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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Las vorgoethische Weimar

Eine Volksvertretung gab es allerdings damals auch schon in Weimar,
aber die Bauern und die Arbeiter waren in dem kleinen Feudalstaate, wo nur
die Freien und Herren mitregieren konnten, logischerweise von dieser Vertretung
ausgeschlossen. Sie genossen die Wohltaten eines geordneten Staatswesens und
der ihnen für ihre Person und ihren Besitz gewährleisteten Sicherheit, hatten
jedoch sonst nur Pflichten und keine Rechte, während man heute die Theoretiker,
besonders unsre weltfremden Kathedersozialisten, immer nur von den Rechten,
nie aber von den Pflichten der handarbeitenden Staatsbürger reden hört.

Der Landtag, der eigentlich aller fünf Jahre zusammentreten sollte, in
Wirklichkeit aber so selten wie möglich einberufen wurde, bestand für das Fürsten¬
tum Weimar aus 1 Prälaten, 43 Rittergutsbesitzern und 9 städtischen Ab¬
geordneten, für Jena aus 1 Prälaten, 18 Rittern und 4 Städten, für Eisenach
aus 23 Rittern und 3 Städten. (Der "Prälat" ist die Akademie zu Jena.)
Seine Tätigkeit beschränkte sich auf die Kritik der Regierungsmaßnahmen, be¬
sonders der Gesetzgebung, auf die Äußerung von Wünschen und auf die Bewilligung
der Steuern. Die Stände verhandelten unter sich ohne besondern Aufwand von
Beredsamkeit und verkehrten mit der Regierung auf schriftlichen Wege, was trotz
der sorgfältig gewahrten devot-weitschweifigen Form und der recht häufigen
grundsätzlichen Gegensätze merkwürdigerweise gewöhnlich nur zwei bis vier Wochen
in Anspruch nahm. Die Tagung wurde mit einem feierlichen Aufzug im Schlosse,
wobei der ganze Hof, die Beamtenschaft, das Militär und die Bedienten in
Aktion traten, einer Predigt in der Schloßkirche, der feierlichen Eröffnungsrede
einer Exzellenz vom Geheimen Konsilium im "Großen Saal" und einem Festmahl
im "Schönen Saal" eingeleitet und später durch einen Festakt, den "Landtags¬
abschied", beschlossen. Die Verhandlungen wickelten sich nicht immer glatt ab;
Regierung und Stände pochten auf ihre alten Rechte, und die Herzogin ließ es
sich nicht nehmen, die Beschlüsse des Landtags gelegentlich zu "korrigieren".
Kein Wunder, daß man nicht immer in Frieden schied, und daß der Minister
bei der Schlußrede einen ermahnenden Ton anschlagen mußte, wie zum Beispiel
bei der Tagung von 1763, wo er sagte: "Wenn getreue Stände und Untertanen
gewahr werden, daß eine Landesherrschaft ihre Pflichten beobachte, so müssen
sie sich solches zu einem desto stärkeren Triebe dienen lassen, ihren eignen
Pflichten genug zu tun. Sie müssen die Größe der durch eine sanfte, weise und
gerechte Regierung ihnen zufließenden Wohltat erkennen. Sie müssen vor ihre
Obrigkeit beten. Sie müssen derselben die Regierungslast nicht noch mehr er¬
schweren, sondern durch Vertrauen, Liebe, Treue und Gehorsam erleichtern."
Bewiesen die Stände dagegen ein ausreichendes Maß von Entgegenkommen, wie
zum Beispiel bei dem Eisenachischer Landtage desselben Jahres, so erhielten sie
zum Schluß auch eine gute Note im Betragen: "Unsere verehrungswürdigste
Regentin haben sowohl in der Proposition als in dem anjetzo auszuhändigenden
Landtagsabschied Dero Sorge vor das Beste des Landes sowohl, als Jhro
edelmütige Uneigennützigkeit überzeugend zutage geleget. Und denen getreuen


