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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische Artillerie im Dienste des Rüstenrettungswesens

soll unser Volk mit besonderem Interesse auf diese Stiftungen unserer frommen
Vorfahren sehen. Denn sie sind die ersten gemeinnützigen Unternehmungen,
welche durch freie Privatbeiträge Einzelner aus ganz Deutschland
gegründet werden. Zum ersten Mal wurde durch sie dem Volke in das Bewußt¬
sein gebracht, wie Großes durch das Zusammenwirken vieler Kleinen geschaffen
werden könne. Daß diese Erfcchrnng dem Volke damals wie ein Märchen er¬
schien, ist nicht auffallend, wenn man erwägt, daß durch die Stillen in den
Jahrzehnten vor und nach 1700 aus den Ländern deutscher Zunge weit mehr
als eine Million Thaler für Waisenhäuser und ähnliche wohlthätige Institute
zusammengebracht worden sein muß, -- allerdings nicht nur aus Privat¬
kassen; -- aber in dem armen noch dünn bevölkerten Lande haben solche Summen
eine Bedeutung." An diese Schilderung des Wirkens der ersten Wohltätigkeits¬
vereine mußte ich denken, als ich in den Akten der Regierung zu Stralsund
die Entstehung des Neuvorpommersch-Rügenschen Vereins zur Rettung Schiff¬
brüchiger verfolgte.

Im Jahre 1862 riet der Handelsminister Graf Jtzenplitz dem Ober-
Prüsidenten der Provinz Pommern, "die Sorge für die Bedienung der Rettungs¬
boote und für angemessene Belohnung der Bedienungsmannschaften zur Auf¬
gabe für den Gemeinsinn von Privatvereinen und Privatpersonen zu machen".
Vermutlich stützte sich die Rechnung des Ministers auf die Entwicklung der
Vereine zur Rettung Schiffbrüchiger in England und an der deutschen Nord¬
seeküste. Das Vorbild der englischen Roz^l National I,its Load Institution,
die seit dem Jahre 1851 unter der Leitung des Herzogs von Northumberland
mächtig aufblühte, der Untergang der Besatzung eines hannoverschen Schiffs
bei Vorkum und die Rettung einer Schiffsmannschaft bei Wangerooge -- Tod
und Leben -- hatten in dem kleinen Weserhafen Vegesack zwei Apostel des
neuen Glaubens an die Möglichkeit und die Pflicht, den Schiffbrüchigen zu
helfen, geweckt. Navigationslehrer Bermpohl und Advokat or. Kuhlmay brachen
durch einen "Aufruf zu Beiträgen für die Errichtung von Rettungsstationen
auf den deutschen Inseln der Nordsee" den Bann des Fatalismus, der an der
deutschen Nordseeküste das Bestreben, den Schiffbrüchigen zu helfen, lähmte:
am 2. März 1861 wurde zu Emden der erste deutsche Verein zur Rettung
Schiffbrüchiger gegründet.

Diese Entwicklung der Rettungsbestrebungen gab dem preußischen Handels¬
minister den Gedanken ein, das Küstenrettungswesen aus einer Nebenaufgabe
der Hafenbaubeamten und Lotsen zur Hauptaufgabe eines Vereins zu machen.
Aber den Behörden, die er mit der Verwirklichung seines Gedankens beauftragte,
erschien ein Verein zur Gründung und Unterhaltung von Rettungsstationen so
unerreichbar wie dem armen deutschen Volke nach dem Dreißigjährigen Kriege
die Gründung von Waisenhäusern. Der Minister hatte den äußern Behörden
vorgeschlagen, die Teilnahme der Seeversicherungsgesellschaften für die Sache zu
wecken. Der Versuch schlug fehl. Diese Versicherungsgesellschaften mußten


Grenzboten II 1903 72
Die preußische Artillerie im Dienste des Rüstenrettungswesens

soll unser Volk mit besonderem Interesse auf diese Stiftungen unserer frommen
Vorfahren sehen. Denn sie sind die ersten gemeinnützigen Unternehmungen,
welche durch freie Privatbeiträge Einzelner aus ganz Deutschland
gegründet werden. Zum ersten Mal wurde durch sie dem Volke in das Bewußt¬
sein gebracht, wie Großes durch das Zusammenwirken vieler Kleinen geschaffen
werden könne. Daß diese Erfcchrnng dem Volke damals wie ein Märchen er¬
schien, ist nicht auffallend, wenn man erwägt, daß durch die Stillen in den
Jahrzehnten vor und nach 1700 aus den Ländern deutscher Zunge weit mehr
als eine Million Thaler für Waisenhäuser und ähnliche wohlthätige Institute
zusammengebracht worden sein muß, — allerdings nicht nur aus Privat¬
kassen; — aber in dem armen noch dünn bevölkerten Lande haben solche Summen
eine Bedeutung." An diese Schilderung des Wirkens der ersten Wohltätigkeits¬
vereine mußte ich denken, als ich in den Akten der Regierung zu Stralsund
die Entstehung des Neuvorpommersch-Rügenschen Vereins zur Rettung Schiff¬
brüchiger verfolgte.

