Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die preußische Artillerie im Dienste des Mstenrettungswesens

Marineoffizier, der Korvettenkapitän Werner, Kommandant des Artillerieschul¬
schiffs Gefion, den Anstoß gegeben. Werner setzte damit die Bemühungen fort,
die der erste preußische Marineoffizier des neunzehnten Jahrhunderts, Major
Longe, im Jahre 1832 hoffnungsvoll, so hoffnungsvoll wie seinen Kampf für
die Gründung einer preußischen Marine, aufgenommen und, bald enttäuscht
und gelähmt, erst im Jahre 1861 aufgegeben hatte. Als Vorsitzender des
technischen Komitees im Danziger Verein zur Rettung Schiffbrüchiger hatte
Werner, angeregt durch die Leistungen der englischen Raketenapparate von
Dennett und Boxer, Versuche mit ein- und zweipfündigen Raketen angestellt,
die ungenügende Flugweiten und allzu unsichere Flugbahnen ergaben. Er bat nun
den Kriegsminister, dem Feuerwerkslaboratorium in Spandau zu gestatten, daß
es für den Danziger Verein Raketenapparate herstelle. Der Kriegsminister ge¬
nehmigte das Gesuch und wies Werner an die Direktion des Feuerwerks¬
laboratoriums. Dieser stellte nun den Konstrukteuren des Laboratoriums
folgende Aufgabe: Die Leine soll durch das Geschoß mindestens 600 Schritt
weit getragen werden, sie wiegt pro Rute in nassem Zustande 0,65 Pfund.
Fehlschüsse, überhaupt Zeitverlust, haben leicht Menschenverluste zur Folge. Die
Unsicherheit der Flughahn der Rakete muß deshalb auf ein Minimum beschränkt
werden. Es muß festgestellt werden, wie die Leine am zweckmäßigsten mit der
Rakete verbunden wird. Das Raketengestell muß möglichst leicht und beweglich
konstruiert werden, da der Apparat mit den Leinen an unbewohnten, pferde¬
armen Küstenstrecken oft meilenweit von wenigen Menschen durch tiefen Dünen¬
sand transportiert werden muß. Die Konstruktion des ganzen Apparats muß
einfach sein, da die Bedienung und Pflege der Rettungsgerüte in den meisten
Fällen gewöhnlichen Fischern anvertraut werden muß. Endlich muß die Brenn¬
satzsäule so zusammengesetzt sein, daß das Geschoß möglichst weich anzieht. --
Leinen und eine Egge zum Aufwickeln stellte der Verein dem Laboratorium zur
Verfügung.

Gegeben war wenig, der Zusammenhang mit den Raketenschießversuchen,
die man an der preußischen Küste in den dreißiger Jahren angestellt hatte, war
ganz verloren. Kapitän Werner hatte wieder von vorn angefangen, bevor er
sich an das Feuerwerkslaboratorium wandte. Daß ein preußischer Oberfeuer¬
werker schon dreißig Jahre früher mit Schleppraketen Flugweiten von 346 und
425 Schritt und Treffer auf diese Entfernungen erzielt hatte, wußte niemand
mehr. So konnte man sich seine Erfahrungen nicht zunutze machen, und das
Feuerwerkslaboratorium stand vor einer neuen Aufgabe. Aber es hat sie
glänzend gelöst.

Im Jahre 1865 lieferte es der Schiffahrtskommission in Swinemünde
zehn zweizöllige Festungseitenstabraketen. Nach einem Schreiben der Konnnission
an das Feuerwerkslaboratorium bewährten sich diese Festungraketen bei den
Versuchen so, "daß es keinem Zweifel unterlag, daß dieselben die Mörser¬
apparate zur Rettung Schiffbrüchiger mehr als vollständig ersetzen und die


