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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Uulturgrundlagen der russischen und der japanischen Literatur

findet dazu Gelegenheit in den Bänden unsrer Serie, die die chinesische und
die byzantinische Literatur behandeln. Uns muß hier die feststehende Tatsache
genügen, daß, wie Rußland die byzantinische, so Japan die chinesische Kultur
ererbt und weitergeführt hat, in sprachlicher, kirchlicher und geistiger Hinsicht.

Wie die ältere russische Literatur lange unter dem von Byzanz über-
kommnen Dualismus zwischen literarischer und gesprochner Sprache litt (siehe
Bruckner S. 45f.), so auch Japan unter dem von der chinesischen Kultur her¬
rührenden (siehe Florenz S. 257).

Und wie sich Rußland zu dem Christentum der griechisch-orientalischen
Kirche bekehrte, so Japan zum chinesischen Konfuzianismns, daneben freilich
auch zum indischen Buddhismus.

Wie endlich die altrussische Literatur größtenteils eine Kopie der byzan¬
tinischen war (s. Bruckner S. 15f.), so wurde die japanische jahrhundertelang
von der chinesischen gespeist (s. Florenz, Index unter "Chinesisch").

Auch im politischen Leben wäre die Parallele weiterzuführen, wenn --
Rußland von einer Schickung verschont geblieben wäre, die auch Japan zu derselben
Zeit (im dreizehnten Jahrhundert) gedroht hatte, die es aber glücklich abwandte,
von dem Mongoleneinfall. Dieser brachte in die russische Kultur einen Riß,
der noch viel verhängnisvoller gewirkt hat als für uus der Dreißigjährige Krieg
und an dessen Folgen Nußland bis heute krankt. Das alte Nußland mit
seinem politischen und Kulturmittelpunkt Kiew enthielt alle Keime zu einem
freiheitlichen Staatswesen, und erst nach dessen Zerstörung durch die Mongolen
und der Verlegung des Schwerpunktes nach Norden kam der im Moskowiter-
tum verkörperte tatarisch-mongolische Despotismus und griechisch-orientalische
Cäsaropapismus auf, unter dem Rußland bis jetzt gelitten hat (vgl. Bruckner
S. 24) und auch geistig zurückkam.

Von diesem Despotismus ist Japan dank seiner insularen Lage verschont
geblieben; sein Staat und seine Kultur konnte sich in gerader Linie fortentwickeln,
und das Gesunde dieser Entwicklung liegt vor allem darin, daß Japan im
wesentlichen ein Feudalstaat blieb bis in die jüngste Zeit (1868), indem sich
schon in früher Zeit durch das Vorherrschen einer starken Kriegerkaste eine Art
Hcmsmeiertum bildete (Shögunat), das die kaiserliche Gewalt immer in Schranken
hielt. Dieses System wurde am dauerndsten begründet durch den Militär¬
gouverneur Joritomo (1186). "Von Kamakura aus, das er sich in Ostjapan,
fernab von der Hauptstadt Kyöto, zum Sitz erkoren hatte, regierte er die sechs-
undsechzig Provinzen des Landes durch von ihm selbst ernannte Beamte, und
dem Kaiser blieb, wie einst den letzten fränkischen Königen, nur der ünßere
Schein der Macht. Fast siebenhundert Jahre hat sich das von Joritomo be¬
gründete System gehalten, dem Kaiser in Kyöto als dem scheinbaren Inhaber
und Spender aller Macht und Ehren theoretisch die höchste Ehrfurcht zu be¬
zeigen, ihm dabei aber nicht ein Atom von Einfluß auf die Rcgieruugsgeschcifte
zu erlauben." (Florenz S. 255.) Es ist bezeichnend, daß die verschiednen


Die Uulturgrundlagen der russischen und der japanischen Literatur

findet dazu Gelegenheit in den Bänden unsrer Serie, die die chinesische und
die byzantinische Literatur behandeln. Uns muß hier die feststehende Tatsache
genügen, daß, wie Rußland die byzantinische, so Japan die chinesische Kultur
ererbt und weitergeführt hat, in sprachlicher, kirchlicher und geistiger Hinsicht.

Wie die ältere russische Literatur lange unter dem von Byzanz über-
kommnen Dualismus zwischen literarischer und gesprochner Sprache litt (siehe
Bruckner S. 45f.), so auch Japan unter dem von der chinesischen Kultur her¬
rührenden (siehe Florenz S. 257).

Und wie sich Rußland zu dem Christentum der griechisch-orientalischen
Kirche bekehrte, so Japan zum chinesischen Konfuzianismns, daneben freilich
auch zum indischen Buddhismus.

Wie endlich die altrussische Literatur größtenteils eine Kopie der byzan¬
tinischen war (s. Bruckner S. 15f.), so wurde die japanische jahrhundertelang
von der chinesischen gespeist (s. Florenz, Index unter „Chinesisch").

Auch im politischen Leben wäre die Parallele weiterzuführen, wenn —
Rußland von einer Schickung verschont geblieben wäre, die auch Japan zu derselben
Zeit (im dreizehnten Jahrhundert) gedroht hatte, die es aber glücklich abwandte,
von dem Mongoleneinfall. Dieser brachte in die russische Kultur einen Riß,
der noch viel verhängnisvoller gewirkt hat als für uus der Dreißigjährige Krieg
und an dessen Folgen Nußland bis heute krankt. Das alte Nußland mit
seinem politischen und Kulturmittelpunkt Kiew enthielt alle Keime zu einem
freiheitlichen Staatswesen, und erst nach dessen Zerstörung durch die Mongolen
und der Verlegung des Schwerpunktes nach Norden kam der im Moskowiter-
tum verkörperte tatarisch-mongolische Despotismus und griechisch-orientalische
Cäsaropapismus auf, unter dem Rußland bis jetzt gelitten hat (vgl. Bruckner
S. 24) und auch geistig zurückkam.

