Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.Johann vom Areuz alle sinnlichen Regungen und Vorstellungen aus ihrem Innern bannt. Im Johann vom Areuz alle sinnlichen Regungen und Vorstellungen aus ihrem Innern bannt. Im <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0480" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312165"/> <fw type="header" place="top"> Johann vom Areuz</fw><lb/> <p xml:id="ID_1933" prev="#ID_1932" next="#ID_1934"> alle sinnlichen Regungen und Vorstellungen aus ihrem Innern bannt. Im<lb/> Jahre 1690 wurde es von der philosophischen Welt als eine Revolution<lb/> empfunden, daß Lockes lÄsss^ on murum nnäerstainLnZ erklärte: es gebe keine<lb/> angebornen Ideen; die Seele sei ursprünglich ein weißes Blatt Papier, das<lb/> erst von den sinnlichen Wahrnehmungen einen Inhalt empfange. Reichlich<lb/> hundert Jahre vorher hatte der spanische Mönch geschrieben: „Nach der Lehre<lb/> der Philosophen haben wir, sobald Gott dem Leibe die Seele eingehaucht hat,<lb/> gleichsam eine leere Tafel, auf die noch gar nichts gezeichnet ist. Auf natür¬<lb/> lichem Wege kann die Seele nur durch die Sinne etwas in sich aufnehmen.<lb/> Solange sie im Leibe ist, gleicht sie einem Menschen, der, in einem finstern<lb/> Kerker eingeschlossen, nichts wahrnimmt, außer was er durch die Kerkerfenster<lb/> sehn kann. Sieht er durch diese nichts, so kaun er überhaupt nichts sehn.<lb/> Ebenso kann die Seele, wenn nicht durch die Sinne, diese Fenster ihres<lb/> Kerkers, etwas in sie eindringt, auf einem andern Wege natürlicherweise<lb/> nichts wahrnehmen. Verschmähe sie es ^zum Zweck ihrer mystischen Vereinigung<lb/> mit GotH, durch die Sinne etwas aufzunehmen, so können wir sagen, daß sie<lb/> im Finstern und leer bleibt. Wer die Augen schließt, ist ebenso im Dunkeln<lb/> wie der Blinde." Aus dieser ersten Nacht tritt der nach Vollkommenheit strebende<lb/> in eine zweite noch dunklere ein: in die Nacht des Glaubens. In dieser wird<lb/> die Seele erst vollkommen blind, indem sie nicht allein auf die sinnliche Wahr¬<lb/> nehmung verzichtet, sondern auch auf den Gebrauch ihres Erkenntnisvermögens,<lb/> das aus den sinnlichen Wahrnehmungen Vorstellungen, Begriffe, Erinnerungs¬<lb/> bilder schafft. Dieser Verzicht ist notwendig. Denn Gott ist zwar seiner Wesenheit<lb/> nach wie in jedem andern Geschöpf so auch in jeder Seele, selbst in der des<lb/> Verdammten gegenwärtig, ohne diese erhaltende Gegenwart Gottes würden die<lb/> Geschöpfe ins Nichts zurücksinken. Aber die Vereinigung, die hier erstrebt<lb/> wird, ist andrer Art, ist die Vereinigung in Liebe. Diese ist nur möglich durch<lb/> Verühnlichung mit dem Geliebten. Gott aber gleicht keinem Geschöpf, darum<lb/> kann auch kein Geschöpf diese Vereinigung mit ihm vermitteln. Er hat keine<lb/> Form, geht in keinen Begriff, darum kann er weder durch Phantasiebilder noch<lb/> durch Begriffe erfaßt werden, und darum führt das Denken ebensowenig zu<lb/> Gott wie die sinnliche Wahrnehmung. Es gibt nur zwei Wege, Gott zu er¬<lb/> fassen: in diesem Leben den Glauben, der in Beziehung auf das gewöhnliche<lb/> Seelenleben Nacht ist, weil er auf begriffliches Erkennen verzichtet, und im<lb/> Jenseits die Anschauung. Um zu dieser zu gelangen, muß man eben sterben.<lb/> Einzelnen Begnadeten wird sie auf Momente schon in diesem Leben gewährt.<lb/> Gegen das letzte würde Kant freilich als gegen eine Selbsttäuschung, einen<lb/> Aberglauben protestiert haben, aber im übrigen ist seine Lehre von der des<lb/> Spaniers nicht wesentlich verschieden: weder die sinnliche Erfahrung noch<lb/> irgendeine Denkoperation vermittelt die Erkenntnis Gottes. Gott muß einfach<lb/> geglaubt werde«; das sei ein sittliches Postulat, meint der Königsberger. Nach<lb/> Johannes gibt es anßer dem Wege der natürlichen Erfahrung, der nicht zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0480]
Johann vom Areuz
alle sinnlichen Regungen und Vorstellungen aus ihrem Innern bannt. Im
Jahre 1690 wurde es von der philosophischen Welt als eine Revolution
empfunden, daß Lockes lÄsss^ on murum nnäerstainLnZ erklärte: es gebe keine
angebornen Ideen; die Seele sei ursprünglich ein weißes Blatt Papier, das
erst von den sinnlichen Wahrnehmungen einen Inhalt empfange. Reichlich
hundert Jahre vorher hatte der spanische Mönch geschrieben: „Nach der Lehre
der Philosophen haben wir, sobald Gott dem Leibe die Seele eingehaucht hat,
gleichsam eine leere Tafel, auf die noch gar nichts gezeichnet ist. Auf natür¬
lichem Wege kann die Seele nur durch die Sinne etwas in sich aufnehmen.
