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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Vas Erbrecht des Fiskus

untersucht werden, ob die Erbberechtigung der Verwandtschaft zugunsten des
Reiches beschränkt und nur für die allernächsten Abkömmlinge beibehalten, ob
die Erbrechtsgrenze schon hinter den Geschwisterkindern errichtet werden soll,
lind ob die weitern Seitenverwandten durch die Reichskasse zu ersetzen, oder
ob auch die Geschwisterkinder lediglich auf testamentarische Einsetzung anzuweisen
sind: alles das ist mehrfach, namentlich vom Justizrat Bamberger in seiner
Schrift: Erbrechtsreform -- Berlin, 1908 -- ausführlich dargelegt worden, zuletzt
noch einmal im zweiten Septemberheft der Neuen Revue, wo auch die Ab¬
handlung "statistisches zur Finanzlage" aus den Grenzboten vom 9. Juli 1908
angeführt wird. Hier kommt es nur darauf an, auf das eben erwähnte,
formelle Verfahren der erblosen Nachlaßregelung hinzuweisen, dessen Weit¬
schweifigkeit oft zu dem Erfolge in keinem Verhältnisse steht.

Ist der Erbe eines Nachlasses unbekannt, so hat das Nachlaßgericht, und
zwar in der Regel unter Zuziehung eines Nachlaßpflegers, von Amts wegen
Ermittlungen über die etwa vorhandnen Erben anzustellen. Wie weit diese
auszudehnen sind, ist dem Ermessen des Gerichts überlassen, und der Nachla߬
richter hat im einzelnen Falle eine der Sachlage entsprechende Frist zur An¬
meldung von Erbrechten innezuhalten. Die Ermittlungen nehmen in vielen
Fällen eine ungeahnte Ausdehnung an; es gehn Geburth-, Heirath-, Sterbe¬
urkunden, Erbscheine und ganze Familiengeschichten ein, um das Erbrecht nach¬
zuweisen. Eine Menge von Behörden und Beamten, namentlich die Standes¬
beamten, Geistlichen. Anwälte und Auskunftsbeamten, die Polizeibehörden, Kon¬
sulate und andre Behörden werden in Bewegung gesetzt, um die verwandtschaft¬
lichen Verhältnisse zwischen dem Erblasser und dem Erbschaftsanwärter festzu¬
stellen. Das gesamte Material geht zu den Nachlaßakten, und oft vergehn
Jahre bis zur endgiltigen Regelung. Und das ist nicht etwa zu verwundern:
denn es gibt mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden. Beinahe jede Familie
hat heutzutage "drüben" in Amerika irgendeine Verwandtschaft, und es ist
unglaublich, welche Umstünde es macht, den sichern Erbausweis eines solchen
amerikanischen Vetters, der womöglich von den zurückgebliebnen Verwandten
nichts mehr weiß, zu erbringen. Sind Jahre darüber hingegangen, ehe es zu
einer Nachlaßregelung gekommen ist, so muß nicht selten das besondre Verfahren
der Todeserklärung eintreten, um den Toten- und Erdschein einer Zwischenperson
erlangen zu können. Ein weiteres Sonderverfahren kann nötig werden, wenn
beispielsweise in dem Standesamtsregister ein Irrtum, sei es auch nur ein
geringer Schreibfehler, untergelaufen ist. Es wird dann vom Amtsgericht durch
Vermittlung der Regierung das Berichtigungsverfahren eingeleitet, wonach erst
Haupt- und Nebenregister dem Gerichtsbeschlusse gemäß geändert werden. So
entstehn dicke Bände beim Nachlaßgcricht, und ganz bedeutende Summen werden
für Beschaffung der Urkunden, für das Schreibwerk und Porto, für die Aus¬
künfte und Anwaltsgebühren ausgegeben, die schließlich, ebenso wie die Gerichts-
kosten selbst, vorweg vom Nachlaß abgezogen werden und diesen verkleinern.


