Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.Russische Briefe in Galizien. Wenn man hierzu noch die Hebung des nationalen Selbst¬ In Österreich, wo das Wahlsystem die polnische Vertretung im Wiener Die Entwicklung der demokratischen Politik der Polen in Österreich, die In Nußland kann von einer Nussifizierung der Polen nicht mehr die Sehr interessant ist nun, wie der anerkannte Führer der russischen Polen Seit der Zeit des Wiener Kongresses seien zwar, so schreibt er, die Grenzen *) Es sei hier daran erinnert, was ich vor etwa anderthalb Jahren in den Grenzboten
schrieb, als ich darauf hinwies, wie sicher die Polen auf die masurische und litauische Be¬ völkerung rechnen. Russische Briefe in Galizien. Wenn man hierzu noch die Hebung des nationalen Selbst¬ In Österreich, wo das Wahlsystem die polnische Vertretung im Wiener Die Entwicklung der demokratischen Politik der Polen in Österreich, die In Nußland kann von einer Nussifizierung der Polen nicht mehr die Sehr interessant ist nun, wie der anerkannte Führer der russischen Polen Seit der Zeit des Wiener Kongresses seien zwar, so schreibt er, die Grenzen *) Es sei hier daran erinnert, was ich vor etwa anderthalb Jahren in den Grenzboten
schrieb, als ich darauf hinwies, wie sicher die Polen auf die masurische und litauische Be¬ völkerung rechnen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312145"/> <fw type="header" place="top"> Russische Briefe</fw><lb/> <p xml:id="ID_1850" prev="#ID_1849"> in Galizien. Wenn man hierzu noch die Hebung des nationalen Selbst¬<lb/> bewußtseins und der Energie der Polen in Westpreußen und die gleiche» Er¬<lb/> scheinungen unter den protestantischen Masuren in Ostpreußen hinzufügt, so<lb/> erhalte» wir das Bild einer allgemeinen nationalen Wiedergeburt der pol¬<lb/> nischen Lande in Preußen,*)</p><lb/> <p xml:id="ID_1851"> In Österreich, wo das Wahlsystem die polnische Vertretung im Wiener<lb/> Parlament demokratisiert hat, ist die polnische Bewegung noch lebhafter und<lb/> kühner geworden. Die demokratischen Elemente der polnischen Bevölkerung<lb/> Österreichs beginnen in den letzten Jahren immer entschiedner gegen die<lb/> hauptsächlichste Form der Unterdrückung in Galizien vorzugehn, gegen die<lb/> wirtschaftliche Ausbeutung, die sich für die Großgrundbesitzer nicht so fühlbar<lb/> gestaltet. Zugleich finden diese Elemente eine starke Unterstützung bei den<lb/> Volksmassen und stehn infolgedessen nicht in Abhängigkeit von der Regierung<lb/> wie die Konservativen. Daher sind die demokratischen Elemente mehr geneigt<lb/> und befähigt, sowohl in der innern wie in der äußern Politik eine selbständige<lb/> Stellung einzunehmen und zu behaupten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1852"> Die Entwicklung der demokratischen Politik der Polen in Österreich, die<lb/> zurzeit erst die ersten Gehversuche macht, muß die Polen zu einem Kampf<lb/> gegen die vorherrschende Stellung der Deutschen in diesem Staat sowie gegen<lb/> das enge Bündnis zwischen Österreich und Deutschland führen, das zurzeit<lb/> schon »mehr als ein Bündnis« darstellt. Möglicherweise wird sich diese Richtung<lb/> der polnischen Politik nur langsam entwickeln. Ansätze sind jedenfalls vor¬<lb/> handen. In dieser neuen Phase wird sich der Rahmen der Polenfrage inner¬<lb/> halb Österreichs ausdehnen, und sie wird gerade dort die internationale Be¬<lb/> deutung erhalten, die ihr bisher abging.</p><lb/> <p xml:id="ID_1853"> In Nußland kann von einer Nussifizierung der Polen nicht mehr die<lb/> Rede sein. Das wird anch von den Vertretern der Regierung zugegeben. Die<lb/> Regierung stellte dem polnischen Autonomicentwurf kein Reformprogramm ent¬<lb/> gegen und fährt fort, das Gebiet nach altem System zu verwalten. Da aber<lb/> das System nnr bei Erhaltung der unbeschränkten Gewalt der Beamten bei¬<lb/> behalten werden kann, wurde nach dem Manifest vom 17. Oktober für die Ver¬<lb/> waltung des Zartums Polen der Kriegszustand als Grundlage eingeführt. Somit<lb/> hat die Poleufrage in allen drei Vertragsstaaten den Charakter einer erledigten<lb/> Frage verloren. Sie ist sogar zu einer wesentlichen Tagesfrage geworden, die<lb/> überall bei den laufenden Staatsangelegenheiten an der ersten Stelle steht."