Die preußische Artillerie im Dienste des Mstenrettungswesens

Marineoffizier, der Korvettenkapitän Werner, Kommandant des Artillerieschul¬
schiffs Gefion, den Anstoß gegeben. Werner setzte damit die Bemühungen fort,
die der erste preußische Marineoffizier des neunzehnten Jahrhunderts, Major
Longe, im Jahre 1832 hoffnungsvoll, so hoffnungsvoll wie seinen Kampf für
die Gründung einer preußischen Marine, aufgenommen und, bald enttäuscht
und gelähmt, erst im Jahre 1861 aufgegeben hatte. Als Vorsitzender des
technischen Komitees im Danziger Verein zur Rettung Schiffbrüchiger hatte
Werner, angeregt durch die Leistungen der englischen Raketenapparate von
Dennett und Boxer, Versuche mit ein- und zweipfündigen Raketen angestellt,
die ungenügende Flugweiten und allzu unsichere Flugbahnen ergaben. Er bat nun
den Kriegsminister, dem Feuerwerkslaboratorium in Spandau zu gestatten, daß
es für den Danziger Verein Raketenapparate herstelle. Der Kriegsminister ge¬
nehmigte das Gesuch und wies Werner an die Direktion des Feuerwerks¬
laboratoriums. Dieser stellte nun den Konstrukteuren des Laboratoriums
folgende Aufgabe: Die Leine soll durch das Geschoß mindestens 600 Schritt
weit getragen werden, sie wiegt pro Rute in nassem Zustande 0,65 Pfund.
Fehlschüsse, überhaupt Zeitverlust, haben leicht Menschenverluste zur Folge. Die
Unsicherheit der Flughahn der Rakete muß deshalb auf ein Minimum beschränkt
werden. Es muß festgestellt werden, wie die Leine am zweckmäßigsten mit der
Rakete verbunden wird. Das Raketengestell muß möglichst leicht und beweglich
konstruiert werden, da der Apparat mit den Leinen an unbewohnten, pferde¬
armen Küstenstrecken oft meilenweit von wenigen Menschen durch tiefen Dünen¬
sand transportiert werden muß. Die Konstruktion des ganzen Apparats muß
einfach sein, da die Bedienung und Pflege der Rettungsgerüte in den meisten
Fällen gewöhnlichen Fischern anvertraut werden muß. Endlich muß die Brenn¬
satzsäule so zusammengesetzt sein, daß das Geschoß möglichst weich anzieht. —
Leinen und eine Egge zum Aufwickeln stellte der Verein dem Laboratorium zur
Verfügung.

Gegeben war wenig, der Zusammenhang mit den Raketenschießversuchen,
die man an der preußischen Küste in den dreißiger Jahren angestellt hatte, war
ganz verloren. Kapitän Werner hatte wieder von vorn angefangen, bevor er
sich an das Feuerwerkslaboratorium wandte. Daß ein preußischer Oberfeuer¬
werker schon dreißig Jahre früher mit Schleppraketen Flugweiten von 346 und
425 Schritt und Treffer auf diese Entfernungen erzielt hatte, wußte niemand
mehr. So konnte man sich seine Erfahrungen nicht zunutze machen, und das
Feuerwerkslaboratorium stand vor einer neuen Aufgabe. Aber es hat sie
glänzend gelöst.