Solange sie im Leibe ist, gleicht sie einem Menschen, der, in einem finstern
Kerker eingeschlossen, nichts wahrnimmt, außer was er durch die Kerkerfenster
sehn kann. Sieht er durch diese nichts, so kaun er überhaupt nichts sehn.
Ebenso kann die Seele, wenn nicht durch die Sinne, diese Fenster ihres
Kerkers, etwas in sie eindringt, auf einem andern Wege natürlicherweise
nichts wahrnehmen. Verschmähe sie es ^zum Zweck ihrer mystischen Vereinigung
mit GotH, durch die Sinne etwas aufzunehmen, so können wir sagen, daß sie
im Finstern und leer bleibt. Wer die Augen schließt, ist ebenso im Dunkeln
wie der Blinde." Aus dieser ersten Nacht tritt der nach Vollkommenheit strebende
in eine zweite noch dunklere ein: in die Nacht des Glaubens. In dieser wird
die Seele erst vollkommen blind, indem sie nicht allein auf die sinnliche Wahr¬
nehmung verzichtet, sondern auch auf den Gebrauch ihres Erkenntnisvermögens,
das aus den sinnlichen Wahrnehmungen Vorstellungen, Begriffe, Erinnerungs¬
bilder schafft. Dieser Verzicht ist notwendig. Denn Gott ist zwar seiner Wesenheit
nach wie in jedem andern Geschöpf so auch in jeder Seele, selbst in der des
Verdammten gegenwärtig, ohne diese erhaltende Gegenwart Gottes würden die
Geschöpfe ins Nichts zurücksinken. Aber die Vereinigung, die hier erstrebt
wird, ist andrer Art, ist die Vereinigung in Liebe. Diese ist nur möglich durch
Verühnlichung mit dem Geliebten. Gott aber gleicht keinem Geschöpf, darum
kann auch kein Geschöpf diese Vereinigung mit ihm vermitteln. Er hat keine
Form, geht in keinen Begriff, darum kann er weder durch Phantasiebilder noch
durch Begriffe erfaßt werden, und darum führt das Denken ebensowenig zu
Gott wie die sinnliche Wahrnehmung. Es gibt nur zwei Wege, Gott zu er¬
fassen: in diesem Leben den Glauben, der in Beziehung auf das gewöhnliche
Seelenleben Nacht ist, weil er auf begriffliches Erkennen verzichtet, und im
Jenseits die Anschauung. Um zu dieser zu gelangen, muß man eben sterben.
Einzelnen Begnadeten wird sie auf Momente schon in diesem Leben gewährt.
Gegen das letzte würde Kant freilich als gegen eine Selbsttäuschung, einen
Aberglauben protestiert haben, aber im übrigen ist seine Lehre von der des
Spaniers nicht wesentlich verschieden: weder die sinnliche Erfahrung noch
irgendeine Denkoperation vermittelt die Erkenntnis Gottes. Gott muß einfach
geglaubt werde«; das sei ein sittliches Postulat, meint der Königsberger. Nach
Johannes gibt es anßer dem Wege der natürlichen Erfahrung, der nicht zu
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |