Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Zukunft Australiens

gelobten Lande der unbeschränkten Freiheit leben, so zieht sich alles nach diesem
Erdteile, das wo anders kein Fortkommen finden kann. Gediegne Fachmänner
irgendwelchen Berufs können nur ausnahmsweise eine ihren Fähigkeiten ent¬
sprechende Stellung finden, da sie mit einer übermächtigen und unberechtigten
Konkurrenz zu kämpfen haben. Die Aristokratie oder besser Plutokratie des
Landes setzt sich hauptsächlich aus Schafziichtern und Minenspeknlanten zusammen,
aus Leuten, von denen manche kaum ihren Namen schreiben können. Der reichste
Mann Australiens, Tyson, war ein Viehzüchter und hinterließ bei seinem Tode
mehr Grundbesitz, als mancher regierende Fürst in Deutschland sein eigen nennt.
Er repräsentierte einen Gesamtwert von etwa 100 Millionen Mark. Dieser
Nabob schlief in einem Zelt mit seinen Viehtreibern und prahlte damit, nie in
seinem Leben ein gestärktes, weißes Hemd auf dem Leibe gehabt zu haben.
Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen, und es ist erstaunlich, welchen
Luxus man mitunter auf einer nomöstoaä eines reichen Squatters, Hunderte
von Meilen entfernt von der nächsten Stadt, antreffen kann, aber Kunstsinn
darf man von diesen Leuten nicht erwarten. Australien wird auch kaum jemals
bedeutende Künstler hervorbringen, denn das Land selbst bietet keine Anregung.
Ob man fünf oder tausend Meilen hinein in das Land geht, immer zeigt sich
mit wenig Ausnahmen dem Auge dasselbe Bild: Gummibüume (ISuo^xtus),
Salzbusch und Sand. Wie schon bemerkt, zeigt die Jugend anch kein nachhaltiges
Interesse für Kunst oder Wissenschaft. Es bestehn zwar überall sogenannte
Universitäten, Kunstakademien, Konservatorien usw., aber sie alle produzieren
nnr oberflächliche Mittelmäßigkeiten. Die jungen Leute wollen in sechs Monaten
Künstler oder Gelehrte werden. Einzelne starke Talente verlassen ihre Hemme
und setzen ihre Studien in Europa fort, gehn aber nie wieder nach dem Lande
ihrer Geburt zurück. Noch ein andrer Faktor, der das ganze öffentliche Leben
beeinflußt, kommt hier in Betracht, das ist die allgemein herrschende religiöse
Heuchelei der Australier. Australien hat im Verhältnis zu seiner Bevölkerung
mehr Kirchen und Vierhänser (notsls oder xudlionousss) als irgendein andres
Land der Erde. Südaustralien allein hat bei einerBevölkeruug von 392431 Köpfen
1446 Kirchen und Kapellen. Der australische Sonntag übertrifft den berühmten
englischen an Öde und Langweiligkeit. Der Eisenbahn- und Straßenbahnverkchr
wird auf das notwendigste beschränkt, und alle öffentlichen Vergnügungslokale
werden geschlossen gehalten; nur Sydney macht darin eine Ausnahme von den
übrigen Städten des Kontinents.