Im Jahre 1865 lieferte es der Schiffahrtskommission in Swinemünde
zehn zweizöllige Festungseitenstabraketen. Nach einem Schreiben der Konnnission
an das Feuerwerkslaboratorium bewährten sich diese Festungraketen bei den
Versuchen so, „daß es keinem Zweifel unterlag, daß dieselben die Mörser¬
apparate zur Rettung Schiffbrüchiger mehr als vollständig ersetzen und die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0621" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312306"/>
          <fw type="header" place="top"> Die preußische Artillerie im Dienste des Mstenrettungswesens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2439" prev="#ID_2438"> Marineoffizier, der Korvettenkapitän Werner, Kommandant des Artillerieschul¬<lb/>
schiffs Gefion, den Anstoß gegeben. Werner setzte damit die Bemühungen fort,<lb/>
die der erste preußische Marineoffizier des neunzehnten Jahrhunderts, Major<lb/>
Longe, im Jahre 1832 hoffnungsvoll, so hoffnungsvoll wie seinen Kampf für<lb/>
die Gründung einer preußischen Marine, aufgenommen und, bald enttäuscht<lb/>
und gelähmt, erst im Jahre 1861 aufgegeben hatte. Als Vorsitzender des<lb/>
technischen Komitees im Danziger Verein zur Rettung Schiffbrüchiger hatte<lb/>
Werner, angeregt durch die Leistungen der englischen Raketenapparate von<lb/>
Dennett und Boxer, Versuche mit ein- und zweipfündigen Raketen angestellt,<lb/>
die ungenügende Flugweiten und allzu unsichere Flugbahnen ergaben. Er bat nun<lb/>
den Kriegsminister, dem Feuerwerkslaboratorium in Spandau zu gestatten, daß<lb/>
es für den Danziger Verein Raketenapparate herstelle. Der Kriegsminister ge¬<lb/>
nehmigte das Gesuch und wies Werner an die Direktion des Feuerwerks¬<lb/>
laboratoriums. Dieser stellte nun den Konstrukteuren des Laboratoriums<lb/>
folgende Aufgabe: Die Leine soll durch das Geschoß mindestens 600 Schritt<lb/>
weit getragen werden, sie wiegt pro Rute in nassem Zustande 0,65 Pfund.<lb/>
Fehlschüsse, überhaupt Zeitverlust, haben leicht Menschenverluste zur Folge. Die<lb/>
Unsicherheit der Flughahn der Rakete muß deshalb auf ein Minimum beschränkt<lb/>
werden. Es muß festgestellt werden, wie die Leine am zweckmäßigsten mit der<lb/>
Rakete verbunden wird. Das Raketengestell muß möglichst leicht und beweglich<lb/>
konstruiert werden, da der Apparat mit den Leinen an unbewohnten, pferde¬<lb/>
armen Küstenstrecken oft meilenweit von wenigen Menschen durch tiefen Dünen¬<lb/>
sand transportiert werden muß. Die Konstruktion des ganzen Apparats muß<lb/>
einfach sein, da die Bedienung und Pflege der Rettungsgerüte in den meisten<lb/>
Fällen gewöhnlichen Fischern anvertraut werden muß. Endlich muß die Brenn¬<lb/>
satzsäule so zusammengesetzt sein, daß das Geschoß möglichst weich anzieht. &#x2014;<lb/>
Leinen und eine Egge zum Aufwickeln stellte der Verein dem Laboratorium zur<lb/>
Verfügung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2440"> Gegeben war wenig, der Zusammenhang mit den Raketenschießversuchen,<lb/>
die man an der preußischen Küste in den dreißiger Jahren angestellt hatte, war<lb/>
ganz verloren. Kapitän Werner hatte wieder von vorn angefangen, bevor er<lb/>
sich an das Feuerwerkslaboratorium wandte. Daß ein preußischer Oberfeuer¬<lb/>
werker schon dreißig Jahre früher mit Schleppraketen Flugweiten von 346 und<lb/>
425 Schritt und Treffer auf diese Entfernungen erzielt hatte, wußte niemand<lb/>
mehr. So konnte man sich seine Erfahrungen nicht zunutze machen, und das<lb/>
Feuerwerkslaboratorium stand vor einer neuen Aufgabe. Aber es hat sie<lb/>
glänzend gelöst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2441" next="#ID_2442"> Im Jahre 1865 lieferte es der Schiffahrtskommission in Swinemünde<lb/>