</p><lb/> <p xml:id="ID_1854"> Sehr interessant ist nun, wie der anerkannte Führer der russischen Polen<lb/> diese Sachlage auf internationalem Gebiet auszunutzen denkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1855" next="#ID_1856"> Seit der Zeit des Wiener Kongresses seien zwar, so schreibt er, die Grenzen<lb/> der polnischen Gebiete nicht verändert worden, aber die rechtliche Lage dieser<lb/> Gebiete habe sich geändert oder auch nur die ihrer polnischen Bevölkerung.</p><lb/> <note xml:id="FID_61" place="foot"> *) Es sei hier daran erinnert, was ich vor etwa anderthalb Jahren in den Grenzboten<lb/> schrieb, als ich darauf hinwies, wie sicher die Polen auf die masurische und litauische Be¬<lb/> völkerung rechnen.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0460]
Russische Briefe
in Galizien. Wenn man hierzu noch die Hebung des nationalen Selbst¬
bewußtseins und der Energie der Polen in Westpreußen und die gleiche» Er¬
scheinungen unter den protestantischen Masuren in Ostpreußen hinzufügt, so
erhalte» wir das Bild einer allgemeinen nationalen Wiedergeburt der pol¬
nischen Lande in Preußen,*)
In Österreich, wo das Wahlsystem die polnische Vertretung im Wiener
Parlament demokratisiert hat, ist die polnische Bewegung noch lebhafter und
kühner geworden. Die demokratischen Elemente der polnischen Bevölkerung
Österreichs beginnen in den letzten Jahren immer entschiedner gegen die
hauptsächlichste Form der Unterdrückung in Galizien vorzugehn, gegen die
wirtschaftliche Ausbeutung, die sich für die Großgrundbesitzer nicht so fühlbar
gestaltet. Zugleich finden diese Elemente eine starke Unterstützung bei den
Volksmassen und stehn infolgedessen nicht in Abhängigkeit von der Regierung
wie die Konservativen. Daher sind die demokratischen Elemente mehr geneigt
und befähigt, sowohl in der innern wie in der äußern Politik eine selbständige
Stellung einzunehmen und zu behaupten.
Die Entwicklung der demokratischen Politik der Polen in Österreich, die
zurzeit erst die ersten Gehversuche macht, muß die Polen zu einem Kampf
gegen die vorherrschende Stellung der Deutschen in diesem Staat sowie gegen
das enge Bündnis zwischen Österreich und Deutschland führen, das zurzeit
schon »mehr als ein Bündnis« darstellt. Möglicherweise wird sich diese Richtung
der polnischen Politik nur langsam entwickeln. Ansätze sind jedenfalls vor¬
handen. In dieser neuen Phase wird sich der Rahmen der Polenfrage inner¬
halb Österreichs ausdehnen, und sie wird gerade dort die internationale Be¬
deutung erhalten, die ihr bisher abging.
In Nußland kann von einer Nussifizierung der Polen nicht mehr die
Rede sein. Das wird anch von den Vertretern der Regierung zugegeben. Die
Regierung stellte dem polnischen Autonomicentwurf kein Reformprogramm ent¬
gegen und fährt fort, das Gebiet nach altem System zu verwalten. Da aber
das System nnr bei Erhaltung der unbeschränkten Gewalt der Beamten bei¬
behalten werden kann, wurde nach dem Manifest vom 17. Oktober für die Ver¬
waltung des Zartums Polen der Kriegszustand als Grundlage eingeführt. Somit
hat die Poleufrage in allen drei Vertragsstaaten den Charakter einer erledigten
Frage verloren. Sie ist sogar zu einer wesentlichen Tagesfrage geworden, die
überall bei den laufenden Staatsangelegenheiten an der ersten Stelle steht."
Sehr interessant ist nun, wie der anerkannte Führer der russischen Polen
diese Sachlage auf internationalem Gebiet auszunutzen denkt.
Seit der Zeit des Wiener Kongresses seien zwar, so schreibt er, die Grenzen
der polnischen Gebiete nicht verändert worden, aber die rechtliche Lage dieser
Gebiete habe sich geändert oder auch nur die ihrer polnischen Bevölkerung.
*) Es sei hier daran erinnert, was ich vor etwa anderthalb Jahren in den Grenzboten
schrieb, als ich darauf hinwies, wie sicher die Polen auf die masurische und litauische Be¬
völkerung rechnen.
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