Vas Erbrecht des Fiskus

untersucht werden, ob die Erbberechtigung der Verwandtschaft zugunsten des
Reiches beschränkt und nur für die allernächsten Abkömmlinge beibehalten, ob
die Erbrechtsgrenze schon hinter den Geschwisterkindern errichtet werden soll,
lind ob die weitern Seitenverwandten durch die Reichskasse zu ersetzen, oder
ob auch die Geschwisterkinder lediglich auf testamentarische Einsetzung anzuweisen
sind: alles das ist mehrfach, namentlich vom Justizrat Bamberger in seiner
Schrift: Erbrechtsreform — Berlin, 1908 — ausführlich dargelegt worden, zuletzt
noch einmal im zweiten Septemberheft der Neuen Revue, wo auch die Ab¬
handlung „statistisches zur Finanzlage" aus den Grenzboten vom 9. Juli 1908
angeführt wird. Hier kommt es nur darauf an, auf das eben erwähnte,
formelle Verfahren der erblosen Nachlaßregelung hinzuweisen, dessen Weit¬
schweifigkeit oft zu dem Erfolge in keinem Verhältnisse steht.

Ist der Erbe eines Nachlasses unbekannt, so hat das Nachlaßgericht, und
zwar in der Regel unter Zuziehung eines Nachlaßpflegers, von Amts wegen
Ermittlungen über die etwa vorhandnen Erben anzustellen. Wie weit diese
auszudehnen sind, ist dem Ermessen des Gerichts überlassen, und der Nachla߬
richter hat im einzelnen Falle eine der Sachlage entsprechende Frist zur An¬
meldung von Erbrechten innezuhalten. Die Ermittlungen nehmen in vielen
Fällen eine ungeahnte Ausdehnung an; es gehn Geburth-, Heirath-, Sterbe¬
urkunden, Erbscheine und ganze Familiengeschichten ein, um das Erbrecht nach¬
zuweisen. Eine Menge von Behörden und Beamten, namentlich die Standes¬
beamten, Geistlichen. Anwälte und Auskunftsbeamten, die Polizeibehörden, Kon¬
sulate und andre Behörden werden in Bewegung gesetzt, um die verwandtschaft¬
lichen Verhältnisse zwischen dem Erblasser und dem Erbschaftsanwärter festzu¬
stellen. Das gesamte Material geht zu den Nachlaßakten, und oft vergehn
Jahre bis zur endgiltigen Regelung. Und das ist nicht etwa zu verwundern:
denn es gibt mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden. Beinahe jede Familie
hat heutzutage „drüben" in Amerika irgendeine Verwandtschaft, und es ist
unglaublich, welche Umstünde es macht, den sichern Erbausweis eines solchen
amerikanischen Vetters, der womöglich von den zurückgebliebnen Verwandten
nichts mehr weiß, zu erbringen. Sind Jahre darüber hingegangen, ehe es zu
einer Nachlaßregelung gekommen ist, so muß nicht selten das besondre Verfahren
der Todeserklärung eintreten, um den Toten- und Erdschein einer Zwischenperson
erlangen zu können. Ein weiteres Sonderverfahren kann nötig werden, wenn
beispielsweise in dem Standesamtsregister ein Irrtum, sei es auch nur ein
geringer Schreibfehler, untergelaufen ist. Es wird dann vom Amtsgericht durch
Vermittlung der Regierung das Berichtigungsverfahren eingeleitet, wonach erst
Haupt- und Nebenregister dem Gerichtsbeschlusse gemäß geändert werden. So
entstehn dicke Bände beim Nachlaßgcricht, und ganz bedeutende Summen werden
für Beschaffung der Urkunden, für das Schreibwerk und Porto, für die Aus¬
künfte und Anwaltsgebühren ausgegeben, die schließlich, ebenso wie die Gerichts-
kosten selbst, vorweg vom Nachlaß abgezogen werden und diesen verkleinern.


