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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Militärische Rückblicke auf das Jahr 1.903

Organisatorisch von einiger Wichtigkeit ist, daß sich die italienische Heeres¬
leitung zur Aufstellung eines Radfahrerbataillons aus den Nadfahrerkompagnien
des 3., 5., 6. und 9. Bersaglieriregiments entschlossen und es dem 5. Bersaglieri-
regiment in Bologna angegliedert hat. Damit ist eine neue Einheit geschaffen,
die keine andre Armee hat, denn das in Frankreich während der vorjährigen
Armeemanöver gebildete Nadfahrerbataillon war nur als eine vorübergehende,
nicht als eine bleibende Organisation geschaffen. Von wichtigen militärischen
Neuerungen in Italien ist sonst noch zu erwähnen, daß das von den Hauptleuten
Ricaldoni und Crocco konstruierte lenkbare Luftschiff durch seine letzte Probefahrt
von Bracciano nach Rom den Beweis voller Brauchbarkeit erbracht hat. Das
Luftschiff gehört mit seinen nur 2800 Kubikmetern Inhalt zu den kleinern
bisher vorhandnen Modellen; es mißt zwischen den Perpendikeln etwa 60 Meter
und hat einen Durchmesser von 15 Metern; ein Motor von 70 Pferdekräften
soll ihm einen Aktionsradius von vier Stunden geben. Auch daß sich die
Heeresverwaltung zur Beschaffung eines im eignen Lande herzustellenden
Maschinengewehrs entschlossen hat, ist von Bedeutung. Bei der Feldartillerie
waren bisher überhaupt keine Maschinengewehre vorhanden, nur in den Festungen
gibt es solche. Dein Mangel soll das neue Modell "Perino" abhelfen. Auch
auf dem Gebiete der Reglements hat das italienische Heer Fortschritte zu
verzeichnen. Es wurden eine neue Vorschrift für den Festungskrieg, eine
Schießinstruktion für die Infanterie und ein Reglement über die militärische
Disziplin erlassen; sie stehn alle aus dem Boden moderner Anschauungen und
fußen auf den Lehren und Erfahrungen der letzten Kriege.

Der gedeihlichen Fortentwicklung des französischen Heeres ist wie im
Jahre 1907 so auch diesmal wieder der Umstand sehr zustatten gekommen,
daß kein Ministerwechsel, wie früher so häufig, erfolgt ist. General Picquart
konnte daher mit der ihm eignen Geschicklichkeit und mit großem Eifer das auf
vielen Gebieten eingeleitete Werk der Heeresreformen fortsetzen. In erster Linie
gehören dazu die Reorganisation der Militürschulen und das neue Kadergesetz.
Während die neuen Bestimmungen über die Militärschulen hauptsächlich das
schon lange erstrebte Ziel der unit>6 ä'oriZins des Offizierkorps im Auge haben
und sie durch eine einheitliche Stufe der Erziehung und Ausbildung erreichen
wollen, will das Kadergesetz nicht nur eine Vermehrung, sondern auch teil¬
weise eine Neugliederung des Heeres. Vor allem kommt hierfür die Artillerie
in Betracht, die die Franzosen nach der Neubewaffnung des deutschen Heeres
mit Rohrrücklaufgeschützen der Zahl nach nicht mehr für ausreichend erachten.
Die jüngsten Kammerverhandlungen über diesen Gegenstand haben interessante
Streiflichter auf bekannte' und unbekannte Verhältnisse bei der französischen
Armee geworfen, und sie haben vor allen Dingen in der Rede des Kriegs¬
ministers ein hohes Selbstgefühl verraten, ein Gefühl der Überlegenheit gegen¬
über dem östlichen Nachbarn. "Ein Teil der Armee ist für alle sichtbar, aber
gerade der andre beträchtlichste Teil, der die Reserven in sich begreift, macht


Militärische Rückblicke auf das Jahr 1.903

Organisatorisch von einiger Wichtigkeit ist, daß sich die italienische Heeres¬
leitung zur Aufstellung eines Radfahrerbataillons aus den Nadfahrerkompagnien
des 3., 5., 6. und 9. Bersaglieriregiments entschlossen und es dem 5. Bersaglieri-
regiment in Bologna angegliedert hat. Damit ist eine neue Einheit geschaffen,
die keine andre Armee hat, denn das in Frankreich während der vorjährigen
Armeemanöver gebildete Nadfahrerbataillon war nur als eine vorübergehende,
nicht als eine bleibende Organisation geschaffen. Von wichtigen militärischen
Neuerungen in Italien ist sonst noch zu erwähnen, daß das von den Hauptleuten
Ricaldoni und Crocco konstruierte lenkbare Luftschiff durch seine letzte Probefahrt
von Bracciano nach Rom den Beweis voller Brauchbarkeit erbracht hat. Das
Luftschiff gehört mit seinen nur 2800 Kubikmetern Inhalt zu den kleinern
bisher vorhandnen Modellen; es mißt zwischen den Perpendikeln etwa 60 Meter
und hat einen Durchmesser von 15 Metern; ein Motor von 70 Pferdekräften
soll ihm einen Aktionsradius von vier Stunden geben. Auch daß sich die
Heeresverwaltung zur Beschaffung eines im eignen Lande herzustellenden
Maschinengewehrs entschlossen hat, ist von Bedeutung. Bei der Feldartillerie
waren bisher überhaupt keine Maschinengewehre vorhanden, nur in den Festungen
gibt es solche. Dein Mangel soll das neue Modell „Perino" abhelfen. Auch
auf dem Gebiete der Reglements hat das italienische Heer Fortschritte zu
verzeichnen. Es wurden eine neue Vorschrift für den Festungskrieg, eine
Schießinstruktion für die Infanterie und ein Reglement über die militärische
Disziplin erlassen; sie stehn alle aus dem Boden moderner Anschauungen und
fußen auf den Lehren und Erfahrungen der letzten Kriege.

