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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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phokylides und die Essener

ältern Wortlaute der Septuaginta geboten wird, anstatt des Verbotes, dem
Nächsten nach dem Leben zu trachten. Es kam eine Zeit, wo sich die wilden
Stämme in Südpalästina ebenso wie die verweichlichten ionischen Griechen der
Staatsordnung eines fremden Kulturvolkes fügen mußten. So schwer es der
jüdischen Landesgesetzgebung auch werden mochte, die Leviten mußten das
allgemeine Reichsgesetz anerkennen und einem Zugezognen dieselben Rechte
einräumen wie einem Eingesessenen. Von selbst sind Juden und Griechen
schwerlich dazu gekommen, ein solches Gesetz zu erlassen. Die Perser waren
es, die beide Völker dazu zwangen. Welchen Eindruck die persische Reichs¬
regierung auf die Bewohner von Südpalästina gemacht hat, beweist das von
Samaria aus in die hebräische Sprache cmfgenommne persische Wort Dat, die
Bezeichnung für königliches Edikt. Auch Sagaris, das Kriegsbeil, das in den
Psalmen einmal genannt wird, ist ein persisches Wort. Von den Persern
haben die Griechen den Ausdruck "Milch und Honig" übernommen zur Be¬
zeichnung der Götterspeise, der ersten Nahrung des Zeusknäbleins, des Dionysos
und des Achilleus. Im Alten Testament, im Heiligkeitsgesetz und später an
vielen andern Stellen, wird Kanaan, der fruchtbare Landstrich von Syro-
Phönizien bis zur Oase Jericho, als ein Land gerühmt, das von Milch und
Honig überfloß. Der Vergleich findet sich ebenso bei Phokylides, der den
fruchtbaren Acker das Horn der Amaltheia nennt, der märchenhaften Ziege,
aus deren Hörnern Milch und Honig floß (Phok. Fragen. 7). Die Herabkunft
Moses von dem heiligen Berge wird nach dem Vorbilde der persischen
Sage von dem Wiedererscheinen des Religionsstifters Zarathushtra geschildert
(2. Mos. 34, 27 bis 35).

Die Perser erzählten von Zarathushtra, er habe, in begeistertem Ver¬
langen nach Weisheit und Gerechtigkeit, allein auf einer Bergeshöhe geweilt.
Plötzlich habe der Berg in Flammen gestanden, und als der König und die
Vornehmsten der Perser hinzukamen, um zu Gott zu beten, sei der Mann
aus dem Feuer heraus auf sie zugekommen, unversehrt, und habe sie mit
heiterer Miene beruhigt, in der Überzeugung, die Stätte Gottes gefunden zu
haben. Danach habe er wieder verkehrt mit andern, die Sinn für Wahrheit
und Gotteserkenntnis hatten. Die Juden erzählen von Mose, er sei von dem
heiligen Berge herabgestiegen, ohne zu wissen, daß die Haut seines Gesichts
glänzend geworden war, nicht "gehörnt", wie es in der lateinischen Über¬
setzung heißt, der Michelangelo folgte. Und jedesmal, wenn Mose mit dem
Herrn geredet hatte und aus dem Offenbarungszelte heraustrat zu den
Ältesten und zu dem Volke, glänzte sein Antlitz wieder. Das Wunder, das
sich an dem persischen Religionsstifter einmal kundgab, wiederholte sich bei
dem jüdischen Gesetzgeber unzähligemal. Offenbar soll Mose dadurch um so
viel heiliger erscheinen als Zarathushtra. Daß die Wiederholung den Eindruck
des wunderbaren Vorganges nur abschwächen kann, hat der biblische Erzähler
nicht gefühlt, dem es nur darauf ankam, Mose hinter Zarathushtra nicht


phokylides und die Essener

ältern Wortlaute der Septuaginta geboten wird, anstatt des Verbotes, dem
Nächsten nach dem Leben zu trachten. Es kam eine Zeit, wo sich die wilden
Stämme in Südpalästina ebenso wie die verweichlichten ionischen Griechen der
Staatsordnung eines fremden Kulturvolkes fügen mußten. So schwer es der
jüdischen Landesgesetzgebung auch werden mochte, die Leviten mußten das
allgemeine Reichsgesetz anerkennen und einem Zugezognen dieselben Rechte
einräumen wie einem Eingesessenen. Von selbst sind Juden und Griechen
schwerlich dazu gekommen, ein solches Gesetz zu erlassen. Die Perser waren
es, die beide Völker dazu zwangen. Welchen Eindruck die persische Reichs¬
regierung auf die Bewohner von Südpalästina gemacht hat, beweist das von
Samaria aus in die hebräische Sprache cmfgenommne persische Wort Dat, die
Bezeichnung für königliches Edikt. Auch Sagaris, das Kriegsbeil, das in den
Psalmen einmal genannt wird, ist ein persisches Wort. Von den Persern
haben die Griechen den Ausdruck „Milch und Honig" übernommen zur Be¬
zeichnung der Götterspeise, der ersten Nahrung des Zeusknäbleins, des Dionysos
und des Achilleus. Im Alten Testament, im Heiligkeitsgesetz und später an
vielen andern Stellen, wird Kanaan, der fruchtbare Landstrich von Syro-
Phönizien bis zur Oase Jericho, als ein Land gerühmt, das von Milch und
Honig überfloß. Der Vergleich findet sich ebenso bei Phokylides, der den
fruchtbaren Acker das Horn der Amaltheia nennt, der märchenhaften Ziege,
aus deren Hörnern Milch und Honig floß (Phok. Fragen. 7). Die Herabkunft
Moses von dem heiligen Berge wird nach dem Vorbilde der persischen
Sage von dem Wiedererscheinen des Religionsstifters Zarathushtra geschildert
(2. Mos. 34, 27 bis 35).