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[0131] Vas Erbrecht des Fiskus untersucht werden, ob die Erbberechtigung der Verwandtschaft zugunsten des Reiches beschränkt und nur für die allernächsten Abkömmlinge beibehalten, ob die Erbrechtsgrenze schon hinter den Geschwisterkindern errichtet werden soll, lind ob die weitern Seitenverwandten durch die Reichskasse zu ersetzen, oder ob auch die Geschwisterkinder lediglich auf testamentarische Einsetzung anzuweisen sind: alles das ist mehrfach, namentlich vom Justizrat Bamberger in seiner Schrift: Erbrechtsreform — Berlin, 1908 — ausführlich dargelegt worden, zuletzt noch einmal im zweiten Septemberheft der Neuen Revue, wo auch die Ab¬ handlung „statistisches zur Finanzlage" aus den Grenzboten vom 9. Juli 1908 angeführt wird. Hier kommt es nur darauf an, auf das eben erwähnte, formelle Verfahren der erblosen Nachlaßregelung hinzuweisen, dessen Weit¬ schweifigkeit oft zu dem Erfolge in keinem Verhältnisse steht. Ist der Erbe eines Nachlasses unbekannt, so hat das Nachlaßgericht, und zwar in der Regel unter Zuziehung eines Nachlaßpflegers, von Amts wegen Ermittlungen über die etwa vorhandnen Erben anzustellen. Wie weit diese auszudehnen sind, ist dem Ermessen des Gerichts überlassen, und der Nachla߬ richter hat im einzelnen Falle eine der Sachlage entsprechende Frist zur An¬ meldung von Erbrechten innezuhalten. Die Ermittlungen nehmen in vielen Fällen eine ungeahnte Ausdehnung an; es gehn Geburth-, Heirath-, Sterbe¬ urkunden, Erbscheine und ganze Familiengeschichten ein, um das Erbrecht nach¬ zuweisen. Eine Menge von Behörden und Beamten, namentlich die Standes¬ beamten, Geistlichen. Anwälte und Auskunftsbeamten, die Polizeibehörden, Kon¬ sulate und andre Behörden werden in Bewegung gesetzt, um die verwandtschaft¬ lichen Verhältnisse zwischen dem Erblasser und dem Erbschaftsanwärter festzu¬ stellen. Das gesamte Material geht zu den Nachlaßakten, und oft vergehn Jahre bis zur endgiltigen Regelung. Und das ist nicht etwa zu verwundern: denn es gibt mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden. Beinahe jede Familie hat heutzutage „drüben" in Amerika irgendeine Verwandtschaft, und es ist unglaublich, welche Umstünde es macht, den sichern Erbausweis eines solchen amerikanischen Vetters, der womöglich von den zurückgebliebnen Verwandten nichts mehr weiß, zu erbringen. Sind Jahre darüber hingegangen, ehe es zu einer Nachlaßregelung gekommen ist, so muß nicht selten das besondre Verfahren der Todeserklärung eintreten, um den Toten- und Erdschein einer Zwischenperson erlangen zu können. Ein weiteres Sonderverfahren kann nötig werden, wenn beispielsweise in dem Standesamtsregister ein Irrtum, sei es auch nur ein geringer Schreibfehler, untergelaufen ist. Es wird dann vom Amtsgericht durch Vermittlung der Regierung das Berichtigungsverfahren eingeleitet, wonach erst Haupt- und Nebenregister dem Gerichtsbeschlusse gemäß geändert werden. So entstehn dicke Bände beim Nachlaßgcricht, und ganz bedeutende Summen werden für Beschaffung der Urkunden, für das Schreibwerk und Porto, für die Aus¬ künfte und Anwaltsgebühren ausgegeben, die schließlich, ebenso wie die Gerichts- kosten selbst, vorweg vom Nachlaß abgezogen werden und diesen verkleinern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/131>, abgerufen am 12.12.2024.