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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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phokylides und die Lssener

zurückstehn zu lassen. Auch an dieser Nachahmung erkennt man den literarischen
Synkretismus, jene Eigentümlichkeit der jüdischen Schriften, die neuerdings
schärfer beobachtet worden ist, fremde Ideen und Bilder bei der Darstellung
der Geschichte des eignen Volkes zu verwenden.*)

Bei Phokylides finden sich deutliche Spuren eines allgemeinen, über
Hammurabis Gesetzbuch weit hinaufführenden persischen Neichsgesetzes. Der
allein weise, mächtige und reiche Gott des Phokylides ist kein andrer als
^Kura wÄ8ä", der sehr weise Herr. Das Doppelgebot der Ehrung Gottes
und der Eltern ist ein uralt arisches Gebot bei Indern und Persern, von
denen es Griechen und Juden übernahmen. Es ist der Geist des Zarathushtra
und des Pythagoras, der, zur Zeit der Vorherrschaft des Parsismus in ganz
Vorderasien, aus dem Lehrgedichte des Milesiers Phokylides zu uns spricht.
Es war ein neuer, religiös-sittlicher Geist, der die besten der kleinasiatischen
Griechen ergriff, als diesem hochbegabten Volke von der Verfeinerung der
Kultur und dem zunehmenden Reichtum und Wohlleben Gefahr drohte. Die
Geschichtschreibung beginnt jetzt die sittlichen Kräfte, die in dem persischen
Volke lagen, die geistigen Wirkungen, die von dem Perserreiche unmittelbar
ausgingen, neben den politischen Erfolgen und den wirtschaftlichen Bestrebungen
der großen persischen Könige näher in Betracht zu ziehen. Es besteht ein
tiefer innerer Zusammenhang zwischen der christlichen und der persischen, der
ersten Weltreligion. Der Vermittler zwischen Persien und Griechenland war
Pythagoras. Damit ist zugleich die Bedeutung des Phokylides erkannt.
Sind die zehn Gebote, die Mose am Sinai verkündet haben soll, ein Auszug
aus dem Heiligkeitsgesetze, und ist das Heiligkeitsgesetz, wie es scheint, abge¬
sehen etwa von dem sogenannten Bundesbuche, das älteste judäische Landesgesetz
mit religiös-sittlichen Geboten im Anschluß an Phokylides, dann gebührt dem
Lehrgedichte des milesischen Pythagoreers ein Ehrenplatz in der allgemeinen
Religions- und Kulturgeschichte, besonders in der Geschickte des Christentums.

Auf die Spuren eines eigenartigen nordpalästinischen Volkstums führt die
Schilderung der Essener. Der Name bedeutet eigentlich Ansiedler. Die Essener
trieben Ackerbau und Gewerbe. Sie wohnten in Dörfern, zum Teil auch in
Städten. Mit den Judäern hatten sie keine Gemeinschaft. Sie verwarfen die
Tieropfer, die Schlacht- und Brandopfer, wie es schon Hosea und Jeremia,
die Propheten aus Ephraim und Benjamin, getan hatten. Sie hielten ihre
Gottesdienste für sich, hatten auch ihre eignen Satzungen und wählten ihre



*) Zu der vergleichenden Übersicht phokylideisch - mosaischer Aussprüche und Gebote in
meiner Schrift: Samaria und seine Propheten (Tübingen, 1903), Seite 66 bis 73, Seite 89
und Seite 91, ist nachzutragein "Gott wird dich einst richten" Pret. Sal. 11, 9 ------ Phok. 11 und:
"Sprich nicht zu dem Bedürftigen: Morgen wiederkommen" Syr. Sal. 3, 28 ----- Phok. 22.
Vgl. v. E. Selim, Die Spuren griechischer Philosophie im Alten Testament, Seite 30, wo
der Einfluß der ionischen Philosophen und des Phokylides offen anerkannt wird, besonders auch
in bezug auf den Unsterblichkeitsglauben.
phokylides und die Lssener

zurückstehn zu lassen. Auch an dieser Nachahmung erkennt man den literarischen
Synkretismus, jene Eigentümlichkeit der jüdischen Schriften, die neuerdings
schärfer beobachtet worden ist, fremde Ideen und Bilder bei der Darstellung
der Geschichte des eignen Volkes zu verwenden.*)