Die Perser erzählten von Zarathushtra, er habe, in begeistertem Ver¬
langen nach Weisheit und Gerechtigkeit, allein auf einer Bergeshöhe geweilt.
Plötzlich habe der Berg in Flammen gestanden, und als der König und die
Vornehmsten der Perser hinzukamen, um zu Gott zu beten, sei der Mann
aus dem Feuer heraus auf sie zugekommen, unversehrt, und habe sie mit
heiterer Miene beruhigt, in der Überzeugung, die Stätte Gottes gefunden zu
haben. Danach habe er wieder verkehrt mit andern, die Sinn für Wahrheit
und Gotteserkenntnis hatten. Die Juden erzählen von Mose, er sei von dem
heiligen Berge herabgestiegen, ohne zu wissen, daß die Haut seines Gesichts
glänzend geworden war, nicht „gehörnt", wie es in der lateinischen Über¬
setzung heißt, der Michelangelo folgte. Und jedesmal, wenn Mose mit dem
Herrn geredet hatte und aus dem Offenbarungszelte heraustrat zu den
Ältesten und zu dem Volke, glänzte sein Antlitz wieder. Das Wunder, das
sich an dem persischen Religionsstifter einmal kundgab, wiederholte sich bei
dem jüdischen Gesetzgeber unzähligemal. Offenbar soll Mose dadurch um so
viel heiliger erscheinen als Zarathushtra. Daß die Wiederholung den Eindruck
des wunderbaren Vorganges nur abschwächen kann, hat der biblische Erzähler
nicht gefühlt, dem es nur darauf ankam, Mose hinter Zarathushtra nicht


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[0143] phokylides und die Essener ältern Wortlaute der Septuaginta geboten wird, anstatt des Verbotes, dem Nächsten nach dem Leben zu trachten. Es kam eine Zeit, wo sich die wilden Stämme in Südpalästina ebenso wie die verweichlichten ionischen Griechen der Staatsordnung eines fremden Kulturvolkes fügen mußten. So schwer es der jüdischen Landesgesetzgebung auch werden mochte, die Leviten mußten das allgemeine Reichsgesetz anerkennen und einem Zugezognen dieselben Rechte einräumen wie einem Eingesessenen. Von selbst sind Juden und Griechen schwerlich dazu gekommen, ein solches Gesetz zu erlassen. Die Perser waren es, die beide Völker dazu zwangen. Welchen Eindruck die persische Reichs¬ regierung auf die Bewohner von Südpalästina gemacht hat, beweist das von Samaria aus in die hebräische Sprache cmfgenommne persische Wort Dat, die Bezeichnung für königliches Edikt. Auch Sagaris, das Kriegsbeil, das in den Psalmen einmal genannt wird, ist ein persisches Wort. Von den Persern haben die Griechen den Ausdruck „Milch und Honig" übernommen zur Be¬ zeichnung der Götterspeise, der ersten Nahrung des Zeusknäbleins, des Dionysos und des Achilleus. Im Alten Testament, im Heiligkeitsgesetz und später an vielen andern Stellen, wird Kanaan, der fruchtbare Landstrich von Syro- Phönizien bis zur Oase Jericho, als ein Land gerühmt, das von Milch und Honig überfloß. Der Vergleich findet sich ebenso bei Phokylides, der den fruchtbaren Acker das Horn der Amaltheia nennt, der märchenhaften Ziege, aus deren Hörnern Milch und Honig floß (Phok. Fragen. 7). Die Herabkunft Moses von dem heiligen Berge wird nach dem Vorbilde der persischen Sage von dem Wiedererscheinen des Religionsstifters Zarathushtra geschildert (2. Mos. 34, 27 bis 35). Die Perser erzählten von Zarathushtra, er habe, in begeistertem Ver¬ langen nach Weisheit und Gerechtigkeit, allein auf einer Bergeshöhe geweilt. Plötzlich habe der Berg in Flammen gestanden, und als der König und die Vornehmsten der Perser hinzukamen, um zu Gott zu beten, sei der Mann aus dem Feuer heraus auf sie zugekommen, unversehrt, und habe sie mit heiterer Miene beruhigt, in der Überzeugung, die Stätte Gottes gefunden zu haben. Danach habe er wieder verkehrt mit andern, die Sinn für Wahrheit und Gotteserkenntnis hatten. Die Juden erzählen von Mose, er sei von dem heiligen Berge herabgestiegen, ohne zu wissen, daß die Haut seines Gesichts glänzend geworden war, nicht „gehörnt", wie es in der lateinischen Über¬ setzung heißt, der Michelangelo folgte. Und jedesmal, wenn Mose mit dem Herrn geredet hatte und aus dem Offenbarungszelte heraustrat zu den Ältesten und zu dem Volke, glänzte sein Antlitz wieder. Das Wunder, das sich an dem persischen Religionsstifter einmal kundgab, wiederholte sich bei dem jüdischen Gesetzgeber unzähligemal. Offenbar soll Mose dadurch um so viel heiliger erscheinen als Zarathushtra. Daß die Wiederholung den Eindruck des wunderbaren Vorganges nur abschwächen kann, hat der biblische Erzähler nicht gefühlt, dem es nur darauf ankam, Mose hinter Zarathushtra nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/143>, abgerufen am 12.12.2024.