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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Teresa de Jesus

macht lag, und daß schon die Anstalten zu ihrer Beerdigung getroffen wurden.
Aber sie erwachte aus ihrer Betäubung, legte eine Generalbeichte ab, mit der
ihr innerliches Leben begann, und hatte damit auch die leibliche Krisis über¬
standen. Das geschah im Jahre 1536. Sie verlangte ins Kloster zurück¬
gebracht zu werden -- "zusammengeschrumpft, nur einen Finger der rechten
Hand zu rühren fähig, in einem Leintuch getragen, weil ihr jede Berührung
Schmerz verursachte", wurde sie übergeführt --, wo sie noch acht Monate
festlag, dann mit Gehversuchen auf allen vieren begann; erst nach drei Jahren
konnte sie sich wieder frei bewegen. Mit Magenschwäche, Neigung zum Er¬
brechen und "Getöse" im Kopfe blieb sie zeitlebens behaftet. Ihr inneres
Leben nun entwickelte sich unter der Leitung ihrer geistlichen Führer, als
welche ihr aber nicht ihre Beichtväter dienten, von denen sie viel aufzustehn
hatte, sondern asketisch-mystische Schriften, über die in diesen Schriften be¬
schrieben Stufen hinweg zur Höhe. Sie hat diese Stufen selbst in ihren
Werken nach ihren eignen Erfahrungen noch einmal beschrieben und eine genaue
Terminologie eingeführt. Das Originellste an ihrer Darstellung sind einerseits
die Bilder, mit denen sie die innern Vorgänge veranschaulicht, andrerseits die
genaue Beschreibung ihrer ekstatischen Zustände. Sie vergleicht die ver¬
schieben Stadien des Weges zu Gott mit den verschieben Arten der Be¬
wässerung eines Gartens. Gleich einem Gärtner, der jeden Eurer Wasser
mit der Hand aus dem tiefen Brunnen schöpfen muß, hat der Anfänger auf
der ersten Stufe des Herzensgebets, des betrachtenden Gebets, schwere Arbeit;
er muß Meditationsstoff herbeischaffen, ihn in anstrengender Verstandestätigkeit
verarbeiten und hat dabei gegen Zerstreuungen anzukämpfen. Auf der zweiten
und der dritten Stufe, beim Gebet der Ruhe und dem der Vereinigung, bringt
die zu Hilfe kommende, Frieden und Wonne spendende Gnade große Er¬
leichterung. Auf der zweiten Stufe besorgt eine Maschinerie das Schöpfen,
auf der dritten wird der Garten mittelst kleiner Gräben bewässert, die jedes
Beet um- und durchziehen. Auf der vierten Stufe, in der Entzückung, verhält
sich die Seele vollkommen passiv; sie hat da nichts mehr zu tun und kann
nichts tun; das himmlische Wasser fällt in Strömen auf sie hernieder. In
der Seelenburg beschreibt sie die Seele als einen von sieben Höfen umgebnen
Palast, die Vervollkommnung der Seele als den unter allerlei Kampf mit
wüstem Getier anfangs sehr mühselig vollzognen Fortschritt aus den äußern
w die innern Höfe und schließlichen Eintritt in den von Gott mit Licht er¬
füllten Zentralraum. Des scheinbaren Widerspruchs, der darin liegt, daß die
Seele in der Seele, also in sich selbst, eine Wandrung unternehmen solle, ist
sie sich wohl bewußt; aber es sei nun einmal so, Wenn man "Seele" spricht,
müsse man sich eine Weite, eine Fülle vorstellen, ein Gebäude mit unzähligen
Gemächern, die alle aus dem Zentralraume ihr Licht empfangen. Und wenn
sie erfahren hätte, daß dreihundert Jahre nach ihr die Weltweisen finden
würden, durch das kopernikanische System sei Gott unterstandslos geworden.