Bei Phokylides finden sich deutliche Spuren eines allgemeinen, über
Hammurabis Gesetzbuch weit hinaufführenden persischen Neichsgesetzes. Der
allein weise, mächtige und reiche Gott des Phokylides ist kein andrer als
^Kura wÄ8ä», der sehr weise Herr. Das Doppelgebot der Ehrung Gottes
und der Eltern ist ein uralt arisches Gebot bei Indern und Persern, von
denen es Griechen und Juden übernahmen. Es ist der Geist des Zarathushtra
und des Pythagoras, der, zur Zeit der Vorherrschaft des Parsismus in ganz
Vorderasien, aus dem Lehrgedichte des Milesiers Phokylides zu uns spricht.
Es war ein neuer, religiös-sittlicher Geist, der die besten der kleinasiatischen
Griechen ergriff, als diesem hochbegabten Volke von der Verfeinerung der
Kultur und dem zunehmenden Reichtum und Wohlleben Gefahr drohte. Die
Geschichtschreibung beginnt jetzt die sittlichen Kräfte, die in dem persischen
Volke lagen, die geistigen Wirkungen, die von dem Perserreiche unmittelbar
ausgingen, neben den politischen Erfolgen und den wirtschaftlichen Bestrebungen
der großen persischen Könige näher in Betracht zu ziehen. Es besteht ein
tiefer innerer Zusammenhang zwischen der christlichen und der persischen, der
ersten Weltreligion. Der Vermittler zwischen Persien und Griechenland war
Pythagoras. Damit ist zugleich die Bedeutung des Phokylides erkannt.
Sind die zehn Gebote, die Mose am Sinai verkündet haben soll, ein Auszug
aus dem Heiligkeitsgesetze, und ist das Heiligkeitsgesetz, wie es scheint, abge¬
sehen etwa von dem sogenannten Bundesbuche, das älteste judäische Landesgesetz
mit religiös-sittlichen Geboten im Anschluß an Phokylides, dann gebührt dem
Lehrgedichte des milesischen Pythagoreers ein Ehrenplatz in der allgemeinen
Religions- und Kulturgeschichte, besonders in der Geschickte des Christentums.

Auf die Spuren eines eigenartigen nordpalästinischen Volkstums führt die
Schilderung der Essener. Der Name bedeutet eigentlich Ansiedler. Die Essener
trieben Ackerbau und Gewerbe. Sie wohnten in Dörfern, zum Teil auch in
Städten. Mit den Judäern hatten sie keine Gemeinschaft. Sie verwarfen die
Tieropfer, die Schlacht- und Brandopfer, wie es schon Hosea und Jeremia,
die Propheten aus Ephraim und Benjamin, getan hatten. Sie hielten ihre
Gottesdienste für sich, hatten auch ihre eignen Satzungen und wählten ihre