Im Jahre 1862 riet der Handelsminister Graf Jtzenplitz dem Ober-
Prüsidenten der Provinz Pommern, „die Sorge für die Bedienung der Rettungs¬
boote und für angemessene Belohnung der Bedienungsmannschaften zur Auf¬
gabe für den Gemeinsinn von Privatvereinen und Privatpersonen zu machen".
Vermutlich stützte sich die Rechnung des Ministers auf die Entwicklung der
Vereine zur Rettung Schiffbrüchiger in England und an der deutschen Nord¬
seeküste. Das Vorbild der englischen Roz^l National I,its Load Institution,
die seit dem Jahre 1851 unter der Leitung des Herzogs von Northumberland
mächtig aufblühte, der Untergang der Besatzung eines hannoverschen Schiffs
bei Vorkum und die Rettung einer Schiffsmannschaft bei Wangerooge — Tod
und Leben — hatten in dem kleinen Weserhafen Vegesack zwei Apostel des
neuen Glaubens an die Möglichkeit und die Pflicht, den Schiffbrüchigen zu
helfen, geweckt. Navigationslehrer Bermpohl und Advokat or. Kuhlmay brachen
durch einen „Aufruf zu Beiträgen für die Errichtung von Rettungsstationen
auf den deutschen Inseln der Nordsee" den Bann des Fatalismus, der an der
deutschen Nordseeküste das Bestreben, den Schiffbrüchigen zu helfen, lähmte:
am 2. März 1861 wurde zu Emden der erste deutsche Verein zur Rettung
Schiffbrüchiger gegründet.

Diese Entwicklung der Rettungsbestrebungen gab dem preußischen Handels¬
minister den Gedanken ein, das Küstenrettungswesen aus einer Nebenaufgabe
der Hafenbaubeamten und Lotsen zur Hauptaufgabe eines Vereins zu machen.
Aber den Behörden, die er mit der Verwirklichung seines Gedankens beauftragte,
erschien ein Verein zur Gründung und Unterhaltung von Rettungsstationen so
unerreichbar wie dem armen deutschen Volke nach dem Dreißigjährigen Kriege
die Gründung von Waisenhäusern. Der Minister hatte den äußern Behörden
vorgeschlagen, die Teilnahme der Seeversicherungsgesellschaften für die Sache zu
wecken. Der Versuch schlug fehl. Diese Versicherungsgesellschaften mußten


Grenzboten II 1903 72
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[0569] Die preußische Artillerie im Dienste des Rüstenrettungswesens soll unser Volk mit besonderem Interesse auf diese Stiftungen unserer frommen Vorfahren sehen. Denn sie sind die ersten gemeinnützigen Unternehmungen, welche durch freie Privatbeiträge Einzelner aus ganz Deutschland gegründet werden. Zum ersten Mal wurde durch sie dem Volke in das Bewußt¬ sein gebracht, wie Großes durch das Zusammenwirken vieler Kleinen geschaffen werden könne. Daß diese Erfcchrnng dem Volke damals wie ein Märchen er¬ schien, ist nicht auffallend, wenn man erwägt, daß durch die Stillen in den Jahrzehnten vor und nach 1700 aus den Ländern deutscher Zunge weit mehr als eine Million Thaler für Waisenhäuser und ähnliche wohlthätige Institute zusammengebracht worden sein muß, — allerdings nicht nur aus Privat¬ kassen; — aber in dem armen noch dünn bevölkerten Lande haben solche Summen eine Bedeutung." An diese Schilderung des Wirkens der ersten Wohltätigkeits¬ vereine mußte ich denken, als ich in den Akten der Regierung zu Stralsund die Entstehung des Neuvorpommersch-Rügenschen Vereins zur Rettung Schiff¬ brüchiger verfolgte. Im Jahre 1862 riet der Handelsminister Graf Jtzenplitz dem Ober- Prüsidenten der Provinz Pommern, „die Sorge für die Bedienung der Rettungs¬ boote und für angemessene Belohnung der Bedienungsmannschaften zur Auf¬ gabe für den Gemeinsinn von Privatvereinen und Privatpersonen zu machen". Vermutlich stützte sich die Rechnung des Ministers auf die Entwicklung der Vereine zur Rettung Schiffbrüchiger in England und an der deutschen Nord¬ seeküste. Das Vorbild der englischen Roz^l National I,its Load Institution, die seit dem Jahre 1851 unter der Leitung des Herzogs von Northumberland mächtig aufblühte, der Untergang der Besatzung eines hannoverschen Schiffs bei Vorkum und die Rettung einer Schiffsmannschaft bei Wangerooge — Tod und Leben — hatten in dem kleinen Weserhafen Vegesack zwei Apostel des neuen Glaubens an die Möglichkeit und die Pflicht, den Schiffbrüchigen zu helfen, geweckt. Navigationslehrer Bermpohl und Advokat or. Kuhlmay brachen durch einen „Aufruf zu Beiträgen für die Errichtung von Rettungsstationen auf den deutschen Inseln der Nordsee" den Bann des Fatalismus, der an der deutschen Nordseeküste das Bestreben, den Schiffbrüchigen zu helfen, lähmte: am 2. März 1861 wurde zu Emden der erste deutsche Verein zur Rettung Schiffbrüchiger gegründet. Diese Entwicklung der Rettungsbestrebungen gab dem preußischen Handels¬ minister den Gedanken ein, das Küstenrettungswesen aus einer Nebenaufgabe der Hafenbaubeamten und Lotsen zur Hauptaufgabe eines Vereins zu machen. Aber den Behörden, die er mit der Verwirklichung seines Gedankens beauftragte, erschien ein Verein zur Gründung und Unterhaltung von Rettungsstationen so unerreichbar wie dem armen deutschen Volke nach dem Dreißigjährigen Kriege die Gründung von Waisenhäusern. Der Minister hatte den äußern Behörden vorgeschlagen, die Teilnahme der Seeversicherungsgesellschaften für die Sache zu wecken. Der Versuch schlug fehl. Diese Versicherungsgesellschaften mußten Grenzboten II 1903 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/569>, abgerufen am 24.07.2024.