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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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An nüuer Gibbon

hatte, und einem andern, das zufällig an einer Hungersnot litt. Solch ein
Doppelzufall schuf natürlich so gewaltige Preisdifferenzen, daß ein Geschäft
schon gewagt werden konnte, das, wie gesagt, für gewöhnlich ein faules Ge¬
schäft war. Denn infolge der Geldknappheit und der dadurch verursachten
Höhe des Zinsfußes sowie wegen der Kleinheit und Langsamkeit der Schiffe
waren die Kosten sogar beim Wassertransport -- um wievielmehr beim Land¬
transport -- sehr groß, und nicht minder groß waren die Gefahren von See¬
räubern, feindlichen Kriegsschiffen, den häufigen Freveltaten eines im ganzen
barbarischen Rechtszustandes und -- bei der UnVollkommenheit der Schiff-
fahrtskunst -- von den Stürmen. Deshalb beschränkte sich der damalige
Auslandshandel auf Waren, die bei kleinem Umfang hohen Wert hatten, und
da sie nicht zur Notdurft des Lebens gehörten, nur von wohlhabenden Ab¬
nehmern gekauft wurden, die bereit waren, sie noch weit über ihren Wert zu
bezahlen, sodaß ein Gewinn herausspringen konnte, der das Risiko aufwog.
Ferrero hat seinen Beweis vorzugsweise aus Nachrichten über den Handel
Athens im vierten und dritten Jahrhundert v. Chr. gegründet, aber, schreibt
er, da sich die Zustände in dieser Hinsicht bis zu der hier in Betracht kommenden
Zeit nicht geändert hätten und für alle Mittelmeerländer dieselben gewesen
seien, so dürfe man ihn auch auf Italien anwenden. "Wenn im vierten Jahr¬
hundert das Getreide aus Pontus und Ägypten nicht ohne einen Zuschuß
vom Staat oder von reichen Händlern, die freiwillig oder gezwungen einen
Teil der Kosten trugen, nach dem so gut wie am Meere liegenden Athen, das
damals eine große und, reiche Stadt war, transportiert werden konnte, wie
sollte dann zwei Jahrhunderte später ägyptisches Getreide im Innern Italiens,
in den Gebirgsstcidten der Apenninen oder im zisalpinischen Gallien verkauft
werden können? Bei so weitem Transport wäre das Getreide so teuer ge¬
worden, daß es mit dem einheimischen schlechterdings nicht Hütte konkurrieren
können. Die Transportkosten und die Handelsinteressen schützten damals den
Getreidebau besser, als es heute die Schutzzölle vermögen; sie schützten ihn so
gut, daß man in Rom wie in Athen von Staats wegen für die Einfuhr
sorgen mußte." Zu der Furcht vor den periodischen Hungersnöten gesellte
sich das ständige Bedürfnis der Großstadt Rom, deren Bevölkerung bei dem
beschriebnen Zustande des freien Handels und des heimischen Ackerbaus von
diesen beiden schlechterdings nicht ernährt werden konnte. (Außer Rom gab
es keine Großstadt in Italien und konnte es keine geben; die Angaben über
große Einwohnerzahlen einiger Städte des Altertums, die nicht zu den all¬
bekannten wenigen Weltstädten gehörten, müssen, bemerkt Ferrero, als über¬
trieben angesehen werden.) Diese Sorge für die Verproviantierung Roms
hatte zur Folge, daß die Regierung solche Länder, die dafür in Betracht
kamen, durch die Diplomatie an sich fesseln oder, was noch einfacher war,
erobern mußte; so besonders Ägypten; von dort besorgte dann der Staat die
Einfuhr. Und die Eroberungen wiederum konnten mir etappenweise von einer


Grenzboten II 1908 I I
An nüuer Gibbon

hatte, und einem andern, das zufällig an einer Hungersnot litt. Solch ein
Doppelzufall schuf natürlich so gewaltige Preisdifferenzen, daß ein Geschäft
schon gewagt werden konnte, das, wie gesagt, für gewöhnlich ein faules Ge¬
schäft war. Denn infolge der Geldknappheit und der dadurch verursachten
Höhe des Zinsfußes sowie wegen der Kleinheit und Langsamkeit der Schiffe
waren die Kosten sogar beim Wassertransport — um wievielmehr beim Land¬
transport — sehr groß, und nicht minder groß waren die Gefahren von See¬
räubern, feindlichen Kriegsschiffen, den häufigen Freveltaten eines im ganzen
barbarischen Rechtszustandes und — bei der UnVollkommenheit der Schiff-
fahrtskunst — von den Stürmen. Deshalb beschränkte sich der damalige
Auslandshandel auf Waren, die bei kleinem Umfang hohen Wert hatten, und
da sie nicht zur Notdurft des Lebens gehörten, nur von wohlhabenden Ab¬
nehmern gekauft wurden, die bereit waren, sie noch weit über ihren Wert zu
bezahlen, sodaß ein Gewinn herausspringen konnte, der das Risiko aufwog.
Ferrero hat seinen Beweis vorzugsweise aus Nachrichten über den Handel
Athens im vierten und dritten Jahrhundert v. Chr. gegründet, aber, schreibt
er, da sich die Zustände in dieser Hinsicht bis zu der hier in Betracht kommenden
Zeit nicht geändert hätten und für alle Mittelmeerländer dieselben gewesen
seien, so dürfe man ihn auch auf Italien anwenden. „Wenn im vierten Jahr¬
hundert das Getreide aus Pontus und Ägypten nicht ohne einen Zuschuß
vom Staat oder von reichen Händlern, die freiwillig oder gezwungen einen
Teil der Kosten trugen, nach dem so gut wie am Meere liegenden Athen, das
damals eine große und, reiche Stadt war, transportiert werden konnte, wie
sollte dann zwei Jahrhunderte später ägyptisches Getreide im Innern Italiens,
in den Gebirgsstcidten der Apenninen oder im zisalpinischen Gallien verkauft
werden können? Bei so weitem Transport wäre das Getreide so teuer ge¬
worden, daß es mit dem einheimischen schlechterdings nicht Hütte konkurrieren
können. Die Transportkosten und die Handelsinteressen schützten damals den
Getreidebau besser, als es heute die Schutzzölle vermögen; sie schützten ihn so
gut, daß man in Rom wie in Athen von Staats wegen für die Einfuhr
sorgen mußte." Zu der Furcht vor den periodischen Hungersnöten gesellte
sich das ständige Bedürfnis der Großstadt Rom, deren Bevölkerung bei dem
beschriebnen Zustande des freien Handels und des heimischen Ackerbaus von
diesen beiden schlechterdings nicht ernährt werden konnte. (Außer Rom gab
es keine Großstadt in Italien und konnte es keine geben; die Angaben über
große Einwohnerzahlen einiger Städte des Altertums, die nicht zu den all¬
bekannten wenigen Weltstädten gehörten, müssen, bemerkt Ferrero, als über¬
trieben angesehen werden.) Diese Sorge für die Verproviantierung Roms
hatte zur Folge, daß die Regierung solche Länder, die dafür in Betracht
kamen, durch die Diplomatie an sich fesseln oder, was noch einfacher war,
erobern mußte; so besonders Ägypten; von dort besorgte dann der Staat die
Einfuhr. Und die Eroberungen wiederum konnten mir etappenweise von einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/89>, abgerufen am 24.07.2024.