Von diesem Despotismus ist Japan dank seiner insularen Lage verschont
geblieben; sein Staat und seine Kultur konnte sich in gerader Linie fortentwickeln,
und das Gesunde dieser Entwicklung liegt vor allem darin, daß Japan im
wesentlichen ein Feudalstaat blieb bis in die jüngste Zeit (1868), indem sich
schon in früher Zeit durch das Vorherrschen einer starken Kriegerkaste eine Art
Hcmsmeiertum bildete (Shögunat), das die kaiserliche Gewalt immer in Schranken
hielt. Dieses System wurde am dauerndsten begründet durch den Militär¬
gouverneur Joritomo (1186). „Von Kamakura aus, das er sich in Ostjapan,
fernab von der Hauptstadt Kyöto, zum Sitz erkoren hatte, regierte er die sechs-
undsechzig Provinzen des Landes durch von ihm selbst ernannte Beamte, und
dem Kaiser blieb, wie einst den letzten fränkischen Königen, nur der ünßere
Schein der Macht. Fast siebenhundert Jahre hat sich das von Joritomo be¬
gründete System gehalten, dem Kaiser in Kyöto als dem scheinbaren Inhaber
und Spender aller Macht und Ehren theoretisch die höchste Ehrfurcht zu be¬
zeigen, ihm dabei aber nicht ein Atom von Einfluß auf die Rcgieruugsgeschcifte
zu erlauben." (Florenz S. 255.) Es ist bezeichnend, daß die verschiednen


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[0424] Die Uulturgrundlagen der russischen und der japanischen Literatur findet dazu Gelegenheit in den Bänden unsrer Serie, die die chinesische und die byzantinische Literatur behandeln. Uns muß hier die feststehende Tatsache genügen, daß, wie Rußland die byzantinische, so Japan die chinesische Kultur ererbt und weitergeführt hat, in sprachlicher, kirchlicher und geistiger Hinsicht. Wie die ältere russische Literatur lange unter dem von Byzanz über- kommnen Dualismus zwischen literarischer und gesprochner Sprache litt (siehe Bruckner S. 45f.), so auch Japan unter dem von der chinesischen Kultur her¬ rührenden (siehe Florenz S. 257). Und wie sich Rußland zu dem Christentum der griechisch-orientalischen Kirche bekehrte, so Japan zum chinesischen Konfuzianismns, daneben freilich auch zum indischen Buddhismus. Wie endlich die altrussische Literatur größtenteils eine Kopie der byzan¬ tinischen war (s. Bruckner S. 15f.), so wurde die japanische jahrhundertelang von der chinesischen gespeist (s. Florenz, Index unter „Chinesisch"). Auch im politischen Leben wäre die Parallele weiterzuführen, wenn — Rußland von einer Schickung verschont geblieben wäre, die auch Japan zu derselben Zeit (im dreizehnten Jahrhundert) gedroht hatte, die es aber glücklich abwandte, von dem Mongoleneinfall. Dieser brachte in die russische Kultur einen Riß, der noch viel verhängnisvoller gewirkt hat als für uus der Dreißigjährige Krieg und an dessen Folgen Nußland bis heute krankt. Das alte Nußland mit seinem politischen und Kulturmittelpunkt Kiew enthielt alle Keime zu einem freiheitlichen Staatswesen, und erst nach dessen Zerstörung durch die Mongolen und der Verlegung des Schwerpunktes nach Norden kam der im Moskowiter- tum verkörperte tatarisch-mongolische Despotismus und griechisch-orientalische Cäsaropapismus auf, unter dem Rußland bis jetzt gelitten hat (vgl. Bruckner S. 24) und auch geistig zurückkam. Von diesem Despotismus ist Japan dank seiner insularen Lage verschont geblieben; sein Staat und seine Kultur konnte sich in gerader Linie fortentwickeln, und das Gesunde dieser Entwicklung liegt vor allem darin, daß Japan im wesentlichen ein Feudalstaat blieb bis in die jüngste Zeit (1868), indem sich schon in früher Zeit durch das Vorherrschen einer starken Kriegerkaste eine Art Hcmsmeiertum bildete (Shögunat), das die kaiserliche Gewalt immer in Schranken hielt. Dieses System wurde am dauerndsten begründet durch den Militär¬ gouverneur Joritomo (1186). „Von Kamakura aus, das er sich in Ostjapan, fernab von der Hauptstadt Kyöto, zum Sitz erkoren hatte, regierte er die sechs- undsechzig Provinzen des Landes durch von ihm selbst ernannte Beamte, und dem Kaiser blieb, wie einst den letzten fränkischen Königen, nur der ünßere Schein der Macht. Fast siebenhundert Jahre hat sich das von Joritomo be¬ gründete System gehalten, dem Kaiser in Kyöto als dem scheinbaren Inhaber und Spender aller Macht und Ehren theoretisch die höchste Ehrfurcht zu be¬ zeigen, ihm dabei aber nicht ein Atom von Einfluß auf die Rcgieruugsgeschcifte zu erlauben." (Florenz S. 255.) Es ist bezeichnend, daß die verschiednen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/424>, abgerufen am 24.07.2024.