Las vorgoethische Weimar

Eine Volksvertretung gab es allerdings damals auch schon in Weimar,
aber die Bauern und die Arbeiter waren in dem kleinen Feudalstaate, wo nur
die Freien und Herren mitregieren konnten, logischerweise von dieser Vertretung
ausgeschlossen. Sie genossen die Wohltaten eines geordneten Staatswesens und
der ihnen für ihre Person und ihren Besitz gewährleisteten Sicherheit, hatten
jedoch sonst nur Pflichten und keine Rechte, während man heute die Theoretiker,
besonders unsre weltfremden Kathedersozialisten, immer nur von den Rechten,
nie aber von den Pflichten der handarbeitenden Staatsbürger reden hört.

Der Landtag, der eigentlich aller fünf Jahre zusammentreten sollte, in
Wirklichkeit aber so selten wie möglich einberufen wurde, bestand für das Fürsten¬
tum Weimar aus 1 Prälaten, 43 Rittergutsbesitzern und 9 städtischen Ab¬
geordneten, für Jena aus 1 Prälaten, 18 Rittern und 4 Städten, für Eisenach
aus 23 Rittern und 3 Städten. (Der „Prälat" ist die Akademie zu Jena.)
Seine Tätigkeit beschränkte sich auf die Kritik der Regierungsmaßnahmen, be¬
sonders der Gesetzgebung, auf die Äußerung von Wünschen und auf die Bewilligung
der Steuern. Die Stände verhandelten unter sich ohne besondern Aufwand von
Beredsamkeit und verkehrten mit der Regierung auf schriftlichen Wege, was trotz
der sorgfältig gewahrten devot-weitschweifigen Form und der recht häufigen
grundsätzlichen Gegensätze merkwürdigerweise gewöhnlich nur zwei bis vier Wochen
in Anspruch nahm. Die Tagung wurde mit einem feierlichen Aufzug im Schlosse,
wobei der ganze Hof, die Beamtenschaft, das Militär und die Bedienten in
Aktion traten, einer Predigt in der Schloßkirche, der feierlichen Eröffnungsrede
einer Exzellenz vom Geheimen Konsilium im „Großen Saal" und einem Festmahl
im „Schönen Saal" eingeleitet und später durch einen Festakt, den „Landtags¬
abschied", beschlossen. Die Verhandlungen wickelten sich nicht immer glatt ab;
Regierung und Stände pochten auf ihre alten Rechte, und die Herzogin ließ es
sich nicht nehmen, die Beschlüsse des Landtags gelegentlich zu „korrigieren".
Kein Wunder, daß man nicht immer in Frieden schied, und daß der Minister
bei der Schlußrede einen ermahnenden Ton anschlagen mußte, wie zum Beispiel
bei der Tagung von 1763, wo er sagte: „Wenn getreue Stände und Untertanen
gewahr werden, daß eine Landesherrschaft ihre Pflichten beobachte, so müssen
sie sich solches zu einem desto stärkeren Triebe dienen lassen, ihren eignen
Pflichten genug zu tun. Sie müssen die Größe der durch eine sanfte, weise und
gerechte Regierung ihnen zufließenden Wohltat erkennen. Sie müssen vor ihre
Obrigkeit beten. Sie müssen derselben die Regierungslast nicht noch mehr er¬
schweren, sondern durch Vertrauen, Liebe, Treue und Gehorsam erleichtern."
Bewiesen die Stände dagegen ein ausreichendes Maß von Entgegenkommen, wie
zum Beispiel bei dem Eisenachischer Landtage desselben Jahres, so erhielten sie
zum Schluß auch eine gute Note im Betragen: „Unsere verehrungswürdigste
Regentin haben sowohl in der Proposition als in dem anjetzo auszuhändigenden
Landtagsabschied Dero Sorge vor das Beste des Landes sowohl, als Jhro
edelmütige Uneigennützigkeit überzeugend zutage geleget. Und denen getreuen