Der gedeihlichen Fortentwicklung des französischen Heeres ist wie im
Jahre 1907 so auch diesmal wieder der Umstand sehr zustatten gekommen,
daß kein Ministerwechsel, wie früher so häufig, erfolgt ist. General Picquart
konnte daher mit der ihm eignen Geschicklichkeit und mit großem Eifer das auf
vielen Gebieten eingeleitete Werk der Heeresreformen fortsetzen. In erster Linie
gehören dazu die Reorganisation der Militürschulen und das neue Kadergesetz.
Während die neuen Bestimmungen über die Militärschulen hauptsächlich das
schon lange erstrebte Ziel der unit>6 ä'oriZins des Offizierkorps im Auge haben
und sie durch eine einheitliche Stufe der Erziehung und Ausbildung erreichen
wollen, will das Kadergesetz nicht nur eine Vermehrung, sondern auch teil¬
weise eine Neugliederung des Heeres. Vor allem kommt hierfür die Artillerie
in Betracht, die die Franzosen nach der Neubewaffnung des deutschen Heeres
mit Rohrrücklaufgeschützen der Zahl nach nicht mehr für ausreichend erachten.
Die jüngsten Kammerverhandlungen über diesen Gegenstand haben interessante
Streiflichter auf bekannte' und unbekannte Verhältnisse bei der französischen
Armee geworfen, und sie haben vor allen Dingen in der Rede des Kriegs¬
ministers ein hohes Selbstgefühl verraten, ein Gefühl der Überlegenheit gegen¬
über dem östlichen Nachbarn. „Ein Teil der Armee ist für alle sichtbar, aber
gerade der andre beträchtlichste Teil, der die Reserven in sich begreift, macht


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[0126] Militärische Rückblicke auf das Jahr 1.903 Organisatorisch von einiger Wichtigkeit ist, daß sich die italienische Heeres¬ leitung zur Aufstellung eines Radfahrerbataillons aus den Nadfahrerkompagnien des 3., 5., 6. und 9. Bersaglieriregiments entschlossen und es dem 5. Bersaglieri- regiment in Bologna angegliedert hat. Damit ist eine neue Einheit geschaffen, die keine andre Armee hat, denn das in Frankreich während der vorjährigen Armeemanöver gebildete Nadfahrerbataillon war nur als eine vorübergehende, nicht als eine bleibende Organisation geschaffen. Von wichtigen militärischen Neuerungen in Italien ist sonst noch zu erwähnen, daß das von den Hauptleuten Ricaldoni und Crocco konstruierte lenkbare Luftschiff durch seine letzte Probefahrt von Bracciano nach Rom den Beweis voller Brauchbarkeit erbracht hat. Das Luftschiff gehört mit seinen nur 2800 Kubikmetern Inhalt zu den kleinern bisher vorhandnen Modellen; es mißt zwischen den Perpendikeln etwa 60 Meter und hat einen Durchmesser von 15 Metern; ein Motor von 70 Pferdekräften soll ihm einen Aktionsradius von vier Stunden geben. Auch daß sich die Heeresverwaltung zur Beschaffung eines im eignen Lande herzustellenden Maschinengewehrs entschlossen hat, ist von Bedeutung. Bei der Feldartillerie waren bisher überhaupt keine Maschinengewehre vorhanden, nur in den Festungen gibt es solche. Dein Mangel soll das neue Modell „Perino" abhelfen. Auch auf dem Gebiete der Reglements hat das italienische Heer Fortschritte zu verzeichnen. Es wurden eine neue Vorschrift für den Festungskrieg, eine Schießinstruktion für die Infanterie und ein Reglement über die militärische Disziplin erlassen; sie stehn alle aus dem Boden moderner Anschauungen und fußen auf den Lehren und Erfahrungen der letzten Kriege. Der gedeihlichen Fortentwicklung des französischen Heeres ist wie im Jahre 1907 so auch diesmal wieder der Umstand sehr zustatten gekommen, daß kein Ministerwechsel, wie früher so häufig, erfolgt ist. General Picquart konnte daher mit der ihm eignen Geschicklichkeit und mit großem Eifer das auf vielen Gebieten eingeleitete Werk der Heeresreformen fortsetzen. In erster Linie gehören dazu die Reorganisation der Militürschulen und das neue Kadergesetz. Während die neuen Bestimmungen über die Militärschulen hauptsächlich das schon lange erstrebte Ziel der unit>6 ä'oriZins des Offizierkorps im Auge haben und sie durch eine einheitliche Stufe der Erziehung und Ausbildung erreichen wollen, will das Kadergesetz nicht nur eine Vermehrung, sondern auch teil¬ weise eine Neugliederung des Heeres. Vor allem kommt hierfür die Artillerie in Betracht, die die Franzosen nach der Neubewaffnung des deutschen Heeres mit Rohrrücklaufgeschützen der Zahl nach nicht mehr für ausreichend erachten. Die jüngsten Kammerverhandlungen über diesen Gegenstand haben interessante Streiflichter auf bekannte' und unbekannte Verhältnisse bei der französischen Armee geworfen, und sie haben vor allen Dingen in der Rede des Kriegs¬ ministers ein hohes Selbstgefühl verraten, ein Gefühl der Überlegenheit gegen¬ über dem östlichen Nachbarn. „Ein Teil der Armee ist für alle sichtbar, aber gerade der andre beträchtlichste Teil, der die Reserven in sich begreift, macht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/126>, abgerufen am 23.07.2024.