Teresa de Jesus

macht lag, und daß schon die Anstalten zu ihrer Beerdigung getroffen wurden.
Aber sie erwachte aus ihrer Betäubung, legte eine Generalbeichte ab, mit der
ihr innerliches Leben begann, und hatte damit auch die leibliche Krisis über¬
standen. Das geschah im Jahre 1536. Sie verlangte ins Kloster zurück¬
gebracht zu werden — „zusammengeschrumpft, nur einen Finger der rechten
Hand zu rühren fähig, in einem Leintuch getragen, weil ihr jede Berührung
Schmerz verursachte", wurde sie übergeführt —, wo sie noch acht Monate
festlag, dann mit Gehversuchen auf allen vieren begann; erst nach drei Jahren
konnte sie sich wieder frei bewegen. Mit Magenschwäche, Neigung zum Er¬
brechen und „Getöse" im Kopfe blieb sie zeitlebens behaftet. Ihr inneres
Leben nun entwickelte sich unter der Leitung ihrer geistlichen Führer, als
welche ihr aber nicht ihre Beichtväter dienten, von denen sie viel aufzustehn
hatte, sondern asketisch-mystische Schriften, über die in diesen Schriften be¬
schrieben Stufen hinweg zur Höhe. Sie hat diese Stufen selbst in ihren
Werken nach ihren eignen Erfahrungen noch einmal beschrieben und eine genaue
Terminologie eingeführt. Das Originellste an ihrer Darstellung sind einerseits
die Bilder, mit denen sie die innern Vorgänge veranschaulicht, andrerseits die
genaue Beschreibung ihrer ekstatischen Zustände. Sie vergleicht die ver¬
schieben Stadien des Weges zu Gott mit den verschieben Arten der Be¬
wässerung eines Gartens. Gleich einem Gärtner, der jeden Eurer Wasser
mit der Hand aus dem tiefen Brunnen schöpfen muß, hat der Anfänger auf
der ersten Stufe des Herzensgebets, des betrachtenden Gebets, schwere Arbeit;
er muß Meditationsstoff herbeischaffen, ihn in anstrengender Verstandestätigkeit
verarbeiten und hat dabei gegen Zerstreuungen anzukämpfen. Auf der zweiten
und der dritten Stufe, beim Gebet der Ruhe und dem der Vereinigung, bringt
die zu Hilfe kommende, Frieden und Wonne spendende Gnade große Er¬
leichterung. Auf der zweiten Stufe besorgt eine Maschinerie das Schöpfen,
auf der dritten wird der Garten mittelst kleiner Gräben bewässert, die jedes
Beet um- und durchziehen. Auf der vierten Stufe, in der Entzückung, verhält
sich die Seele vollkommen passiv; sie hat da nichts mehr zu tun und kann
nichts tun; das himmlische Wasser fällt in Strömen auf sie hernieder. In
der Seelenburg beschreibt sie die Seele als einen von sieben Höfen umgebnen
Palast, die Vervollkommnung der Seele als den unter allerlei Kampf mit
wüstem Getier anfangs sehr mühselig vollzognen Fortschritt aus den äußern
w die innern Höfe und schließlichen Eintritt in den von Gott mit Licht er¬
füllten Zentralraum. Des scheinbaren Widerspruchs, der darin liegt, daß die
Seele in der Seele, also in sich selbst, eine Wandrung unternehmen solle, ist
sie sich wohl bewußt; aber es sei nun einmal so, Wenn man „Seele" spricht,
müsse man sich eine Weite, eine Fülle vorstellen, ein Gebäude mit unzähligen
Gemächern, die alle aus dem Zentralraume ihr Licht empfangen. Und wenn
sie erfahren hätte, daß dreihundert Jahre nach ihr die Weltweisen finden
würden, durch das kopernikanische System sei Gott unterstandslos geworden.


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[0379] Teresa de Jesus macht lag, und daß schon die Anstalten zu ihrer Beerdigung getroffen wurden. Aber sie erwachte aus ihrer Betäubung, legte eine Generalbeichte ab, mit der ihr innerliches Leben begann, und hatte damit auch die leibliche Krisis über¬ standen. Das geschah im Jahre 1536. Sie verlangte ins Kloster zurück¬ gebracht zu werden — „zusammengeschrumpft, nur einen Finger der rechten Hand zu rühren fähig, in einem Leintuch getragen, weil ihr jede Berührung Schmerz verursachte", wurde sie übergeführt —, wo sie noch acht Monate festlag, dann mit Gehversuchen auf allen vieren begann; erst nach drei Jahren konnte sie sich wieder frei bewegen. Mit Magenschwäche, Neigung zum Er¬ brechen und „Getöse" im Kopfe blieb sie zeitlebens behaftet. Ihr inneres Leben nun entwickelte sich unter der Leitung ihrer geistlichen Führer, als welche ihr aber nicht ihre Beichtväter dienten, von denen sie viel aufzustehn hatte, sondern asketisch-mystische Schriften, über die in diesen Schriften be¬ schrieben Stufen hinweg zur Höhe. Sie hat diese Stufen selbst in ihren Werken nach ihren eignen Erfahrungen noch einmal beschrieben und eine genaue Terminologie eingeführt. Das Originellste an ihrer Darstellung sind einerseits die Bilder, mit denen sie die innern Vorgänge veranschaulicht, andrerseits die genaue Beschreibung ihrer ekstatischen Zustände. Sie vergleicht die ver¬ schieben Stadien des Weges zu Gott mit den verschieben Arten der Be¬ wässerung eines Gartens. Gleich einem Gärtner, der jeden Eurer Wasser mit der Hand aus dem tiefen Brunnen schöpfen muß, hat der Anfänger auf der ersten Stufe des Herzensgebets, des betrachtenden Gebets, schwere Arbeit; er muß Meditationsstoff herbeischaffen, ihn in anstrengender Verstandestätigkeit verarbeiten und hat dabei gegen Zerstreuungen anzukämpfen. Auf der zweiten und der dritten Stufe, beim Gebet der Ruhe und dem der Vereinigung, bringt die zu Hilfe kommende, Frieden und Wonne spendende Gnade große Er¬ leichterung. Auf der zweiten Stufe besorgt eine Maschinerie das Schöpfen, auf der dritten wird der Garten mittelst kleiner Gräben bewässert, die jedes Beet um- und durchziehen. Auf der vierten Stufe, in der Entzückung, verhält sich die Seele vollkommen passiv; sie hat da nichts mehr zu tun und kann nichts tun; das himmlische Wasser fällt in Strömen auf sie hernieder. In der Seelenburg beschreibt sie die Seele als einen von sieben Höfen umgebnen Palast, die Vervollkommnung der Seele als den unter allerlei Kampf mit wüstem Getier anfangs sehr mühselig vollzognen Fortschritt aus den äußern w die innern Höfe und schließlichen Eintritt in den von Gott mit Licht er¬ füllten Zentralraum. Des scheinbaren Widerspruchs, der darin liegt, daß die Seele in der Seele, also in sich selbst, eine Wandrung unternehmen solle, ist sie sich wohl bewußt; aber es sei nun einmal so, Wenn man „Seele" spricht, müsse man sich eine Weite, eine Fülle vorstellen, ein Gebäude mit unzähligen Gemächern, die alle aus dem Zentralraume ihr Licht empfangen. Und wenn sie erfahren hätte, daß dreihundert Jahre nach ihr die Weltweisen finden würden, durch das kopernikanische System sei Gott unterstandslos geworden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/379>, abgerufen am 24.07.2024.