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[0420] Las vorgoethische Weimar Eine Volksvertretung gab es allerdings damals auch schon in Weimar, aber die Bauern und die Arbeiter waren in dem kleinen Feudalstaate, wo nur die Freien und Herren mitregieren konnten, logischerweise von dieser Vertretung ausgeschlossen. Sie genossen die Wohltaten eines geordneten Staatswesens und der ihnen für ihre Person und ihren Besitz gewährleisteten Sicherheit, hatten jedoch sonst nur Pflichten und keine Rechte, während man heute die Theoretiker, besonders unsre weltfremden Kathedersozialisten, immer nur von den Rechten, nie aber von den Pflichten der handarbeitenden Staatsbürger reden hört. Der Landtag, der eigentlich aller fünf Jahre zusammentreten sollte, in Wirklichkeit aber so selten wie möglich einberufen wurde, bestand für das Fürsten¬ tum Weimar aus 1 Prälaten, 43 Rittergutsbesitzern und 9 städtischen Ab¬ geordneten, für Jena aus 1 Prälaten, 18 Rittern und 4 Städten, für Eisenach aus 23 Rittern und 3 Städten. (Der „Prälat" ist die Akademie zu Jena.) Seine Tätigkeit beschränkte sich auf die Kritik der Regierungsmaßnahmen, be¬ sonders der Gesetzgebung, auf die Äußerung von Wünschen und auf die Bewilligung der Steuern. Die Stände verhandelten unter sich ohne besondern Aufwand von Beredsamkeit und verkehrten mit der Regierung auf schriftlichen Wege, was trotz der sorgfältig gewahrten devot-weitschweifigen Form und der recht häufigen grundsätzlichen Gegensätze merkwürdigerweise gewöhnlich nur zwei bis vier Wochen in Anspruch nahm. Die Tagung wurde mit einem feierlichen Aufzug im Schlosse, wobei der ganze Hof, die Beamtenschaft, das Militär und die Bedienten in Aktion traten, einer Predigt in der Schloßkirche, der feierlichen Eröffnungsrede einer Exzellenz vom Geheimen Konsilium im „Großen Saal" und einem Festmahl im „Schönen Saal" eingeleitet und später durch einen Festakt, den „Landtags¬ abschied", beschlossen. Die Verhandlungen wickelten sich nicht immer glatt ab; Regierung und Stände pochten auf ihre alten Rechte, und die Herzogin ließ es sich nicht nehmen, die Beschlüsse des Landtags gelegentlich zu „korrigieren". Kein Wunder, daß man nicht immer in Frieden schied, und daß der Minister bei der Schlußrede einen ermahnenden Ton anschlagen mußte, wie zum Beispiel bei der Tagung von 1763, wo er sagte: „Wenn getreue Stände und Untertanen gewahr werden, daß eine Landesherrschaft ihre Pflichten beobachte, so müssen sie sich solches zu einem desto stärkeren Triebe dienen lassen, ihren eignen Pflichten genug zu tun. Sie müssen die Größe der durch eine sanfte, weise und gerechte Regierung ihnen zufließenden Wohltat erkennen. Sie müssen vor ihre Obrigkeit beten. Sie müssen derselben die Regierungslast nicht noch mehr er¬ schweren, sondern durch Vertrauen, Liebe, Treue und Gehorsam erleichtern." Bewiesen die Stände dagegen ein ausreichendes Maß von Entgegenkommen, wie zum Beispiel bei dem Eisenachischer Landtage desselben Jahres, so erhielten sie zum Schluß auch eine gute Note im Betragen: „Unsere verehrungswürdigste Regentin haben sowohl in der Proposition als in dem anjetzo auszuhändigenden Landtagsabschied Dero Sorge vor das Beste des Landes sowohl, als Jhro edelmütige Uneigennützigkeit überzeugend zutage geleget. Und denen getreuen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/420>, abgerufen am 24.07.2024.