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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Phokylides und die Lssener

Opfern geschaffen haben, haben sie die Augen aller Welt auf sich hingelenkt.
Es ist ja begreiflich, daß von allen Opfern die Anforderungen für künstlerische
Zwecke am härtesten empfunden werden, sie sind aber nicht weniger nötig und
nützlich als andre Opfer. Jedenfalls ist das hessische Land ihretwegen nicht ver¬
ödet, es hat vielmehr die Last getragen und noch Mut und Kraft genug gehabt,
auch noch andres zu leisten. Heidelbach sagt von dem Landgrafen Karl: "In
einer mehr als funfzigjährigen Negierung brachte er Handel und Industrie des
durch die Schrecken des Dreißigjährigen Kriegs zerrütteten Hessenlandes zum
Aufschwung, und Kunst und Wissenschaft fanden in ihm einen verständigen und
opferwilligen Förderer." Die Schöpfer der Wilhelmshöher Anlagen sind lange
um der Anschauungen willen, die sie mit den Fürsten ihrer Tage und mit der
Anschauung ihrer Zeit überhaupt gemein hatten, besonders abgeurteilt und vor
andern gerichtet worden, man möge nun auch auf das sehen, worin sie sich
von ihren Zeitgenossen unterscheiden, und möge nun auch ihre unvergänglichen
Verdienste, an denen wir uns noch heute freuen können, erkennen und würdigen.

Das Heidelbachsche Werk bietet zum erstenmal eine zusammenfassende, auf
archivalischer Grundlage ruhende und überall zu den Quellen zurückgehende
Geschichte der Wilhelmshöhe. Es gibt eine fesselnde, überaus lehrreiche Dar¬
stellung der historischen Vorgänge und läßt in seinen schönen Schilderungen
die Wilhelmshöhe mit allen ihren natürlichen und künstlerischen Reizen farben¬
voll in Wort und Bild vor uns erscheinen. In Hessenland wird es ja wohl
als eine willkommne Gabe entgegengenommen werden. Gewiß werden sich seiner
aber auch viele freuen, die die Wilhelmshöhe, den bevorzugten Sommersitz unsrer
Kaiserfamilie, von fernher aufgesucht und ihre wunderbare Schönheit genossen
w. Speck haben



phokylides und die Essener

> le Stadt Milet, im achten Jahrhundert vor unsrer Zeitrechnung
die Mutterstadt von achtzig Kolonien, war einst das ionische
Athen. Sie war der Mittelpunkt eines lebhaften, reichen Handels
vom Schwarzen Meer bis nach Tyrus und Sidon, nach Italien,
! Nordafrika und den Säulen des Herakles, zugleich aber war
sie auch der Sitz der in Jonien im sechsten Jahrhundert erwachenden Wissen¬
schaft. Hier entfaltete die Philosophie ihre Schwingen, und neben der theo¬
retischen Wissenschaft wurde praktisches Wissen gelehrt, das der Schiffahrt
unentbehrlich war zur Erforschung der Länder und der Meere, Mathematik,
Astronomie usw. Die Stadt Milet war auch der Vorort des Bundes der
ionischen Seestädte, den man die älteste Hanse nennen kann. Der Bund, der
in dem Panionion bei Priene ein gemeinsames Heiligtum hatte, bestand, so¬
lange er sich auf die Könige von Lydien verlassen konnte, die das Hinterland


Phokylides und die Lssener

Opfern geschaffen haben, haben sie die Augen aller Welt auf sich hingelenkt.
Es ist ja begreiflich, daß von allen Opfern die Anforderungen für künstlerische
Zwecke am härtesten empfunden werden, sie sind aber nicht weniger nötig und
nützlich als andre Opfer. Jedenfalls ist das hessische Land ihretwegen nicht ver¬
ödet, es hat vielmehr die Last getragen und noch Mut und Kraft genug gehabt,
auch noch andres zu leisten. Heidelbach sagt von dem Landgrafen Karl: „In
einer mehr als funfzigjährigen Negierung brachte er Handel und Industrie des
durch die Schrecken des Dreißigjährigen Kriegs zerrütteten Hessenlandes zum
Aufschwung, und Kunst und Wissenschaft fanden in ihm einen verständigen und
opferwilligen Förderer." Die Schöpfer der Wilhelmshöher Anlagen sind lange
um der Anschauungen willen, die sie mit den Fürsten ihrer Tage und mit der
Anschauung ihrer Zeit überhaupt gemein hatten, besonders abgeurteilt und vor
andern gerichtet worden, man möge nun auch auf das sehen, worin sie sich
von ihren Zeitgenossen unterscheiden, und möge nun auch ihre unvergänglichen
Verdienste, an denen wir uns noch heute freuen können, erkennen und würdigen.

