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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Tätigkeit ungarischen Koalition

An dieseni durch die dualistischen Vertrüge von 1867 bestätigten Ver¬
hältnis hat Kaiser Franz Joseph immer festgehalten. Die zum Zwecke parla¬
mentarischen Machterwerbs in Wien und Budapest im Einverständnis wirkende
Presse ist freilich unausgesetzt bemüht gewesen, teils aus falscher Auffassung,
teils aus andern Gründen die Lage anders und namentlich den Monarchen
als schwankend darzustellen. Das ist aber durchaus unberechtigt. Um die
heutige Lage klar zu machen, ist eine kurze Darstellung der Vorgänge der
letzten Jahre nötig. Die herrschende Clique in Ungarn, die sich die liberale
Partei nannte, hatte nach und nach, um der immer mehr gegen sie an¬
wachsenden Opposition zu begegnen, mit den magyarischen Richtungen
paktieren müssen, die aus mehr oder weniger ernsten und klaren Gründen für
die politische und wirtschaftliche Selbständigkeit Ungarns agitierten. Szell
hatte durch die Aufnahme der solche Forderungen vertretenden Nationalpartei
in die liberale Partei diese zwar ungemein vergrößert, aber auch den Konflikt
mit der Krone unvermeidlich gemacht. Es folgte dann der Sturz Szclls, das
Doppelspiel der liberalen Partei, im stillen Einverständnis mit der Unab¬
hängigkeitspartei durch deren Obstruktion im Reichstag einen Teil der un¬
garischen Militärforderungen doch zu erpressen, darauf am 16. September 1903
der Armeebefehl von Chlopy. Die Liberalen, die seit geraumer Zeit wußten,
daß der Monarch außer den dem Ministerium Szell schon gemachten Zu¬
geständnissen in militärischen Dingen nichts weiter bewilligen werde, sahen
sich nun vor die Wahl gestellt, entweder offen zur Opposition überzugehn
oder sich dadurch in der Regierung zu erhalten, daß sie sich für die militärischen
Forderungen der Krone einsetzten. Sie entschieden sich für das letzte, und
nachdem sie sich des ihnen persönlich unangenehmen, weil zu kaiserlich ge¬
sinnten Ministerpräsidenten Khuen-Hedervary entledigt hatten, begann unter
Stephan Tisza die Schlußkatastrvphe der liberalen Partei. Er suchte anfangs
mit gekünstelter Auslegungen seiner militärischen Abmachungen die erbitterten
Unabhängigen von der Obstruktion abzubringen, als sich aber diese überzeugten,
daß jene Errungenschaften auch nicht im entferntesten den magyarischen Wünschen
entsprachen, brach die heftigste Obstruktion aus, worauf am 5. Januar 1905
der Reichstag aufgelöst wurde. Die Wahlen am 26. Januar brachten einen
so vollständigen Sieg der vereinigten Oppositionsparteien, daß sich kurz danach
die liberale Partei auflöste.

Eine maß- und ziellose Agitation hatte nun wohl einen durchschlagenden
Wahlerfolg errungen, der aber zunächst nicht auszunützen war. Der Kampf
hatte eigentlich dem langjährigen Terrorismus und den wirtschaftlichen Sünden
der liberalen Partei gegolten und war nur in der letzten Zeit infolge der
zwiespältigen Haltung der liberalen Führer in den Streit um die Heeres¬
frage und die wirtschaftliche Selbständigkeit des Landes ausgeartet. Jetzt sah
es allerdings so aus, als ob das Programm der Unabhängigkeitspartei ge¬
siegt habe. Das konnte aber höchstens für die militärischen Fragen gelten,
die Mehrheit der neugewählten stand dagegen auf dem Boden des Ausgleichs,


Die Tätigkeit ungarischen Koalition

An dieseni durch die dualistischen Vertrüge von 1867 bestätigten Ver¬
hältnis hat Kaiser Franz Joseph immer festgehalten. Die zum Zwecke parla¬
mentarischen Machterwerbs in Wien und Budapest im Einverständnis wirkende
Presse ist freilich unausgesetzt bemüht gewesen, teils aus falscher Auffassung,
teils aus andern Gründen die Lage anders und namentlich den Monarchen
als schwankend darzustellen. Das ist aber durchaus unberechtigt. Um die
heutige Lage klar zu machen, ist eine kurze Darstellung der Vorgänge der
letzten Jahre nötig. Die herrschende Clique in Ungarn, die sich die liberale
Partei nannte, hatte nach und nach, um der immer mehr gegen sie an¬
wachsenden Opposition zu begegnen, mit den magyarischen Richtungen
paktieren müssen, die aus mehr oder weniger ernsten und klaren Gründen für
die politische und wirtschaftliche Selbständigkeit Ungarns agitierten. Szell
hatte durch die Aufnahme der solche Forderungen vertretenden Nationalpartei
in die liberale Partei diese zwar ungemein vergrößert, aber auch den Konflikt
mit der Krone unvermeidlich gemacht. Es folgte dann der Sturz Szclls, das
Doppelspiel der liberalen Partei, im stillen Einverständnis mit der Unab¬
hängigkeitspartei durch deren Obstruktion im Reichstag einen Teil der un¬
garischen Militärforderungen doch zu erpressen, darauf am 16. September 1903
der Armeebefehl von Chlopy. Die Liberalen, die seit geraumer Zeit wußten,
daß der Monarch außer den dem Ministerium Szell schon gemachten Zu¬
geständnissen in militärischen Dingen nichts weiter bewilligen werde, sahen
sich nun vor die Wahl gestellt, entweder offen zur Opposition überzugehn
oder sich dadurch in der Regierung zu erhalten, daß sie sich für die militärischen
Forderungen der Krone einsetzten. Sie entschieden sich für das letzte, und
nachdem sie sich des ihnen persönlich unangenehmen, weil zu kaiserlich ge¬
sinnten Ministerpräsidenten Khuen-Hedervary entledigt hatten, begann unter
Stephan Tisza die Schlußkatastrvphe der liberalen Partei. Er suchte anfangs
mit gekünstelter Auslegungen seiner militärischen Abmachungen die erbitterten
Unabhängigen von der Obstruktion abzubringen, als sich aber diese überzeugten,
daß jene Errungenschaften auch nicht im entferntesten den magyarischen Wünschen
entsprachen, brach die heftigste Obstruktion aus, worauf am 5. Januar 1905
der Reichstag aufgelöst wurde. Die Wahlen am 26. Januar brachten einen
so vollständigen Sieg der vereinigten Oppositionsparteien, daß sich kurz danach
die liberale Partei auflöste.

Eine maß- und ziellose Agitation hatte nun wohl einen durchschlagenden
Wahlerfolg errungen, der aber zunächst nicht auszunützen war. Der Kampf
hatte eigentlich dem langjährigen Terrorismus und den wirtschaftlichen Sünden
der liberalen Partei gegolten und war nur in der letzten Zeit infolge der
zwiespältigen Haltung der liberalen Führer in den Streit um die Heeres¬
frage und die wirtschaftliche Selbständigkeit des Landes ausgeartet. Jetzt sah
es allerdings so aus, als ob das Programm der Unabhängigkeitspartei ge¬
siegt habe. Das konnte aber höchstens für die militärischen Fragen gelten,
die Mehrheit der neugewählten stand dagegen auf dem Boden des Ausgleichs,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/67>, abgerufen am 24.07.2024.