Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Studien über die Romantik

organischen Lebens, bei der man mit mechanistischen Erklärungsversuchen nicht
auskommt, wie die vergeblichen Anstrengungen unsrer heutigen Biologen zeigen.
In beiden Gebieten hatte man es mit geheimnisvollen Kräften zu tun, mit der
"heiligen Naturkraft innerm Wirken", wie Alexander von Humboldt es einmal
nennt. Von der heiligen Naturkraft aber hatte man nicht weit zu Gott, und
als der tierische Magnetismus entdeckt, die Aufmerksamkeit auf gewisse außer¬
gewöhnliche Erscheinungen des Nervenlebens gelenkt worden war, befand man
sich plötzlich wieder mitten drin im mystischen Dunkel, aus dem der Rationalis¬
mus die Menschheit für immer herausgeführt zu haben glaubte; Kant muß sich
mit einem Geisterseher auseinandersetzen, und einem Nicolai zum Trotz Spukes
in Tegel.

Es bedarf keiner langen Auseinandersetzung, um klar zu machen, wie diese
geistigen Strömungen dem religiösen Sinn Nahrung zuführen mußten. Auf
die mannigfaltigste Weise geschah es: durch historische Einsicht, durch eine poe¬
tische Stimmung, die von der geschichtlichen, der Mythen- und Sagenforschung
mit Stoffen reichlich befruchtet wurde, durch halb poetische, halb philosophische
naturwissenschaftliche Analogien. Die protestantische Frömmigkeit ist dabei nicht
leer ausgegangen, wie der religiöse Zug in den Freiheitskämpfen von 1813
beweist (wobei denn auch des starken historischen Sinns zu gedenken ist, der in
Staatsmännern von der Art eines Justus Möser, eines Freiherrn vom Stein
waltete), aber den Hauptvorteil zog doch der Katholizismus, der an der Jahr¬
hundertwende in den Kreisen des vortrefflichen Ministers Fürstenberg und der
Fürstin Gallitzin in Münster, des Professors, spätern Regensburger Bischofs
Salier, der Münchner, Tübinger, Mainzer, Straßburger Theologen eifrige, geist-
und gemütvolle Pfleger fand. Das im engern Sinne romantische Element ver¬
traten in diesen Kreisen Görres und Clemens Brentano, jener den protestantischen
Historikern und Altertumsforschern, dieser den Dichtern die Hand reichend,
während Salier mit den meisten bedeutenden Menschen des damaligen Deutsch¬
land in regem Gedankenaustausch gelebt hat.

Was die Philosophen von Fach betrifft, die der Romantik zugerechnet zu
werden Pflegen, so war es ursprünglich keineswegs ihre Absicht, den Kirchen¬
glauben zu fördern. Der eine, Fichte, wurde des Atheismus angeklagt, und
der andre, Schelling, bewies, daß der überlieferte Gottesglaube unmoralisch sei.
(Fr. Wilh. Schelling: schöpferisches Handeln. Herausgegeben und ein¬
geleitet von Emil Fuchs, mit Porträt. Jena und Leipzig, Eugen Diederichs, 1907.
In demselben Verlag ist das literarische Selbstbildnis eines dem schellingschen
verwandten Geistes erschienen, der freilich auf andern Gebieten tütig gewesen
ist: Wilhelm von Humboldt. Universalität. Ausgewählt und eingeleitet
von Johannes Schubert, mit Porträt.) Freilich ist Schelling zuletzt dem posi¬
tiven Glauben sehr nahe gekommen, wenn er sich auch nicht, gleich seinem
Freunde Friedrich Schlegel, entschließen konnte, in die katholische Kirche zurück¬
zukehren. Das Katholisieren dieser Geister mag schuld gewesen sein, daß die