Wenn man sich auf der Weltkarte den ungeheuern Landklumpen Australien
betrachtet und ihn mit den andern Erdteilen vergleicht, so muß die geringe
Küstenentwicklung dieses Kontinents auffallen, auch der Mangel an größern
Flüssen macht sich überall bemerkbar. Es sind also nicht die Bedingungen
vorhanden, die der Entwicklung eines Kulturvolkes günstig wären. Von ver¬
schiednen Seiten wird immer wieder darauf hingewiesen, wie gesund das
trockne Klima für den Europäer sei, und daß Krankheitscpidemien wie die


Die Zukunft Australiens

gelobten Lande der unbeschränkten Freiheit leben, so zieht sich alles nach diesem
Erdteile, das wo anders kein Fortkommen finden kann. Gediegne Fachmänner
irgendwelchen Berufs können nur ausnahmsweise eine ihren Fähigkeiten ent¬
sprechende Stellung finden, da sie mit einer übermächtigen und unberechtigten
Konkurrenz zu kämpfen haben. Die Aristokratie oder besser Plutokratie des
Landes setzt sich hauptsächlich aus Schafziichtern und Minenspeknlanten zusammen,
aus Leuten, von denen manche kaum ihren Namen schreiben können. Der reichste
Mann Australiens, Tyson, war ein Viehzüchter und hinterließ bei seinem Tode
mehr Grundbesitz, als mancher regierende Fürst in Deutschland sein eigen nennt.
Er repräsentierte einen Gesamtwert von etwa 100 Millionen Mark. Dieser
Nabob schlief in einem Zelt mit seinen Viehtreibern und prahlte damit, nie in
seinem Leben ein gestärktes, weißes Hemd auf dem Leibe gehabt zu haben.
Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen, und es ist erstaunlich, welchen
Luxus man mitunter auf einer nomöstoaä eines reichen Squatters, Hunderte
von Meilen entfernt von der nächsten Stadt, antreffen kann, aber Kunstsinn
darf man von diesen Leuten nicht erwarten. Australien wird auch kaum jemals
bedeutende Künstler hervorbringen, denn das Land selbst bietet keine Anregung.
Ob man fünf oder tausend Meilen hinein in das Land geht, immer zeigt sich
mit wenig Ausnahmen dem Auge dasselbe Bild: Gummibüume (ISuo^xtus),
Salzbusch und Sand. Wie schon bemerkt, zeigt die Jugend anch kein nachhaltiges
Interesse für Kunst oder Wissenschaft. Es bestehn zwar überall sogenannte
Universitäten, Kunstakademien, Konservatorien usw., aber sie alle produzieren
nnr oberflächliche Mittelmäßigkeiten. Die jungen Leute wollen in sechs Monaten
Künstler oder Gelehrte werden. Einzelne starke Talente verlassen ihre Hemme
und setzen ihre Studien in Europa fort, gehn aber nie wieder nach dem Lande
ihrer Geburt zurück. Noch ein andrer Faktor, der das ganze öffentliche Leben
beeinflußt, kommt hier in Betracht, das ist die allgemein herrschende religiöse
Heuchelei der Australier. Australien hat im Verhältnis zu seiner Bevölkerung
mehr Kirchen und Vierhänser (notsls oder xudlionousss) als irgendein andres
Land der Erde. Südaustralien allein hat bei einerBevölkeruug von 392431 Köpfen
1446 Kirchen und Kapellen. Der australische Sonntag übertrifft den berühmten
englischen an Öde und Langweiligkeit. Der Eisenbahn- und Straßenbahnverkchr
wird auf das notwendigste beschränkt, und alle öffentlichen Vergnügungslokale
werden geschlossen gehalten; nur Sydney macht darin eine Ausnahme von den
übrigen Städten des Kontinents.

