich vermag Ihre Ansicht über ihn nicht<lb/>
zu teilen; denn erstens kann ich die Preußen nicht leiden; zweitens, wenn ein<lb/>
Soldat etwas so Unanständiges getan hat, daß er nicht weiterdienen kann,<lb/>
so muß ich verwerfen, was er spricht, und wäre er so weise wie Aristoteles."<lb/>
Stead erzählte ihr, was ihm in einer Unterhaltung über das Friedens¬<lb/>
manifest der Zar gesagt hatte: &#x201E;Habe ich einen einzigen Brief erhalten, hat<lb/>
mir einer Vorstellungen gemacht, daß ich die Gefahr übertreibe? Nicht eiuer;<lb/>
sie geben alle zu, daß ich wahr gesprochen. Dagegen fragen sie mich, was ich<lb/>
vorschlagen wolle, das Unheil abzuwenden. Als ob das meine, nur meine<lb/>
Sache wäre, ein Mittel gegen eine Krankheit zu verschreiben, an der doch alle<lb/>
Nationen leiden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_570" next="#ID_571"> Dem (ersten) Haager Kongresse wohnte sie natürlich bei. Durand, der<lb/>
Schöpfer des Roten Kreuzes, gab ihr Weisungen mit, die, wie sie meinte, er¬<lb/>
kennen ließen, &#x201E;daß er von der Konferenz nicht die Förderung seines Werkes<lb/>
ersehnte, sondern vielmehr die Gründung eines neuen großen Werkes: der<lb/>
internationalen Justiz; nicht mehr Notes Kreuz war seine Losung, sondern<lb/>
Weiße Fahne". Er bezeichnet als das Wesentliche, was der Kongreß zu<lb/>
leisten habe, eine Resolution für eine aus Diplomaten bestehende permanente<lb/>
Vermittlungskommission, die nicht etwa in dem permanenten internationalen<lb/>
Friedensbureau zu Bern schon vorhanden sei, denn eine solche freie Vereinigung<lb/>
zähle nicht in den Augen der Diplomaten. Darauf müßte man alle An¬<lb/>
strengungen konzentrieren, ohne sich um das übrige (as röste steht da statt<lb/>
&lt;w röste; dergleichen kleine Druckfehler sind mehrere stehn geblieben) viel zu<lb/>
kümmern. Über die sieben ersten Artikel des russischen Programms soll sie<lb/>
die Mitglieder reden lassen, was sie wollen, und sich in gar keine Erörterungen<lb/>
mit ihnen einlassen; es tun, würde heißen, &#x201E;die Autorität Ihres Wortes<lb/>
schwächen"; nur darauf soll sie bestehen, daß die Annahme des Artikels 8<lb/>
dringend notwendig, opportun und sogar durch die Rücksicht, die man dem<lb/>
Zaren schulde, geboten sei.  Der Artikel lautet: ^eesptatiori su xririoixs 6s</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0152] Bertha von Suttner Liebknecht schrieb: „Der Abrüstungsvorschlag des zarischen Rußlands ist Schwindel." Etwas weniger schroff hat Bebel geantwortet, als sie ihn im nächsten Winter bei einem Aufenthalt in Berlin zu einem Besuche einlud. Dem Grundgedanken des Manifestes stehe die Sozialdemokratie natürlich sympathisch gegenüber; sei sie doch die einzige, die ihn im Reichstage vertrete, und daß der Monarch eines so militaristischen Staates jetzt als Gegner des Militarismus auftrete, sei in hohem Maße anerkennenswert, könne aber seine Gesinnungsgenossen nicht abhalten, diesem Vorgehen, solange die entsprechenden Taten fehlen, mit einem gewissen Mißtrauen zu begegnen. Auch den Oberst¬ leutnant von Egidy, der damals der Mann des Tages war (heute würde er der Held der „Woche" sein), gewann sie für ihre Agitation. Sehr hübsch nimmt sich die Antwort aus, die sie von einem Grafen Zc. bekam auf die Ein¬ ladung zu einem Vortrage, den Egidy in Wien halten sollte: „Ich habe nie eine Zeile von Egidy gelesen. Aber ich vermag Ihre Ansicht über ihn nicht zu teilen; denn erstens kann ich die Preußen nicht leiden; zweitens, wenn ein Soldat etwas so Unanständiges getan hat, daß er nicht weiterdienen kann, so muß ich verwerfen, was er spricht, und wäre er so weise wie Aristoteles." Stead erzählte ihr, was ihm in einer Unterhaltung über das Friedens¬ manifest der Zar gesagt hatte: „Habe ich einen einzigen Brief erhalten, hat mir einer Vorstellungen gemacht, daß ich die Gefahr übertreibe? Nicht eiuer; sie geben alle zu, daß ich wahr gesprochen. Dagegen fragen sie mich, was ich vorschlagen wolle, das Unheil abzuwenden. Als ob das meine, nur meine Sache wäre, ein Mittel gegen eine Krankheit zu verschreiben, an der doch alle Nationen leiden." Dem (ersten) Haager Kongresse wohnte sie natürlich bei. Durand, der Schöpfer des Roten Kreuzes, gab ihr Weisungen mit, die, wie sie meinte, er¬ kennen ließen, „daß er von der Konferenz nicht die Förderung seines Werkes ersehnte, sondern vielmehr die Gründung eines neuen großen Werkes: der internationalen Justiz; nicht mehr Notes Kreuz war seine Losung, sondern Weiße Fahne". Er bezeichnet als das Wesentliche, was der Kongreß zu leisten habe, eine Resolution für eine aus Diplomaten bestehende permanente Vermittlungskommission, die nicht etwa in dem permanenten internationalen Friedensbureau zu Bern schon vorhanden sei, denn eine solche freie Vereinigung zähle nicht in den Augen der Diplomaten. Darauf müßte man alle An¬ strengungen konzentrieren, ohne sich um das übrige (as röste steht da statt <w röste; dergleichen kleine Druckfehler sind mehrere stehn geblieben) viel zu kümmern. Über die sieben ersten Artikel des russischen Programms soll sie die Mitglieder reden lassen, was sie wollen, und sich in gar keine Erörterungen mit ihnen einlassen; es tun, würde heißen, „die Autorität Ihres Wortes schwächen"; nur darauf soll sie bestehen, daß die Annahme des Artikels 8 dringend notwendig, opportun und sogar durch die Rücksicht, die man dem Zaren schulde, geboten sei. Der Artikel lautet: ^eesptatiori su xririoixs 6s

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/152
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/152>, abgerufen am 12.12.2024.