Studien über die Romantik

organischen Lebens, bei der man mit mechanistischen Erklärungsversuchen nicht
auskommt, wie die vergeblichen Anstrengungen unsrer heutigen Biologen zeigen.
In beiden Gebieten hatte man es mit geheimnisvollen Kräften zu tun, mit der
„heiligen Naturkraft innerm Wirken", wie Alexander von Humboldt es einmal
nennt. Von der heiligen Naturkraft aber hatte man nicht weit zu Gott, und
als der tierische Magnetismus entdeckt, die Aufmerksamkeit auf gewisse außer¬
gewöhnliche Erscheinungen des Nervenlebens gelenkt worden war, befand man
sich plötzlich wieder mitten drin im mystischen Dunkel, aus dem der Rationalis¬
mus die Menschheit für immer herausgeführt zu haben glaubte; Kant muß sich
mit einem Geisterseher auseinandersetzen, und einem Nicolai zum Trotz Spukes
in Tegel.

Es bedarf keiner langen Auseinandersetzung, um klar zu machen, wie diese
geistigen Strömungen dem religiösen Sinn Nahrung zuführen mußten. Auf
die mannigfaltigste Weise geschah es: durch historische Einsicht, durch eine poe¬
tische Stimmung, die von der geschichtlichen, der Mythen- und Sagenforschung
mit Stoffen reichlich befruchtet wurde, durch halb poetische, halb philosophische
naturwissenschaftliche Analogien. Die protestantische Frömmigkeit ist dabei nicht
leer ausgegangen, wie der religiöse Zug in den Freiheitskämpfen von 1813
beweist (wobei denn auch des starken historischen Sinns zu gedenken ist, der in
Staatsmännern von der Art eines Justus Möser, eines Freiherrn vom Stein
waltete), aber den Hauptvorteil zog doch der Katholizismus, der an der Jahr¬
hundertwende in den Kreisen des vortrefflichen Ministers Fürstenberg und der
Fürstin Gallitzin in Münster, des Professors, spätern Regensburger Bischofs
Salier, der Münchner, Tübinger, Mainzer, Straßburger Theologen eifrige, geist-
und gemütvolle Pfleger fand. Das im engern Sinne romantische Element ver¬
traten in diesen Kreisen Görres und Clemens Brentano, jener den protestantischen
Historikern und Altertumsforschern, dieser den Dichtern die Hand reichend,
während Salier mit den meisten bedeutenden Menschen des damaligen Deutsch¬
land in regem Gedankenaustausch gelebt hat.