Wenn man sich auf der Weltkarte den ungeheuern Landklumpen Australien
betrachtet und ihn mit den andern Erdteilen vergleicht, so muß die geringe
Küstenentwicklung dieses Kontinents auffallen, auch der Mangel an größern
Flüssen macht sich überall bemerkbar. Es sind also nicht die Bedingungen
vorhanden, die der Entwicklung eines Kulturvolkes günstig wären. Von ver¬
schiednen Seiten wird immer wieder darauf hingewiesen, wie gesund das
trockne Klima für den Europäer sei, und daß Krankheitscpidemien wie die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312195"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Zukunft Australiens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2021" prev="#ID_2020"> gelobten Lande der unbeschränkten Freiheit leben, so zieht sich alles nach diesem<lb/>
Erdteile, das wo anders kein Fortkommen finden kann. Gediegne Fachmänner<lb/>
irgendwelchen Berufs können nur ausnahmsweise eine ihren Fähigkeiten ent¬<lb/>
sprechende Stellung finden, da sie mit einer übermächtigen und unberechtigten<lb/>
Konkurrenz zu kämpfen haben. Die Aristokratie oder besser Plutokratie des<lb/>
Landes setzt sich hauptsächlich aus Schafziichtern und Minenspeknlanten zusammen,<lb/>
aus Leuten, von denen manche kaum ihren Namen schreiben können. Der reichste<lb/>
Mann Australiens, Tyson, war ein Viehzüchter und hinterließ bei seinem Tode<lb/>
mehr Grundbesitz, als mancher regierende Fürst in Deutschland sein eigen nennt.<lb/>
Er repräsentierte einen Gesamtwert von etwa 100 Millionen Mark. Dieser<lb/>
Nabob schlief in einem Zelt mit seinen Viehtreibern und prahlte damit, nie in<lb/>
seinem Leben ein gestärktes, weißes Hemd auf dem Leibe gehabt zu haben.<lb/>
Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen, und es ist erstaunlich, welchen<lb/>
Luxus man mitunter auf einer nomöstoaä eines reichen Squatters, Hunderte<lb/>
von Meilen entfernt von der nächsten Stadt, antreffen kann, aber Kunstsinn<lb/>
darf man von diesen Leuten nicht erwarten. Australien wird auch kaum jemals<lb/>
bedeutende Künstler hervorbringen, denn das Land selbst bietet keine Anregung.<lb/>
Ob man fünf oder tausend Meilen hinein in das Land geht, immer zeigt sich<lb/>
mit wenig Ausnahmen dem Auge dasselbe Bild: Gummibüume (ISuo^xtus),<lb/>
Salzbusch und Sand. Wie schon bemerkt, zeigt die Jugend anch kein nachhaltiges<lb/>
Interesse für Kunst oder Wissenschaft. Es bestehn zwar überall sogenannte<lb/>
Universitäten, Kunstakademien, Konservatorien usw., aber sie alle produzieren<lb/>
nnr oberflächliche Mittelmäßigkeiten. Die jungen Leute wollen in sechs Monaten<lb/>
Künstler oder Gelehrte werden. Einzelne starke Talente verlassen ihre Hemme<lb/>
und setzen ihre Studien in Europa fort, gehn aber nie wieder nach dem Lande<lb/>
ihrer Geburt zurück. Noch ein andrer Faktor, der das ganze öffentliche Leben<lb/>
beeinflußt, kommt hier in Betracht, das ist die allgemein herrschende religiöse<lb/>
Heuchelei der Australier. Australien hat im Verhältnis zu seiner Bevölkerung<lb/>
mehr Kirchen und Vierhänser (notsls oder xudlionousss) als irgendein andres<lb/>
Land der Erde. Südaustralien allein hat bei einerBevölkeruug von 392431 Köpfen<lb/>
1446 Kirchen und Kapellen. Der australische Sonntag übertrifft den berühmten<lb/>
englischen an Öde und Langweiligkeit. Der Eisenbahn- und Straßenbahnverkchr<lb/>
wird auf das notwendigste beschränkt, und alle öffentlichen Vergnügungslokale<lb/>
werden geschlossen gehalten; nur Sydney macht darin eine Ausnahme von den<lb/>
übrigen Städten des Kontinents.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2022" next="#ID_2023"> Wenn man sich auf der Weltkarte den ungeheuern Landklumpen Australien<lb/>
betrachtet und ihn mit den andern Erdteilen vergleicht, so muß die geringe<lb/>
