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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Studien über die Romantik

Romantiker lange Zeit in den Literaturgeschichten schlecht weggekommen sind,
und daß man ihre literarischen und tatsächlichen Eheirrungen strenger beurteilt
hat als die andrer berühmter Leute. Ein besondres Buch hat Erwin Kircher
der Philosophie der Romantik gewidmet, ist aber durch Krankheit und Tod
an der Vollendung verhindert worden. Was vorhanden war, haben Margarete
sühnen und Dr. Heinrich Simon 1906 im Diederichsschcn Verlag herausge¬
geben. Es werden darin Hemstcrhuis. Friedrich Schlegel (dieser am ausführ¬
lichsten). Novalis (sehr kurz) und Schelling behandelt. Von Kirchers Ergeb¬
nissen sollen zwei wenigstens andeutungsweise erwähnt werden: das Verhältnis
der Romantiker zum Kritizismus und der Begriff der Romantik in der Poesie.
Der Kritizismus hatte den Menschen durch eine unüberschreitbare Kluft von
den Dingen getrennt, die ..Dinge an sich" für der Erkenntnis unzugänglich er¬
klärt und das Ich ebenso wie Gott zu einer ..regulativen Idee", einer bloßen
Hilfsvorstellung oder Hypothese verflüchtigt. Der spottende Schiller läßt den
Philosophen dozieren:


Vorstellung wenigstens ist! Ein Vorgestelltes ist also;
Ein Vorstellendes auch, macht mit der Vorstellung drei.

Und was der Dichter den Lehrling erwidern läßt:


Damit lock ich. ihr Herrn, noch keinen Hund aus dem Ofen.
Einen erklecklichen Satz will ich. und der auch was setzt,

das eben erwiderten die Romantiker. Sie waren Menschen von einem heißen, starken
Lebensdranqc. Sie wollten keine logischen Gespenster, sondern wirkliche Wesen.
Substanzen sein, sich als solche fühlen, genießen und handelnd beMgen.wollten
auch zu den Dingen gelangen, diese erkennen und gestalten. Mit Heißhunger
umschlangen sie das Universum, es zu verschlingen; ihre Naturphilosophie der
Eifer, mit dem sie die indische Literatur. Shakespeare. Calderon durch Über¬
setzungen dem deutschen Geistesleben einverleibten, dieses zur Universalität aus¬
zubreiten die Kulturen aller Völker und Zeiten hineinzuziehn strebten, bekundeten
diesen Lebensdrang und Wirklichkeitssinn. Man versteht, daß solchem Sinn zu¬
letzt auch Gott wieder aus einer Hypothese eine Realität werden mußte. Was
sodann das Wort romantisch betrifft, so hat Friedrich Schlegel anfangs weiter
nichts darunter verstanden als die Poesie in der Form des Romans. Diese
Form schätzte er sehr hoch, weil sie ihm als dem modernen Geiste und Leben
durchaus angemessen erschien. Das Wesen des modernen Daseins glaubte er
als Fortschritt und Entwicklung ins Unbegrenzte, Unendliche zu erkennen (auch
die Philosophie Schellings und Hegels ist wesentlich Entwicklungsphilosophie),
während die antike Welt als eine in sich abgeschlossene, fertige hinter uns liege.
Der Gegensatz von romantisch ist demnach nicht klassisch, sondern antik; beide
Ausdrücke bezeichnen geschichtsphilosophische Kategorien. Klassisch dagegen ist
eine ästhetische Kategorie und bezeichnet das künstlerisch Vollendete im Gegensatz
zum Formlosen oder Mißgestalteten, zum Barbarischen. Nach Klassizität soll


Studien über die Romantik

Romantiker lange Zeit in den Literaturgeschichten schlecht weggekommen sind,
und daß man ihre literarischen und tatsächlichen Eheirrungen strenger beurteilt
hat als die andrer berühmter Leute. Ein besondres Buch hat Erwin Kircher
der Philosophie der Romantik gewidmet, ist aber durch Krankheit und Tod
an der Vollendung verhindert worden. Was vorhanden war, haben Margarete
sühnen und Dr. Heinrich Simon 1906 im Diederichsschcn Verlag herausge¬
geben. Es werden darin Hemstcrhuis. Friedrich Schlegel (dieser am ausführ¬
lichsten). Novalis (sehr kurz) und Schelling behandelt. Von Kirchers Ergeb¬
nissen sollen zwei wenigstens andeutungsweise erwähnt werden: das Verhältnis
der Romantiker zum Kritizismus und der Begriff der Romantik in der Poesie.
Der Kritizismus hatte den Menschen durch eine unüberschreitbare Kluft von
den Dingen getrennt, die ..Dinge an sich" für der Erkenntnis unzugänglich er¬
klärt und das Ich ebenso wie Gott zu einer ..regulativen Idee", einer bloßen
Hilfsvorstellung oder Hypothese verflüchtigt. Der spottende Schiller läßt den
Philosophen dozieren:


Vorstellung wenigstens ist! Ein Vorgestelltes ist also;
Ein Vorstellendes auch, macht mit der Vorstellung drei.