Das Heidelbachsche Werk bietet zum erstenmal eine zusammenfassende, auf
archivalischer Grundlage ruhende und überall zu den Quellen zurückgehende
Geschichte der Wilhelmshöhe. Es gibt eine fesselnde, überaus lehrreiche Dar¬
stellung der historischen Vorgänge und läßt in seinen schönen Schilderungen
die Wilhelmshöhe mit allen ihren natürlichen und künstlerischen Reizen farben¬
voll in Wort und Bild vor uns erscheinen. In Hessenland wird es ja wohl
als eine willkommne Gabe entgegengenommen werden. Gewiß werden sich seiner
aber auch viele freuen, die die Wilhelmshöhe, den bevorzugten Sommersitz unsrer
Kaiserfamilie, von fernher aufgesucht und ihre wunderbare Schönheit genossen
w. Speck haben



phokylides und die Essener

> le Stadt Milet, im achten Jahrhundert vor unsrer Zeitrechnung
die Mutterstadt von achtzig Kolonien, war einst das ionische
Athen. Sie war der Mittelpunkt eines lebhaften, reichen Handels
vom Schwarzen Meer bis nach Tyrus und Sidon, nach Italien,
! Nordafrika und den Säulen des Herakles, zugleich aber war
sie auch der Sitz der in Jonien im sechsten Jahrhundert erwachenden Wissen¬
schaft. Hier entfaltete die Philosophie ihre Schwingen, und neben der theo¬
retischen Wissenschaft wurde praktisches Wissen gelehrt, das der Schiffahrt
unentbehrlich war zur Erforschung der Länder und der Meere, Mathematik,
Astronomie usw. Die Stadt Milet war auch der Vorort des Bundes der
ionischen Seestädte, den man die älteste Hanse nennen kann. Der Bund, der
in dem Panionion bei Priene ein gemeinsames Heiligtum hatte, bestand, so¬
lange er sich auf die Könige von Lydien verlassen konnte, die das Hinterland


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[0136] Phokylides und die Lssener Opfern geschaffen haben, haben sie die Augen aller Welt auf sich hingelenkt. Es ist ja begreiflich, daß von allen Opfern die Anforderungen für künstlerische Zwecke am härtesten empfunden werden, sie sind aber nicht weniger nötig und nützlich als andre Opfer. Jedenfalls ist das hessische Land ihretwegen nicht ver¬ ödet, es hat vielmehr die Last getragen und noch Mut und Kraft genug gehabt, auch noch andres zu leisten. Heidelbach sagt von dem Landgrafen Karl: „In einer mehr als funfzigjährigen Negierung brachte er Handel und Industrie des durch die Schrecken des Dreißigjährigen Kriegs zerrütteten Hessenlandes zum Aufschwung, und Kunst und Wissenschaft fanden in ihm einen verständigen und opferwilligen Förderer." Die Schöpfer der Wilhelmshöher Anlagen sind lange um der Anschauungen willen, die sie mit den Fürsten ihrer Tage und mit der Anschauung ihrer Zeit überhaupt gemein hatten, besonders abgeurteilt und vor andern gerichtet worden, man möge nun auch auf das sehen, worin sie sich von ihren Zeitgenossen unterscheiden, und möge nun auch ihre unvergänglichen Verdienste, an denen wir uns noch heute freuen können, erkennen und würdigen. Das Heidelbachsche Werk bietet zum erstenmal eine zusammenfassende, auf archivalischer Grundlage ruhende und überall zu den Quellen zurückgehende Geschichte der Wilhelmshöhe. Es gibt eine fesselnde, überaus lehrreiche Dar¬ stellung der historischen Vorgänge und läßt in seinen schönen Schilderungen die Wilhelmshöhe mit allen ihren natürlichen und künstlerischen Reizen farben¬ voll in Wort und Bild vor uns erscheinen. In Hessenland wird es ja wohl als eine willkommne Gabe entgegengenommen werden. Gewiß werden sich seiner aber auch viele freuen, die die Wilhelmshöhe, den bevorzugten Sommersitz unsrer Kaiserfamilie, von fernher aufgesucht und ihre wunderbare Schönheit genossen w. Speck haben phokylides und die Essener > le Stadt Milet, im achten Jahrhundert vor unsrer Zeitrechnung die Mutterstadt von achtzig Kolonien, war einst das ionische Athen. Sie war der Mittelpunkt eines lebhaften, reichen Handels vom Schwarzen Meer bis nach Tyrus und Sidon, nach Italien, ! Nordafrika und den Säulen des Herakles, zugleich aber war sie auch der Sitz der in Jonien im sechsten Jahrhundert erwachenden Wissen¬ schaft. Hier entfaltete die Philosophie ihre Schwingen, und neben der theo¬ retischen Wissenschaft wurde praktisches Wissen gelehrt, das der Schiffahrt unentbehrlich war zur Erforschung der Länder und der Meere, Mathematik, Astronomie usw. Die Stadt Milet war auch der Vorort des Bundes der ionischen Seestädte, den man die älteste Hanse nennen kann. Der Bund, der in dem Panionion bei Priene ein gemeinsames Heiligtum hatte, bestand, so¬ lange er sich auf die Könige von Lydien verlassen konnte, die das Hinterland

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/136>, abgerufen am 03.07.2024.