Küstenentwicklung dieses Kontinents auffallen, auch der Mangel an größern<lb/>
Flüssen macht sich überall bemerkbar. Es sind also nicht die Bedingungen<lb/>
vorhanden, die der Entwicklung eines Kulturvolkes günstig wären. Von ver¬<lb/>
schiednen Seiten wird immer wieder darauf hingewiesen, wie gesund das<lb/>
trockne Klima für den Europäer sei, und daß Krankheitscpidemien wie die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0510] Die Zukunft Australiens gelobten Lande der unbeschränkten Freiheit leben, so zieht sich alles nach diesem Erdteile, das wo anders kein Fortkommen finden kann. Gediegne Fachmänner irgendwelchen Berufs können nur ausnahmsweise eine ihren Fähigkeiten ent¬ sprechende Stellung finden, da sie mit einer übermächtigen und unberechtigten Konkurrenz zu kämpfen haben. Die Aristokratie oder besser Plutokratie des Landes setzt sich hauptsächlich aus Schafziichtern und Minenspeknlanten zusammen, aus Leuten, von denen manche kaum ihren Namen schreiben können. Der reichste Mann Australiens, Tyson, war ein Viehzüchter und hinterließ bei seinem Tode mehr Grundbesitz, als mancher regierende Fürst in Deutschland sein eigen nennt. Er repräsentierte einen Gesamtwert von etwa 100 Millionen Mark. Dieser Nabob schlief in einem Zelt mit seinen Viehtreibern und prahlte damit, nie in seinem Leben ein gestärktes, weißes Hemd auf dem Leibe gehabt zu haben. Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen, und es ist erstaunlich, welchen Luxus man mitunter auf einer nomöstoaä eines reichen Squatters, Hunderte von Meilen entfernt von der nächsten Stadt, antreffen kann, aber Kunstsinn darf man von diesen Leuten nicht erwarten. Australien wird auch kaum jemals bedeutende Künstler hervorbringen, denn das Land selbst bietet keine Anregung. Ob man fünf oder tausend Meilen hinein in das Land geht, immer zeigt sich mit wenig Ausnahmen dem Auge dasselbe Bild: Gummibüume (ISuo^xtus), Salzbusch und Sand. Wie schon bemerkt, zeigt die Jugend anch kein nachhaltiges Interesse für Kunst oder Wissenschaft. Es bestehn zwar überall sogenannte Universitäten, Kunstakademien, Konservatorien usw., aber sie alle produzieren nnr oberflächliche Mittelmäßigkeiten. Die jungen Leute wollen in sechs Monaten Künstler oder Gelehrte werden. Einzelne starke Talente verlassen ihre Hemme und setzen ihre Studien in Europa fort, gehn aber nie wieder nach dem Lande ihrer Geburt zurück. Noch ein andrer Faktor, der das ganze öffentliche Leben beeinflußt, kommt hier in Betracht, das ist die allgemein herrschende religiöse Heuchelei der Australier. Australien hat im Verhältnis zu seiner Bevölkerung mehr Kirchen und Vierhänser (notsls oder xudlionousss) als irgendein andres Land der Erde. Südaustralien allein hat bei einerBevölkeruug von 392431 Köpfen 1446 Kirchen und Kapellen. Der australische Sonntag übertrifft den berühmten englischen an Öde und Langweiligkeit. Der Eisenbahn- und Straßenbahnverkchr wird auf das notwendigste beschränkt, und alle öffentlichen Vergnügungslokale werden geschlossen gehalten; nur Sydney macht darin eine Ausnahme von den übrigen Städten des Kontinents. Wenn man sich auf der Weltkarte den ungeheuern Landklumpen Australien betrachtet und ihn mit den andern Erdteilen vergleicht, so muß die geringe Küstenentwicklung dieses Kontinents auffallen, auch der Mangel an größern Flüssen macht sich überall bemerkbar. Es sind also nicht die Bedingungen vorhanden, die der Entwicklung eines Kulturvolkes günstig wären. Von ver¬ schiednen Seiten wird immer wieder darauf hingewiesen, wie gesund das trockne Klima für den Europäer sei, und daß Krankheitscpidemien wie die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/510
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/510>, abgerufen am 24.07.2024.