Was die Philosophen von Fach betrifft, die der Romantik zugerechnet zu
werden Pflegen, so war es ursprünglich keineswegs ihre Absicht, den Kirchen¬
glauben zu fördern. Der eine, Fichte, wurde des Atheismus angeklagt, und
der andre, Schelling, bewies, daß der überlieferte Gottesglaube unmoralisch sei.
(Fr. Wilh. Schelling: schöpferisches Handeln. Herausgegeben und ein¬
geleitet von Emil Fuchs, mit Porträt. Jena und Leipzig, Eugen Diederichs, 1907.
In demselben Verlag ist das literarische Selbstbildnis eines dem schellingschen
verwandten Geistes erschienen, der freilich auf andern Gebieten tütig gewesen
ist: Wilhelm von Humboldt. Universalität. Ausgewählt und eingeleitet
von Johannes Schubert, mit Porträt.) Freilich ist Schelling zuletzt dem posi¬
tiven Glauben sehr nahe gekommen, wenn er sich auch nicht, gleich seinem
Freunde Friedrich Schlegel, entschließen konnte, in die katholische Kirche zurück¬
zukehren. Das Katholisieren dieser Geister mag schuld gewesen sein, daß die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0530" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312215"/>
          <fw type="header" place="top"> Studien über die Romantik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2073" prev="#ID_2072"> organischen Lebens, bei der man mit mechanistischen Erklärungsversuchen nicht<lb/>
auskommt, wie die vergeblichen Anstrengungen unsrer heutigen Biologen zeigen.<lb/>
In beiden Gebieten hatte man es mit geheimnisvollen Kräften zu tun, mit der<lb/>
&#x201E;heiligen Naturkraft innerm Wirken", wie Alexander von Humboldt es einmal<lb/>
nennt. Von der heiligen Naturkraft aber hatte man nicht weit zu Gott, und<lb/>
als der tierische Magnetismus entdeckt, die Aufmerksamkeit auf gewisse außer¬<lb/>
gewöhnliche Erscheinungen des Nervenlebens gelenkt worden war, befand man<lb/>
sich plötzlich wieder mitten drin im mystischen Dunkel, aus dem der Rationalis¬<lb/>
mus die Menschheit für immer herausgeführt zu haben glaubte; Kant muß sich<lb/>
mit einem Geisterseher auseinandersetzen, und einem Nicolai zum Trotz Spukes<lb/>
in Tegel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2074"> Es bedarf keiner langen Auseinandersetzung, um klar zu machen, wie diese<lb/>
geistigen Strömungen dem religiösen Sinn Nahrung zuführen mußten. Auf<lb/>
die mannigfaltigste Weise geschah es: durch historische Einsicht, durch eine poe¬<lb/>
tische Stimmung, die von der geschichtlichen, der Mythen- und Sagenforschung<lb/>
mit Stoffen reichlich befruchtet wurde, durch halb poetische, halb philosophische<lb/>
naturwissenschaftliche Analogien. Die protestantische Frömmigkeit ist dabei nicht<lb/>
leer ausgegangen, wie der religiöse Zug in den Freiheitskämpfen von 1813<lb/>
beweist (wobei denn auch des starken historischen Sinns zu gedenken ist, der in<lb/>
Staatsmännern von der Art eines Justus Möser, eines Freiherrn vom Stein<lb/>
waltete), aber den Hauptvorteil zog doch der Katholizismus, der an der Jahr¬<lb/>
hundertwende in den Kreisen des vortrefflichen Ministers Fürstenberg und der<lb/>
Fürstin Gallitzin in Münster, des Professors, spätern Regensburger Bischofs<lb/>
Salier, der Münchner, Tübinger, Mainzer, Straßburger Theologen eifrige, geist-<lb/>
und gemütvolle Pfleger fand. Das im engern Sinne romantische Element ver¬<lb/>
traten in diesen Kreisen Görres und Clemens Brentano, jener den protestantischen<lb/>
Historikern und Altertumsforschern, dieser den Dichtern die Hand reichend,<lb/>
während Salier mit den meisten bedeutenden Menschen des damaligen Deutsch¬<lb/>
land in regem Gedankenaustausch gelebt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2075" next="#ID_2076"> Was die Philosophen von Fach betrifft, die der Romantik zugerechnet zu<lb/>
werden Pflegen, so war es ursprünglich keineswegs ihre Absicht, den Kirchen¬<lb/>
glauben zu fördern. Der eine, Fichte, wurde des Atheismus angeklagt, und<lb/>
der andre, Schelling, bewies, daß der überlieferte Gottesglaube unmoralisch sei.<lb/>
(Fr. Wilh. Schelling: schöpferisches Handeln. Herausgegeben und ein¬<lb/>
