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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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kostet es an dieser und an andern Stellen einige Mühe, herauszubekommen,
welches Jahr mit "diesem unruhvollen" oder einem ähnlich bezeichneten Jahre
gemeint ist. In größern Geschichtswerken sollte auf jeder Seite die Jahres¬
zahl an den Rand gesetzt werden.) "Die Tatsache schien den Zeitgenossen nicht
sehr wichtig, sie beachteten sie kaum im politischen Kampfgetümmel, und wir
würden gar nichts davon wissen, hätte sie uns nicht einer der fleißigsten Ge¬
lehrten der alten Welt überliefert. (Plinius in seiner Naturgeschichte XV, 1.)
Aber diese Tatsache hat doch ihre Bedeutuug. da sie uns zeigt, daß selbst in¬
mitten dieses furchtbaren politischen Auflösungsprozesses und neben einigen
militärischen und politischen Persönlichkeiten, deren Taten die Geschichtsbücher
füllen, zahllose Menschen, die keinen Namen hinterlassen haben, unermüdlich
weiter arbeiteten an der Umgestaltung des italischen Ackerbaues und Gewerb-
fleißes. Freigelassene, kleine und mittlere Grundbesitzer, Ausgewandertes,
frühere Legionssoldaten, Zenturionen erwarben mit ihren Ersparnissen ein
Stück Land von verschuldeten großen Aristokratenfamilien, kauften Sklaven
und betrieben den Ackerbau nach verbesserten Methoden oder trieben Handel
und führten neue Kunstfertigkeiten und Gewerbe ein. Die Fortschritte des
Olivenbaues, über die Plinius berichtet hin zweiten bis siebenten Kapitel des
fünfzehnten Buches), und die des Weinbaues wären nicht möglich gewesen,
hätte sich nicht zwischen dem Großgrundbesitz und den ihr Land selbst be¬
dauerten kleinen Landwirten eine mittlere Klasse von Grundbesitzern gebildet,
die mit kleinem Kapital und mit Hilfe intelligenter Sklaven die hochentwickelten
Kulturwcisen des Orients anwandten. Die Kleinbauern hätten es nicht ver¬
standen, und die Großgrundbesitzer hätten ungeheure Kapitalien gebraucht, wenn
sie Wein, Oliven und andre Fruchtbäume im großen hätten kultivieren und
die dazu erforderlichen Bauten hätten errichten wollen. ^Er sagt an einer
andern Stelle, für diese höhern Sklaven habe man auch anständige Wohnungen
schaffen müssen. Der Großgrundbesitzer brauchte ja nicht sein ganzes Areal
zum Wein-, Öl-, Obst- und Gemüsebau zu verwenden und konnte außerdem
durch parzcllenweise Verpachtung die neue Kulturart fördern, was denn auch
tatsächlich geschehen ist.j Auch konnten sie sich in der Regel nicht selbst um
ihre Güter kümmern, was für einen gedeihlichen Betrieb so notwendig ist.
Spekulanten, reiche Wucherer, Literaten, berühmte Politiker oder Offiziere,
andre vornehme Stadtherren mochten aus Laune oder weil es Mode war,
diese neuen Kulturen selbst probieren; für gewöhnlich jedoch paßte den Gro߬
grundbesitzern, wenn ihre Güter nicht in der Nähe einer Stadt lagen, nichts
besser als die Viehzucht. So ließen die großen Herren Roms in den damals
noch ausgedehnten Wäldern und auf den weiten Wiesen des Polcmdes und
Süditaliens, das seit Hannibals Zeit ziemlich menschenleer geblieben war, riesige
Herden weiden. sDie Ursache davon, daß in der Poebene der Großgrundbesitz
besonders stark um sich griff, scheint also nicht, wie Friedländer meint, ihre
Fruchtbarkeit gewesen zu sein, sondern der Umstand, daß sie sich noch im Natur-


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kostet es an dieser und an andern Stellen einige Mühe, herauszubekommen,
welches Jahr mit „diesem unruhvollen" oder einem ähnlich bezeichneten Jahre
gemeint ist. In größern Geschichtswerken sollte auf jeder Seite die Jahres¬
zahl an den Rand gesetzt werden.) „Die Tatsache schien den Zeitgenossen nicht
sehr wichtig, sie beachteten sie kaum im politischen Kampfgetümmel, und wir
würden gar nichts davon wissen, hätte sie uns nicht einer der fleißigsten Ge¬
lehrten der alten Welt überliefert. (Plinius in seiner Naturgeschichte XV, 1.)
Aber diese Tatsache hat doch ihre Bedeutuug. da sie uns zeigt, daß selbst in¬
mitten dieses furchtbaren politischen Auflösungsprozesses und neben einigen
militärischen und politischen Persönlichkeiten, deren Taten die Geschichtsbücher
füllen, zahllose Menschen, die keinen Namen hinterlassen haben, unermüdlich
weiter arbeiteten an der Umgestaltung des italischen Ackerbaues und Gewerb-
fleißes. Freigelassene, kleine und mittlere Grundbesitzer, Ausgewandertes,
frühere Legionssoldaten, Zenturionen erwarben mit ihren Ersparnissen ein
Stück Land von verschuldeten großen Aristokratenfamilien, kauften Sklaven
und betrieben den Ackerbau nach verbesserten Methoden oder trieben Handel
und führten neue Kunstfertigkeiten und Gewerbe ein. Die Fortschritte des
Olivenbaues, über die Plinius berichtet hin zweiten bis siebenten Kapitel des
fünfzehnten Buches), und die des Weinbaues wären nicht möglich gewesen,
hätte sich nicht zwischen dem Großgrundbesitz und den ihr Land selbst be¬
dauerten kleinen Landwirten eine mittlere Klasse von Grundbesitzern gebildet,
die mit kleinem Kapital und mit Hilfe intelligenter Sklaven die hochentwickelten
Kulturwcisen des Orients anwandten. Die Kleinbauern hätten es nicht ver¬
standen, und die Großgrundbesitzer hätten ungeheure Kapitalien gebraucht, wenn
sie Wein, Oliven und andre Fruchtbäume im großen hätten kultivieren und
die dazu erforderlichen Bauten hätten errichten wollen. ^Er sagt an einer
andern Stelle, für diese höhern Sklaven habe man auch anständige Wohnungen
schaffen müssen. Der Großgrundbesitzer brauchte ja nicht sein ganzes Areal
zum Wein-, Öl-, Obst- und Gemüsebau zu verwenden und konnte außerdem
durch parzcllenweise Verpachtung die neue Kulturart fördern, was denn auch
tatsächlich geschehen ist.j Auch konnten sie sich in der Regel nicht selbst um
ihre Güter kümmern, was für einen gedeihlichen Betrieb so notwendig ist.
