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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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allerdings recht verschwindet, gedachte ich des größten senesischen Bildhauers Jacopo
della Quercia. Das Original ist es freilich nicht mehr; dessen Trümmer sah ich
später im Palazzo Pubblico. An diesem Gebäude fiel mir oben in der Mitte der
Front ein großes, blaues, rundes Etwas mit goldnen, strcihlenumgebnen Zeichen
in die Angen. Ich hatte es schon auf religiösen Bildern in den Händen des
heiligen Bernardino gesehen, der in Siena große Verehrung genießt. Er trat im
fünfzehnten Jahrhundert in der Stadt als Bußprediger auf, wie etwas später
Savonarola in Firenze. Die goldnen Zeichen bedeuten ein Kreuz und die Buch¬
staben v (Christus), 7 (Jesus) und 8 (Salvcitor), das habe ich irgendwo gelesen;
ich selbst hätte es, offen gestanden, nicht herausgefunden. Die kunstreiche Kapelle
am Fuße des Mangia ist 1348 zum Danke gestiftet worden, nachdem der Schwarze
Tod glücklich weitergezogen war.

Und auch Dante kam mir in den Sinn, als ich dort stand. Er läßt den
stolzen Salvani kürzere Zeit im Fegefeuer büßen, weil er einst auf diesem Campo
wie ein Bettler gestanden hat, um das Lösegeld für einen Freund aufzubringen,
den Karl von Anjou in Fesseln hielt:



Ich sah im Geiste die würdigen Väter der stolzen Republik die kaiserliche
Majestät feierlich in den Stadtpalast geleiten, zu deren Begrüßung sie vors Tor
gezogen waren. Da Siena an der Straße nach Nom liegt, haben viele römische
Kaiser deutscher Nation hier geweilt, vor allen die Hohenstaufen, die von den vor¬
wiegend ghibellinisch gesinnten Seuchen meist gut aufgenommen wurden. Der
Glanzpunkt in Sienas Geschichte, der Sieg über die Florentiner bei Montaperti
im Arbiatale 1260, war ein Sieg der Ghibellinen über die Guelfen. Auch der
junge Conradino ist in der Stadt eingezogen.

Die Piuzza del Campo ist von alters her der Schauplatz des Palio, des
alljährlichen Pferderennens, bei dem siebzehn junge Leute in historischer Pagentracht
die Reiter sind. Die ganze Stadt ist seit uralter Zeit in siebzehn Contrade ein¬
geteilt, die sich nach ihrem Feldzeichen nennen, und jede hat ihren Pagen, einen
Bürgerssohn, der sie beim Palio vertritt. Die eine hat die berühmte Wölfin, die
luxs,, zum Wappentier; die andern heißen: Moreore, Drago, Pantera, Leocorno
(Einhorn), Aquila, Giraffa, Civetta, Torre, Selva. Orta. Tartuca (Schildkröte),
Jstrice, Oca, Bruno, Nicchio und Chiocciola (Schnecke). Ist der große Tag ge¬
kommen, dann werden die Pferde in der Kirche eingesegnet und nach dem Campo
geführt, der sich ganz mit Menschen gefüllt hat. Ringsum ist die Rennbahn frei¬
gelassen worden. Alle Fenster der ehrwürdigen Palazzi und Häuser sind mit
neugierige:!, aufgeregten Zuschauern besetzt, die in atemloser Spannung die phan¬
tastisch bunten Gestalten verfolgen, die auf den feurigen Tieren um den Platz
sausen. Böse Zungen behaupten zwar, man wüßte immer vorher, wer der Sieger
sein würde. L oni 1c> M?