*) Zu der vergleichenden Übersicht phokylideisch - mosaischer Aussprüche und Gebote in
meiner Schrift: Samaria und seine Propheten (Tübingen, 1903), Seite 66 bis 73, Seite 89
und Seite 91, ist nachzutragein „Gott wird dich einst richten" Pret. Sal. 11, 9 ------ Phok. 11 und:
„Sprich nicht zu dem Bedürftigen: Morgen wiederkommen" Syr. Sal. 3, 28 ----- Phok. 22.
Vgl. v. E. Selim, Die Spuren griechischer Philosophie im Alten Testament, Seite 30, wo
der Einfluß der ionischen Philosophen und des Phokylides offen anerkannt wird, besonders auch
in bezug auf den Unsterblichkeitsglauben.
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[0144] phokylides und die Lssener zurückstehn zu lassen. Auch an dieser Nachahmung erkennt man den literarischen Synkretismus, jene Eigentümlichkeit der jüdischen Schriften, die neuerdings schärfer beobachtet worden ist, fremde Ideen und Bilder bei der Darstellung der Geschichte des eignen Volkes zu verwenden.*) Bei Phokylides finden sich deutliche Spuren eines allgemeinen, über Hammurabis Gesetzbuch weit hinaufführenden persischen Neichsgesetzes. Der allein weise, mächtige und reiche Gott des Phokylides ist kein andrer als ^Kura wÄ8ä», der sehr weise Herr. Das Doppelgebot der Ehrung Gottes und der Eltern ist ein uralt arisches Gebot bei Indern und Persern, von denen es Griechen und Juden übernahmen. Es ist der Geist des Zarathushtra und des Pythagoras, der, zur Zeit der Vorherrschaft des Parsismus in ganz Vorderasien, aus dem Lehrgedichte des Milesiers Phokylides zu uns spricht. Es war ein neuer, religiös-sittlicher Geist, der die besten der kleinasiatischen Griechen ergriff, als diesem hochbegabten Volke von der Verfeinerung der Kultur und dem zunehmenden Reichtum und Wohlleben Gefahr drohte. Die Geschichtschreibung beginnt jetzt die sittlichen Kräfte, die in dem persischen Volke lagen, die geistigen Wirkungen, die von dem Perserreiche unmittelbar ausgingen, neben den politischen Erfolgen und den wirtschaftlichen Bestrebungen der großen persischen Könige näher in Betracht zu ziehen. Es besteht ein tiefer innerer Zusammenhang zwischen der christlichen und der persischen, der ersten Weltreligion. Der Vermittler zwischen Persien und Griechenland war Pythagoras. Damit ist zugleich die Bedeutung des Phokylides erkannt. Sind die zehn Gebote, die Mose am Sinai verkündet haben soll, ein Auszug aus dem Heiligkeitsgesetze, und ist das Heiligkeitsgesetz, wie es scheint, abge¬ sehen etwa von dem sogenannten Bundesbuche, das älteste judäische Landesgesetz mit religiös-sittlichen Geboten im Anschluß an Phokylides, dann gebührt dem Lehrgedichte des milesischen Pythagoreers ein Ehrenplatz in der allgemeinen Religions- und Kulturgeschichte, besonders in der Geschickte des Christentums. Auf die Spuren eines eigenartigen nordpalästinischen Volkstums führt die Schilderung der Essener. Der Name bedeutet eigentlich Ansiedler. Die Essener trieben Ackerbau und Gewerbe. Sie wohnten in Dörfern, zum Teil auch in Städten. Mit den Judäern hatten sie keine Gemeinschaft. Sie verwarfen die Tieropfer, die Schlacht- und Brandopfer, wie es schon Hosea und Jeremia, die Propheten aus Ephraim und Benjamin, getan hatten. Sie hielten ihre Gottesdienste für sich, hatten auch ihre eignen Satzungen und wählten ihre *) Zu der vergleichenden Übersicht phokylideisch - mosaischer Aussprüche und Gebote in meiner Schrift: Samaria und seine Propheten (Tübingen, 1903), Seite 66 bis 73, Seite 89 und Seite 91, ist nachzutragein „Gott wird dich einst richten" Pret. Sal. 11, 9 ------ Phok. 11 und: „Sprich nicht zu dem Bedürftigen: Morgen wiederkommen" Syr. Sal. 3, 28 ----- Phok. 22. Vgl. v. E. Selim, Die Spuren griechischer Philosophie im Alten Testament, Seite 30, wo der Einfluß der ionischen Philosophen und des Phokylides offen anerkannt wird, besonders auch in bezug auf den Unsterblichkeitsglauben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/144>, abgerufen am 23.07.2024.