Spekulanten, reiche Wucherer, Literaten, berühmte Politiker oder Offiziere,
andre vornehme Stadtherren mochten aus Laune oder weil es Mode war,
diese neuen Kulturen selbst probieren; für gewöhnlich jedoch paßte den Gro߬
grundbesitzern, wenn ihre Güter nicht in der Nähe einer Stadt lagen, nichts
besser als die Viehzucht. So ließen die großen Herren Roms in den damals
noch ausgedehnten Wäldern und auf den weiten Wiesen des Polcmdes und
Süditaliens, das seit Hannibals Zeit ziemlich menschenleer geblieben war, riesige
Herden weiden. sDie Ursache davon, daß in der Poebene der Großgrundbesitz
besonders stark um sich griff, scheint also nicht, wie Friedländer meint, ihre
Fruchtbarkeit gewesen zu sein, sondern der Umstand, daß sie sich noch im Natur-


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[0086] Gin neuer Gibbon kostet es an dieser und an andern Stellen einige Mühe, herauszubekommen, welches Jahr mit „diesem unruhvollen" oder einem ähnlich bezeichneten Jahre gemeint ist. In größern Geschichtswerken sollte auf jeder Seite die Jahres¬ zahl an den Rand gesetzt werden.) „Die Tatsache schien den Zeitgenossen nicht sehr wichtig, sie beachteten sie kaum im politischen Kampfgetümmel, und wir würden gar nichts davon wissen, hätte sie uns nicht einer der fleißigsten Ge¬ lehrten der alten Welt überliefert. (Plinius in seiner Naturgeschichte XV, 1.) Aber diese Tatsache hat doch ihre Bedeutuug. da sie uns zeigt, daß selbst in¬ mitten dieses furchtbaren politischen Auflösungsprozesses und neben einigen militärischen und politischen Persönlichkeiten, deren Taten die Geschichtsbücher füllen, zahllose Menschen, die keinen Namen hinterlassen haben, unermüdlich weiter arbeiteten an der Umgestaltung des italischen Ackerbaues und Gewerb- fleißes. Freigelassene, kleine und mittlere Grundbesitzer, Ausgewandertes, frühere Legionssoldaten, Zenturionen erwarben mit ihren Ersparnissen ein Stück Land von verschuldeten großen Aristokratenfamilien, kauften Sklaven und betrieben den Ackerbau nach verbesserten Methoden oder trieben Handel und führten neue Kunstfertigkeiten und Gewerbe ein. Die Fortschritte des Olivenbaues, über die Plinius berichtet hin zweiten bis siebenten Kapitel des fünfzehnten Buches), und die des Weinbaues wären nicht möglich gewesen, hätte sich nicht zwischen dem Großgrundbesitz und den ihr Land selbst be¬ dauerten kleinen Landwirten eine mittlere Klasse von Grundbesitzern gebildet, die mit kleinem Kapital und mit Hilfe intelligenter Sklaven die hochentwickelten Kulturwcisen des Orients anwandten. Die Kleinbauern hätten es nicht ver¬ standen, und die Großgrundbesitzer hätten ungeheure Kapitalien gebraucht, wenn sie Wein, Oliven und andre Fruchtbäume im großen hätten kultivieren und die dazu erforderlichen Bauten hätten errichten wollen. ^Er sagt an einer andern Stelle, für diese höhern Sklaven habe man auch anständige Wohnungen schaffen müssen. Der Großgrundbesitzer brauchte ja nicht sein ganzes Areal zum Wein-, Öl-, Obst- und Gemüsebau zu verwenden und konnte außerdem durch parzcllenweise Verpachtung die neue Kulturart fördern, was denn auch tatsächlich geschehen ist.j Auch konnten sie sich in der Regel nicht selbst um ihre Güter kümmern, was für einen gedeihlichen Betrieb so notwendig ist. Spekulanten, reiche Wucherer, Literaten, berühmte Politiker oder Offiziere, andre vornehme Stadtherren mochten aus Laune oder weil es Mode war, diese neuen Kulturen selbst probieren; für gewöhnlich jedoch paßte den Gro߬ grundbesitzern, wenn ihre Güter nicht in der Nähe einer Stadt lagen, nichts besser als die Viehzucht. So ließen die großen Herren Roms in den damals noch ausgedehnten Wäldern und auf den weiten Wiesen des Polcmdes und Süditaliens, das seit Hannibals Zeit ziemlich menschenleer geblieben war, riesige Herden weiden. sDie Ursache davon, daß in der Poebene der Großgrundbesitz besonders stark um sich griff, scheint also nicht, wie Friedländer meint, ihre Fruchtbarkeit gewesen zu sein, sondern der Umstand, daß sie sich noch im Natur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/86>, abgerufen am 24.07.2024.