Während meines Aufenthalts feierte die Contrada des Bruno (Raupe) ihren
Sieg und ihren sieghaften Pagen. Sie bewohnt den Stadtteil an der Porta Ovile,
und ich mußte hindurch, als ich an jenem Nachmittag von San Francesco nach


Siena

allerdings recht verschwindet, gedachte ich des größten senesischen Bildhauers Jacopo
della Quercia. Das Original ist es freilich nicht mehr; dessen Trümmer sah ich
später im Palazzo Pubblico. An diesem Gebäude fiel mir oben in der Mitte der
Front ein großes, blaues, rundes Etwas mit goldnen, strcihlenumgebnen Zeichen
in die Angen. Ich hatte es schon auf religiösen Bildern in den Händen des
heiligen Bernardino gesehen, der in Siena große Verehrung genießt. Er trat im
fünfzehnten Jahrhundert in der Stadt als Bußprediger auf, wie etwas später
Savonarola in Firenze. Die goldnen Zeichen bedeuten ein Kreuz und die Buch¬
staben v (Christus), 7 (Jesus) und 8 (Salvcitor), das habe ich irgendwo gelesen;
ich selbst hätte es, offen gestanden, nicht herausgefunden. Die kunstreiche Kapelle
am Fuße des Mangia ist 1348 zum Danke gestiftet worden, nachdem der Schwarze
Tod glücklich weitergezogen war.

Und auch Dante kam mir in den Sinn, als ich dort stand. Er läßt den
stolzen Salvani kürzere Zeit im Fegefeuer büßen, weil er einst auf diesem Campo
wie ein Bettler gestanden hat, um das Lösegeld für einen Freund aufzubringen,
den Karl von Anjou in Fesseln hielt:



Ich sah im Geiste die würdigen Väter der stolzen Republik die kaiserliche
Majestät feierlich in den Stadtpalast geleiten, zu deren Begrüßung sie vors Tor
gezogen waren. Da Siena an der Straße nach Nom liegt, haben viele römische
Kaiser deutscher Nation hier geweilt, vor allen die Hohenstaufen, die von den vor¬
wiegend ghibellinisch gesinnten Seuchen meist gut aufgenommen wurden. Der
Glanzpunkt in Sienas Geschichte, der Sieg über die Florentiner bei Montaperti
im Arbiatale 1260, war ein Sieg der Ghibellinen über die Guelfen. Auch der
junge Conradino ist in der Stadt eingezogen.

Die Piuzza del Campo ist von alters her der Schauplatz des Palio, des
alljährlichen Pferderennens, bei dem siebzehn junge Leute in historischer Pagentracht
die Reiter sind. Die ganze Stadt ist seit uralter Zeit in siebzehn Contrade ein¬
geteilt, die sich nach ihrem Feldzeichen nennen, und jede hat ihren Pagen, einen
Bürgerssohn, der sie beim Palio vertritt. Die eine hat die berühmte Wölfin, die
luxs,, zum Wappentier; die andern heißen: Moreore, Drago, Pantera, Leocorno
(Einhorn), Aquila, Giraffa, Civetta, Torre, Selva. Orta. Tartuca (Schildkröte),
Jstrice, Oca, Bruno, Nicchio und Chiocciola (Schnecke). Ist der große Tag ge¬
kommen, dann werden die Pferde in der Kirche eingesegnet und nach dem Campo
geführt, der sich ganz mit Menschen gefüllt hat. Ringsum ist die Rennbahn frei¬
gelassen worden. Alle Fenster der ehrwürdigen Palazzi und Häuser sind mit
neugierige:!, aufgeregten Zuschauern besetzt, die in atemloser Spannung die phan¬
tastisch bunten Gestalten verfolgen, die auf den feurigen Tieren um den Platz
sausen. Böse Zungen behaupten zwar, man wüßte immer vorher, wer der Sieger
sein würde. L oni 1c> M?