geleitet von Emil Fuchs, mit Porträt. Jena und Leipzig, Eugen Diederichs, 1907.<lb/>
In demselben Verlag ist das literarische Selbstbildnis eines dem schellingschen<lb/>
verwandten Geistes erschienen, der freilich auf andern Gebieten tütig gewesen<lb/>
ist: Wilhelm von Humboldt. Universalität. Ausgewählt und eingeleitet<lb/>
von Johannes Schubert, mit Porträt.) Freilich ist Schelling zuletzt dem posi¬<lb/>
tiven Glauben sehr nahe gekommen, wenn er sich auch nicht, gleich seinem<lb/>
Freunde Friedrich Schlegel, entschließen konnte, in die katholische Kirche zurück¬<lb/>
zukehren. Das Katholisieren dieser Geister mag schuld gewesen sein, daß die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0530] Studien über die Romantik organischen Lebens, bei der man mit mechanistischen Erklärungsversuchen nicht auskommt, wie die vergeblichen Anstrengungen unsrer heutigen Biologen zeigen. In beiden Gebieten hatte man es mit geheimnisvollen Kräften zu tun, mit der „heiligen Naturkraft innerm Wirken", wie Alexander von Humboldt es einmal nennt. Von der heiligen Naturkraft aber hatte man nicht weit zu Gott, und als der tierische Magnetismus entdeckt, die Aufmerksamkeit auf gewisse außer¬ gewöhnliche Erscheinungen des Nervenlebens gelenkt worden war, befand man sich plötzlich wieder mitten drin im mystischen Dunkel, aus dem der Rationalis¬ mus die Menschheit für immer herausgeführt zu haben glaubte; Kant muß sich mit einem Geisterseher auseinandersetzen, und einem Nicolai zum Trotz Spukes in Tegel. Es bedarf keiner langen Auseinandersetzung, um klar zu machen, wie diese geistigen Strömungen dem religiösen Sinn Nahrung zuführen mußten. Auf die mannigfaltigste Weise geschah es: durch historische Einsicht, durch eine poe¬ tische Stimmung, die von der geschichtlichen, der Mythen- und Sagenforschung mit Stoffen reichlich befruchtet wurde, durch halb poetische, halb philosophische naturwissenschaftliche Analogien. Die protestantische Frömmigkeit ist dabei nicht leer ausgegangen, wie der religiöse Zug in den Freiheitskämpfen von 1813 beweist (wobei denn auch des starken historischen Sinns zu gedenken ist, der in Staatsmännern von der Art eines Justus Möser, eines Freiherrn vom Stein waltete), aber den Hauptvorteil zog doch der Katholizismus, der an der Jahr¬ hundertwende in den Kreisen des vortrefflichen Ministers Fürstenberg und der Fürstin Gallitzin in Münster, des Professors, spätern Regensburger Bischofs Salier, der Münchner, Tübinger, Mainzer, Straßburger Theologen eifrige, geist- und gemütvolle Pfleger fand. Das im engern Sinne romantische Element ver¬ traten in diesen Kreisen Görres und Clemens Brentano, jener den protestantischen Historikern und Altertumsforschern, dieser den Dichtern die Hand reichend, während Salier mit den meisten bedeutenden Menschen des damaligen Deutsch¬ land in regem Gedankenaustausch gelebt hat. Was die Philosophen von Fach betrifft, die der Romantik zugerechnet zu werden Pflegen, so war es ursprünglich keineswegs ihre Absicht, den Kirchen¬ glauben zu fördern. Der eine, Fichte, wurde des Atheismus angeklagt, und der andre, Schelling, bewies, daß der überlieferte Gottesglaube unmoralisch sei. (Fr. Wilh. Schelling: schöpferisches Handeln. Herausgegeben und ein¬ geleitet von Emil Fuchs, mit Porträt. Jena und Leipzig, Eugen Diederichs, 1907. In demselben Verlag ist das literarische Selbstbildnis eines dem schellingschen verwandten Geistes erschienen, der freilich auf andern Gebieten tütig gewesen ist: Wilhelm von Humboldt. Universalität. Ausgewählt und eingeleitet von Johannes Schubert, mit Porträt.) Freilich ist Schelling zuletzt dem posi¬ tiven Glauben sehr nahe gekommen, wenn er sich auch nicht, gleich seinem Freunde Friedrich Schlegel, entschließen konnte, in die katholische Kirche zurück¬ zukehren. Das Katholisieren dieser Geister mag schuld gewesen sein, daß die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/530
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/530>, abgerufen am 24.07.2024.