zehn zweizöllige Festungseitenstabraketen. Nach einem Schreiben der Konnnission<lb/>
an das Feuerwerkslaboratorium bewährten sich diese Festungraketen bei den<lb/>
Versuchen so, &#x201E;daß es keinem Zweifel unterlag, daß dieselben die Mörser¬<lb/>
apparate zur Rettung Schiffbrüchiger mehr als vollständig ersetzen und die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0621] Die preußische Artillerie im Dienste des Mstenrettungswesens Marineoffizier, der Korvettenkapitän Werner, Kommandant des Artillerieschul¬ schiffs Gefion, den Anstoß gegeben. Werner setzte damit die Bemühungen fort, die der erste preußische Marineoffizier des neunzehnten Jahrhunderts, Major Longe, im Jahre 1832 hoffnungsvoll, so hoffnungsvoll wie seinen Kampf für die Gründung einer preußischen Marine, aufgenommen und, bald enttäuscht und gelähmt, erst im Jahre 1861 aufgegeben hatte. Als Vorsitzender des technischen Komitees im Danziger Verein zur Rettung Schiffbrüchiger hatte Werner, angeregt durch die Leistungen der englischen Raketenapparate von Dennett und Boxer, Versuche mit ein- und zweipfündigen Raketen angestellt, die ungenügende Flugweiten und allzu unsichere Flugbahnen ergaben. Er bat nun den Kriegsminister, dem Feuerwerkslaboratorium in Spandau zu gestatten, daß es für den Danziger Verein Raketenapparate herstelle. Der Kriegsminister ge¬ nehmigte das Gesuch und wies Werner an die Direktion des Feuerwerks¬ laboratoriums. Dieser stellte nun den Konstrukteuren des Laboratoriums folgende Aufgabe: Die Leine soll durch das Geschoß mindestens 600 Schritt weit getragen werden, sie wiegt pro Rute in nassem Zustande 0,65 Pfund. Fehlschüsse, überhaupt Zeitverlust, haben leicht Menschenverluste zur Folge. Die Unsicherheit der Flughahn der Rakete muß deshalb auf ein Minimum beschränkt werden. Es muß festgestellt werden, wie die Leine am zweckmäßigsten mit der Rakete verbunden wird. Das Raketengestell muß möglichst leicht und beweglich konstruiert werden, da der Apparat mit den Leinen an unbewohnten, pferde¬ armen Küstenstrecken oft meilenweit von wenigen Menschen durch tiefen Dünen¬ sand transportiert werden muß. Die Konstruktion des ganzen Apparats muß einfach sein, da die Bedienung und Pflege der Rettungsgerüte in den meisten Fällen gewöhnlichen Fischern anvertraut werden muß. Endlich muß die Brenn¬ satzsäule so zusammengesetzt sein, daß das Geschoß möglichst weich anzieht. — Leinen und eine Egge zum Aufwickeln stellte der Verein dem Laboratorium zur Verfügung. Gegeben war wenig, der Zusammenhang mit den Raketenschießversuchen, die man an der preußischen Küste in den dreißiger Jahren angestellt hatte, war ganz verloren. Kapitän Werner hatte wieder von vorn angefangen, bevor er sich an das Feuerwerkslaboratorium wandte. Daß ein preußischer Oberfeuer¬ werker schon dreißig Jahre früher mit Schleppraketen Flugweiten von 346 und 425 Schritt und Treffer auf diese Entfernungen erzielt hatte, wußte niemand mehr. So konnte man sich seine Erfahrungen nicht zunutze machen, und das Feuerwerkslaboratorium stand vor einer neuen Aufgabe. Aber es hat sie glänzend gelöst. Im Jahre 1865 lieferte es der Schiffahrtskommission in Swinemünde zehn zweizöllige Festungseitenstabraketen. Nach einem Schreiben der Konnnission an das Feuerwerkslaboratorium bewährten sich diese Festungraketen bei den Versuchen so, „daß es keinem Zweifel unterlag, daß dieselben die Mörser¬ apparate zur Rettung Schiffbrüchiger mehr als vollständig ersetzen und die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/621
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/621>, abgerufen am 24.07.2024.