Während meines Aufenthalts feierte die Contrada des Bruno (Raupe) ihren
Sieg und ihren sieghaften Pagen. Sie bewohnt den Stadtteil an der Porta Ovile,
und ich mußte hindurch, als ich an jenem Nachmittag von San Francesco nach


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[0534] Siena allerdings recht verschwindet, gedachte ich des größten senesischen Bildhauers Jacopo della Quercia. Das Original ist es freilich nicht mehr; dessen Trümmer sah ich später im Palazzo Pubblico. An diesem Gebäude fiel mir oben in der Mitte der Front ein großes, blaues, rundes Etwas mit goldnen, strcihlenumgebnen Zeichen in die Angen. Ich hatte es schon auf religiösen Bildern in den Händen des heiligen Bernardino gesehen, der in Siena große Verehrung genießt. Er trat im fünfzehnten Jahrhundert in der Stadt als Bußprediger auf, wie etwas später Savonarola in Firenze. Die goldnen Zeichen bedeuten ein Kreuz und die Buch¬ staben v (Christus), 7 (Jesus) und 8 (Salvcitor), das habe ich irgendwo gelesen; ich selbst hätte es, offen gestanden, nicht herausgefunden. Die kunstreiche Kapelle am Fuße des Mangia ist 1348 zum Danke gestiftet worden, nachdem der Schwarze Tod glücklich weitergezogen war. Und auch Dante kam mir in den Sinn, als ich dort stand. Er läßt den stolzen Salvani kürzere Zeit im Fegefeuer büßen, weil er einst auf diesem Campo wie ein Bettler gestanden hat, um das Lösegeld für einen Freund aufzubringen, den Karl von Anjou in Fesseln hielt: Ich sah im Geiste die würdigen Väter der stolzen Republik die kaiserliche Majestät feierlich in den Stadtpalast geleiten, zu deren Begrüßung sie vors Tor gezogen waren. Da Siena an der Straße nach Nom liegt, haben viele römische Kaiser deutscher Nation hier geweilt, vor allen die Hohenstaufen, die von den vor¬ wiegend ghibellinisch gesinnten Seuchen meist gut aufgenommen wurden. Der Glanzpunkt in Sienas Geschichte, der Sieg über die Florentiner bei Montaperti im Arbiatale 1260, war ein Sieg der Ghibellinen über die Guelfen. Auch der junge Conradino ist in der Stadt eingezogen. Die Piuzza del Campo ist von alters her der Schauplatz des Palio, des alljährlichen Pferderennens, bei dem siebzehn junge Leute in historischer Pagentracht die Reiter sind. Die ganze Stadt ist seit uralter Zeit in siebzehn Contrade ein¬ geteilt, die sich nach ihrem Feldzeichen nennen, und jede hat ihren Pagen, einen Bürgerssohn, der sie beim Palio vertritt. Die eine hat die berühmte Wölfin, die luxs,, zum Wappentier; die andern heißen: Moreore, Drago, Pantera, Leocorno (Einhorn), Aquila, Giraffa, Civetta, Torre, Selva. Orta. Tartuca (Schildkröte), Jstrice, Oca, Bruno, Nicchio und Chiocciola (Schnecke). Ist der große Tag ge¬ kommen, dann werden die Pferde in der Kirche eingesegnet und nach dem Campo geführt, der sich ganz mit Menschen gefüllt hat. Ringsum ist die Rennbahn frei¬ gelassen worden. Alle Fenster der ehrwürdigen Palazzi und Häuser sind mit neugierige:!, aufgeregten Zuschauern besetzt, die in atemloser Spannung die phan¬ tastisch bunten Gestalten verfolgen, die auf den feurigen Tieren um den Platz sausen. Böse Zungen behaupten zwar, man wüßte immer vorher, wer der Sieger sein würde. L oni 1c> M? Während meines Aufenthalts feierte die Contrada des Bruno (Raupe) ihren Sieg und ihren sieghaften Pagen. Sie bewohnt den Stadtteil an der Porta Ovile, und ich mußte hindurch, als ich an jenem Nachmittag von San Francesco nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/534>, abgerufen am 24.07.2024.