Und was der Dichter den Lehrling erwidern läßt:


Damit lock ich. ihr Herrn, noch keinen Hund aus dem Ofen.
Einen erklecklichen Satz will ich. und der auch was setzt,

das eben erwiderten die Romantiker. Sie waren Menschen von einem heißen, starken
Lebensdranqc. Sie wollten keine logischen Gespenster, sondern wirkliche Wesen.
Substanzen sein, sich als solche fühlen, genießen und handelnd beMgen.wollten
auch zu den Dingen gelangen, diese erkennen und gestalten. Mit Heißhunger
umschlangen sie das Universum, es zu verschlingen; ihre Naturphilosophie der
Eifer, mit dem sie die indische Literatur. Shakespeare. Calderon durch Über¬
setzungen dem deutschen Geistesleben einverleibten, dieses zur Universalität aus¬
zubreiten die Kulturen aller Völker und Zeiten hineinzuziehn strebten, bekundeten
diesen Lebensdrang und Wirklichkeitssinn. Man versteht, daß solchem Sinn zu¬
letzt auch Gott wieder aus einer Hypothese eine Realität werden mußte. Was
sodann das Wort romantisch betrifft, so hat Friedrich Schlegel anfangs weiter
nichts darunter verstanden als die Poesie in der Form des Romans. Diese
Form schätzte er sehr hoch, weil sie ihm als dem modernen Geiste und Leben
durchaus angemessen erschien. Das Wesen des modernen Daseins glaubte er
als Fortschritt und Entwicklung ins Unbegrenzte, Unendliche zu erkennen (auch
die Philosophie Schellings und Hegels ist wesentlich Entwicklungsphilosophie),
während die antike Welt als eine in sich abgeschlossene, fertige hinter uns liege.
Der Gegensatz von romantisch ist demnach nicht klassisch, sondern antik; beide
Ausdrücke bezeichnen geschichtsphilosophische Kategorien. Klassisch dagegen ist
eine ästhetische Kategorie und bezeichnet das künstlerisch Vollendete im Gegensatz
zum Formlosen oder Mißgestalteten, zum Barbarischen. Nach Klassizität soll


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[0531] Studien über die Romantik Romantiker lange Zeit in den Literaturgeschichten schlecht weggekommen sind, und daß man ihre literarischen und tatsächlichen Eheirrungen strenger beurteilt hat als die andrer berühmter Leute. Ein besondres Buch hat Erwin Kircher der Philosophie der Romantik gewidmet, ist aber durch Krankheit und Tod an der Vollendung verhindert worden. Was vorhanden war, haben Margarete sühnen und Dr. Heinrich Simon 1906 im Diederichsschcn Verlag herausge¬ geben. Es werden darin Hemstcrhuis. Friedrich Schlegel (dieser am ausführ¬ lichsten). Novalis (sehr kurz) und Schelling behandelt. Von Kirchers Ergeb¬ nissen sollen zwei wenigstens andeutungsweise erwähnt werden: das Verhältnis der Romantiker zum Kritizismus und der Begriff der Romantik in der Poesie. Der Kritizismus hatte den Menschen durch eine unüberschreitbare Kluft von den Dingen getrennt, die ..Dinge an sich" für der Erkenntnis unzugänglich er¬ klärt und das Ich ebenso wie Gott zu einer ..regulativen Idee", einer bloßen Hilfsvorstellung oder Hypothese verflüchtigt. Der spottende Schiller läßt den Philosophen dozieren: Vorstellung wenigstens ist! Ein Vorgestelltes ist also; Ein Vorstellendes auch, macht mit der Vorstellung drei. Und was der Dichter den Lehrling erwidern läßt: Damit lock ich. ihr Herrn, noch keinen Hund aus dem Ofen. Einen erklecklichen Satz will ich. und der auch was setzt, das eben erwiderten die Romantiker. Sie waren Menschen von einem heißen, starken Lebensdranqc. Sie wollten keine logischen Gespenster, sondern wirkliche Wesen. Substanzen sein, sich als solche fühlen, genießen und handelnd beMgen.wollten auch zu den Dingen gelangen, diese erkennen und gestalten. Mit Heißhunger umschlangen sie das Universum, es zu verschlingen; ihre Naturphilosophie der Eifer, mit dem sie die indische Literatur. Shakespeare. Calderon durch Über¬ setzungen dem deutschen Geistesleben einverleibten, dieses zur Universalität aus¬ zubreiten die Kulturen aller Völker und Zeiten hineinzuziehn strebten, bekundeten diesen Lebensdrang und Wirklichkeitssinn. Man versteht, daß solchem Sinn zu¬ letzt auch Gott wieder aus einer Hypothese eine Realität werden mußte. Was sodann das Wort romantisch betrifft, so hat Friedrich Schlegel anfangs weiter nichts darunter verstanden als die Poesie in der Form des Romans. Diese Form schätzte er sehr hoch, weil sie ihm als dem modernen Geiste und Leben durchaus angemessen erschien. Das Wesen des modernen Daseins glaubte er als Fortschritt und Entwicklung ins Unbegrenzte, Unendliche zu erkennen (auch die Philosophie Schellings und Hegels ist wesentlich Entwicklungsphilosophie), während die antike Welt als eine in sich abgeschlossene, fertige hinter uns liege. Der Gegensatz von romantisch ist demnach nicht klassisch, sondern antik; beide Ausdrücke bezeichnen geschichtsphilosophische Kategorien. Klassisch dagegen ist eine ästhetische Kategorie und bezeichnet das künstlerisch Vollendete im Gegensatz zum Formlosen oder Mißgestalteten, zum Barbarischen. Nach Klassizität soll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/531>, abgerufen am 24.07.2024.